Alice Berend
Frau Hempels Tochter
Alice Berend

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Der Juli siedete weiter. Es gab Tage, wo Hempels um die Mittagsstunden glauben konnten, allein auf dieser heißen Welt zu sein. Kein Atem rührte sich. Die Luft stand still, erfüllt von dem Duft gerösteter Kiefernadeln. Der See lag unbeweglich wie ein Stück schmutziges Glas, das man ins Grün geworfen. In diesen Stunden kam niemand. Die Menschen waren zu matt geworden, um sich zu wehren. Sie verbargen sich in den dunklen Häusern vor der Macht dieses gewaltigen gelben Balls, der nahe wie ein Luftschiff über ihren Dächern rollte.

An einem solchen stillen Mittag klopfte es unvermutet an das Fenster, das man geschlossen hatte, um Hitze und Fliegen auszusperren. Es war eine Frau mit einem kleinen Kinde auf dem Arm. Erst als man die Tür öffnete und zu ihr heraustrat, erkannte man, daß es Ida war. Die kraushaarige, gutmütige Ida, Bombachs 161 einstige Köchin und Lauras Gefährtin in Frau Leutnants aufgeregtem Haushalt. Sie hatte das Gesicht einer alternden Frau bekommen. und Laura schluchzte plötzlich laut auf, schlang ihre Arme um Idas Hals und küßte sie.

Davon begann das Kind zu schreien. Über Idas gelbliches Gesicht glitt ein sanftes, glückliches Lächeln, sie drehte den Kopf zu Frau Hempel und sagte:

»Ein Junge von acht Pfund.«

Es war Ida nicht gut gegangen. Heuten morgen hatte sie das Krankenhaus verlassen. Aber sie schämte sich vor den Menschen. Da war ihr Frau Hempel eingefallen.

Frau Hempel unterbrach sie und sagte, daß sie wie gerufen käme, um ihr als Bademädchen zu helfen. Das Haus hatte noch eine kleine Kammer, aus der sich mit gutem Willen ein Stübchen machen ließ. –

Als der Feierabend kam und der Schutzmann mit Soldatenschritten auf das kleine Haus zumarschiert kam, saß Laura in der Abendsonne und wiegte ein kleines Kind auf dem Schoß.

Der Schutzmann räusperte sich und fragte nach einer Weile, ob das ein Findelkind wäre.

Laura sagte, ein Schutzmann müßte doch einem Kinde ansehen können, woher es komme, und hielt es ihm dicht vor die erstaunten Augen. Er prallte zurück, wie wenn ihn jemand mit Steinen werfen wollte, und Laura fragte lachend, ob er kleine Kinder nicht leiden möge.

162 Da bog der Graf um die Ecke. Er wurde rot im Gesicht, als er Laura mit dem Kind im Arm sah.

Dann lachte er und beugte sich herab, um das Kind ein wenig unter der Nase zu kitzeln, denn er hielt es für eine große Puppe. Aber kleine Kinder mögen das nicht, und Idas Junge begann wütend zu brüllen.

Der Graf prallte zurück.

»Pfui Teufel, das lebt ja,« rief er und sah erschreckt auf Laura.

»Das tun die meisten Kinder,« sagte Frau Hempel, die aus dem Haus kam, das Kind aus Lauras Arm nahm und damit ins Zimmer ging.

Verliebte Männer trauen ihren Angebeteten stets Besonderes zu. Wer weiß, auf welche Gedanken diese beiden gekommen wären, wenn nicht Hempel hinzugekommen wäre und Aufklärung gegeben hätte.

Er erzählte, daß das Kind der Junge von einem Mädchen sei, das überaus brav und nett sei und perfekt kochen könnte.

Zuerst verbarg sich Ida, aber nach und nach wurde sie doch mit allen bekannt. Besonders Degenbrecht versuchte sie bald ins Gespräch zu ziehen. Der Polizist in ihm regte sich. Er witterte Verdächtiges. Wer sich versteckt, will verbergen.

»Haben Sie etwas begangen, was niemand wissen soll?« fragte er.

Ida senkte errötend den Kopf.

»Das Kind,« stotterte sie.

163 »Ist es denn nicht Ihr Kind?« fragte Degenbrecht streng.

»Gerade doch, weil's meins ist,« antwortete das Mädchen und brach in Tränen aus.

Degenbrecht wurde gerührt.

»Es ist doch ein ganz hübsches Jungchen,« sagte er tröstend.

Von diesem Augenblick an waren sie Freunde. Als Ida sich erholte und wieder frisch und schlank wurde, fand Degenbrecht, daß braunes, krauses Haar und eine rote Sommerbluse sehr hübsch zusammenpaßten. Das Netteste aber an dem hübschen Mädchen war, daß man mit ihr von Laura sprechen konnte.

Er fragte sie, ob sie auch glaube, daß Laura noch niemals verliebt war. Und sie bejahte es. Er fragte, ob sie auch Laura schöner fände als andere Mädchen. Und sie bejahte es. Er fragte, ob sie es für möglich halte, daß Laura an einem Schutzmann Gefallen finden könne. Und sie bejahte es ebenfalls. Sie war ein reizendes Mädchen. – – –

Man war im August. Die Sonnenblumen waren vorbei. Laura knabberte schon ihre Kerne.

Am Ende dieses Monats der fallenden Sterne hatte Frau Hempel Geburtstag. Im vorigen Jahr bekam sie von Hempel eine Flasche Kölnisches Wasser, über die sie sich sehr gewundert hatte. Aber Hempel hatte nicht sagen wollen, wie er auf diesen Gedanken gekommen 164 war. Diesmal stand auf ihrem Stuhl am Frühstückstisch ein Paar wunderschöner Winterstiefel, fest und mit Doppelsohlen. Hempel hatte sie trotz Hitze und Arbeit heimlich gezimmert.

Um die Kaffeetasse herum lagen kleine Gaben von Laura, und in der Mitte des Tisches stand ein großer Napfkuchen, den Ida gebacken hatte.

Frau Hempel kam aus dem Naseputzen gar nicht heraus, und der erste Badegast glaubte, daß ein Unglück geschehen sei.

Der Schutzmann brachte einen großen Strauß Georginen, Graf Egon aber überreichte ein Nähkästchen fein und kostbar, als wäre es für eine Frau Bankdirektor bestimmt. Frau Hempel wollte es gar nicht annehmen und meinte, daß er es aufheben solle, bis er eine Frau haben werde.

Der Graf sagte, seine Frau würde nicht besser sein können als Frau Hempel, höchstens ihr ähnlich.

Er sah sich nach Laura um, aber sie ging gerade in das andere Zimmer, um sich in dem Spiegel zu sehen.

Der Abendtisch war heute um einige Personen vergrößert. Herr und Frau Kempke waren aus der Stadt gekommen, um feiern zu helfen.

Als man schon recht vergnügt war, kam auch Herr Fabian für einen Augenblick herüber. Er sah nicht froh aus und hatte eine Kratzwunde über der Nase. Herr Otto fragte, ob er seine Löwenrolle heute jemand anderm überlassen hätte. Herr Fabian nickte, tastete nach 165 seiner Nase und sagte trübe: »So weit kommt es, wenn man sich zu gut kennt. Warum ist das Heiraten nicht polizeilich verboten?«

Schutzmann Degenbrecht richtete sich auf. Er sagte, daß kein Mensch Ordnung in den Polizeilisten halten könnte, wenn man die Ehe abschaffte, und daß immer noch genug anständige Kerle da wären, die das Herz auf dem rechten Fleck hätten und ihr Mädchen heiraten wollten. Man hörte Tusneldas Klingel die letzte Abendvorstellung ankünden, und Herr Fabian mußte davonspringen, ohne Antwort geben zu können.

Von dem nahenden Mond schlich sich eine matte Helle über das Dach. Kempkes standen auf, um den See im Mondschein zu sehen. Degenbrecht ging zu Ida und fragte, ob sie glaube, daß es Laura übelnehmen würde, wenn ein Mann mit ehrlichen Absichten sie zu einem kleinen Gang im Mondschein aufforderte.

Ida schüttelte den Kopf. Sie sah sehr blaß aus in dem grünlichen Licht des Mondes.

Reichliche Überlegung bewahrt uns vor vielem. Als Degenbrecht sich umdrehte, war Laura verschwunden.

Sie hatte mit dem Grafen gewettet, daß es in dem nahen Waldgehölz nicht hell sein könne, wie er hartnäckig behauptete. Jetzt waren sie auf dem Wege dahin, weil sie nachsehen mußten, wer von ihnen recht hatte.

Graf Egon fragte Laura, ob sie wisse, warum er jeden Abend hinausgekommen sei.

166 Weil es ihm zuträglich wäre, antwortete Laura.

»Ganz richtig,« sagte der Graf, aber ob sie auch wisse, warum es ihm so zuträglich wäre.

Sie erwiderte, daß sie leider kein Arzt sei.

Dabei stolperte sie über eine der toten Kiefernwurzeln, die sich wie Schlangen über den Moosboden wanden. Es war gut, daß ihr Begleiter rasch seinen Arm um sie legte.

Sie sagte, er werde nun einsehen, daß sie die Wette gewonnen habe, denn es sei stockdunkel hier.

Er meinte, daß daran nur die hohen Bäume schuld sein könnten.

Auch Laura glaubte das. Sie sagte, daß sie nun umkehren wolle, und drehte sich mit raschem Schwung herum. Eine schnelle Wendung kann vieles ändern. Zumal im Dunklen. Zwei fremde Münder stießen plötzlich zusammen und konnten sich nicht mehr ausweichen. Es war unmöglich. Aber nichts ist schlimm, wenn man will, was man muß.

Unabwendbarer Zufall aber wird auch im Bürgerlichen Gesetzbuch als höhere Gewalt angesehen und entschuldigt.


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