Alice Berend
Frau Hempels Tochter
Alice Berend

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Aber Frau Hempel hatte Laura nicht erlaubt, die Wunderwiese wieder zu besuchen. Sie meinte, daß das allzuviele Wundern den jungen Mädchen nicht zuträglich sei.

Graf Prillberg mußte allein mit dem Schutzmann in die Lüfte steigen. Was seinen Absichten nicht ganz entsprach. Dort dauerte der Flug nicht lange, weil sich ein Gewitter zusammenballte.

Wünsche erfüllen sich meist im falschen Augenblick.

Am Sonntagnachmittag waren wenige mit diesem Wettersturz zufrieden, aber Gewitter kommen nun einmal gegen den Wind.

In den Lärm der Drehorgeln, Glöckchen und Trompeten rollte schwer der erste Donner hinein, der zweite und dritte. Blitze blendeten die Augen der Löwenbraut, gleisten selbst in Melusinens Tiefe und ließen sie ihrem Brunnen entfliehen.

Die vielen Zuschauer, die durcheinander liefen und Schutz suchten, konnten sich bald davon überzeugen, daß der Neger waschecht war. Ein Prasselregen sauste nieder, der mit Peitschenhieben alle bis auf die Haut durchnäßte. Über die sich bäumenden Karussellpferde und die Glücksschätze der Würfelbuden wurden 156 Leinwandfetzen geworfen, und nach wenigen Augenblicken war die Wiese nichts weiter mehr als eine große, schlammige Pfütze voll von Segelwracken.

Schutzmann Degenbrecht wußte für sich und seinen Begleiter keine bessere Zuflucht als Hempels Küche.

Hier roch es wunderschön nach Kaffee und Zichorie, und am Herd stand Laura.

Frau Hempel begrüßte den Grafen ohne besondere Herzlichkeit. Aber als er von früheren Jahren zu reden anfing, kam sie doch mit ihm ins Gespräch. Der Schutzmann rühmte den schönen Kaffeegeruch. Frau Hempel ließ Laura die guten Tassen mit dem Goldrand aus dem Schrank holen und schenkte ein. Bald saß man gemütlich um den Tisch, während draußen die Donner krachten.

Graf Egon sagte, wenn er das voraus gewußt hätte, würde er einen schönen, großen Napfkuchen aus der Großstadt mitgebracht haben und meinte, daß er das eigentlich am nächsten Sonntag nachholen würde.

Frau Hempel wollte ihn nicht beleidigen. Außerdem aß sie Napfkuchen sehr gern. So riet sie ihm, den Kuchen bei dem Bäcker neben Bombachs Haus zu kaufen.

Am nächsten Sonntag brachte der junge Graf einen großen, schweren Kuchen. Er war vom Hofkonditor gegenüber dem Königlichen Schlosse.

Als man ihn kostete, erzählte der Graf, daß ihm die Luft hier außerordentlich gut tue und daß er sehr gern jeden Abend herauskommen möchte.

157 Frau Hempel hatte im Mund ein zu großes Stück des prächtigen Napfkuchens und konnte es ihm nicht untersagen. Auch gefiel er ihr. Man konnte nicht leugnen, daß er ein Herr war und sich als solcher benahm. Wie schön hatte er schon damals mit ihrer Laura von den Sternen gesprochen. Nicht anders hatte er gestern erzählt, daß der Kaffee auf Bäumen wachse, wovon ihn pechschwarze Neger herunterholten. Alle Tage hatte sie Kaffee getrunken, ohne zu wissen, wer eigentlich die Bohnen mache. Er hatte ihr trotzdem geschmeckt, aber jetzt genoß sie ihn Schluck für Schluck und dachte an die wilden, fremden Länder, aus denen er kam.

Umgang bereichert den Verstand. Wenigstens kann man das verlangen. Wenn der Schutzmann ins Reden kam, wußte er nichts anderes zu erzählen, als daß seine Mutter immer gesagt hatte: Junge, so viel Schmalzstullen wie du verschlingt kein zweiter Bengel auf der Welt. Frau Hempel aber hatte Sinn für Besseres.

Hempel stimmte wie immer auch hierin ganz mit seiner Frau überein. Der Graf war ein feiner Mann.

Er hatte Hempel erzählt, daß der erste Schuster ein Heiliger geworden sei und mit einem Glorienschein im Himmel herumspaziere. Er war ein tüchtiger und auch ein guter Mann gewesen, der Leder gestohlen habe, um den Armen Schuhe daraus zu machen.

Schutzmann Degenbrecht meinte, das müsse sehr lange her sein; wer heute Leder stehle, komme erst einmal ganz wo anders hin als in den Himmel.

158 Aber Hempel meinte, daß sei ein Geschichtchen, das man alle Tage hören könne. –

So war es ganz von selbst gekommen, daß der Graf ein gern gesehener Gast an Hempels Gartentisch wurde, wo sich jeden Abend nach des Tages Last ein kleiner Kreis zusammenfand, um die Ruhe des Abends zu genießen. Da waren Specks, der Bademeister, Schutzmann Degenbrecht und dann und wann kam auch Herr Fabian, der Löwe, dazu. Er sah nicht froh aus und klagte, daß das Fell des Wüstenkönigs in diesen heißen Tagen kein geeignetes Kostüm sei. Auch auf Tusnelda schalt er, mit der er nun seit acht Jahren verheiratet war, ohne daß sie ihm gefiel. Aber sie hatten nun einmal das Geschäft miteinander, das Fell war teuer gewesen.

»Geschäft ist eben Geschäft,« sagte er seufzend und sah wehmütig zu Laura herüber.

Laura scherzte meist mit dem Schutzmann, der vor Glück und Hitze strahlte. Er sah nur Laura. Den feinen Herrn mit den dünnen Knöchelchen beachtete er wenig. Wenn er wieder ein gutes Späßchen gemacht zu haben glaubte, lachte er laut und lange, zog den Rock mit den Knöpfen und den Tressen stramm, setzte sich fester auf den Stuhl, der unter der Wucht seiner Schenkel knarrte und krachte und strich sich den Schnurrbart. Es war nicht schwer zu erraten, wem hier ein Mädchen den Vorzug geben mußte.

Wir täuschen uns selbst leichter als andere.

Auch Laura war überzeugt davon, daß Graf Egon 159 nicht ahnen könne, an wen sie in diesen weichen Sommernächten dachte. Aber dieser war sich klar, daß die Zarte keinen wirklichen Gefallen an dieser Menschenmauer in Uniform finden konnte.

Er fragte Laura, warum sie immer einen Schutzmann neben sich habe. Ob sie fürchte, daß ihr Herz gestohlen würde.

Sie antwortete, daß er es ganz richtig erraten habe. Herr Otto läse ihr jeden Morgen aus der Zeitung vor, wie viele schlechte Menschen es gibt.

Der Graf wollte wissen, ob sie auch ihn für diebisch halte.

Sie sagte nein. Denn er habe täglich so viel mit Gold und Geld zu tun, daß ihm nichts gelegen sein könne an einem leeren Herzen.

Der Schutzmann lachte laut auf und schlug sich vor Vergnügen auf die Knie.

»Wenn das Herzchen nun aber nicht mehr leer ist?« fragte er blinzelnd.

»Was sollte denn drinnen sein?« fragte Laura zurück und sah ihn an.

Da wurde er verlegen, kratzte sich unter dem Helm und wußte nichts zu sagen.

Erst nach einer Weile sagte er, daß Laura viel zu hochmütig wäre und nie im Leben einen Kuß kriegen werde.

Der Graf sagte, daß er das ebenfalls glaube.

Herr Otto, der wie alle Zeitungsleser über alles 160 Bescheid wußte, sagte, daß in Amerika das Küssen polizeilich verboten sei.

Der Schutzmann runzelte die Stirn und erklärte bestimmt, daß dies hier im Lande nicht der Fall sei. Sein Reglement enthalte keine derartigen Vorschriften. Er faltete noch heftiger die glatte Bahn seiner Stirn zusammen und brummte:

»Was zu viel ist, ist zu viel.«

Es gibt Lebenslagen, wo selbst ein Schutzmann wütend werden kann auf die Polizei.


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