Alice Berend
Frau Hempels Tochter
Alice Berend

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Man sagt oft, daß Reichtum nicht glücklich macht; obwohl die wenigsten aus Erfahrung sprechen, muß etwas Wahres daran sein.

Beängstigende Träume hatten Frau Hempels guten Schlaf gestört. Speck hatte den hübschen klaren See mit Mist füllen wollen, während seine Frau mit gräßlichen großen Nadeln dicht vor Frau Hempels Augen strickte. Herrn Ottos reicher Patient hatte ihr die Sonne an den Kopf geworfen, und Frau Kempke war mit der Badeanstalt auf dem Rücken zum Bahnhof gerannt.

Als Frau Hempel glücklich erwacht war, fühlte sie noch die Schrecken der Nacht in den Gliedern. Müde und schwer stand sie auf, um die Fenster dem Sonntagmorgen zu öffnen. Schwere goldene Sonne flutete ins Zimmer, und die frische tauige Luft tat wohl. Frau Hempel wollte sich gerade des schönen Wetters freuen, das dem Bäumchen auf Hempels Grabe und den andern Pflanzen, die inzwischen dazugekommen waren, gut tun würde, als sie auf dem Tisch einen großen Brief fand, den Laura leise hereingebracht haben mußte, während sie im Kampf mit den feindlichen Träumen gelegen hatte.

Auf dem Umschlag stand der Name der Bank, von der sie das viele Geld erhalten sollte. Vielleicht 222 schrieben sie, daß das Ganze ein Irrtum gewesen wäre und alles beim Alten bleiben könne. Sie öffnete den Brief ohne Zagen. Man fragte die sehr geehrte Frau, wie sie das auf ihrem Namen stehende Vermögen angelegt zu haben wünsche, bat noch um einige Papiere und um eine Rücksprache an einem der nächsten Tage.

Da saß Frau Hempel vor einem neuen Schreck. Wie soll man Geld – anlegen? Mißtrauisch las sie noch einmal Wort für Wort des kurzen Schreibens, ohne dadurch klüger geworden zu sein, noch Rat gefunden zu haben.

Von draußen summte ein süßes Klingen herein. Laura plättete im Garten auf dem Tisch, der alle frohen Sommergäste gesehen hatte, weiße Wäsche, und im Takt des auf und nieder gleitenden Eisens sang sie von einem, der ihr im Herzen und der ihr im Sinn lag.

Mit der gleichen Unermüdlichkeit, womit sich die täglichen Bedürfnisse wiederholen, kamen diese Worte wieder und wieder in Frau Hempels angestrengtes Sinnen, bis auch ihre Gedanken plötzlich zu Graf Egon sprangen, zu ihrem Schwiegersohn, dem Grafen, der selbst ein Teil einer solchen geheimnisvollen Bank war.

Noch einmal nahm sie den Brief zur Hand, aber schon nach den ersten Worten legte sie ihn wieder fort.

Der Mensch soll das Unerklärliche nicht zu enträtseln suchen. Frau Hempel gab sich einen Ruck und rief nach Laura. Der Gesang verstummte, und Laura kam angesprungen.

223 Frau Hempel fragte, ob sie glaube, daß Graf Egon diese Geldgeschichten verstehen und ehrlich ausführen würde. Laura antwortete, daß Graf Egon natürlich alles aufs vortrefflichste verstehe, weil er der beste und der klügste Mann der Welt sei.

Daraufhin meinte Frau Hempel, man müßte ihm mitteilen, daß er hier notwendig sei. Laura überfiel der Wagemut der Liebe, und sie sagte, daß man das nur telegraphisch machen könne, weil es sonst viel zu lange dauern würde, bis Graf Egon hier sein konnte. Sie habe für Frau Leutnant viele Telegramme zur Post bringen müssen und wisse genau, wie man das mache. Einige Augenblicke später sah Frau Hempel sie schon zwischen der knospenden Lindenallee mit großen, wiegenden Schritten nach Frohndorf zum Postamt gehen.

Aber als Laura ganz in der Nähe der runden Augen des Postbeamten Graf Egons feinen Namen und seine schwere Adresse sauber niedergeschrieben hatte, errötete sie und wußte nicht weiter. Endlich schrieb sie mit ganz kleinen Buchstaben: bitte kommen. Und möglichst weit davon ihren Namen. Dann gab sie das Papier ab.

Schon am Nachmittag kam eine Antwort. In drei Tagen wollte Graf Egon hier sein. Frau Speck, die sich zum Sonntagskaffee eingefunden hatte, weil sie und Speck sich seit gestern fortwährend stritten, wie hoch die Summe sein mochte, die Frau Hempel bekommen hatte, sagte bei dem Erscheinen des Telegraphenboten, daß man merke, daß man bei reichen Leuten 224 ist. Sie setzte auf alle Fälle ihre Brille auf und fragte. ob es nichts Unangenehmes wäre.

Frau Hempel sagte, daß es eine angenehme Nachricht sei. Sonst war nichts zu erfahren, und Specks Abendfrieden war wieder aufs neue gestört. Wissenseifer verscheucht den Schlaf.

Graf Egon jedoch war überzeugt davon, daß ein großes Unglück geschehen sein müßte, und er legte die weite Reise in großer Sorge zurück.

Kein Unheil ist so groß wie die Angst davor. Als er erfuhr, was sich ereignet hatte, überwand er baldigst den großen Schreck.

Er verstand sofort, um was es sich in dem Brief und in den Papieren handelte. Das merkte Frau Hempel. Sie glaubte ihm, als er sagte, daß er ihr alles aufs beste werde ordnen können. Als es Abendbrotzeit war, beschloß sie, ihm als Dank Kartoffelpuffer zu backen. Seit Hempels Tode waren keine mehr auf diesem Herde gebraten worden.


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