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Lotte Fröhlich

»Menschenkind, greifen Sie doch zu, vertrödeln Sie die Zeit nicht! Nicht nur, daß der Präsident täglich Bericht verlangt und wegen verschiedener Zeitungsangriffe nervös geworden ist. Aber stellen Sie sich vor, wie Sie und ich dastünden, wenn der Kerl doch noch irgendwie Wind bekommen und verduften würde!«

Dr. Clusius war sehr aufgeregt, Krause ruhig wie immer. Er ließ sich nicht beirren.

»Nein, Herr Doktor, ich muß Sie schon bitten, mich nicht zu drängen. Ich allein trage die Verantwortung; meinen Kopf als Pfand dafür, daß Hartwig an Flucht gar nicht denkt. Bevor ich Hand auf ihn lege, will ich erst genau wissen, was und wie dieser Mann eigentlich ist, muß seine geistige Beschaffenheit ergründet haben und die Triebe, die ihn zu solch grauenhaften Verbrechen zwangen. Übrigens – vielleicht ist er es gar nicht und dann wäre die Blamage recht peinlich, denn wenn auch nur ganz entfernt, so gehört er doch zum großen Zeitungsgetriebe und der »Herold« würde nicht übel brüllen, wenn wir einen seiner sogenannten geschätzten Mitarbeiter des fünffachen Mordes verdächtigen wollten.«

Dieses Argument gab den Ausschlag. »Gut, Krause, ich verlasse mich also wieder einmal ganz auf Sie, sage dem Präsidenten nur, daß wir Fährte haben und rechne auf einen Riesenerfolg der Polizei. Na, Ihr Schade soll es auch nicht sein! Diesmal werde ich ohne Schwierigkeit durchsetzen, daß Sie Titel und Rang eines Kriminalkommissärs bekommen. Und dann wird sich ja wohl ausgekrauset haben und der Herr Kriminalkommissär wird Doktor von Dengern heißen!«

Krause konnte sich mit bestem Willen nicht einmal zu einem geschmeichelten Lächeln zwingen im Gegenteil, die senkrechte Stirnfalte vertiefte sich, so daß sie das Gesicht teilte. Er ging mit korrektem Gruß, draußen aber schüttelte ihn der Ekel vor seinem Beruf.

»Also wird wieder einmal das Unglück des einen das Glück des anderen sein! Hohe Prämie für einen Herzschuß! Fiat justitia, pereat mundus! Allerdings – fünf Frauen umbringen, damit einen das eigene Elend, etwas weniger zwickt – unglaubhaft, grotesk, abscheulich. Vor allem nicht zurechnungsfähig. Wer weiß, was dieser Hartwig erlebt hat, wenn er überhaupt – Na, werden ja sehen!«

Krause saß in dem elegant eingerichteten Warteraum des Berliner »Herold« und blätterte die letzten Monatsbände durch, in denen er hier und da, selten genug, im kleinen Feuilleton auf eine kurze Abhandlung stieß, die mit T. H–g gezeichnet war. Kluge, geistvolle, tiefschürfende Glossierungen einer Zeitfrage, eines Ereignisses. Humor, Verstandesschärfe, Herzensgüte wurden aus den kurzen, prägnanten Sätzen laut. Krause zog die Augenbrauen hoch. Da stand ja ein Satz, der nach persönlicher Empfindung und Beleuchtung des eigenen Inneren schmeckte.

»Oft mag es ein spielerischer, scherzhafter, angeflogener Gedanke sein, der bestimmend für das Leben ist, zum Apostel, Mörder, Märtyrer oder Räuber macht. Ein unmeßbares und unwägbares Samenkorn fliegt ins Hirn und geht zu mächtiger, fruchtbringender oder verderbenerregender Saat auf – –«

Ja, mein Junge, sprach Krause in sich hinein, du gehst zu rasch, gestikulierst, schlenkerst mit den Beinen, bist ein Unwirklichkeitsmensch und Phantast. Wehe, wenn die die solide Landstraße verlassen.

Krause ließ sich zur Redaktionssekretärin Fräulein Lotte Fröhlich führen. Stand vor einem entzückenden jungen Mädchen, dessen goldbraune, gescheitelte Haare eine schneeweiße Stirne von köstlicher Reinheit umrahmten. Der eigenwillige, üppige Mund ließ mit seiner ein wenig zu kurzen Oberlippe beim Sprechen tadellose, kräftige Zähne sehen, die großen, graublauen Augen mochten wohl oft, nach Stimmung und Beleuchtung, die Farbe wechseln und konnten sicher ebenso brennen, wie sie jetzt kühl und gelassen fragend den Besucher maßen.

»Mein Name ist Karl Recher. Ich bin ein ständiger Leser des Berliner »Herold« und interessiere mich für Ihren Mitarbeiter, der mit T. H–g zeichnet. Wäre es möglich, seinen vollen Namen und seine Anschrift zu erfahren?«

Fräulein Fröhlich errötete, in ihren Augen flackerte ein helles Licht auf, sie lud durch eine Bewegung der schlanken, feinen Hand den Besucher ein, Platz zu nehmen und erwiderte lebhaft:

»Sicher, der Verfasser dieser Artikel hat durchaus keine Ursache, anonym bleiben zu wollen. Er heißt Thomas Hartwig und wohnt in der Novalisstraße 10.«

»Mich fesseln verschiedene Gedanken, die er andeutet und ich möchte ihn gerne kennenlernen. Glauben Sie, daß dies mit Schwierigkeiten verbunden ist?«

»Keineswegs, Herr Recher! Ich bin sicher, daß Hartwig sich freuen wird, Sie kennen zu lernen.«

»Nun, dann will ich ihn heute noch aufsuchen. Größere Sachen hat Herr Hartwig wohl noch nicht geschrieben?«

»Oh, doch«, antwortete die Redaktionssekretärin rasch. »Vor wenigen Monaten erst ist ein Roman von ihm, er heißt ›Kämpfende Seelen‹, erschienen. Leider in einem ganz unbekannten Verlag, bei Brüder Merker in Braunschweig, die es nicht verstehen, ein Buch zu lancieren, wohl auch über nicht genügende Mittel verfügen, so daß das Buch fast gar keine Verbreitung finden kann. Übrigens, wenn es Sie wirklich interessiert, ich habe einige Exemplare hier!«

Und schon hatte Fräulein Fröhlich ein Schubfach aufgesperrt und Krause ein Buch in häßlicher brauner Broschierung überreicht.

»Wenn es Ihnen gefällt und Sie Wert darauf legen sollten, so wird Herr Hartwig Ihnen sicher gerne eine Widmung hineinschreiben.«

Als Krause sich mit vielem Dank empfohlen, hatte und im Begriff stand, das Zimmer zu verlassen, seufzte das Mädchen tief auf, machte ein besorgtes Gesicht und die großen Kinderaugen wurden fast schwarz.

»Hartwig hat auch ein herrliches Schauspiel geschrieben, ohne daß er es anbringen kann! Er gehört eben nicht zur Clique und hat nicht das Zeug dazu, sich in Szene zu setzen und Protektoren zu finden.«

»Sonderbar, da er doch Mitarbeiter des großen, einflußreichen »Herold« ist.«

Fräulein Fröhlich zuckte die Achseln. »Mitarbeiter? Sein Verhältnis zum ›Herold‹ ist ein ganz loses und besteht nur darin, daß man hier und da einen Artikel von ihm nimmt. Und es gibt genug Herren hier, die ihm auch das neiden und sicher in den Theaterkanzleien eher gegen ihn als für ihn arbeiten würden, wenn sie wüßten, daß er ein Stück eingereicht hat.«

Krause, die Türklinke schon in der Hand, sagte im Ton ehrlicher Teilnahme:

»Da ist der arme Herr Hartwig wohl gar in mißlichen Verhältnissen?«

Das Gesicht der Jungen Dame wurde steinern. Sie warf den Kopf zurück und sagte mit betonter Zurückhaltung:

»Ich kenne die Privatverhältnisse des Herrn Hartwig nicht!«

Krause aber lächelte auf der Straße vor sich hin und sein Gehirn begann mit fieberhafter Geschwindigkeit zu arbeiten, zu kombinieren und aufzubauen.


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