Edward Bellamy
Ein Rückblick aus dem Jahre 2000 auf 1887
Edward Bellamy

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Drittes Kapitel.

»Er wird gleich die Augen öffnen. Es ist besser, wenn er zuerst nur einen von uns sieht.«

»Versprich mir also, daß du ihm nichts sagen wirst.« Die erste Stimme war die eines Mannes, die zweite die einer Frau, und beide sprachen im Flüsterton.

»Ich will sehen, wie es ihm geht,« erwiderte der Mann. »Nein, nein, versprich es mir,« verlangte die andere Stimme. »Laß ihr den Willen,« flüsterte eine dritte, ebenfalls weibliche Stimme.

»Gut, gut, ich verspreche es also,« antwortete der Mann. »Geht schnell! Er kommt zu sich.«

Kleider rauschten, und ich öffnete die Augen. Ein stattlich aussehender Mann von etwa sechzig Jahren beugte sich über mich, mit einem Ausdrucke großen Wohlwollens, gemischt mit starker Neugierde, in seinen Zügen. Er war mir völlig unbekannt. Ich stützte mich auf den Ellbogen und sah mich um. Das Zimmer war leer. Ich war sicherlich nie darin gewesen, auch in keinem, welches ähnlich möbliert gewesen wäre. Ich sah wieder meinen Gefährten an. Er lächelte.

»Wie befinden Sie sich?« forschte er.

»Wo bin ich?« fragte ich.

»Sie sind in meinem Hause,« war die Antwort.

»Wie kam ich hierher?«

»Wir werden darüber sprechen, wenn Sie kräftiger sind. Inzwischen, bitte ich, seien Sie unbesorgt. Sie sind unter Freunden und in guten Händen. Wie befinden Sie sich?«

»Etwas seltsam,« erwiderte ich, »aber ich glaube, ich bin ganz wohl. Wollen Sie mir sagen, wie ich dazu komme, Ihre Gastfreundschaft zu genießen? Was ist mir zugestoßen? Wie kam ich hierher? Ich war in meinem eigenen Hause, als ich einschlief.«

»Zu Erklärungen werden wir später Zeit genug haben,« erwiderte mein unbekannter Wirt mit einem beruhigenden Lächeln. »Es ist besser, aufregende Gespräche zu vermeiden, bis Sie sich etwas erholt haben werden. Thun Sie mir den Gefallen und nehmen Sie einen Schluck von dieser Medizin. Sie wird Ihnen gut thun. Ich bin Arzt.«

Ich stieß das Glas mit der Hand zurück und setzte mich auf meinem Lager aufrecht, jedoch mit Anstrengung; denn mir war sonderbar schwindlig zu Mute.

»Ich bestehe darauf, sofort zu erfahren, wo ich bin und was Sie mit mir gemacht haben,« sagte ich.

»Mein lieber Herr,« erwiderte mein Gefährte, »ich bitte Sie, regen Sie sich nicht auf. Es wäre mir lieber, wenn Sie nicht so bald Auskunft verlangten; aber, wenn Sie darauf bestehen, will ich es versuchen, Sie zufrieden zu stellen. Zuerst jedoch müssen Sie diesen Trank nehmen, der Sie etwas stärken wird.«

Ich trank, was er mir anbot. Dann sagte er: »Es ist nicht so einfach, wie Sie augenscheinlich meinen, Ihnen zu sagen, wie Sie hierher gekommen sind. Sie können mir eben so viel darüber erzählen, als ich Ihnen berichten kann. Sie sind soeben aus einem tiefen Schlaf oder vielmehr aus einem Starrkrampf erwacht. Soviel kann ich Ihnen mitteilen. Sie sagen, daß Sie in Ihrem eigenen Hause waren, als Sie in jenen Schlaf verfielen. Darf ich fragen, wann das war?«

»Wann?« erwiderte ich, »wann? Nun, gestern Abend, etwa um zehn Uhr. Ich gab meinem Diener Sawyer den Auftrag, mich um neun Uhr zu wecken. Was ist aus Sawyer geworden?«

»Das kann ich Ihnen nicht genau sagen,« erwiderte mein Gefährte, indem er mich dabei ganz merkwürdig ansah, »aber ich bin sicher, daß seine Abwesenheit genügend entschuldigt ist. Und können Sie mir nun nicht etwas bestimmter angeben, wann es war, als Sie in jenen Schlaf verfielen, ich meine das Datum.«

»Wie? gestern Abend natürlich, wie ich schon sagte, – das heißt, wenn ich nicht etwa gar einen ganzen Tag verschlafen habe. Himmel! das kann gar nicht sein; und doch habe ich ein seltsames Gefühl, als ob ich sehr lange geschlafen hätte. Es war am Dekorationstage, als ich schlafen ging.«

»Dekorationstag?«

»Ja, Montag den dreißigsten.«

»Verzeihung, welchen dreißigsten?«

»Nun, dieses Monats, wenn ich nicht etwa bis in den Juni hinein geschlafen habe; aber das kann doch nicht sein.«

»Wir befinden uns im September.«

»September! Sie wollen doch nicht etwa sagen, daß ich seit Mai geschlafen habe! Herr im Himmel! Das ist ja unglaublich!«

»Wir werden sehen,« erwiderte mein Gefährte. »Sie sagen, daß es am 30. Mai war, als Sie schlafen gingen?«

»Ja.«

»Darf ich fragen, in welchem Jahre?«

Ich starrte ihn einige Augenblicke sprachlos an.

»In welchem Jahre?« wiederholte ich endlich mit schwacher Stimme.

»Ja, in welchem Jahre, wenn ich bitten darf? Dann werde ich im stande sein, Ihnen zu sagen, wie lange Sie geschlafen haben.«

»Es war im Jahre 1887,« sagte ich. Mein Gefährte nötigte mir noch einen Schluck von der Flüssigkeit aus dem Glase auf und fühlte mir den Puls.

»Mein werter Herr,« sagte er, »Ihr Benehmen zeigt mir, daß Sie ein Mann von Bildung sind, – welche, wie ich weiß, zu Ihrer Zeit keineswegs etwas Selbstverständliches war, wie sie es jetzt ist. Sie werden deshalb ohne Zweifel schon selbst die Bemerkung gemacht haben, daß in dieser Welt eigentlich keine Sache wunderbarer genannt werden kann als irgend eine andere. Alle Erscheinungen haben gleicherweise ihre zureichenden Ursachen, und die Wirkungen sind gleicherweise natürlich. Daß Sie über das, was ich Ihnen zu sagen habe, staunen werden, ist zu erwarten; aber ich hege die Zuversicht, daß Sie sich dadurch Ihre Gemütsruhe nicht allzusehr stören lassen werden. Ihr Äußeres ist das eines jungen Mannes von kaum dreißig Jahren, und Ihr körperlicher Zustand scheint von dem einer Person, die soeben von einem etwas zu langen und tiefen Schlafe erwacht ist, nicht sehr verschieden zu sein; und doch ist heute der zehnte Tag des September in dem Jahre Zweitausend, und Sie haben genau einhundertunddreizehn Jahre, drei Monate und elf Tage geschlafen.«

Ich fühlte mich wie betäubt, trank auf meines Gefährten Zureden eine Tasse von einer Art Brühe, wurde unmittelbar darauf sehr schläfrig und verfiel von neuem in tiefen Schlummer.

Als ich erwachte, war es heller Tag im Zimmer, das, als ich zuvor erwacht war, künstliche Beleuchtung gehabt hatte. Mein geheimnisvoller Wirt saß in meiner Nähe. Er sah mich nicht an, als ich die Augen öffnete, und ich hatte eine gute Gelegenheit, ihn zu beobachten und meine ungewöhnliche Lage zu überdenken, bevor er bemerkte, daß ich wach sei. Mein Schwindel war ganz verschwunden und mein Geist vollkommen klar. Die Geschichte, daß ich einhundertunddreizehn Jahre lang geschlafen habe, welche ich in meinem früheren Zustande der Schwäche und Verwirrung ohne weiteres hingenommen hatte, fiel mir jetzt wieder ein, um sofort als ein alberner Versuch mich zu täuschen, verworfen zu werden, obgleich ich nicht im entferntesten im stande war, das Motiv desselben zu erraten.

Etwas Außerordentliches war sicherlich vorgefallen, denn ich war in einem fremden Hause bei diesem unbekannten Genossen erwacht; aber meine Einbildungskraft war völlig unvermögend, mehr als die wildesten Vermutungen zu hegen, was dieses Etwas wohl gewesen sein möge. Sollte ich das Opfer irgend einer Verschwörung geworden sein? Es hatte ganz den Anschein; und doch, wenn menschlichen Gesichtszügen jemals zu trauen war, so war es sicher, daß dieser Mann an meiner Seite mit einem so edlen und geistvollen Antlitz an keinem verbrecherischen Plane Anteil haben konnte. Dann stieß mir die Frage auf, ob ich nicht vielleicht die Zielscheibe eines Plumpen Scherzes meiner Freunde geworden sei, die irgendwie das Geheimnis meines unterirdischen Gemachs erfahren und dieses Mittel ergriffen hatten, mir die Gefahr solcher magnetischer Experimente eindringlich zu machen. Aber auch diese Hypothese war unwahrscheinlich: Sawyer würde mich nie verraten haben, auch hatte ich keinen einzigen Freund, dem ich ein solches Unternehmen zutrauen konnte. Nichtsdestoweniger schien die Annahme, daß ich das Opfer eines plumpen Scherzes sei, alles in allem die einzig haltbare zu sein. Indem ich so halb und halb erwartete, irgend ein bekanntes Gesicht lachend hinter einem Stuhle oder einer Gardine auftauchen zu sehen, blickte ich aufmerksam im Zimmer umher. Als meine Augen wieder auf meinen Gefährten fielen, war sein Blick auf mich gerichtet.

»Sie haben ein schönes Schläfchen von zwölf Stunden gehabt«, sagte er munter, »und ich kann sehen, daß es Ihnen recht gut bekommen ist. Sie sehen viel wohler aus. Ihre Gesichtsfarbe ist gut und Ihre Augen sind klar. Wie befinden Sie sich?«

»Ich habe mich nie wohler befunden,« sagte ich, indem ich mich aufrichtete.

»Sie erinnern sich ohne Zweifel Ihres ersten Erwachens,« fuhr er fort, »und Ihres Erstaunens, als ich Ihnen sagte, wie lange Sie geschlafen hätten!«

»Ich glaube, Sie sagten, ich hätte hundertunddreizehn Jahre lang geschlafen.«

»Ganz recht.«

»Sie werden zugeben,« sagte ich mit einem ironischen Lächeln, »daß die Geschichte etwas unwahrscheinlich war.«

»Merkwürdig ist sie, das gebe ich zu,« antwortete er, »aber wenn die nötigen Bedingungen gegeben sind, ist sie weder unwahrscheinlich, noch widerspricht sie dem, was wir über den Starrkrampf wissen. Wenn derselbe, wie in Ihrem Falle, ein vollständiger ist, so sind die Funktionen des Lebens absolut aufgehoben und es findet kein Verbrauch der Gewebe statt. Auch giebt es keine Grenze für die mögliche Dauer eines Starrkrampfes, wenn die äußeren Bedingungen den Körper vor Physischen Verletzungen schützen. Ihr Scheintod ist freilich der längste, von dem eine positive Nachricht vorhanden ist; aber es giebt keinen bekannten Grund, weshalb, wenn Sie nicht entdeckt worden wären und das Zimmer, in welchem wir Sie fanden, unversehrt geblieben wäre, Sie nicht noch zahllose Jahrhunderte in jenem Zustande unterbrochener Lebensthätigkeit hätten bleiben können, bis die allmähliche Erkaltung der Erde die Gewebe des Körpers zerstört und die Seele in Freiheit gesetzt hätte.«

Ich mußte zugestehen, daß, wenn ich wirklich das Opfer eines Scherzes war, die Urheber desselben einen Mann gefunden hatten, der es bewundernswert verstand, den Betrug durchzuführen. Die eindringliche und sogar beredte Weise dieses Mannes würde selbst der Behauptung, daß der Mond aus Käse bestehe, Würde verliehen haben. Das Lächeln, mit dem ich ihn angesehen hatte, als er die Hypothese des Starrkrampfes vorbrachte, schien ihn nicht im geringsten zu stören.

»Vielleicht,« sagte ich, »werden Sie so freundlich sein, fortzufahren und mir einige Einzelheiten zu erzählen hinsichtlich der Umstände, unter denen Sie dies Gemach, von dem Sie sprechen, und dessen Inhalt entdeckten. Ich höre gute Märchen gern.«

»In diesem Falle,« war seine ernste Antwort, »könnte kein Märchen so seltsam sein, wie die Wahrheit es ist. Sie müssen wissen, daß ich es schon seit langen Jahren vorhatte, in dem großen Garten neben diesem Hause ein Laboratorium für chemische Versuche zu bauen, für die ich eine Vorliebe habe. Vergangenen Donnerstag begannen wir endlich, den Keller auszugraben. Am Abend waren wir damit fertig, und am Freitag sollten die Maurer kommen. Donnerstag Nacht hatten wir einen furchtbaren Regen, so daß ich am Freitag Morgen meinen Keller in einen Froschteich verwandelt und die Wände abgespült fand. Meine Tochter, die mit mir gekommen war, um das Unheil zu betrachten, machte mich auf ein Stück Mauerwerk aufmerksam, welches durch die Abspülung der einen Kellerwand bloßgelegt worden war. Ich scharrte ein wenig mehr von der Erde fort, und da es ein großes Stück zu sein schien, beschloß ich, es näher zu untersuchen. Die Arbeiter, welche ich holen ließ, gruben ein rechteckiges Gewölbe aus, welches etwa acht Fuß unter der Oberfläche der Erde in die Ecke von Etwas hineingebaut war, was augenscheinlich das Fundament eines alten Hauses gewesen war. Eine Aschen- und Kohlenschicht aus dem Dache des Gewölbes bewies, daß das Haus durch Feuer zerstört worden sei. Das Gewölbe selbst war wohl erhalten und der Cement so gut wie neu. Es hatte eine Thür, welche jedoch nicht erbrochen werden konnte, und wir schafften uns Zutritt, indem wir einige Quadersteine der Bedachung aushoben. Die Luft, welche ausströmte, war dumpf, aber rein, trocken und nicht kalt. Ich stieg mit einer Laterne hinab und befand mich in einem Schlafzimmer, ausgestattet im Stile des neunzehnten Jahrhunderts. Auf dem Bette lag ein junger Mann. Daß er tot sei, und ein Jahrhundert lang bereits tot gewesen sein müsse, war natürlich als selbstverständlich anzunehmen; aber der auffallend wohlerhaltene Zustand des Körpers setzte sowohl mich als meine Kollegen, die ich hatte rufen lassen, in Verwunderung. Daß die Einbalsamierungskunst je so vollkommen gewesen sei, würden wir nicht geglaubt haben; aber hier schien der bündige Beweis vorzuliegen, daß unsere nächsten Vorfahren in ihrem Besitz gewesen sein mußten. Meine medizinischen Kollegen, deren Wißbegierde auf das Höchste erregt war, wollten sogleich einige Experimente beginnen, um die Natur des angewandten Verfahren kennen zu lernen; aber ich hielt sie zurück. Mein Motiv dabei, wenigstens das einzige Motiv, von dem ich jetzt zu sprechen brauche, war die Erinnerung, daß ich einst irgendwo gelesen, bis zu welchem Umfange Ihre Zeitgenossen sich mit dem tierischen Magnetismus beschäftigt hätten. Mir kam der Gedanke, es sei doch vielleicht möglich, daß Sie in einem Zustande des Starrkrampfs sich befänden und das Geheimnis Ihrer körperlichen Unversehrtheit nach so langer Zeit nicht die Einbalsamierungskunst, sondern das Leben sei. Diese Idee erschien mir selbst so phantastisch, daß ich mich nicht durch Erwähnung derselben dem Spotte meiner Kollegen aussetzen wollte, sondern irgend einen anderen Grund für die Aufschiebung ihrer Experimente anführte. Kaum jedoch hatten sie mich verlassen, als ich einen systematischen Wiederbelebungsversuch begann, dessen Erfolg Ihnen bekannt ist.«

Wäre das Thema noch unglaublicher gewesen, so hatte doch die Umständlichkeit dieser Erzählung sowohl als die eindringliche Weise und die Persönlichkeit des Erzählers einen Zuhörer stutzig machen können, und ein sonderbares Gefühl fing an mich zu durchschauern. Da erblickte ich zufällig, als er seine Erzählung schloß, mein Bild in einem Spiegel, der an der Wand hing. Ich stand auf und ging darauf zu. Das Gesicht, welches ich sah, war auf ein Haar dasselbe und nicht einen Tag älter als das, welches mich am Dekorationstage angeblickt hatte, als ich mir meine Halsbinde umband, ehe ich Edith meinen Besuch abstattete, – und seitdem waren, wie dieser Herr mir weismachen wollte, hundertunddreizehn Jahre vergangen. Dadurch trat der kolossale Charakter des Betruges, dessen Opfer ich war, aufs neue vor meinen Geist. Zorn ergriff mich, als ich mir die unerhörte Freiheit, die man sich mit mir genommen hatte, vergegenwärtigte.

»Sie sind wahrscheinlich erstaunt,« sagte mein Gefährte, »zu sehen, daß, obgleich Sie hundert Jahre älter sind als zur Zeit, da Sie sich in Ihrem unterirdischen Gemach zur Ruhe begaben, Ihr Aussehen sich nicht verändert hat. Das sollte Sie nicht in Verwunderung setzen. Gerade dadurch, daß die Lebensfunktionen total außer Kraft gesetzt worden sind, haben Sie diese große Zeitperiode überlebt. Wenn Ihr Körper während Ihres Starrkrampfes nur der geringsten Veränderung unterworfen gewesen wäre, so wäre er längst der Auflösung anheimgefallen.«

»Mein Herr,« erwiderte ich, mich zu ihm wendend, »was Ihr Motiv sein mag, mir mit ernster Miene dieses merkwürdige Märchen zu erzählen, bin ich vollständig außer stande zu ahnen; aber Sie sind sicherlich selbst zu einsichtsvoll, als daß Sie glauben könnten, irgend jemand, der nicht blödsinnig ist, könnte sich dadurch täuschen lassen. Ersparen Sie mir das weitere Abhören solch ausgeklügelter Ungereimtheiten, und sagen Sie mir ein für allemal, ob Sie sich weigern, mir eine vernünftige Erklärung zu geben, wo ich bin und wie ich hierher gekommen. Wenn Sie es nicht thun, so werde ich mich selbst darüber vergewissern, und ich werde mich nicht hindern lassen.«

»Sie glauben mir also nicht, daß wir das Jahr 2000 schreiben?«

»Halten Sie es wirklich für nötig, mich das zu fragen?« entgegnete ich.

»Nun denn,« erwiderte mein seltsamer Wirt, »da ich Sie nicht überzeugen kann, so sollen Sie sich selbst überzeugen. Sind Sie stark genug, mir einige Stiegen hoch zu folgen?«

»Ich bin so stark, wie ich jemals war,« entgegnete ich ärgerlich, »und ich werde es vielleicht zu beweisen haben, wenn dieser Scherz noch viel länger andauern sollte.«

»Ich bitte Sie, mein Herr,« war meines Gefährten Antwort, »geben Sie sich nicht zu sehr der Ansicht hin, daß Sie das Opfer eines Scherzes sind, auf daß nicht der Rückschlag, wenn Sie sich von der Wahrheit meiner Aussagen überzeugt haben, zu überwältigend werden möge.«

Der teilnehmende, ja mitleidsvolle Ton, in welchem er dies sagte, und die vollständige Abwesenheit jedes Zeichens von Unwillen über meine heftigen Worte entmutigten mich seltsam, und ich folgte ihm aus dem Zimmer mit merkwürdig gemischten Gefühlen. Er führte mich zwei Stiegen hinauf und dann noch eine kürzere Treppe, welche uns auf das flache Dach des Hauses brachte, das mit einem Geländer umgeben war.

»Sehen Sie sich gefälligst um,« sagte er, als wir oben angelangt waren, »und sagen Sie mir, ob dies das Boston des neunzehnten Jahrhunderts ist.«

Zu meinen Füßen lag eine große Stadt. Kilometerlange, breite Straßen, von Bäumen beschattet und mit prächtigen Gebäuden eingefaßt, dehnten sich nach allen Richtungen aus. Die Häuser waren meistens nicht in ununterbrochener Linie gebaut, sondern standen einzeln in größeren oder kleineren Umfriedigungen. Jedes Stadtviertel enthielt weite, offene Plätze, besetzt mit Bäumen, aus denen Statuen und Springbrunnen in der späten Abendsonne hervorleuchteten. Öffentliche Gebäude von kolossalem Umfange und einer architektonischen Großartigkeit, wie sie zu meiner Zeit nicht bekannt war, ragten auf jeder Seite mit ihren stolzen Pfeilern empor.

Sicherlich, diese Stadt hatte ich nie gesehen, und keine ihr zu vergleichende. Ich richtete mein Auge endlich auf den Horizont und blickte nach Westen. Jenes blaue Band da, das sich gegen den Sonnenuntergang hinschlängelte, war es nicht der windungsreiche Charlesfluß? Ich blickte nach Osten. Der Hafen von Boston dehnte sich vor mir aus, von seinen Landzungen umschlossen, und nicht eins seiner grünen Inselchen fehlte.

Nun wußte ich, daß man mir die Wahrheit gesagt und jenes wunderbare Geschick mich wirklich betroffen hatte.


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