Alice Berend
Frau Hempels Tochter
Alice Berend

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Das Leben gleitet. Nicht einen Atemzug lang halten wir es fest. Immer sind unsere Gedanken in Zeiten, die schon vergangen sind oder erst kommen sollen. –

Es war längst nicht mehr gestern gewesen, daß Laura als Gräfin von Prillberg das kleine Haus am See verließ und mit Graf Egon auf eine fröhliche Reise 235 ging. Sie waren an das Meer gefahren, das zu sehen sich Laura schon gewünscht hatte, als sie im Scheuereimer der Mutter die Papierschiffchen schwimmen ließ. Sie schrieb auf bunte Karten, wo schräge Schiffe zwischen hohen Wellen schaukelten, daß sie niemals einen so feinen Sand gesehen hatte wie hier am Rande des Meeres. Ja, wenn die Mutter dieses Pulver zum Scheuern gehabt hätte. Und sie beschrieb die kleinen saubern Körnchen, die warm und federleicht durch die Finger rannten und in der Sonne wie winzige Brillanten flimmerten.

An jedem Morgen kam ein solcher Gruß, den Frau Hempel genau und immer wieder las und von allen Seiten beguckte. Sie hatte nun viel Arbeit, da beide Mädchen fort waren und der Umzug in die Stadt besorgt sein wollte. Aber sie war froh über diesen Zwang. Das ganze Haus war fremd und anders geworden, seit Laura durch keine Tür mehr kam. Sie sprach auf Hempels Grab viel über diese Veränderung und erinnerte ihn daran, wie schlecht sie damals schliefen, als Laura zu Bombachs gekommen war und das erstemal, seit sie auf der Welt war, nicht neben ihnen geschlafen hatte. Nun war das für immer vorbei. Aber man hatte erreicht, was man gewollt hatte. Ein schwerer Seufzer strich über das stille Feld mit den vielen Hügeln im Frühlingsgrün.

Als Laura zurückkehrte, hatte sich Frau Hempel an ihr Alleinleben gewöhnt. Sie sagte kein unzufriedenes 236 Wort und war immer in Tätigkeit. Sie wollte keine Dienstboten haben. Sie sagte, dazu kenne sie zu viel vom Leben. Sie besorgte ihren Haushalt und alle Arbeit, die er brachte, selbst. Nur das Fensterputzen mußte die Portierfrau verrichten, weil es Graf Egon und Gräfin Laura vielleicht unangenehm gewesen wäre, wenn man ihre Frau Mutter mit Scheuertuch und Schürze im Fensterrahmen gesehen hätte. Sie war stets darauf bedacht, den Kindern keine Unehre zu machen. Von Laura sprach sie nie anders als von der Frau Gräfin, und wenn sie durch einen ihrer Dienstboten einen Einkauf ausrichten ließ, gab sie stets einen Hundertmarkschein zum Wechseln.

Das Haus war blitzsauber von oben bis unten. An Seifen und Putzpulver wurde nicht gespart, und die Portierfrau wunderte sich mehr als einmal über die großen Fachkenntnisse in der Reinigung eines Hauses bei einer so reichen Dame. –

In der ersten Zeit kamen Specks einigemal zu Besuch, aber dann blieben sie fort. Sie fanden, daß es nicht gesund sei, zu Leuten zu gehen, die es zu gut haben. Auch Kempkes sahen sich nur einmal alles genau an und kamen nicht wieder, vielleicht aus ähnlichen Gründen. Allerdings erzählte Frau Kempke, daß auch sie sich nicht zu beklagen hätten. Fritz besaß seit einigen Wochen im Norden der Stadt ein schönes Gasthaus mit einer Badestube und zwei Toiletten. Er hatte 237 es kurzweg »Zum blauen Mädchenauge« genannt, ohne das andere braune Auge der Braut zu berücksichtigen.

Das war gewiß vernünftig, denn man muß oft ein Auge zudrücken können, wenn man im Leben vorwärtskommen will.

Frau Hempel vermißte ihre früheren Bekannten nicht. Das Leben brachte Ersatz und Abwechslung genug. In den ersten Jahren, als die kräftigen blonden Knaben in das gräfliche Haus kamen, gab es noch manche bange Nacht, und ein recht schwerer Tag war es, als die alte Gräfin starb, gerade in einer Stunde, wo wieder ein kleiner Graf Prillberg geboren wurde.

Sie hatte bald nach Graf Egons Hochzeit zu kränkeln begonnen. Es schien, als ob alle Lebenskraft in ihr erloschen war, seit sie über nichts mehr zu klagen hatte. Man entbehrt nicht gern im Alter, was man sein Leben lang gewohnt war!

Aber die Stunden strichen auch über sie hinweg. Des Grafen Ansehen stieg durch den halben Wohlstand, in den er nun gekommen war. Er machte einige glückliche Abschlüsse und gelangte mehr und mehr zu Einfluß und Vermögen, denn das Glück, das so leichtfüßig scheint, wenn es vor uns herläuft, wird eine seßhafte Bürgersfrau, sobald es jemanden lieb gewinnt. Gewiß rührt davon der schöne Volksglaube her, daß, wer erst die erste Million hat, auch sicher die zweite bekommt. –

So lebte Laura nun das ruhige Leben des friedvollen Menschen, der keine andere Schrecken mehr kennt 238 als Krankheit und Tod, gegen die er die Seinen und sich zu schützen sucht mit allen Mitteln.

Ihre Lieblingsbeschäftigung war, kleine Lieder zur Gitarre zu singen. Sie nahm noch täglich Unterricht darin. Ihre zarte Stimme entzückte ihren Gatten, und wenn sie Gäste hatten, bat man sie immer wieder, ihre feine Kunst zu zeigen.

Frau Hempel konnte in ihrem Zimmer deutlich Spiel und Stimme hören. Mit geschlossenen Augen, die schweren Hände im Schoß, saß sie im Dunkeln und lauschte. Sie kam niemals hinauf, wenn man Besuch hatte. Sie mochte es nicht, und Graf und Gräfin versuchten nicht, sie zu überreden. Aber wenn Laura für sich allein spielte, saß die Mutter bei ihr in einer Ecke des Zimmers. Ein weißes Häubchen auf dem hell und dünn gewordenen Haar, blickte sie unverwandt auf die hohe, vornehme Gestalt mit den schmiegsamen schönen Bewegungen. –

Jeden Tag dachte sie mehrere Male, wenn Hempel das erlebt hätte, und manchmal sagte sie es laut.

Dann nickte Laura und lächelte die Mutter an. Ihre Finger ruhten schmal mit rosigen Nägeln auf dem Saitenspiel, und sie lauschte auf das Lachen der Kinder, das von andern Zimmer schallte.

Dann und wann wachte die Vergangenheit für kurze Augenblicke auf. So einmal, als Fräulein Hammerspecht alt und müde geworden sich bei Laura als Friseurin vorstellte und ein andermal, als ein Sektagent 239 der Frau Gräfin seine Aufwartung machte und sie in ihm ihren früheren Dienstherrn, den Leutnant, wiedererkannte.

Solche Begegnungen rüttelten bei Frau Hempel viele Erinnerungen auf. Aber wenn sie mit Laura davon sprechen wollte, konnte sich diese nur noch auf weniges besinnen.

»Weißt du, Mutter,« sagte sie, und ein sanftes Lächeln lag auf ihren Zügen, »es ist mir, als ob die früheren Tage gar nicht mein eigen gewesen wären.«

Man ist, was man geworden ist. Es war Laura etwas ganz Selbstverständliches, daß sie ihren reizenden Knaben das Spielen mit den wilden Straßenkindern verbot.

Frau Hempel hatte ihre helle Freude mit den Enkeln. Sie fand immer Zeit und Heiterkeit für sie und erzählte ihnen schon in den Windeln, daß sie kleine Grafen waren, die es einmal gut haben sollten.

Jeden Sonntag aber fuhr sie nach Frohndorf hinaus zu Hempels Grab. Seine Ruhestätte umfriedete jetzt ein stattliches Gitter aus Schmiedeeisen, und Frau Hempel freute sich jedesmal, wenn sie den Schlüssel in dem kunstvollen Schloß drehte, über den hochherrschaftlichen Eindruck, den das ganze machte. Laura und die Kinder brauchten sich Hempels und ihrer nicht zu schämen, wenn sie in späteren Jahren vielleicht öfters hier hinauskommen wollten.

240 Der zarte Blütenstamm, den Frau Hempel vor vielen Frühlingen pflanzen ließ, war nun ein großer Baum geworden. Als die Zeit so weit gelaufen war, daß auch sie hinausgekommen war, um für immer hier zu bleiben, trug er große blaue Früchte, die, wenn sie reif waren, nieder auf die Gräber fielen. Mancher kecke Junge wagte ihretwegen im Dämmerschein einen kecken Sprung über die Kirchhofsmauer.

Es war dem Gärtner, der damals den kleinen Baum auf Hempels Grab pflanzen sollte, eine Verwechslung unterlaufen. Er hatte der Erde nicht den Ableger eines Zierstrauchs anvertraut, sondern den ähnlich gearteten Sprößling eines Pflaumenbaums.

Ein verzeihlicher Irrtum. Denn man erkennt den Baum erst an seinen Früchten so wie den Menschen an seinen Taten.

 

Ende


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