Roland Betsch
Der Wilde Freiger
Roland Betsch

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16.

Am andern Morgen stieg sie mit Paul Welker auf siebentausend Meter. Es war ihr erster Flug. Sie empfand ihn als das größte Ereignis ihres Lebens.

Die Nacht war einem durchsichtigen Dämmern gewichen. Die ersten Vorboten der Sonne flossen in prangendem Rot über den Osthimmel, und tief unten segelten einige weiße Wolkenfetzen, vereinzelt, formlos und feurig beleuchtet durch das erwachende Licht des Tages.

War es denn ein Traum?

Ein vielstimmiger Orgelchor brauste ihr entgegen.

Die Glut im Osten wurde stärker, überwältigender. Ein Ozean von blendenden Farben wälzte sich über den Horizont, und sie flogen mitten hinein in dieses gewaltige Auferstehungsfest der Sonne.

Wo war die Erde? Verweht wie ein flüchtiger Schatten. Wo war all das Jämmerliche, Kleinliche, das Sinnbetörende?

Wo war Hans Welker?

Herta Land bekam eine ungewisse Furcht. Er schwebte vielleicht hier oben. War ihm das auch vergönnt?

War er über ihnen, noch einige tausend Meter höher im Uferlosen? Kreiste wie ein Adler im Funkeln der Sonne?

Hier geschah der Umschwung in Herta Land. Er vollzog sich rasch und kaleidoskopartig. Sie lernte Hans Welker hassen.

Ihre Augen tranken die roten Feuermassen, die der Himmel vergeudete. Ein Dunstschwaden kam angesegelt, fortwährend die Form wechselnd, und strich wie eine schmeichelnde Hand über das Flugzeug.

169 Nun kamen die ersten, stechenden Strahlen der Sonne. Weißglühend stürzten sie über den Himmel und fraßen gierig den letzten Nebeldunst, der noch in einzelnen, zerrissenen Schleiern herumirrte.

Herta Land aber warf den Kopf auf die Brust und schluchzte fassungslos. Zusammengekrümmt saß sie im Sitz und weinte sich das aufbäumende Elend von der Seele.

Und durch das jubelnde Rauschen des Achtzehnzylinders stieß sie die Worte: »Ich hasse dich, Hans Welker! Ich schwöre es, daß ich dich hasse!« Sie erhob die Hand.

Aus siebentausend Metern stieß Paul Welker in steilem Sturzflug zur Erde. Herta Land verlor fast die Besinnung. Sie fühlte nur einen wahnsinnig stechenden Schmerz in den Ohren. Mit beiden Händen klammerte sie sich fest und redete wie irr in sich hinein:

»Ich schwöre es, daß ich dich hasse! Ich schwöre es!« . . .

Als sie zusammen durch den Wald gingen, sprach Herta Land: »Ich will dir beistehen, Paul! Ich will alles für dich tun! Aber laß mich fliegen lernen!« – –

Mit einer unnatürlichen Sprödigkeit ging sie an diesem Morgen in die Fabrik Hans Welkers. Ein gesuchtes Lächeln tummelte sich um ihre Lippen, als sie in das Privatkontor trat. Hans Welker schrie in das Telephon und lud sie mit einer spöttischen Handbewegung ein, Platz zu nehmen. Er warf den Hörer in den Bügel und rieb sich vergnügt die Hände.

»Darf ich dir ein Katerfrühstück bestellen? Du wirst doch jedenfalls einen sogenannten Brummschädel haben. Gott sei Dank kenne ich diesen Genuß nicht.«

Sie sagte: »Pah!« und blätterte in den neuen Zeitschriften, die auf dem Schreibtisch lagen. Alle meine Handlungen werde ich darauf einstellen, ihn zu schädigen, nahm sie sich vor. Das gab ihr eine solche Befriedigung, daß sie vor sich hinträllerte.

»Gib mir eine von deinen Zigaretten!«

Er nahm eine Schachtel aus der Schublade und warf sie ihr über den Schreibtisch. »Als Belohnung für die 170 dramatische Szene von gestern nacht. Auf mich hat sie allerdings nur erheiternd gewirkt.«

Sie drehte den Kopf nach der Seite. Da fuhr er fort: »Ich meine, ich habe eben keinen Sinn für das Dramatische.«

Sie schluckte den Rauch und gab ihm keine Antwort.

Es fiel ihm ein, mit ihr zu spielen. »Du hast mir noch keinen Gutenmorgenkuß gegeben.«

Sie wollte etwas Verächtliches antworten, aber da kam ihr ein anderer Gedanke. Mit einem glücklichen Lächeln sprang sie auf, lief wie in seliger Verliebtheit auf ihn zu und küßte ihn.

Das war ganz logisch, daß ich ihn geküßt habe, überlegte sie. Es war der Judaskuß.

Er wunderte sich über sie und ging auf die Suche nach ihren Gedanken.

»Weißt du, daß heute meine Konkurrenzmaschine in die Montage geht?«

Sie spitzte die Ohren. »Welche Konkurrenzmaschine?«

»Für das Frühjahrsmeeting.« Er schaute mit halbgeöffnetem Mund nach der Decke.

»Du staunst,« sprach er weiter, als sie schwieg. »Die Vorläuferin dieser Maschine habe ich heute früh auf zehntausend Meter gejagt, und ich kann dir verraten, daß ich an die geforderte Zeit nahe herangekommen bin.«

Also doch, dachte sie verbissen. Er war wirklich über uns, ich habe es geahnt.

»Bitte, du machst ein solch verzweifeltes Gesicht. Hier liegt das Barogramm!«

Er wies auf einen Barographenstreifen, der auf dem Tisch lag. Dann stellte er sich breitspurig vor sie hin. »In neuerer Zeit gibt man den Maschinen Namen, wie Rennpferden. Ich habe für derlei Späße keinen Erfindergeist. Weißt du vielleicht einen pikanten Namen, den ich meiner Konkurrenzmaschine geben könnte?«

Herta Land dachte über etwas nach. Gedanken verbanden sich wie Spinnwebe. Ein feiner, kaum merklicher Hohn spielte um ihre Lippen. »Ich wüßte wohl einen Namen!«

171 Sie blickte ihn scharf an, und er wandte den Kopf nach der Seite: »Also bitte!«

In Herta Land stieg die Erinnerung hoch, schwül und atemraubend. »Nenne sie ›Der Wilde Freiger‹!«

Hans Welker lächelte verschlagen. »Einverstanden! Mit dem Wilden Freiger muß und werde ich mir den Preis holen!«

Sie verscheuchte die Vergangenheit und antwortete überlegen: »Muß! Wie kannst du von ›muß‹ reden. Glaube nicht, daß die Konkurrenz auf der faulen Haut lag.«

Hans Welker stampfte mit dem Fuß. »Ich sage dir, ich muß ihn holen! Und ich werde ihn holen!«

Im Augenblick trug sie die Gewißheit in sich, daß er recht hatte.

Es klopfte an die Tür. Sanden kam schlurfend ins Zimmer.

Herta Land stand aufrecht und kämpfte die Brandung der Gefühle nieder, die in ihr hochschlug.

Sanden verzog das freundliche Gesicht und kramte eine kleine Zeichnung aus der Tasche.

Hans Welker riß ihm das Blatt aus der Hand. »Was bringen Sie Neues?« herrschte er ihn an.

»Je . . . je . . . Herr Direktor . . . es ist . . . Herr Direktor wissen ja von der Neuerung Ihres Bruders am Umlaufmotor. Da ist eine Zeichnung, die Ihr Bruder . . .«

Herta Land kam auf ihn zu. Ein düsterer Verdacht wurde in ihr wach. »Was ist das? Was sagten Sie?«

Sanden wich scheu zurück und machte eine Verbeugung. Welker zog einen Schein aus der Tasche und reichte ihn dem Spion.

»Was kümmerst du dich um diese Angelegenheit!« Er studierte die Zeichnung.

»Sie sind bei Paul Welker beschäftigt?« fragte sie scheinbar harmlos und mit geheuchelter Gleichgültigkeit.

»Je . . . je . . . ich bin Meister bei Paul Welker, jawohl!«

»So, so! Und dafür, daß er Sie bezahlt und Ihnen vertraut, dafür stehlen Sie ihm wohl sein Eigentum und 172 bringen es für eine schmutzige Belohnung hier zu seinem Bruder?«

Hans Welker schob sich zwischen beide. »So führe mir doch hier nicht schon wieder Komödie auf! Das sind geschäftliche Angelegenheiten, um die du dich blutwenig zu kümmern hast!«

Herta Land aber schoß der Zorn in die Adern. Mit heiserer Stimme schrie sie den Schleicher an: »Wissen Sie denn auch, daß Sie ein bodenlos gemeiner Mensch sind?« Sie wollte ihn an der Brust packen, aber Welker drängte sie beiseite. »He! Ob Sie das wissen?«

Mit einem Satz sprang sie auf Hans Welker zu, riß ihm die Zeichnung aus der Hand und zerfetzte sie.

Hans Welker war sprachlos. Er bückte sich nach den Papierfetzen. »Bist du denn verrückt geworden? Seit wann verdirbst du mir die Geschäfte? Sanden! Bringen Sie mir bis morgen die Zeichnung wieder! Haben Sie mich verstanden?«

Er versuchte. die einzelnen Stücke zusammenzusetzen. Aber es war nicht mehr möglich. In verbissenem Zorn packte er Herta an beiden Schultern und schüttelte sie.

»Du sollst mir sagen, ob du verrückt geworden bist?«

»Ich glaube, ich war nie so normal wie heute,« antwortete sie mit unglaubhafter Ruhe und stieß ihn zurück.

Sanden war fahl im Gesicht geworden. Die feige Angst schwoll ihm aus den dicken Augäpfeln, und die Knie sanken ein. Er drehte den Hut in den zitternden Händen und schlotterte durch die Tür.

Hans Welker hatte seine Fassung längst wiedergefunden. »Ich muß dich ernstlich bitten, mir mit deinen verfluchten Launen nicht ins Geschäft zu pfuschen, hörst du?«

Herta Land erkannte, daß sie eben einen großen Fehler begangen hatte. Er war stutzig geworden. Das mußte wiedergutgemacht werden. Freundlich lächelnd trat sie auf ihn zu.

»Entschuldige, Hans, ich weiß selbst nicht, wie ich dazu kam. Aber mich fassen manchmal solch verrückte Ideen, 173 daß ich mich kaum dagegen wehren kann. Es wird ja nicht gar so schlimm sein, was ich hier angerichtet habe.«

Sie setzte sich zu ihm und fuhr ihm mit der Hand über den glatten Scheitel. »Nun sei bitte nicht böse und erzähle mir was von deinem neuen Jagdflugzeug.«

Ich ekle mich vor ihm, sprach sie zu sich und würgte an dem Gedanken. Ich ekle mich so wahnsinnig vor ihm. Aber wie konnte ich mich nur eben so verraten!

Das Telephon klingelte.

Hans Welker wurde in die Versuchsabteilung gerufen.

Als er die Tür geschlossen hatte, schaute sich Herta Land im Zimmer um. Sie reckte ihre Gestalt und stellte die Spitzen der Finger gegeneinander.

Was will ich eigentlich? Warum hat mich dieser Schleicher so in Erregung gebracht? Spiele ich von nun an nicht die gleiche Rolle wie er? Bin ich nicht viel schlechter als er? Er tut es für Geld, und ich?

Und ich?

Ihr Blick fiel unwillkürlich auf das Barogramm, das auf dem Schreibtisch lag.

Bin ich nicht viel schlechter als er?

Für Paul will ich alles tun! Alles! Auch wenn es schlecht ist!

Und wenn es ein Verbrechen ist!

Hastig griff sie nach dem Barogramm und schob es in die Tasche. 174

 


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