Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Unterhaltung mit einem Mörder

»Ist Herr Thomas Hartwig zu Hause?«

»Bin ich selbst. Mit wem habe ich das Vergnügen?«

»Mein Name ist Recher, verzeihen Sie, wenn ich störe, aber –«

»Oh, Herr Recher! Ich bin ja auf Ihren Besuch vorbereitet, da ich heute mittag zufällig mit Fräulein Fröhlich zusammengetroffen bin. Bitte nur näher zu treten.«

Platzanweisung, Zigarettenangebot, das dankend angenommen wird.

»Fräulein Fröhlich hat mir erzählt, daß Sie sich für meine Arbeiten interessieren. Kommt selten vor und ist daher um so schmeichelhafter! Und meinen Roman hat die Dame Ihnen auch angehängt. Na, lesen müssen Sie ihn ja nicht, beim Antiquar werden Sie aber keine zehn Pfennige für ihn bekommen.«

Herr Hartwig lachte hell und fröhlich und nicht nur sein Mund lachte, sondern auch seine blauen, kindhaft anmutenden Augen hinter dem Kneifer. Herr Krause aber lachte wesentlich weniger frei, sondern etwas gezwungen mit.

»Übrigens, Herr Recher, irgendwo muß ich Sie schon gesehen haben!«

»Jawohl, auch Sie kommen mir bekannt vor. Halt, sind wir nicht gestern, jeder ein schreiendes Kind auf dem Arm, einander in der Elsässerstraße gegenübergestanden?«

»Richtig, das war es!« Und beide Männer lachten wieder und kamen so sehr gut über die erste Verlegenheit hinweg.

»Ihr Buch hat mich so gefesselt, Herr Hartwig, daß ich es in einem Atemzug gelesen und darüber mein Mittagessen vergessen habe. Diese zwingende Logik, mit der Sie das schwierigste aller Probleme, das Eheproblem, entrollen, die Kühnheit, Hand an Wunden zu legen, die jedermann schmerzen und die jedermann verleugnet, die glänzende Milieuschilderung, die reine, schöne Sprache – alle Achtung! Ich muß nur staunen, daß nicht einer der ganz großen deutschen Verleger das Werk an sich gerissen hat.«

Um Hartwigs Lippen zuckte es.

»An sich gerissen, ist gut! Ein Jahr lang ist das Manuskript von einem Verleger zum anderen gewandert, immer bekam ich es mit gleichgültigen Phrasen zurück, glaube nicht, daß einer der vielbeschäftigten Herren Lektoren es auch nur durchgeblättert hat. Schließlich lernte ich durch Zufall die Brüder Merker in Braunschweig kennen, die dort einen kleinen Fachverlag betreiben. Und da beide viel Unglück in ihren Ehen gehabt, so begeisterten sie sich für meinen Roman und nahmen ihn. Aber sie hatten nicht genug Geld, um die enormen Druck- und Papierkosten allein zu tragen, ich mußte den kleinen Rest meines väterlichen Erbteils opfern, damit der Roman in schäbiger Gewandung erscheinen konnte. Und nun liegt er seit einem Jahr unbeweglich beim Kommissionär, kaum daß von den fünftausend gedruckten Exemplaren dreihundert gekauft wurden. Und auch die kann der unglückliche Sortimenter, der sich auf fünfundzwanzig Stück eingelassen hat, wahrscheinlich nicht anbringen. Denn wer soll für ein Buch in solcher Ausstattung, dessen Autor unbekannt ist, einen verhältnismäßig großen Betrag ausgeben?«

Krause nickte. »Pech, entschiedenes Pech! Denn der Roman ist ein Meisterwerk, darüber läßt sich nicht streiten. Spielt Selbsterlebtes dabei mit, wenn die Frage erlaubt ist?«

Hartwigs Gesicht wurde hart und abweisend. »Der Ehekampf im Elternhause, das Unglück meiner einzigen Schwester, die sich das Leben nahm, weil sie die Fessel nicht länger ertragen wollte, schlechte Ehen meiner Freunde – das ist mir genug Erlebnis.«

»Also werden Sie wohl zu den ewigen Junggesellen gehören?«

»Ich? Durchaus nicht! Ich wollte, ich könnte recht bald – aber, wenn Sie mein Buch gut gelesen haben, so müssen Sie doch wissen, daß ich kein Feind der Ehe an sich, sondern nur ein Feind der Ehe, wie sie geworden ist, bin! Ein freies Zusammenleben mit voller Achtung der gegenseitigen Unabhängigkeit, Zusammenleben, aber nicht Aneinanderkleben, nicht, mein ›Mann‹, sondern ›mein Gefährte‹, nicht, ›meine Frau‹, sondern ›meine Freundin‹ – unter solchen Bedingungen könnte auch eine Ehe zwischen harmonischen, abgeklärten Menschen glücklich sein.«

»Fräulein Fröhlich hat mir von einem Schauspiel erzählt, das Sie geschrieben haben?« Hartwig errötete über und über. »Hat die Gute auch darüber gesprochen? Wenn es Sie interessiert, werde ich Ihnen gelegentlich eine Abschrift geben. Das Original liegt derzeit am Kleist-Theater. Das vierte, dem ich es eingereicht habe. Natürlich wird es auch der Direktor des Kleist-Theaters, Herr Hohlbaum, genau so wenig lesen wie die anderen. Im Volkstheater lag das Stück vier Monate; als ich drängte und persönlich vorsprach, lobte der Direktor das Stück über den grünen Klee und erklärte, es unbedingt in zwei oder drei Jahren aufführen zu wollen. Nur hatte, wie ich sofort erkannte, der Kerl mein Stück noch gar nicht gelesen, sondern meinte ein ganz anderes. Hätte ich genügend Geld, so würde ich das Stück, es heißt ›Drei Menschen‹, auf meine Kosten irgendwo in einem besseren Provinztheater herausbringen lassen. Na, vielleicht wird sich das machen lassen!«

Krause wurde schwankend, kannte sich nicht aus, Mitleid, Sympathie, Grauen durchströmten ihn. Motiv zur ruchlosen Tat der Auslöschung von fünf Menschenleben? Ehrgeiz, Geltungssucht, Drang zu werden um jeden Preis. Machen es Feldherren anders? Und doch – so geht es nicht! Keine Sentimentalität, sondern Rächer sein, wie es im angenommenen Namen liegt.

Und nun zugreifen!

»Herr Hartwig, in einem Ihrer Feuilletons, noch stärker aber in Ihrem prachtvollen Roman deuten Sie verwegenes Denken an. Das Recht des Wertvollen, über der Menge Stehenden, sich durchzusetzen. Um jeden Preis, auch über Leichen hinweg. Ist das nicht rein persönlich gedacht? Sie sind ein Seltener, Wertvoller. Und in Gefahr, zugrunde zu gehen, weil Ihnen zu viel des Minderwertigen und Widerwärtigen entgegensteht. Sie sind einer, der an Wert sicher Legionen Unzulänglicher, Belangloser aufwiegt. Wären Sie imstande, aus solchem Bewußtsein die Konsequenzen zu ziehen? Sagen wir zum Beispiel, Menschen umzubringen, wertlose, lächerlich überflüssige Menschen, weil deren Tod Ihnen materielle Vorteile brächte?«

Hartwig verfärbte sich. Ein tückischer, hilfloser Zug trat in sein hübsches, offenes Gesicht, er schielte und die Augen flackerten unruhig.

»Ich verstehe nicht recht, was Sie da meinen,« kam es stoßweise, gekeucht heraus.

»Sie verstehen mich nicht, Herr Hartwig? Nun, ich meine, ob Sie sich wirklich das Recht, das höhere, sittliche Recht zusprechen, fünf oder vielleicht mehr arme, dumme Frauen umzubringen, um Ihr Drama in der Provinz aufführen lassen zu können?«

Hartwig sprang auf, umklammerte die Stuhllehne, stierte Krause an, heiser kam es aus seiner Kehle:

»Was soll – wer sind Sie – was bedeutet –«

»Das bedeutet, daß ich Sie verhaften muß Herr Hartwig, obwohl mir Ihr Roman wirklich ganz außerordentlich gefallen hat und ich wirklich nicht genau weiß, ob nicht am Ende Ihr Drama wertvoller ist als die fünf Mädchen, die Sie an sich gelockt, ermordet und beraubt haben!«

Totenstille! Zwei Männer standen einander gegenüber und sahen sich in die Augen. Hartwig richtete die zusammengesunkene Gestalt hoch auf.

»Tun Sie Ihre Pflicht, ich gehe ruhig mit Ihnen, Herr, Herr – –«

»Nein, nicht Recher, sondern Inspektor Krause! Die kleine Komödie war mir selbst widerwärtig, aber durchaus notwendig. Und nun, bitte, nehmen Sie Ihren Hut und gehen Sie mir voran.«

Hartwig zögerte, sah wie geistesabwesend vor sich hin.

»Sagen Sie, ich kann mich doch im Untersuchungsgefängnis selbst beköstigen und meine eigenen Sachen tragen?«

»Jawohl, Herr Hartwig, das können Sie! Bis zu Ihrer Verurteilung sind Sie Gentleman und sozusagen ein ordentlicher Staatsbürger in einer Zelle. Ich würde Ihnen raten, gleich eine Tasche mit den notwendigen Sachen mitzunehmen. Wir benützen natürlich ein Autotaxi.«

Während Hartwig wortlos einen kleinen Handkoffer füllte, glitten die Gedanken Krauses um viele Jahre zurück. Oh, wie er diese Angst verstand, diese Angst vor Sträflingskittel, Zwangsbädern, Erbsbrei und Kartoffelsuppe! Nicht die Haft, das Zuchthaus, die körperliche Arbeit, die Entehrung sind ja das Fürchterlichste, sondern die Filzschuhe an den Füßen, das grobe, fremde Hemd, das »Du« des Wärters, der Blechtopf mit dem zerbeulten Löffel, der Unratkübel. Gesetzgeber, ihr wollt strafen, um zu rächen und zu bessern und macht aus Menschen mit Fehlern verzweifelte Tiere, Bestien in dem Augenblick, da ihr brutal die Nabelschnur zerreißt, die den Gestrauchelten mit seinem früheren Leben verbindet. – –

Auf vorsichtige Fragen, die Krause im Auto stellte, gab Hartwig keine Antwort, kniff die Lippen zusammen, als wollte er sie nie wieder öffnen. Nur im letzten Augenblick, als der Alexanderplatz schon in Sicht war, sagte er heiser:

»Herr Krause, irgendwie strömt Ihre schäbige Detektivseele doch Menschliches aus. Und an dieses Menschliche wende ich mich mit einer Bitte: Zerren Sie das reinste Geschöpf der Welt nicht mit herein, lassen Sie Lotte Fröhlich aus dem Spielt«

Krause nickte, während die Fältchenflut in seinem Gesicht aufstieg.

»Ich verspreche Ihnen das gerne – es sei denn, daß Lotte Fröhlich vom Wirbel der Ereignisse automatisch erfaßt wird.«


 << zurück weiter >>