Alice Berend
Frau Hempels Tochter
Alice Berend

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Der beste Rat ist der, der uns am besten gefällt. Graf Egon riet mancherlei und zwischen anderem auch, daß Frau Hempel das Geld in einem hübschen Hause im westlichen Teil der Großstadt anlegen sollte. Das würde sie zu verwalten verstehen wie nur eine. Sie würde ihre Arbeit und ihre Freude daran haben und es in zwanzig Jahren mit großem Gewinn weiter verkaufen können.

225 Hier lachte Frau Hempel und sagte, in zwanzig Jahren werde sie wohl ihren Platz neben Hempel eingenommen haben, sonst erkenne er sie am Ende nicht wieder. Aber sie konnte ihre Freude über diesen Vorschlag nicht verbergen.

Graf Egon sagte, daß man auf seiner Bank immer derartige Angebote zur Verfügung habe und daß er sich sofort danach erkundigen werde.

So kam es, daß Frau Speck jeden Morgen, wenn sie sich im Wolltuch vors Haus setzte, um die Kartoffeln zu schälen, die auch schon im Keller im armseligen Frühlingssehnen zu blühen begannen, ruhig mit ansehen mußte, wie Frau Hempel und ihre Tochter in Sonntagskleidern den Weg zum Bahnhof nahmen.

In der Stadt wurden sie von Graf Egon erwartet, um mit ihm durch die Straßen zu fahren und sich die Häuser anzusehen, deren Adressen er in der Tasche hatte.

Sobald Frau Hempel ein Haus betrat, fragte sie nach der Portierwohnung, die stets das erste war, was sie sich ansah. Sie merkte, daß, je kostbarer ein Haus ausgestattet war, um so elender und sparsamer der Raum bedacht war für die Familie, die alle diese Pracht sauber halten sollte.

Eine Schande nannte Frau Hempel solche Häuser, und sie wollte sie nicht haben, wenn man sie ihr schenkte. Die Herren Hausbesitzer, mit denen sie zu tun hatte, hielten die starke Dame für hochgradig nervös. 226 Einige von ihnen machten sie darauf aufmerksam, daß solche Leute wirklich nicht diese Fürsorge verdienten, sie wären nicht gewohnt, mit Glacéhandschuhen angefaßt zu werden.

Unter den zum Kauf angebotenen Gebäuden befand sich auch Herrn Bombachs Haus. Frau Hempel schalt es einen alten Kasten, aber sie konnte doch nicht widerstehen, sich ihn anzusehen. Mit einem schrägen Seitenblick auf das kleine Fenster, wo immer Hempel gesessen hatte, ging sie mit festem Schritt durch den Flur und die Vordertreppe hinauf zu Bombachs. Auf ihr Klingeln öffnete der Hauswirt selber, denn er hatte wieder einmal beide Mädchen hinausgeworfen. Er war erfreut, Frau Hempel zu sehen, weil er glaubte, daß sie sich als Portierfrau zurückmelden wollte. Er hatte mit der Wahrsagerin großen Ärger. Das Holzbein des Mannes war wurmstichig geworden, und sie behaupteten, daß dies von der Kellerluft herrühre. Sie verlangten Schadenersatz, den er natürlich nicht zahlen würde, aber den gesundheitsschädlichen Ärger hatte er weg.

»Man hat viel Mühe, sein Leben zu fristen,« sagte er und pustete nach Luft. Er war bei allem Ärger recht rund geworden.

Auch Frau Bombach kam herein und begrüßte Frau Hempel gemessen, aber freundlich. Sie hatte schon hinter der Tür den Zweck ihres Besuches erfahren. Sie sagte einige höfliche Worte über Hempels Tod und fügte hinzu, daß das Unglück keinen Unterschied 227 zwischen vornehm und gering mache. Ihr Hans Friedrich habe die Masern gehabt und über die elegante Frau Leutnant, bei der Laura im Dienst gewesen war, höre man auch allerlei. Sie solle wieder bei ihren Eltern sein, nachdem der Herr Leutnant die Mitgift durch den Schornstein gejagt habe.

Dann wurde Frau Hempel durch das Haus geführt. Auf Schritt und Tritt sah sie, daß die Wahrsagerin ein schmutziges Faultier war. Der Zorn kochte in ihr.

Sie verabschiedete sich bald und sagte nichts weiter, als daß es einmal anders hier ausgesehen hatte.

»Allerdings ist es kein Haus für Portierleute,« zischte Herr Bombach, der über alle Maßen gern das Haus losgeworden wäre, weil er und Minchen sich nach einer Villa in einem der stillen Vororte sehnten.

Ohne Gruß ging man für immer voneinander.

Verkäufer und Abnehmer dürfen sich nicht allzugut kennen, wenn ein Handel zustande kommen soll.

Schließlich fand sich doch ein hübsches hellgraues Haus, wo auch die Portierleute eine helle Küche hatten, in der sich eine schön gemalte Borte von Sonnenblumen um den Herd schlängelte. Es hatte breite und blumengeschmückte Balkone. Das Dach zierte ein Turm, dessen Wetterfahne ein Automobil war, das der Wind lenkte.

Es war recht nach Frau Hempels Geschmack. Neu und sauber innen und außen. Zwei Wohnungen waren noch ohne Mieter. Die kleinere im Zwischenstock wollte 228 Frau Hempel selbst haben, die größere darüber sollte das gräfliche Heim des jungen Paares werden.

Nachdem Frau Hempel jeden Winkel darin genau kannte, ging das Haus wirklich in ihren Besitz über. In einem Monat wollte sie es beziehen, aber sie kaufte der Portierfrau sofort neue Besen von der besten Art und sagte, daß man mit einem guten Besen die halbe Arbeit habe. Es schien eine saubere Frau zu sein. Der Mann war Tischler und arbeitete aus dem Hause. Sie hatten ein kleines Mädchen, das jedesmal einen tiefen Knix machte, wenn ein Blick der künftigen Hauswirtin auf sie fiel.

»Lassen Sie sie niemals auf dem Straßendamm spielen, das habe ich auch niemals erlaubt,« sagte Frau Hempel und strich dem in der Kniebeuge verharrenden Kinde über das mit Wasser glatt gestriegelte Haar.

»Sie sind zu gütig, gnädige Frau,« dankte die Portierfrau mit einem unsicheren Blick der Verwunderung.

Der Herr Baumeister, von dem Frau Hempel das Grundstück erworben hatte, stand dabei und sagte, daß die gnädige Frau gewiß eine tatkräftige Frauenrechtlerin sei, und er machte ihr darüber viele Komplimente.

Frau Hempel hörte nicht viel davon. Erregung und Erinnerung pochten in ihr wie ein emsiger Schusterhammer. –

Auch Graf Egon mußte die erstaunliche Nachricht, die er heute mitgebracht hatte, mehrere Male wiederholen, ehe Frau Hempel sie aufnahm. Seine Mutter, 229 die Gräfin, bat Mutter und Tochter zu sich zum Abendbrot. Man wollte gemeinsam den Tag der Hochzeit festsetzen.

Als die Gräfin von ihrem Sohn erfahren hatte, welche Wendung das Geschick dieser Portierleute genommen hatte, hatte sie einen langen Seufzer ausgestoßen und nach einer Weile hinzugefügt: daß niemand wisse, wieviel Unglück ein Mensch ertragen könne. Wenn er durchaus bei seinem Willen beharre, sei sie bereit, Frau und Fräulein Hempel bei sich zu empfangen und als Verwandte zu begrüßen. – – –

Schwarz war die Lieblingsfarbe der Gräfin, und als Mutter und Tochter in ernster Trauerkleidung ihr bescheidenes Wohnzimmer betraten, fühlte sie sich wohltuend berührt.

Sie küßte Laura auf die Stirn und sagte:

»Sei willkommen, mein Kind, im Kreise der Grafen von Prillberg.«

Frau Hempel schnaubte sich mit einem großen, blütenweißen Taschentuch krachend die Nase und sagte:

»Mein Mädchen wird keinem Unehre machen, Frau Gräfin.« Während man vorsichtig auf den Sammetsesseln Platz zu nehmen suchte, ohne die Decken zu verschieben, die ihre Schäden verbergen mußten, fügte sie hinzu, daß Laura wohl alles habe, was zu einer Gräfin gehöre, nur daß sie nicht französisch sprechen und nicht Klavierspielen könne, müsse noch nachgeholt werden. Es wäre eben alles viel rascher gekommen, als man 230 vorausgesehen hatte. Aber schon in den nächsten Tagen sollte Laura mit dem Unterricht beginnen, den sie auch später weiter bezahlen werde. Laura sollte alles haben, was dazu gehöre.

Die Gräfin meinte, daß man in neuester Zeit, wo es ohnehin Lärm genug gab, in den besten Kreisen vom Klavierspiel etwas abgekommen sei, man spielte dafür Tennis und trieb Gymnastik. Laura sagte, Tennis könne sie spielen, worüber die Gräfin sehr erfreut war. Sie bot sich an, den französischen Unterricht selbst an Laura zu erteilen. Sie spräche vollkommen französisch, und man könne das Lehrgeld dafür sparen. Sie schrieb gleich die Namen einiger Bücher auf, die sich Laura zu diesem Zwecke besorgen sollte und wurde beinahe heiter bei dem Gedanken an die neue Tätigkeit.

Als man bei Tisch saß, kam die Rede auf die bevorstehende Hochzeit. Frau Hempel sagte, daß sie von ihrer Seite Herrn Otto als Trauzeugen vorschlagen würde. Die Frau Gräfin fragte, wer das wäre, und Frau Hempel erklärte ihr, daß es ihr früherer Bademeister sei, der aber jetzt einen festen Posten in einem Irrenhaus habe.

»O Gott,« sagte die Gräfin und legte die Gabel aus der Hand. Sie sah aus, wie wenn sie das Ableben eines nahen Verwandten erfahren hätte.

Frau Hempel merkte, daß nicht alles richtig war, und sagte einlenkend, daß man auch Herrn Speck wählen könnte. Er sei ein Landbesitzer und sein eigener Herr. 231 Aber sie fürchte, daß er den Dunggestank zu fest in den Kleidern habe.

Die Gräfin wurde noch trauriger. Sie sprach jetzt von der Hochzeit wie von einem Leichenbegängnis.

Die beiden, die diese Angelegenheit ganz insbesondere anging, hörten nicht viel von dem Gespräch der Mütter. Sie hatten genug mit sich selbst zu tun. Laura verbarg eine Haselnuß in der festen Faust, die ihr Graf Egon durchaus entreißen wollte, was beide sehr zum Lachen reizte. Die Gräfin, die den betrübten Kopf hoch aufgestellt im Nacken hatte, wodurch die goldene Krone unter ihrem spitzen Kinn ganz frei und sichtbar glänzte, hatte schon mehrmals daran erinnert, daß es doch nicht auf ein Nüßchen mehr oder weniger ankäme und eine ganze Schale davon auf dem Tisch stände. Aber man überhörte ihre Worte.

Zum Glück wird jede Nuß einmal geknackt. Ehe man sich verabschiedete, war man auch über die Hochzeitsbestimmungen einig geworden.

Der Graf mußte noch für einen Monat auf seinen früheren Posten zurückkehren. Sobald er wiederkam, sollte die eheliche Verbindung in aller Stille stattfinden. Für die Trauzeugen wollte er selbst sorgen. –

Der Graf reiste, und die Mütter trafen täglich zusammen, um Einkäufe für den künftigen Hausstand zu machen. Frau Hempel kehrte stets ganz erschöpft zurück und sagte, daß sie es nun begreife, daß mit dem Kopf arbeiten mehr anstrenge als mit den Händen. 232 Die Gräfin aber kam stets sehr munter heim, so daß ihr erstauntes Dienstmädchen sich seine eigenen Gedanken machte und zu der Meinung kam, daß ihre Herrin diese alten Ahnen, über die sie so viel geweint hatte, wiederbekommen oder eingewechselt habe.

Jeden zweiten Tag kam Laura mit Büchern unter dem Arm und einem schüchternen Lächeln um den wachgeküßten Mund zu ihrer Schwiegermutter, um in die französische Sprache eingeführt zu werden. Das erste Zeitwort, das sie lernen sollte, war: lieben. Sie errötete und zögerte vor Egons Mutter, dieses vertraute Wort zu konjugieren. Die Gräfin erklärte mit dem Ernst, der ihr eigen war, daß man das in jeder Sprache zu allererst lernen müsse. Laura gehorchte und bekannte gehorsam: J'aime – ich liebe. Aber jedesmal, wenn sie: nous aimons – wir lieben sagte, mußte sie die Gräfin anlächeln, weil sie dachte, daß sie jetzt gewiß denselben vor Augen habe, wie sie. So wandelte sie diese Konjugation zu Freuden. – – –

Wenn Laura mit den Büchern zurückkam, fand sie die Mutter stets bei einer häuslichen Beschäftigung. Sie räumte und packte und besserte die alten Sachen aus. Oft stand sie auch vor dem Plättbrett und bügelte aus ihrem langen Witwenschleier die Kniffe und Strapazen des staubigen Tages.

»Kein Wunder, daß die reichen Leute viel Geld brauchen,« sagte sie. »Wenn man die Sonntagskleider am Wochentag trägt, ist man bald mit ihnen fertig.« 233 Sie hielt den Schleier gegen das Licht und meinte, daß sie sich bald vor Hempel schämen müßte, mit einem solchen Schleier zu kommen.

»Kaufe dir einen andern, Mutter, wozu haben wir denn das viele Geld,« sagte Laura und lachte. Sie wußte nun für alles einen glücklichen Ausweg. Sie hatte den Arm um die breiten Schultern der Mutter gelegt, aber ihre Augen sahen in der Ferne den neuen, eignen Weg zwischen Sonnenschleiern dämmern. –

Das Leben ist ein Versteckspiel unter Schleiern. Zu Lauras Hochzeit kaufte sich Frau Hempel einen neuen Trauerschleier, der viel kostbarer war als der erste.

In vornehmen Falten verdeckte das tiefschwarze Gewebe die derbe kräftige Gestalt, die jene zarte, die nun Gräfin werden sollte, an einem schweren Arbeitstage geboren hatte. Er wurde zusammen mit Lauras Brautschleier gekauft, der zart wie Spinngewebe des schlanken Mädchens glückliche Züge durchschimmern ließ.

In dem leichten, leise knitternden Paket, worin Frau Hempel behutsam den weißen und den schwarzen Schleier heimtrug, lag noch ein dritter von festerem Gewebe. Er war für Ida bestimmt, die noch vor Laura in den Ehestand treten sollte. Sie hatte sich einen recht dauerhaften Schleier gewünscht, den sie auch noch in fünfundzwanzig Jahren bei der silbernen Hochzeit tragen konnte und der nicht gleich zerriß, wenn das Kind danach griff.

Im Gegensatz zu Lauras Feier, die nur im engsten 234 Kreise stattfinden sollte, hatte der Schutzmann zu seiner Verbindung mit Ida viele Gäste in das Frohndorfer Wirtshaus geladen und ein gutes Essen bestellt. Er sagte, daß man möglicherweise nur einmal heirate und die Feste feiern müsse, wie sie fallen. An diesem schönen Tage sollte auch der Junge getauft werden, der ohnedies seinen guten Happen von der Festtafel haben sollte. Denn wer war schließlich mehr dazu berechtigt, bei der Hochzeitsfeier der Mutter zu sein, als ihr einziger Sohn?

Trotzdem die meisten Gäste Ida vorher niemals gesehen hatten, kamen alle gern, und das Fest verlief zu aller Zufriedenheit. Es gab einen Schweinebraten mit Teltower Rübchen, von dem Herr und Frau Degenbrecht noch oft in ihrer freundlichen Ehe sprachen. Auch der runde Täufling, der abwechselnd auf dem Schoß der Braut und den Knien des Bräutigams saß, gefiel sehr. Man fand ihn gehorsam und stramm und stellte die große Ähnlichkeit zwischen ihm und dem Schutzmann fest.

Wann machte Phantasie nicht glücklicher als Wissen?


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