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»Idylle an der Havel«

Der »Berliner Generalanzeiger« war das Blatt der Heiratsannoncen. Der Jüngling, der Seelenfreundschaft braucht, der reifere Mann mit Bedarf nach Mitgift, die einsame Jungfrau, die Witwe, der Vater, der anders seine Töchter nicht anbringen kann, sie alle pflegten ihre Schmerzen, Sehnsüchte und Hoffnungen dem »Generalanzeiger« anzuvertrauen und viele tausend Ehen waren vielleicht im Himmel geschlossen, aber im »Generalanzeiger« angebahnt worden.

Zeitlich morgens, als noch wenige Leute die Annoncenschalter des »Generalanzeigers« belagerten, begab sich Krause dorthin. Seine Arbeit wurde wesentlich dadurch erleichtert, daß jeder Schalter nur bestimmte Gruppen von Anzeigen behandelte. Hier konnte man nach Hauspersonal inserieren, dort seine alten Sachen anpreisen und der Schalter Nummer fünf war den Heiratsannoncen reserviert. Krause zeigte der ältlichen, mit einer Hornbrille bewaffneten Dame, die hier den Liebesgott spielte, sein Abzeichen und bat sie um eine kurze Unterredung. Mit kurzen Worten erklärte er ihr, um was es sich handelte, und stellte dann seine präzisierte Frage:

»Der Mann, den ich suche, dürfte im Laufe des Monats Juni, vielleicht auch noch etwas früher, seine Annoncen aufgegeben haben. Diese Annoncen dürften sehr verlockend gewesen sein, da es ihm ja um möglichst viele Antworten zu tun war. Sicher hat er auch schockweise Briefe bekommen. Außerdem war dieser Mann blond, hatte einen Kneifer und machte einen recht guten Eindruck. Mehr weiß ich nicht und alles Weitere hängt von Ihrem guten Gedächtnis ab.«

Fräulein Lieblein war Feuer und Flamme, ballte die Fäuste und schoß Wut aus den kurzsichtigen Augen.

»So ein Schuft, so eine Bestie! Oh, wenn ich etwas dazu tun könnte, ihn aufs Schafott zu bringen, wäre ich direkt glücklich!«

Sie stemmte die Bleifeder gegen das spitze Kinn und dachte angestrengt nach.

»Gerade der Juni ist ein starker Monat gewesen, weil der Frühling so spät kam. Da werden ja die Menschen wie toll und möchten um jeden Preis heiraten!«

Innerlich lächelte Krause über das alte Mädchen, das die Jahreszeiten und Witterungen vielleicht in einen viel tieferen und richtigeren Zusammenhang mit dem menschlichen Liebesbedürfnis brachte als mancher graduierte Psycho- und Physiologe.

»Himmel! Jetzt entsinne ich mich eines blonden Herrn mit Kneifer, der – aber nein – der kann es nicht sein! Der sah ja so lieb und gut aus – und doch – er hat ein ganzes Bündel Antworten bekommen, und ich erinnere mich deutlich, wie er lachend die Briefe in seine Aktentasche steckte und mich fragte: Fräulein, glauben Sie nicht auch, daß ich mir jetzt gleich ein ganzes Dutzend Bräute aussuchen könnte?«

Krause hing gespannt an ihren Lippen. »Nun, und wissen Sie noch, wie der Text der Annonce gelautet hat?«

Fräulein Lieblein schüttelte den Kopf. »Nein, das nicht, aber die Chiffre, unter der er die Briefe abholen wollte, ist mir irgendwie aufgefallen. Wenn ich sie vor mir hätte, würde ich sie gleich unter hundert anderen herausfinden.«

Ungeduldig pochten Leute an das Schalterfenster, Fräulein Lieblein bat eine der anderen Damen, sie zu vertreten, führte Krause rückwärts in die Administration und begann die Exemplare des »Generalanzeigers« ab Mitte Mai zu durchforschen. Nach gut einer Stunde, sie war eben beim Sonntagsblatt vom 2. Juni angelangt, legte Krause, der über ihre Schultern gebeugt mitsuchte, den Finger auf eine Anzeige und sagte trocken und bestimmt:

»Das wird es sein!«

Die Annonce lautete:

Akademisch gebildeter Herr, 32 Jahre alt, einnehmendes Äußere, wohlhabend, der sich in der Nähe von Berlin ankaufen will, sucht, des Alleinseins müde, Lebensgefährtin. Reflektiert wird auf gut erzogene Dame, die einem liebevollen, charakterfesten Mann eine treue, brave Gattin sein will. Etwas Vermögen erwünscht. Freundliche Anträge unter »Idylle an der Havel« an den »Generalanzeiger«.

»Jawohl,« schrie Fräulein Lieblein erregt auf, »das ist die Annonce! Idylle an der Havel, so hat die Chiffre gelautet! Wissen Sie, dieses ›Idylle an der Havel‹ hat mich so eigentümlich berührt und ich dachte mir, daß an der Seite des netten, blonden Herrn ein Mädchen doch ein rechtes Glück finden könnte. Ich wurde sogar ein wenig traurig damals –«.

Fräulein Lieblein schwieg plötzlich verschämt und Krause ließ aus seinen grauen, kühlen Augen einen Blick voll Mitleid über das hagere, eckige, reizlose Mädchen gleiten.

Bald war auch das Manuskript der Annonce mit Hilfe des Druckereileiters herbeigeschafft. Enttäuscht hielt Krause den beschmierten, zerknitterten Bogen, der mit Schreibmaschinenschrift ausgefüllt war, in der Hand.

»Viel weiter bin ich nun eigentlich doch nicht gekommen. Immerhin, ein Faden, der nach rückwärts läuft. Und etwas könnte man ja versuchen. Fräulein Lieblein, ich werde jetzt den Text einer Annonce aufsetzen, die morgen erscheinen soll. Viel nützen wird es ja nicht; was ich tue, ist eigentlich recht plump, aber man kann nicht wissen, mitunter begehen auch die raffiniertesten Verbrecher die größten Dummheiten.«

Fräulein Lieblein gelobte Stillschweigen über alles, was sich etwa ereignen wurde, und im nächsten Morgenblatte des »Generalanzeigers« erschien folgende, von Krause verfaßte Anzeige unter der Überschrift »Idylle an der Havel«:

Habe auf Annonce unter obiger Chiffre, die am 2. Juni erschienen ist, geantwortet, mein Brief wurde aber nicht behoben. Bitte nunmehr, da mich für geeignete Person halte, Brief unter »Blondes Gretchen«, Postamt Dorotheerstraße, zu beheben.


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