Alice Berend
Frau Hempels Tochter
Alice Berend

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Es wurde heiß. Die Sonne rückte näher und rief alles auf die Sommerplätze.

Vom Weg zum Bahnhof, der eine blühende Lindenallee geworden, kam nach jedem Lokomotivenpfiff ein Trupp Badegäste angerückt. Herr Otto sprang in gestreiftem Trikot zwischen tauchenden Jungen, springenden Jünglingen und bedächtig badenden Männern umher. Frau Hempel jagte im hellblauen Kattunkleid und weißer Schürze geschäftig über die nassen Planken, rieb dicke Damen trocken, frottierte frierende dünne, half Unbeholfenen ins Wasser, schalt Schulmädchen, die mit Wasser spritzten, neckte Ängstliche, schalt Tollkühne und war niemals müßig.

139 Auf der Wunderwiese aber klopfte und hämmerte es.

Am Sonntag sollte sie eröffnet werden.

Männer in Hemdärmeln und Frauen mit zerzausten Haaren stritten und schrien durcheinander. Zwischen hellbemalten Brettern und bunten Vorhängen mit Goldfranzen.

Unter ihnen stand der große Schutzmann mit dem Schnauzbart, sah sich die Berühmtheiten im Privatzustand an und dachte, daß Frauen sehr verschiedenartig aussehen könnten. Er war nicht gut gelaunt. Die Tochter der tüchtigen Frau Hempel wollte ihm nicht mehr aus dem Sinn kommen. Er wußte nicht, aus welchem Grunde er immer an sie denken mußte. Er wollte sie wiedersehen und sprechen, um herauszufinden, ob irgend etwas Besonderes an ihr sei. Stirnrunzelnd grübelte er, wie er das am besten anfangen könnte.

Der Himmel hilft immer noch solchen ehrlichen Herzen.

Am Abend sauste plötzlich ein Platzregen auf das glühende Land, und der Schutzmann mußte in Hempels Küche Unterschlupf suchen. Seinen Helm unter dem Arm, saß er auf einem kleinen Schemel und starrte auf Laura, die sich neben dem Herdfeuer wiegte, wie Aschenbrödel aus dem Kinematographen, und Schoten pellte.

Am Fenster hämmerte Hempel an der sonderbarsten Bestellung seines Lebens. Er machte ein paar 140 Stulpenstiefel für den ersten Liebhaber des Affentheaters, den Schimpansen Bolo den Schönen.

Im Nebenzimmer murmelte Frau Hempel wie ein katholischer Priester. Sie zählte die Kasse.

Draußen rauschte der Mairegen.

Der Schutzmann brach das Schweigen und fragte, ob Fräulein Laura denn schon wisse, wie er heiße. Sein Name sei Paul Degenbrecht.

Laura lachte und sagte, daß es gut sei, daß Schutzmänner verschiedene Namen hätten, denn aussehen täten sie doch einer wie der andere.

Degenbrecht strich den Schnurrbart in die Höhe und meinte, so ganz gleich wären sie doch nicht alle, und sie solle ihn sich einmal richtig ansehen.

Aber Laura fand, daß das nicht nötig sei. Sie wisse sehr genau, wie ein Schutzmann aussehe.

Nach einer Weile, wo nichts zu hören war als der Regen draußen und das Aufspringen der Schotenhülsen in Lauras Händen, fragte der Schutzmann, ob das Fräulein das schöne Lied kenne: »Nur einmal blüht im Jahr der Mai, nur einmal im Leben die Liebe.«

Laura schüttelte den Kopf.

Sie kannte es nicht. Aber es gefiel ihr sehr gut, und es mochte schon etwas Wahres daran sein. Plötzlich wurde sie traurig und vergaß ihre Arbeit.

Der Schutzmann beobachtete sie in stummer Bewunderung. Er hätte sich nicht gewundert, wenn sie nun mit eins verschwunden gewesen wäre, um ebenso schnell 141 als Königin gekleidet wieder dazusitzen. – Er hatte den Winter hindurch Abenddienst im Kinematographen gehabt.

Aber der Film des Lebens klappt nicht nur angenehme Bilder. Frau Hempel kam herein und sagte freundlich:

»Herr Wachtmeister, es regnet nicht mehr.«

Schutzmann Degenbrecht stand auf, zog den Rock straff, schnallte den Säbelgurt fester, wünschte allen eine gute Nacht und ging.

Frau Hempel zündete die Lampe an. Laura verließ ihren Platz am Herd, um den Tisch zu decken.

Draußen regnete es aufs neue.

Aus dem kleinen Haus fiel ein heller Lichtschein in das regenfeuchte Dunkel. Ehe der Schutzmann um die Ecke bog, sah er sich noch einmal um.

Er dachte, wenn er Bademeister geworden wäre, statt Schutzmann, könnte er dort der zarten Laura gegenübersitzen. Statt dessen mußte er sich jetzt im rauschenden Regen auf dem durchnäßten Platz vor dem Bahnhof aufstellen, um das Flimmern der Laternen zu beobachten, die das einzige waren, das sich bei solchem Wetter dort regte.

Man kann nicht vorsichtig genug in der Wahl seines Berufes sein.


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