Alice Berend
Frau Hempels Tochter
Alice Berend

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Es war nicht Hempels Gewohnheit, über Dinge zu sprechen, die das Herz angingen. Nur wer genau Bescheid wußte, konnte merken, daß unter dem wetterumwehten Dache etwas Besonderes vorgegangen war und weiter wirkte.

Frau Hempel hatte Seide und Leinen gekauft. Aus der Seide hämmerte Hempel die Brautschuhe, und aus dem Leinen nähten alle drei Frauen einen Wäscheschatz.

Die neunzackigen Kronen stickte Laura hinein mit zierlicher Sorgfalt.

Selten fiel ein Wort. Aber man denkt am meisten an das, wovon man nicht spricht. –

Frau Hempel hatte nicht gewollt, daß Briefe gewechselt wurden. Sie war der Meinung, daß Liebesgedanken aufzumalen und zu erwarten ein Mädchen dumm und faul mache.

So hatte Graf Egon nur in einem Schreiben, das an alle gerichtet war, seine gute Ankunft mitgeteilt und daß er mit seiner Tätigkeit zufrieden sei, weil er dabei an die eine denke, der sein Leben gehören werde.

Der Brief ging von Hand zu Hand. Schrift und Worte und Papier wurden von den Eltern mit Achtung studiert und gelobt. Darauf verschwand der Brief. Er war zwischen zwei weiße Tücher in eine 179 Mädchenkommode geraten, die ein Dichter und ein Löwe bewachten. – – – –

Häufig saß Schutzmann Degenbrecht bei den nähenden Frauen und sah ihnen zu. Er glaubte, daß man die Aussteuer für irgendein feines fremdes Fräulein nähe und sah gleichgültig auf das dünne Spitzenzeug und die großen Leinentücher. Der achtunggebietende Helm stand unter seinem Stuhl, aber in den blanken Knöpfen seiner Uniform spiegelten sich die über die Arbeit gebeugten Köpfe von Laura und Ida in strammen Reihen.

Das Feuer auf dem Herde flackerte und wärmte, die Scheren klapperten, die Fäden schwirrten, und der Schutzmann meinte, daß es Hempel recht gut habe, immer umgeben von drei fleißigen Wesen weiblichen Geschlechts zu sein.

Frau Hempel fragte, ob er sich gleich drei Frauen wünsche.

Er lachte und sagte, daß er sich schon mit einer zufrieden geben würde, wenn sie hübsch und recht nett zu ihm wäre, und er zwinkerte unschlüssig von Laura zu Ida und wieder zurück.

Dabei verschwand sein Lächeln. Unruhe und Unentschlossenheit kamen auf sein Gesicht, das Zufriedenheit gewohnt war.

Wer die Wahl hat, hat die Qual. Er, der besser als irgendeiner hätte vertraut sein müssen mit Besitzrecht und Ortsangehörigkeit, wußte nicht mehr, wem sein 180 Herz gehörte, noch wo seine Gefühle zu Hause waren. Einmal war es Laura, ein andermal Ida. Laura war zarter und süßer, aber kalt zu ihm, wie das Wetter draußen.

Bei Ida wurde einem warm ums Herz, aber sie hatte gar nichts von den Prinzessinnen, die er nun wieder jeden Abend im Lichtspieltheater hervorklappen, lächeln, lieben, weinen und wieder verschwinden sah.

Er seufzte, und da es dem Menschen angeboren ist, immer nach Trost zu suchen, griff er nach der Zigarrentasche über seinem Herzen.

In der Dämmerstunde kamen Specks über das kahle Feld, das die Häuser voneinander trennte. Sie waren in Wolltücher gewickelt, und in Frau Specks Händen bewegte sich unermüdlich ein Strickzeug. Sie sagte, daß der Mensch nicht genug Wollstrümpfe besitzen könne und sie und Speck im Winter drei Paar übereinander trügen. Speck nickte dazu. Er hatte in einem Mundwinkel eine Pfeife hängen und sprach nicht gern.

Frau Speck war weniger arglos als der Schutzmann. Sie lobte oft das feine Leinenzeug und fragte ebenso häufig nach dem jungen und hübschen Herrn Grafen.

Ihre wetterharten Hände berührten gern den zarten Stoff. Das Klappern der Stricknadeln verstummte dann einen Augenblick, sie seufzte tief und sagte:

»Wo sind die Zeiten hin?«

Sie dachte an die besseren vergangenen Tage, wo sie mancherlei Schönes probiert hatte.

181 Speck liebte keine Klagen. Er nahm die Pfeife aus dem Mund und sagte in bestimmtem Tone:

»Nichts bleibt, wie es ist, und alles wird anders.«

Ohne viele Silben zu verschwenden, saß man beieinander, bis die Lampe über dem Herde zu flackern begann und damit verriet, daß sie bald ausgebrannt sein werde. Das war das Zeichen zum Aufbruch. Specks hüllten sich in Wolle, der Schutzmann nahm den Helm. Wenn sie zur Tür hinausgingen, zischte der Wind herein wie ein wütendes Raubtier, das draußen gelauert hatte.

Nacht für Nacht hindurch umheulte er das Haus wie ein hungriger Wolf.

Endlich wurde es still. Es hatte zu schneien begonnen. Als man die Fenster am Morgen öffnete, war alles weiß. Ein großes Tuch, nicht weniger zart als das, an dem man nähte, breitete sich über die Wunderwiese.

Frau Hempel dachte an Bombachs Haus, an die Großstadtstraße und das Schneeschaufeln. Sie sagte:

»Heute wird die Wahrsagerin die Arme rühren müssen. – –«

Das eine seidene Schuhchen war fertig und wartete unter einer gläsernen Butterglocke auf das andere. Doch vergeblich. Hempel lag im Bett. Er konnte den schmerzenden Rücken nicht gerade halten.

Laura nahm ihr Nähzeug, setzte sich neben den Vater, zog Nadel und Faden durch den Stoff und sang 182 ihm Lieder, damit er seine Schmerzen nicht fühle. Frau Hempel brachte ihm Kaffee und sagte, daß es die Schwarzen, die ihn gepflückt hätten, gewiß wärmer hätten als sie.

Herr Speck verordnete Ameisenspiritus, und der Schutzmann brachte am andern Tage eine kleine Flasche davon mit.

Frau Hempel entkorkte sie und roch daran. Sie rümpfte die Nase und fragte, ob der Apotheker das gemacht hätte.

Herr Speck belehrte sie, daß die Ameisen diesen Saft von sich gäben, wenn sie sich erschreckten.

»Pfui,« sagte Ida und roch auch einmal an der kleinen Flasche.

Auch der Schutzmann brachte seine kräftige Nase mit der Flaschenöffnung in Berührung und wunderte sich, was Schreck nicht alles machen könne.

Hempel sah bewundernd auf Speck.

»Was Sie nicht alles wissen, Herr Speck,« sagte er und versuchte sich im Bett aufzurichten, um den gescheiten Nachbar besser sehen zu können. –

Man soll aus allem Gutes ziehen können, aber das saure Symptom geängstigter Ameisen wollte nicht helfen. Das Mittel hatte immer geholfen. Speck wunderte sich sehr.

»Man läuft durch die Jahre und wird abgenutzt. Altes Leder taugt nichts mehr,« sagte Hempel und stöhnte.

183 »Nichts bleibt, wie es ist,« sagte Speck, und als es mehrere Abende so weiter ging, ohne fröhlicher zu werden, blieben Specks weg.

Man muß dem Unglück nicht nachlaufen. –

Degenbrecht meinte, daß man einen Arzt holen müsse. Hempel sähe nicht natürlich aus.

Frau Hempel war nicht sehr dafür. Sie sagte, den Doktor holen, bedeute nichts Gutes. Man wird dann nicht wieder gesund, weil solcher Arzt immer am andern Morgen wiederkommen wolle.

Degenbrecht sagte, daß das hier draußen nicht der Fall wäre. Der Arzt wäre froh, wenn er nicht herausmüsse.

So ließ man ihn rufen.

Er war ein großer Mann im schönen Pelz, und als er durch die niedre Tür trat, sagte er:

»Bald werden Sie die Eisbahn eröffnen können. Mein Töchterchen wartet schon sehr darauf.«

Er rieb sich die Hände und lachte, und Hempel richtete sich neugierig im Bette auf, so gut es gehen wollte.

»Nun, wo fehlt es denn?« fragte der große Mann und faßte nach Hempels Puls. Er horchte und zog die Augenbrauen hoch, beugte sich über das Herz, horchte lange und zog die Augenbrauen noch schärfer zusammen. Er fragte, welche Medikamente Hempel bisher angewendet habe. Laura brachte ihm rasch das Fläschchen mit dem Ameisenspiritus, und Hempel ließ ihn stolz an seinem neuen Wissen teilnehmen und erklärte 184 ihm, wie schnell und einfach die kleinen Ameisen Medizin machten.

»Hm, hm,« sagte der Doktor und faßte wieder nach der welken Hand.

»Sie sind Schuhmacher?« fragte er und sah nach dem Werkzeug, das an der Wand über dem Bett hing, abgenutzt von den Händen, die nun matt und kraftlos die Decke strichen.

»Sie haben natürlich niemals richtig geatmet, immer zusammengebückt vornüber gesessen? Wenn die Menschen doch lernen wollten, Herz und Lunge richtig zu gebrauchen.«

Er verschrieb einige Medikamente und zeigte Hempel einige Bewegungen, die er machen sollte, damit sich sein Herz kräftiger rege.

Hempel lachte und sagte, daß er im nächsten Jahr auf seiner Wunderwiese als Hampelmann auftreten werde.

Frau Hempel hatte das Gesicht des Doktors beobachtet.

»Er wird doch besser werden?« fragte sie rasch, als sie aus dem Zimmer waren.

Der Doktor öffnete den Mund, schloß ihn wieder, als er in ihr Gesicht sah, und sagte dann:

»Gewiß, gewiß, liebe Frau, es wird nicht so bleiben.«

In einigen Tagen wollte er wiederkommen, wenn das Wetter nicht gar zu tolle Sprünge machte. –

185 »Hätte ich doch nur das weiße Schuhchen fertig,« stöhnte Hempel oft, und eines Tages war er aus dem Bett gekrochen, hatte das Werkzeug von der Wand geholt und an dem weißen Schuh zu hämmern begonnen.

Frau Hempel sagte:

»Nun wird er bald gesund. Wer arbeitet, ist nicht krank,« und sie lauschte lächelnd auf die gewohnte Hausmelodie, die wieder zwischen den Wänden summte, wenn auch recht leise.

Laura saß am Bett und reichte dem Vater wieder und wieder zu, was seinen zitternden Händen entglitt. Sie hielt den Leisten, während er klopfte. Ihr Kastanienhaar streifte seinen winterweißen mageren Kopf.

So wurde der zweite Brautschuh fertig.

Er kam zu dem andern unter das Glas und mußte so gestellt werden, daß ihn Hempel vom Bett aus sehen konnte.

Er nickte zufrieden.

»Solch ein Pärchen gehört zusammen,« sagte er und streckte sich aus.

In der Nacht darauf wollte ihm das Atmen gar nicht gelingen. Frau Hempel beugte sich angstvoll über ihn und riet ihm doch genau zu atmen, wie es ihm der Doktor gezeigt hatte. Aber er schüttelte als Antwort nur den Kopf. Frau Hempel starrte in die Runzeln seines Gesichts, als lese sie eine schwierige Schrift.

Sobald der Morgen graute, mußte Ida zum Arzt laufen. Er sollte geschwind kommen, um Hempel eine 186 bessere Art des Atmens zu zeigen. Auf die frühere Weise gelänge es nicht mehr.

Gute Lehren kommen meist zu spät.

Als der Arzt erschien, wollte Hempel nichts mehr von neuen Kunststücken wissen. Der müde Rücken und die abgenutzten Hände hatten Ruhe gefunden.

Erst der Arzt machte den Frauen begreiflich, was vorgefallen war.

»Das ist nicht wahr,« schrie Laura auf und drängte sich dicht an die Mutter, um Schutz zu suchen vor den schrecklichen Worten dieses großen Mannes im Pelz.

»Er wird es wohl besser wissen als wir,« sagte Frau Hempel, aber als der Arzt zur Tür heraus war, brach sie mit dumpfem Stöhnen zusammen.

Nie hatte Hempel erfahren, wie verzweifelt und hilflos seine tüchtige Lina sein konnte.


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