Roland Betsch
Der Wilde Freiger
Roland Betsch

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4.

Ein steifer Nordost lag auf dem See. Züngelnde Kammwellen mit weißen Gischtkronen jagten vor ihm her wie eine Schar gepeitschter Hunde. Ein halber Mond stand kränklich am Himmel. Die Luft war klar und voll Kraft, und man konnte das jenseitige Ufer des Sees erkennen. Die Wellen schlugen ans Ufer und fielen matt und kraftlos in sich zusammen, es war wie ein letztes raubgieriges Aufbäumen vor dem Untergang. Durch die herbstbuntfarbigen Buchen zog ein Choral von brausenden Stimmen.

Aus dem niederen Haus mit dem angrenzenden Holzschuppen kam Paul Welker. Vor der Tür blieb er stehen, beide Hände in den Hosentaschen, und blickte nachdenklich zu Boden. Eine mathematische Formel stand vor ihm. Eine neue Gleichung über den Luftwiderstand. Die Zahlen lagen auf der Erde. Greifbar deutlich; er brauchte sich nur zu bücken, um sie aufzunehmen. Sinnend blickte er auf einen Differentialquotienten, der da wie ein lauernder Gnom im Moos hockte und ihn angrinste. Mit dem Fuß stieß er nach ihm. Da fing das ganze Zahlenheer zu tanzen an. Wie aufgejagt schwirrten sie alle um die schläfrigen Buchen. Das wurden immer noch mehr, ein ganzer Hexensabbat. Paul Welker zog eine Zigarrentasche hervor und zündete eine schwere Mexiko an. Der Wind zerfetzte den Rauch.

Dort kommt eine dünne Wolke über den Himmel, sprach Paul Welker für sich. Sie sieht aus wie eine leichte Segelbrieg und hält Kurs auf den Mond. Also, ich gehe jetzt zum Steg. Wenn ich ankomme und die Wolke ist gerade über dem Mond, dann werde ich diese Gleichung 50 noch lösen, bevor die Sonne aufgeht. Wenn nicht, dann werde ich mich vergebens abquälen.

Er ging mit gleichmäßigen, abgemessenen Schritten nach dem See. Wie er den linken Fuß erwartungsvoll auf den Steg setzte, schaute er nach der Wolke. Sie lag wie ein dünner Schleier über der Mondsichel. Die scharfen Schlaglichter auf dem See waren verschwunden, aber man sah einen feinen Schatten über das Wasser schleichen.

Er schaute der Wolke nach und beobachtete, wie sie weiterzog und es mit einem Male war, als ob jemand den Schirm von einem Licht genommen hätte. Die Schaumkronen im Licht glitzerten wie tanzende Quecksilberkugeln.

Paul Welker schritt über den Steg. Draußen am Ende lag seine Segeljacht. Wie eine geschmeidige Tänzerin wiegte sie sich auf den Wellen. Der Mast schuf einen langen, hageren Schatten, der in grotesken Bewegungen über den Steg zuckte und dann plötzlich wie eine unheimliche, lautlose Sense in das Schilf fuhr.

»Der Wind wird stärker, ich muß wohl den Sturmfock setzen!« Paul Welker sprang auf das Boot.

Er zog das Großsegel hoch. Dann belegte er Dirk und Pikfall. Prasselnd fuhr der Wind in das Segel. Nun setzte er den Sturmfock und zog die Schoten nach dem Kockpit. Der Wind stand vom Lande, da konnte er günstig abkommen. Er löste das schwere Tau, sprang zur Pinne und führte die Großschot. Das Boot machte eine halbe Drehung, die Segel füllten sich, und wiegend lief es vorm Winde ins offene Wasser.

Paul Welker saß still an der Pinne. Beim heftigen Schaukeln des Bootes, und wie er auf den harten Anprall der Wellen hörte, kam eine wohltuende Gedankenmattigkeit über ihn. Halb schloß er die Augen und hielt scharfen Kurs in südwestlicher Richtung. Dort schimmerte ein rotes Licht zu ihm herüber. Ein Bild tauchte auf und verwehte. Ein fernes Bild voll Wärme und Innigkeit. Er vergrub sich in ungeordnete Träume und starrte zwischen den Augenwimpern immerfort auf dieses rote Licht.

51 Da kam die zerquälte Armut seines Lebens über das Wasser und setzte sich an seine Seite. Und hielt ihm das Bild seines Schaffens vor die vergrabenen Augen. Alles schwieg bei Paul Welker in diesem Augenblick. Alles dämmerte nun und lauschte wie ein traumseliges Kind auf ein dunkles Märchen, nur der Dämon seines Ehrgeizes und seiner Eifersucht schlief nicht. Der wurde nicht müde zu wachen.

Damals in Baden-Baden! Gut war es, ach, wie gut, was die Franzosen geleistet hatten. Wie ein Strahl kalten Wassers hatte die Nachricht seinen Bruder getroffen, gerade im Augenblick seines Triumphes. Gestürzt hatten sie ihn, ist es vielleicht nicht wahr? Gestürzt von seiner erschlichenen Höhe.

Laßt mich doch in Frieden!

Paul Welker machte eine scharfe Wendung, legte das Boot auf den Steuerbordbug und lief mit halbem Winde nach Südosten. Das Schaukeln hörte auf. Im Wellental gesteuert, schnitt das Boot scharf ins Wasser. Verdammt, jetzt gilt es aufpassen. Nun scherten sich wohl die Gedanken zum Teufel. Kurs Südosten. Dort war auch ein Licht. Eine grelle, weiße Bogenlampe. Ganz am jenseitigen Ufer. Dort stand die große Fabrik seines Bruders. Seines reichen Bruders. Dort wurde Tag und Nacht gearbeitet. Das Geld floß dem ins Haus, wie ein See, der über die Ufer tritt. Hörte man nicht das Hämmern, das Schmieden und Sägen? Liefen nicht die Motoren, heulend und höhnend, daß man keine Ruhe mehr fand?

Er braßte das Segel an und ging höher an den Wind.

Ein unerklärlicher Ekel vor allem packte ihn wie ein Henkersknecht.

Spitz am Wind kreuzte er nach seinem Hause auf.

Langsam takelte er ab und pfiff. Paul Welker pfiff selten, und nur, wenn er ganz allein war, daß ihn niemand hören konnte. Eine einsame, selbsterfundene Melodie. Sie wurde erstickt von dem wachsenden Nordost, der in die Buchen fuhr und wie zu einer Schlußapotheose sämtliche Register zog.

52 Paul Welker ging in den langen Holzschuppen. Das war seine Fabrik. Schlosserei, Tischlerei, Schweißerei und Montage, alles zusammen in einer kümmerlichen Holzbaracke, durcheinandergeworfen.

Es war fast dunkel hier. Nur der Mond kam wie ein Dieb durchs Fenster und warf eine schwache Beleuchtung in den kalten Raum.

»Hier ist's ja heute gottserbärmlich kalt!«

Er lehnte sich an eine Hobelbank und ließ den Blick prüfend durch die Halle gleiten. Da hingen alte, zerbrochene Holzmodelle an der Decke, verstaubt und vermodert, belastete Tragflächen stießen spitz in den Raum wie zersplitterte Knochenskelette, Tuchfetzen hingen wirr durcheinander, und lange, schlangengeschmeidige Stahlrohre rekelten sich verwunden und verbogen im angeschwärzten Dachgebälk.

In der hinteren Ecke war die Schweißerei und Schlosserei. Dort standen zwei schlanke Sauerstofflaschen wie vertrocknete Mumien, die in diesem Halbdunkel fast lächerlich wirkten mit ihren gewundenen Stahlrohranschlüssen. Mehrere Schraubstöcke, formlos und schlafend. In der Mitte ruhte ein fertig geschweißter Stahlrumpf, schlank und elegant wie ein phantastisches Spielzeug. Zwei bespannte Tragflächen waren an die Wand gelehnt. Sie leuchteten in mattem Glanz und sahen aus wie Theaterkulissen. Auf zwei Holzböcken lagen mehrere Kastenholme aus dünnem Sperrholz, an denen schwere Sandsäcke hingen, träge und faul, wie die Schinken in der Räucherkammer. Es war ein Belastungsversuch mit einem neuen Holm von besonders leichter Bauart.

Paul Welker starrte auf das Primitive der ganzen Einrichtungen und sah im Geiste seines Bruders moderne Werkstätten mit den rasselnden Maschinen und der wimmelnden Arbeiterschar.

Und damit wollte er Hans den Rang ablaufen? Mit diesem wirren Unrat von überlebten Einrichtungen, mit diesen vier jämmerlichen Schraubstöcken und den zwei 53 veralteten Schweißbrennern. Mit dem halbverrosteten Haufen Stahlrohr und den armseligen paar Kubikmetern Eschenholz! Mit den zwölf Arbeitern, die er am Wochenende nur mit Mühe und Not bezahlen konnte. Mit dieser vorsintflutlichen, verstaubten Alchimistenkammer, vollgepfropft mit den Ergebnissen mühsam durchwachter Nächte und kostbarer, zeitraubender Versuche. Damit wollte er anrennen gegen einen modern organisierten Großindustriellen mit einer Kolonie von Arbeitern, einem Heer von Beamten, Ingenieuren und Konstrukteuren!

Es war ja lächerlich! So standen doch die Tatsachen?

Nein, das war es nicht! Seinen Geist, die Gründlichkeit seines Wissens und die theoretische Vervollkommnung und Makellosigkeit seiner selbstgeschaffenen Konstruktionen wollte er ausspielen gegen das Spürhundtalent und die geschickte hinterlistige Nachahmungsgabe seines erfolgreichen Bruders. So war es!

Was wollte er?

Mechanisch griff er nach einer Spiere, die auf der Hobelbank lag. Es war ein feines und zierliches Gebilde. Er hatte sie nach dem Prinzip des Fachwerkträgers mit dem Mindestaufwand an Gewicht konstruiert. Sie wog 52 Gramm und war für seine neue Jagdmaschine bestimmt.

Er ging zu den belasteten Kastenholmen und tippte mit dem Finger auf das Holz. Da bogen sie sich federnd durch und pendelten mehrere Male auf und nieder. Sie standen unmittelbar vor der Bruchgrenze. Ein leichter Druck mit der Hand, und sie wären zersplittert.

Mühsam hatte er sie berechnet, genau nach Kräfteplan und Momentenfläche, und die Belastungsprobe hatte die Richtigkeit seiner Rechnung bewiesen. Was da vor ihm lag, war die Verkörperung eines intelligenten Gedankens, die Bestätigung einer geistigen Schöpfung.

Er ging zu dem Stahlrohrgerippe. Wie seltsam zierlich. Wie leicht und elegant im Bau und in der Form. Hier war er bis zur fachmännisch zulässigen Grenze der Materialbeanspruchung gegangen.

54 Mit einem Male wurde ihm warm ums Herz, und eine trostreiche Befriedigung erfüllte ihn wie der Duft sonnenreicher Blüten. Das war doch Denken und Wirken und Schaffen, was hier herumstand und durcheinanderlag. Das war doch kein Dilettantismus, das waren doch keine Gymnasiastenträume und Erfinderhirngespinste. Das war doch das Kämpfen und Streben eines deutschen Ingenieurs!

Paul Welker dehnte die Arme und preßte die Brust hinaus. Dann ging er durch die Halle in die Wohnung und sah, daß in der niederen Küche noch das Licht brannte.

Die alte Stiene Steffen, seine Haushälterin, saß mit dem Strickstrumpf bei der roten Petroleumlampe und las in einem Hauskalender.

»Warum gehen Sie nicht zu Bett, Stiene Steffen?«

»Un de Harr gein up'n See?! Dat dörp Se ni daun, wenn he so ludhals schriegt. Dor möt Se uffpaten, dat dem Harr nix passiert! O, ick möt em seggen, de See is tücksch un he het schon veele achtern upfreten. Dor bliev Se man better tu Hus, Herr Welker!«

Sie nickte eifrig mit dem Kopf und fuhr sich mit einer Stricknadel in die Haare.

»Haben wir noch eine Flasche Portwein oben?«

»Secker! Ick wer dat bald holen!«

Sie schleppte sich hinaus und holte die Flasche.

Paul Welker nahm den Wein und ging in sein Wohnzimmer. Dort zündete er die schwere Petroleumlampe an und setzte sich an den Schreibtisch. Ein kieniges Holzfeuer tummelte sich im Ofen und goß eine schläfrige Wärme in den niedrigen Raum mit den alten Eichenmöbeln.

Paul Welker brannte die unvermeidliche Zigarre an und stürzte ein Glas Wein hinunter. Er fühlte keine Lust zum Arbeiten. Die kleine Wolke über dem Mond fiel ihm ein.

Mit der müden Dämmerung des Raumes versank er in seine Träume. Das Glas hielt er gegen die Lampe. Dunkelrot leuchtete der Wein. Er dachte an Blut, aber 55 das dünkte ihm zu abgeschmackt. Warum etwas Rotes immer mit Blut vergleichen. Rot und strahlend wie eine Flut von Offenbarung und Erkenntnis!

Seine Jugend kam durch die Nacht auf den Zehen geschlichen. Scheu und verschüchtert trat sie ins Zimmer. Krank war sie, halb ohnmächtig und mager. Und bettelte um versunkene Sonne und verwehte Wärme.

Paul Welker trank auf seine bettelnde Jugend.

Aus den Wolken der Zigarre formten sich die mißtrauischen Gestalten späterer Jahre. Die Teilhaber und Mitarbeiter seines Strebens, die stummen, formlosen Beisitzer erhitzter Nächte, die Schüler und Lehrer ehrgeiziger Pläne und nebelhafter Hoffnungen, die Selbstbewunderer, die aalglatten Teufel des Zweifels und der Eifersucht, die ekel Neidbehafteten und Ruhmgierigen, die Sensationsberauschten und Goldlüsternen. Seine bösen Geister wälzten sich gebieterisch aus dem stickigen Qualm.

Paul Welker trank auf seine bösen Geister.

Aus dem singenden Herdfeuer glänzten zwei Augen und wuchs ein weicher Kopf mit glatten, kastanienbraunen Haaren. Weithin schimmerte ein treuvoll Licht über den See. Dort stand ein Haus mit rotem Ziegeldach. Das war alles vorüber. Das war alles längst zu spät. Er hatte keine Zeit gehabt für seine Liebe. Keine Ruhe und keine weich gestimmte Seele.

Paul Welker trank auf seine tote Liebe . . .

Er hörte nicht das Schraubengeräusch, das über den See kam.

Näher und näher klang es.

Und verstummte . . .

Wie aus dem Nichts gewachsen stand Hans Welker im Zimmer.

»Der See ist heute verflucht kratzbürstig! Man muß seine sechs Sinne zusammennehmen, daß man nicht absäuft.«

Hans Welker sprach stets von sechs Sinnen. Er meinte als sechsten das Instinktgefühl, die Vorausempfindung der Grenzwerte.

56 Paul Welker sah durch den Zigarrendunst betroffen auf die nässetriefende Gestalt seines Bruders, der den dicken Oelmantel auszog. »Was führt dich so spät zu mir? Brauchst du mich?«

Hans Welker setzte sich in den alten Sessel. Da waren schon wieder diese Augen auf ihn gerichtet. Wie das herauskam, das: »Brauchst du mich?«

»Ich sah dich mit dem Boot auf dem See. Du liefst hart am Wind, gerade auf mich zu. Ich fürchtete fast . . ., bei dem steifen Nordost . . .«

»Du fürchtetest nichts! Wie kamst du aber hierher?«

»Mit dem Motorboot. Hast du mich nicht gehört? Du warst wohl in deine Formeln vertieft?«

»Zufällig nicht, aber ich muß es überhört haben. Rauchst du eine Zigarre . . . ach so, entschuldige . . . du rauchst und trinkst immer noch nicht. Ich will mal sehen, ob ich eine Selters . . .«

»Aber ich bitte, bemühe dich doch nicht, du weißt doch, daß mir daran nichts liegt.«

»Je nun, man soll doch gastfreundlich sein, und allzuoft kann ich ja deinen Besuch bei mir nicht verzeichnen.«

Er legte beide Hände auf die Knie und schaute seinen Bruder erwartungsvoll an. Hans Welker warf die Beine übereinander und ließ den Blick unruhig durchs Zimmer eilen. Jedesmal, wenn er mit seinem Bruder sprach, fehlte ihm die Ueberlegenheit, die er bei allen anderen Menschen spielend leicht gewann. Er fühlte sich innerlich an der Gurgel gepackt, ein Gefühl, das ihn unsicher und oft geradezu verlegen machte.

»Aber wir sind ja keine Kinder,« fuhr Paul Welker in seinem leiernden Tonfall fort, jedes Wort sorgsam abgesetzt und gleichsam unter einem gewissen Vorbehalt ausgesprochen. »Also kommen wir zur Sache! Ich weiß doch, daß du irgend etwas in petto hast. Denn aus reinem Unterhaltungsdrang und brüderlicher Liebe kommst du nicht in so später Stunde über die Kammwellen.«

57 »Ja, ja, ja! Du hast nicht unrecht,« antwortete Hans und verbarg sich hinter seinem toten Lachen. »Ich habe allerdings etwas auf dem Herzen. Es ist zwar nichts Neues, aber es ist ein neues Moment hinzugetreten. Hast du schon die Abendblätter gelesen? Noch nicht? Also ich will dir's erklären. Die französischen und amerikanischen Erfolge auf dem Gebiet des Flugwesens haben das deutsche Luftministerium stutzig gemacht. Ist auch ganz klar! Kurzum, das Luftministerium hat ein riesiges Preisausschreiben losgelassen mit einer stattlichen Anzahl von Preisen für die verschiedenen Flugzeugtypen. Die Bedingungen sind ungeheuer scharf – – du machst ja ein Gesicht, als ob du nur halb zuhören werdest – – du kannst sie im Abendblatt lesen. Für das beste Jagdflugzeug, Zweisitzer, werden eine Million Mark ausgesetzt. Alles andere kannst du lesen. Hier hast du das Moment, das in unser gegenseitiges Verhältnis ein neues Licht oder einen neuen Schatten wirft.«

Paul Welker hatte mit Spannung zugehört. Er hatte sich so in der Gewalt, daß er jeden seelischen Vorgang nach außenhin verschleierte. Er neigte den Kopf auf die Seite und fuhr sich mit der Hand durch die lose gekämmten Haare.

»Ich danke dir für diese Nachricht, aber was hat das mit deinem Besuch zu tun? Fürchtest du etwas von mir?«

»Ich fürchte nichts von dir! Sei doch nicht so verflucht mißtrauisch. Ich weiß nur, daß wir beide jetzt anfangen werden, ein Jagdflugzeug zu bauen, das die verlangten Bedingungen erfüllt.«

»Da wirst du nicht unrecht haben. Nur keine Angst, du wirst mich schon wieder klein kriegen. Du hast mich ja in Baden-Baden auch in den Dreck gerissen.«

Hans Welker spekulierte. Für ihn gab es keine langen Ueberlegungen. Er handelte blitzschnell und ohne eigentliche Logik. Etwas eckig erhob er sich aus dem Sessel, stellte sich vor seinen Bruder hin und sprach mit weicher, versöhnlicher Stimme:

58 »Laß doch Altes begraben sein! Was soll uns denn das Vergangene. Sieh mal, Paul . . .« – er wollte ihn ansehen, aber es ging nicht, die Augen irrten über den Schreibtisch – »sieh mal, hier gilt es jetzt, ein großes Ziel zu erreichen. Ein Ziel, für das manche einflußreiche Firma arbeitet und die äußersten Kräfte spannt. Warum sollen wir zwei Brüder uns hier zersplittern? Ist es nicht sinnlos, undiplomatisch, daß wir fortwährend einen inneren Feldzug führen? Es ließe sich doch etwas Großes erreichen . . .«

Hans Welkers Stimme wurde immer geschmeidiger. Bei allem Komödienspiel klang ein versteckter Unterton von Ehrlichkeit hindurch.

»Paul! Ich weiß, was du kannst, und ich schätze deine Fähigkeiten . . .«

»Fürchtest du sie auch?« unterbrach ihn Paul, und die kleine Falte kroch aus seinem linken Mundwinkel.

»Fürchten, wie soll ich sie fürchten? Aber ich weiß, welchen Wert deine Intelligenz besitzt. Ich meine, es könnte etwas geleistet werden, wenn . . .«

»Na, wenn?«

Hans Welker legte seinem Bruder die Hand auf die Schulter. »Paul! Laß uns zusammen arbeiten! Verbinde deine wertvollen theoretischen, wissenschaftlichen und praktischen Kenntnisse mit meinem . . . na, mit . . . meinen Erfahrungen, mit meinen . . .«

»Mit deinem Spionagetalent, was?«

»Na ja, meinetwegen! Ist ja egal. Ich will dir nochmals den Vorschlag machen, wir wollen zusammen an diesem großen Werk arbeiten, und ich kann dir sagen, es wird nicht zu deinem Schaden sein.«

Paul Welker erhob sich und stellte sich mit dem Rücken gegen das Herdfeuer. »Du willst damit sagen, ich soll bei dir in die Firma eintreten?«

Hans Welker bog und wand sich. Es war doch so ungeheuer schwierig, mit diesem Menschen zu verhandeln. Und er meinte es doch ehrlich, aber wahrhaftig ehrlich.

»Gut, wenn du es so nennen willst!«

59 Das nervöse Zucken sprang über Paul Welkers Augenlider. »Und hier, meine kleine Fabrik?«

»Kauf' ich dir ab. Den ganzen Krempel! Du sollst eine Stellung bei mir haben, daß du zufrieden . . .«

Paul Welker wehrte mit der erhobenen, flachen Hand. »Laß das! Ich kenne das alte Lied.«

»Ich kaufe dir dein ganzes Besitztum ab. Kleinigkeit! Wir sprengen die alte Knallbude in die Luft, basta!«

Paul Welker durchzuckte es. Er sah sich, wie er seine Selbständigkeit verloren hatte. Wie er in seines Bruders Diensten stand und sein Name für alle Zeiten erlosch. Tot! Verstreute Asche!

Nein, es war unmöglich, das konnte er nicht über sich bringen. Da würde er zeitlebens den Strick am Hals fühlen.

Langsam kam er auf Hans zu, stellte sich breitbeinig vor ihn hin und sprach gedehnt:

»Nein, Hans! Nimm mir's nicht übel! Aber ich kann mich nicht von dir füttern lassen. Ich kann nicht!«

»Weil du ein Querkopf bist!« erboste sich Hans Welker und krallte beide Hände. »Merkst du denn nicht, daß du bei all deiner Intelligenz ein fortwährendes reales Fiasko erleidest? Und darüber wirst du nicht hinwegkommen! Ich fürchte deine Pläne nicht, obwohl ich weiß, daß du zu fürchten bist. Ich habe dir einen Vorschlag gemacht, in aller Güte und von meinem Brudersinn diktiert, aber ich habe es nicht nötig, bei dir zu betteln. Ich bin gewappnet für dich, das laß nur meine Sorge sein. Hier gilt es nur, etwas zu erreichen, und das hätte ich gern mit dir gemeinsam gemacht. Wenn du nicht willst, nun gut . . .! Du schaust so überlegen, so grenzenlos überlegen! Oh, ich kenne deine Trümpfe, kenne sie längst, ich weiß, daß du an . . .« Er unterbrach sich und schluckte etwas mühsam hinunter.

»Was weißt du? Was?«

Hans Welker schüttelte den Kopf und griff nach seinem Oelmantel. »Nur keine Komödie, Paul! Ich habe dir einen Vorschlag gemacht. Es liegt eine gewisse Demütigung 60 für mich darin, daß ich zu dir kam. Glaube mir, es ist mir nicht leicht gefallen. Nein, verdammt schwer, verd . . .« – er schlüpfte in den nassen Oelmantel – »ver . . . dammt schwer! Ueberlege dir alles, was ich dir gesagt habe. Laß die Vernunft sprechen und denke daran, was wir verdienen können!«

»Was du verdienen kannst, meinst du! Du hast dich doch eben nur versprochen.«

»Es ist so furchtbar schwer, mit dir zu verhandeln!«

Hans Welker setzte die Ledermütze auf und öffnete die Tür.

Da ging er nochmals auf Paul zu und hielt ihm die Hand hin. »Gute Nacht, Paul!«

Der hob lässig, zögernd den Arm. »Gute Nacht!« Wie durch Wände hindurch klang seine Stimme.

Hans Welker ging zum Steg und sprang in das Motorboot. Einige Minuten später schwamm er schon draußen auf dem See.

Der Wind war noch stärker geworden und wälzte das gischtschäumende Wasser gegen den Strand. Man hörten das schlagende Geräusch des Motors. Klatschend schnitt das Boot durch die raublustigen Wellen.

Paul Welker stand am Ende des Steges und schaute seinem Bruder nach. Er sah, wie das Wasser über das Boot rauschte. Wie ein hilfesuchendes Ungeheuer bäumte es sich gegen die andrängenden Wassermengen.

Jede Bewegung, jedes ruckartige Schleudern verfolgte er und spann über einer Möglichkeit. Das sah ja gefährlich aus. Wahrhaftig gefährlich mit dem schwachen Boot.

Immer weiter ging es, immer schwächer wurde das eintönige, klopfende Geräusch.

Da drehte sich Paul Welker ruckartig um.

»Ach was!« sprach er laut und etwas ärgerlich, »dem passiert nichts!« – – 61

 


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