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Thomas Hartwig

Unauffällig promenierte er die durchaus nicht sehr unterhaltsame Novalisstraße entlang, das Haus Nummer 10 dabei nicht aus dem Auge lassend. Einst beste Berliner Gegend, später kleinbürgerlich, heute fast restlos proletarisiert, war diese Straße von Kindern, schimpfenden Frauen, von Staub und üblen Gerüchen erfüllt. Eine Straße im Niedergang, irgendwie traurig und trostlos, wie verkommene Frauen, von denen man weiß, daß sie einstens glanzvolle Tage gesehen.

Krause war heute entschieden vom Glück begünstigt. Bevor noch eine halbe Stunde um war, erschien der Blonde wieder. Der Detektive, der gerade noch in ein Haustor hatte springen können, stellte fest, daß der Mann sich die staubigen Schuhe gereinigt, einen anderen Schlips umgenommen und unternehmungslustig einen Spazierstock schwang. Daraus war mit einiger Sicherheit zu schließen, daß er den Abend frei vor sich hatte und ihn durchaus nicht zu Hause in der Elsässerstraße verbringen würde. Diesmal folgte Krause nicht, sondern wartete das Verschwinden des Blonden ab, um dann ruhig das Haus Nummer 10 zu betreten, zwei Treppen hinauf, dann elf Normalschritte nach rechts zu gehen. Und richtig stand er nun vor einer Wohnungstür, die zwei Namen aufwies. Der eine auf einer Emailtafel lautete Wilhelmine Armbruster, der andere war auf einer Visitenkarte zu lesen, auf der es hieß:

Thomas Hartwig, Schriftsteller.

Ein wenig verwundert, einige Beklommenheit in der Brust stand Krause still. Schriftsteller – mag sein – der Gang, das Äußere widersprachen dem nicht! Aber was und wo schrieb dieser Schriftsteller, dessen Namen noch nie an sein Ohr geklungen? Und doch las Krause viel, sehr viel sogar, war in der Leihbibliothek abonniert, kramte oft stundenlang bei Buchhändlern herum, legte mehr Geld, als er eigentlich durfte, in Büchern an.

Mit kurzem Entschluß zog er die altmodische Glocke, worauf ein scheppernder Ton die Stille unterbrach. Aber nichts rührte sich, auch als er zum zweiten- und drittenmal den Glockenzug in Bewegung setzte.

Ärgerlich wollte er sich entfernen, da ersichtlich niemand in der Wohnung war. In diesem Augenblick wurden Schritte auf der Treppe laut und schon stand eine behäbige ältliche und unwahrscheinlich unmodern gekleidete Frau vor ihm. Sie musterte den Fremden und fragte dann:

»Sie wollten man wohl den Herrn Doktor Hartwich aufsuchen? Der kommt vor elf nicht nach Hause!«

Dabei zog sie umständlich die Schlüssel aus ihrer großen Handtasche und sperrte die Tür auf. Krause, über diese Wendung höchst vergnügt, lüftete mit betonter Artigkeit den Hut.

»Nein, ich wollte Frau Armbruster sprechen.«

»Bin ick selbst!«

»Mein Name ist Hauler, Ernst Hauler aus Neu-Strelitz.«

»Sehr erfreut! Bitte man mit hereinzukommen.«

Sie standen nun in dem üblichen finsteren, altdeutsch eingerichteten, mit neckischen Sprüchen bestickten und verzierten Berliner Zimmer; Frau Armbruster steckte eine Gasflamme an, ließ den Herrn Hauler Platz nehmen. »Wat verschafft mir det Vergnüjen?«

Krause räusperte sich, bevor er loslegte. »Ich komme nämlich aus Neu-Strelitz, wo ich wohne. Auf der Bahn hat mir ein Herr auf meine Frage mitgeteilt, daß ich bei Ihnen ein Zimmer haben könnte. Er selbst hat einmal hier gewohnt und Ihre Sauberkeit besonders gelobt. Und wissen Sie, Sauberkeit, das ist bei mir das halbe Leben und deshalb bin ich hergekommen.«

Frau Armbruster zupfte geschmeichelt an ihrer Bluse.

»Jawoll, Sauberkeit, dafür kann ick garantieren! Der Herr wird wohl der Herr Richter jewesen sein, der was einmal vor zwei Jahren bei mir jewohnt hat. Lustiger Bruder, aber – na, man soll nischt Schlechtes über seine Mitmenschen sagen. Nu hat aber das Zimmer, das er jehabt hatte, der Herr Hartwich und es tut mir leid, Ihnen nicht dienen zu können.«

Krause zeigte sich tief betrübt, ließ aber nicht locker.

»Liebe Frau Armbruster, ich brauche ja gar kein Zimmer zum Wohnen. Ich bin bloß zwei- oder dreimal wöchentlich in Berlin, komme immer vormittags aus Strelitz an und fahre mit dem letzten Zug wieder zurück. Und da brauchte ich eben einen Raum, wo ich meine paar Briefe schreiben und vielleicht nach Tisch ein Nickerchen machen könnte. Nichts brauche ich als einen Schreibtisch, wie er hier steht, und so eine Chaiselongue, wie sie auch hier ist. Und zahlen würde ich auch sehr gut, weil das Geschäftsspesen sind, die nicht aus meiner Tasche gehen.«

Das ohnedies breite Gesicht Frau Armbrusters wurde noch breiter.

»Ja, det ließ sich woll machen! Ich selbst jehe um acht Uhr morjens fort und komm' erst um diese Zeit wieder zurück, weil ick in Feinwäscherei beschäftigt bin. Also, da könnten Sie den janzen Tach sich hier im Zimmer aufhalten.«

Die pekuniäre Seite der Frage war rasch und zur vollen Zufriedenheit der Witwe Armbruster erledigt, sie bekam gleich für die nächsten zehn Besuche das ausbedungene Geld und händigte dafür dem Herrn Hauler aus Neu-Strelitz den Wohnungsschlüssel ein.


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