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Der Gnom.

 

I

Die Dorfmädchen kehrten, ihre Krüge auf dem Kopfe tragend, von der Quelle zurück. Singend und lachend, mit einem Lärm und Getöse, das nur mit dem munteren Getriebe der Schwalben, wenn sie um die Wetterfahne des Glockenturmes dicht herumflattern, verglichen werden kann.

Im Schatten der Kirche, neben einem Wachholderbusch sitzend, weilte Onkel Gregorio. Onkel Gregorio war der älteste unter den Dorfbewohnern; er mochte ungefähr neunzig Jahre zählen und hatte schlohweißes Haar, lächelte aber immer mit frischen Augen, wenn seine Hände auch zitterten. In seiner Kindheit war er Hirt gewesen; als Jüngling ging er unter die Soldaten, dann machte er eine unbedeutende Erbschaft von einem Verwandten, bis er schließlich die Kräfte schwinden fühlte und nun ruhig den Tod erwartete, vor dem er keine Furcht hatte, den er aber auch nicht ersehnte. Niemand wußte einen Scherz gefälliger vorzutragen als er, noch konnte jemand wunderlichere Geschichten erzählen, auch verstand kaum einer zur richtigen Zeit einen passenden Witz, oder einen Denkspruch oder ein Sprichwort besser anzubringen, als der Onkel Gregorio.

Als die Mädchen ihn sahen, beschleunigten sie ihre Schritte, um mit ihm zu plaudern und kaum bei ihm angekommen, begannen sie alle auf einmal zu bitten, er möge ihnen eine Geschichte erzählen, um ihnen die Zeit zu vertreiben, die zum Einbruch der Nacht fehlte, denn die Sonne stand noch ziemlich hoch und die Schatten der Berge waren noch nicht gewachsen.

Der Onkel Gregorio hörte lächelnd auf die bittenden Mädchen, die, einmal im Besitze eines Versprechens, sich rings um ihn setzten und so einen Kreis bildeten, dessen Mittelpunkt der Alte war.

»Ich werde euch keine Geschichte erzählen, obwohl ich mich just einer solchen erinnere, die aber so ernste Dinge betrifft, daß ihr, die ihr solche Plappermäuler seid, nicht aufmerksam genug zuhören möchtet. Auch gelüstet es mich nicht, wegen des herannahenden Abends, euch zu erzählen, aber ich werde euch einen Rat geben.«

»Einen Rat!« riefen die Mädchen, sichtlich in schlechter Laune, »bah! Um einen Rat zu hören, sitzen wir nicht hier, wenn uns ein Rat nötig ist, so gehen wir zum Herrn Pfarrer!«

»Hm ja,« sagte der Alte mit seinem gewöhnlichen Lächeln und der gebrochenen und zittrigen Stimme, »der Herr Pfarrer könnte euch vielleicht in dieser Sache keinen so passenden Rat geben, als wie der Onkel Gregorio, weil er mit seinen Gebeten und Litaneien beschäftigt keine so gute Gelegenheit haben wird, wie ich, der ich euch tagtäglich in der ausgelassensten Stimmung um Wasser zum Quell gehen und sehr spät zurückkommen sehe!« –

Die Mädchen blickten einander mit einem unmerklichen Lächeln voll Spott an und einige von ihnen, die hinter ihm standen, berührten die Stirn mit dem Zeigefinger, indem sie diese Bewegung mit einer bezeichnenden Gebärde begleiteten.

»Und was findest du Böses darin, wenn wir dort ein Stündchen mit den Freundinnen und Nachbarinnen schwatzen?« sagte eine. »Oder wird vielleicht darüber geklatscht, daß die Burschen dorthin kommen, um uns Blumen anzubieten, oder um unsere Krüge bis zum Dorf zu tragen?«

»Von all dem spricht man,« – bestätigte der Alte dem Mädchen, das im Namen der Gefährtinnen das Wort ergriffen hatte, »die alten Weiber im Dorf meinen, daß die Mädchen dorthin gehen, nur um zu liebeln und Unfug zu treiben, mit der Ausrede, sie müßten von dort Wasser holen, weil es besser wäre, als jedes andere. Mir kommt es bedenklich vor, daß ihr nach und nach die Scheu verliert, die der Ort, wo die Quelle ist, allen einflößt, dieweil euch etwas zustoßen könnte, sobald euch dort die Nacht überrascht.«

Der Onkel Gregorio sagte die letzten Worte mit einem so geheimnisvollen Ton, daß die Mädchen erstaunt die Augen aufrissen und ihn mit einer Mischung von Neugier und Spott aufs neue um die Erzählung bettelten.

»Die Nacht! Nun, was geschieht denn dort in der Nacht, daß du so bedenklich dreinschaust und uns bang machst, als könnte uns dort etwas zustoßen? Am Ende werden uns gar die Wölfe fressen!«

»Solange der Moncayo sich mit Schnee bedeckt, fallen die Wölfe gierig in die Schafherden und mehr als einmal heulen sie in gräßlicher Weise nicht bloß in der Umgebung des Quells, sondern selbst in den Dorfgassen, aber nicht die Wölfe sind die schrecklichsten Kostgänger des Moncayo. In seinen tiefsten Schlünden, auf seinen einsamen und steilen Graten, in seinem weiten Schoße leben teuflische Geister, die sich in der Nacht auf seinen Abhängen wie ein Bienenschwarm tummeln und die Räume bevölkern und in den Talgründen wimmeln und von Fels zu Fels springen, in den Wassern spielen oder zwischen den entlaubten Zweigen der Bäume huschen. Sie sind es, die da in den Spalten der Felsen heulen, die jene ungeheuren Schneemassen formen und herniederwälzen, die, fortrollend, größer und ungeschlachter werden, je länger sie sich bewegen. Sie sind es, die in nächtlichen Regenschauern unsere Fenster peitschen und wie blaue und rote Flammen über die Fläche der Sümpfe hintanzen.

Diese Geister, die allgemach durch die Beschwörungsformeln der Kirche von den Ebenen verscheucht wurden, und sich in die unzugänglichsten Höhlen der Berge zurückgezogen haben, sind von verschiedener Wesensart und erscheinen unseren Augen in den mannigfaltigsten Gestalten. Die einen sind sehr händelsüchtig, obwohl sie sich mit süßen Worten in das Herz der Jugend einzuschmeicheln suchen und sie mit großen Versprechungen verblenden, sie heißen Gnomen; die Gnomen leben im Innern der Berge, sie kennen die unterirdischen Wege und bewachen Tag und Nacht die Erzadern und kostbaren Gesteine; sie verwahren alle Schätze der Erde und haben dafür zu sorgen, daß sich niemand ihrer bemächtige. Seht ihr dort?« und der Alte wies mit seinem Stecken auf den Gipfel des Moncayo, der sich vor ihnen düster und riesenhaft aufreckte und vom schwärzlichblauen Abendhimmel mächtig abhob – »seht ihr jene ungeheure Masse noch immer vom Schnee gekrönt? Nun in ihrem Innern hausen diese teuflischen Geister. Der Palast, den sie bewohnen, ist furchtbar und prachtvoll zu gleicher Zeit.

Es war vor vielen Jahren als ein Hirt, einem verirrten Tiere folgend, in eine von jenen Höhlen trat, deren Eingang dichtes Gestrüpp verdeckt. Als er zurückkehrte, war er bleich, wie der Tod: Er hatte das Geheimnis der Gnomen entdeckt, die von ihnen vergiftete Luft eingeatmet und bezahlte seine Verwegenheit mit dem Leben. Aber bevor er starb, erzählte er ungeheuerliche Dinge.

Durch eine Höhle schreitend, sah er sich zuletzt in einem unterirdischen und unabsehbaren Säulengang, erleuchtet von einem unsicher schwankenden und phantastischen Schimmer, der vom Leuchten der Felsen durch große Kristalle in tausend wunderlichen Gestalten hervorgebracht wurde. Der Estrich, die Deckenwölbung und die Wände der entfernten Hallen waren jaspisfarben gesprenkelt, wie kostbare Marmelsteine, aber die Adern, die sie durchkreuzten, waren eitel Gold und Silber und zwischen anderen Adern blitzten Brillanten und eine Menge von anderem Edelgestein in allen Farben und Größen, gleichsam in die Felswände eingesprengt. Dort lagen Hyazinthen und Smaragde bunt durcheinander und Demanten und Rubine und Saphire und was weiß ich – viele andere unbekannte Schmucksteine, die er nicht zu benennen wußte. Und alle waren so groß und so schön, daß ihm beim Betrachten die Augen übergingen. Kein Laut von außen drang in die Tiefe der phantastischen Höhle, nur von Zeit zu Zeit vernahm er das gedehnte und klägliche Seufzen des Windes, der durch das entzückende Wirrsal hinstrich, dann ein fernes verworrenes Gebrause des unterirdischen Feuers und das Gemurmel der Gießbäche, die ins Unbekannte vorüberrauschten.

Der Hirt, einsam und verloren in jener Unermeßlichkeit, schritt, ich weiß nicht, wie viele Stunden, ohne an die Rückkehr zu denken, bis er zuletzt auf den Ursprung der Quelle stieß, deren Murmeln er gehört hatte. Diese quoll aus dem Erdboden hervor, wie ein schöner Springbrunnen, mit einem hohen schaumgekrönten Wasserstrahl, der durch sein prächtiges Herabfallen ein klangvolles Plätschern erzeugte und sodann zwischen den Schründen der Felsen dahinglitt. Ringsum wuchsen noch nie gesehene Pflanzen teils mit breiten und dicken Blättern, teils mit zarten und leichten, die wie flatternde Bänder anzusehen waren. Halb verborgen unter dem feuchten Laubwerk liefen wunderseltsame Geschöpfe einher, zum Teil Menschen, zum Teil Echsen, oder beides zu gleicher Zeit, weil sie sich fortwährend verwandelten; bald waren es menschliche Wesen, ungestalt und klein, bald leuchtende Salamander oder flüchtige Flammen, die im Kreise auf dem Gipfel des Wasserstrahls tanzten. Nach allen Richtungen sich hin- und herbewegend liefen sie über den Estrich in Gestalt von häßlichen und buckligen Zwergen, erkletterten geifernd die Wände und kamen in Gestalt von Echsen zurück oder tänzelten scheinbar als müde Flammenzungen über das Wasser. Das waren die Gnomen, die Herren dieses Palastes, die ihre Reichtümer zählten und ordneten.

Sie wissen, wo die Geizhälse ihre Schätze verwahren, die alsdann die Erben umsonst suchen, sie kennen die Orte, wo die Mauren, als sie entflohen, ihre Juwelen verbargen und die Geräte, die verloren gehen, die Münzen, die nicht wiedergefunden werden, kurz, alles, was irgend einen Wert hat und verschwindet, nehmen sie an sich, um es in ihren Schlupfwinkeln zu verstecken, dieweil sie unterirdisch auf versteckten und unbekannten Pfaden die ganze Welt durchwandern können. In ihrem Palaste haben sie alle Arten von seltenen und kostbaren Dingen auf einen Haufen geschichtet. Sie besitzen Kleinode von unschätzbarem Wert: Halsketten und Armbänder aus Perlen und kostbaren Steinen, Gefäße aus Gold in uralter Form, voll Rubinen, Kelche in getriebener Arbeit, prächtig ausgelegte Waffen, Münzen mit Brustbildern und unentzifferbaren Umschriften, kurz Reichtümer so fabelhaft und unermeßlich, daß man sich davon nur mit Mühe eine Vorstellung machen kann.

Und all das warf gleichzeitig Funken von Farben und so lebendigen Widerschein, daß alles zu brennen und zu wogen schien. Wenigstens berichtete der Hirt, daß es ihm so vorkam.« – Hier hielt der Alte einen Augenblick inne: Die Mädchen, die der Erzählung des Onkels Gregorio anfänglich mit spöttischem Lächeln zugehört hatten, schwiegen mit erstaunt aufgerissenen Augen, leicht geöffneten Lippen und Neugier im Gesicht, in der Erwartung, daß er fortfahren werde; endlich unterbrach eine von ihnen die Stille und nicht länger an sich haltend, entflammt von der Beschreibung der fabelhaften Reichtümer, die der Hirt gesehen hatte, frug sie:

»Und wie, hat sich nichts zugetragen?« –

»Nichts,« bestätigte der Onkel Gregorio.

»Wie dumm!« schrieen alle im Chor.

»Der Himmel stand ihm bei in jener entsetzlichen Stunde!« sagte der Alte, »nämlich, im Augenblick, als die Habsucht, der alles unterworfen ist, seine Furcht zu zerstreuen begann und er, verblendet durch jene Geschmeide, von denen ihm eines hinreichend erschien, um ihn reich zu machen, daran ging, sich einiger zu bemächtigen, – so sagte er – habe er – denkt euch das Wunder! – klar und deutlich in jenen Tiefen und trotz des Gelächters und der Stimmen der Gnomen, sowie des Brausens im unterirdischen Feuerherde, des Lärms der Sturzbäche und des Stöhnen des Windes – habe er, sage ich, – das Läuten der Glocke gehört, die in der Einsiedelei zu unserer lieben Frau von Moncayo hängt, so deutlich gehört, wie wenn er am Fuße der Anhöhe, in deren Innern er sich befand, stände.

Als er die Glocke hörte, die das Ave Maria läutete, fiel der Hirt auf die Kniee und rief die Mutter unseres Herrn Jesus Christus an und ohne zu wissen, wie, fand er sich außerhalb der Höhle und auf dem Wege liegend, der zur Ortschaft führt, und befangen von einer großen Betäubung, als wäre er aus schwerem Traum erwacht.

Schon damals wunderte sich die ganze Welt darüber, daß unsere Quelle in ihren Wassern bisweilen etwas wie ein sehr feines Goldpulver mir sich führt und kurz darauf hörte man in einer Nacht im Geräusch, das das Rauschen des Wassers erzeugt, verworrene Worte, womit die dort hausenden Gnomen die unvorsichtigen Zuhörer zu verführen suchen, indem sie ihnen Reichtümer und Schätze versprechen, womit die Leichtsinnigen die ewige Verdammnis erkaufen.«

Als der Onkel Gregorio seine Erzählung beendet hatte, war schon die Nacht angebrochen und die Glocke der Kirche begann zum Ave Maria zu läuten. Die Mädchen bekreuzten sich ehrfürchtig, dabei den Englischen Gruß mit leiser Stimme murmelnd und verabschiedeten sich vom Erzähler, der ihnen noch den Rat gab, sie möchten sich in Zukunft vor der Quelle hüten. Ihre Kannen schwenkend, gingen die Mädchen schweigend den Weg ins Dorf und als sie schon fern vom Onkel Gregorio waren, sprach eine von ihnen: »Glaubt ihr etwas von den Albernheiten, die uns der Onkel Gregorio erzählt hat?«

»Ich nicht!« antwortete eine.

»Ich auch nicht,« rief eine andere.

»Ich auch nicht! Ich auch nicht!« wiederholten die übrigen und lachten spöttisch auf.

Dann zerstreute sich die Gruppe der Plappermäuler und eilte nach Hause. Nur zwei Mädchen blieben zurück, die einzigen, die in das Lachen über den guten Onkel Gregorio nicht eingestimmt hatten und die mit ihren Gedanken in die wunderbare Erzählung ganz versunken, jetzt zerstreut durch die dunklen und krummen Dorfgäßchen wanderten.

Die größere der beiden, die zwanzig Jahre zählen mochte, hieß Martha und ihre außerordentlich zarte Gefährtin, die kaum sechzehn Jahre vollendet hatte, Magdalena.

Während sie ihres Weges gingen, bewahrten beide ein tiefes Schweigen und erst, als sie sich ihrem Wohnhause näherten und die Kannen auf die steinerne Bank vor der Tür stellten, sagte Martha zu Magdalena: »Und glaubst du an die Wunder des Moncayo und an die Geister des Quells?«

»Ja,« erwiderte Magdalena einfach, »ich glaube alles; zweifelst du vielleicht?«

»O nein,« beeilte sich Martha zu antworten, »auch ich glaube alles, alles – was ich zu glauben wünsche!«

 

II

Martha und Magdalena waren Schwestern. Kurz nach ihrer Geburt verwaist, lebten sie schlecht und recht bei einer Verwandten ihrer Mutter, die sie aus Mitleid aufgenommen hatte und sie jederzeit mit Lästerworten und demütigenden Vorwürfen die erwiesene Wohltat fühlen ließ. Alles trug dazu bei, um das Band der Liebe zwischen den beiden schwesterlichen Seelen enger zu knüpfen, nicht bloß die Fesseln des Bluts, sondern auch ihr Elend und ihre Trübsale. Und trotzdem bestand zwischen Martha und Magdalena eine dumpfe Eifersucht, eine geheime Abneigung, die bloß durch das Studium ihrer Charaktere erklärt werden konnte, die einander genau so entgegengesetzt waren, wie ihr Äußeres.

Martha war hochgewachsen, leidenschaftlich in ihren Neigungen und von einer wilden Plumpheit, was den Ausdruck ihrer Gemütsbewegungen betrifft. Sie konnte weder lachen noch weinen und hatte auch noch nie geweint oder gelacht. Magdalena hingegen war klein, zärtlich, gutherzig und weinte und lachte bei jeder Gelegenheit urplötzlich, gleich einem Kinde.

Martha hatte Augen, so schwarz wie die Nacht und zwischen ihren dunklen Augenwimpern sprangen ab und zu Feuerfunken hervor, wie aus einer brennenden Kohle. Magdalenas blaue Augen strahlten innerhalb der goldblonden Wimpern gleichwie in einer Flut von Licht.

Und alles an ihnen stimmte mit dem jeweiligen Ausdruck ihrer Augen überein. Martha, mager, blaß, schlank, mit eckigen Bewegungen, krausem, schwarzem Haar, das ihre Stirn verschattete und auf ihre Schultern fiel, wie ein Mantel aus Sammt, bildete einen eigentümlichen Gegensatz zu Magdalena. Diese war weiß, rosig, klein, im Gesichtsausdruck wie in ihren Formen kindlich, mit blonden Flechten, die ihre Schläfen umrahmten, wie der goldige Heiligenschein über dem Haupte eines Engels.

Trotz der unerklärlichen Abneigung, die sie gegeneinander hegten, hatten die beiden Schwestern bis dahin in einer Art von Gleichgültigkeit miteinander gelebt, die man für Friedfertigkeit und Liebe hätte halten können. Sie hatten niemanden gehabt, um den sie einander beneiden und um dessen Liebe sie hätten wetteifern können. Obwohl einander gleich an Mißgeschick und Leid, war die Art, wie sie es trugen, doch grundverschieden, während Martha sich in tiefes, selbstsüchtiges Schweigen verschloß, weinte Magdalena, als sie die Hartherzigkeit der Schwester fühlte, mutterseelenallein, sobald ihr die Tränen unwillkürlich in die Augen stiegen. Sie hatten keine einzige Empfindung miteinander gemein. Niemals vertrauten sie einander ihre Freuden und Leiden an und trotzdem hatten sie das einzige Geheimnis, das sie im tiefsten Herzen zu verhehlen trachteten, gegenseitig mit Hilfe jenes wunderbaren Instinktes entdeckt, den ein verliebtes und eifersüchtiges Weib besitzt.

Martha und Magdalena hatten ihre Augen tatsächlich auf ein und denselben Mann geworfen. Die Leidenschaft der einen war eine heftige Begier, das Kind eines unbändigen und willensstarken Charakters, bei der anderen zeigte sich die Liebe als jene vage und unmittelbare Jugendzärtlichkeit, die einen Gegenstand haben muß, mit dem sie sich beschäftigt und sich dem zuerst zuwendet, das sich ihren Blicken bietet. Beide wahrten das Geheimnis ihrer Liebe, weil der Mann, der sie in ihnen erweckt hatte, vielleicht über die Liebe gespottet hätte, die er bei solchen niedrig geborenen und armseligen Mädchen als ein aberwitziges Streben auslegen konnte. Trotz des Abstandes, der sie von dem Gegenstande ihrer Leidenschaft trennte, nährten sie dennoch eine schwache Hoffnung, in seinem Besitz zu kommen. In der Nähe des Dorfes auf einem Hügel, der die Umgebung beherrschte, stand eine alte, von ihrem Herrn verlassene Burg. Die alten Frauen erzählten während der Spinn-Nächte eine Wundermäre von den Begründern dieses Baues. Wie der König von Aragon, dessen Hilfsmittel zur Neige gingen, im Kriege mit seinen Feinden, von seinen Anhängern bereits verlassen wurde und nahe daran war, den Thron zu verlieren, und wie eines Tages ein Hirtenmädchen aus jener Gegend vor ihm erschien und ihm das Dasein eines unterirdischen Ganges verriet, durch den er den Moncayo, ohne von seinen Feinden bemerkt zu werden, erreichte. Dort fand er einen Schatz prächtiger Perlen, außerordentlich kostbarer Edelsteine und Barren Goldes und Silbers, mittels deren er seine Geharnischten beschenkte und ein mächtiges Heer auf die Beine brachte. Auf unterirdischen Wegen während einer ganzen Nacht marschierend, stürzte er sich am andern Morgen auf die nichts ahnenden Widersacher und zermalmte sie und befestigte so die Krone auf seinem Haupte. Als er den glorreichen Sieg erfochten hatte, sagte er zum Hirtenmädchen: »Bitte mich um was du willst, ich schwöre dir, ich werde es dir allsogleich geben, und wäre dies auch die Hälfte meines Reiches!«

»Ich verlange nicht mehr, als nach Hause zu gehen, um meine Herde zu hüten!« entgegnete das Mädchen. »Du wirst sie nicht hüten außerhalb meiner Grenzen,« entgegnete der König und er schenkte ihr das Gebiet und befahl eine Veste, ganz nahe bei Castilla zu erbauen, wohin das Hirtenmädchen übersiedelte, vermählt mit einem Günstling des Königs, einem vornehmen, stattlichen, mutigen Herrn, der gleichzeitig viele Burgen und Lehensgüter besaß.

Die höchst erstaunliche Erzählung des Onkels Gregorio von den Gnomen des Moncayo, deren Geheimnis in der Quelle des Dorfes verborgen sein sollte, erregte aufs neue die aberwitzigen Phantasien der beiden verliebten Schwestern, indem dadurch die uralte Schatzgeschichte von der Hirtin gewissermaßen vervollständigt wurde. Die Erinnerung an jene Reichtümer beunruhigte sie mehr als einmal in ihren schlaflosen und sorgenvollen Nächten, ihrer Phantasie einen schwachen Hoffnungsstrahl vorspiegelnd.

Während der Nacht nach Onkel Gregorios Erzählung plauderten alle Dorfmädchen in ihren Behausungen von der erstaunlichen Geschichte, die sie gehört hatten. Nur Martha und Magdalena bewahrten ein tiefes Schweigen und tauschten miteinander weder in jener Nacht noch auch während des folgenden Tages ein einziges Wort über diese Sache, den Gesprächsgegenstand der Nachbarinnen.

Als die gewohnte Stunde gekommen war, nahm Magdalena ihre Kanne und sagte zu ihrer Schwester: »Gehen wir zum Brunnen?« – Martha antwortete nicht, und Magdalena frug abermals: »Gehen wir zum Quell? Wenn wir uns nicht beeilen, wird uns die Nacht überraschen.« – Martha rief endlich mit kurzem scharfen Ton: »Ich mag heute nicht gehen.« – »Ich auch nicht,« sagte Magdalena nach einem Augenblick Stillschweigens, während sie ihre Schwester fest ansah, als wolle sie in deren Augen den Grund solch eines Entschlusses lesen.

 

III

Die Dorfmädchen waren bereits seit einer Stunde vom Quell zurückgekehrt. Der letzte Schein der Dämmerung hatte sich vom Horizont verloren und das Dunkel der Nacht begann immer dichter zu werden, als Martha und Magdalena, heimlich auf verschiedenen Wegen fortschleichend, durch die Ortschaft zur geheimnisvollen Quelle huschten.

Der Brunnen quoll in einer Pappelpflanzung, zwischen bemoosten Felsklippen versteckt, hervor. Nachdem das Geräusch des Tages allmählich verstummt war und sich nichts mehr vernehmen ließ, als die fernen Stimmen der Ackerknechte, die auf ihren Gespannen reitend und zum Geklirr des auf der Erde nachgeschleppten Pfluges singend, heimkehrten, als nur mehr das einförmige Klingeln der Herdenglocken, vermengt mit dem Rufen der Hirten und dem Bellen der Hunde, welche das Vieh zusammentrieben, zu hören war und der letzte Ton des Abendläutens verhallte, herrschte jene zwiefache Erhabenheit des Nachtschweigens und der Einsamkeit, voll seltsamen leisen Raunens, das nun erst bemerkbar wird.

Martha und Magdalena glitten durch die Wirrnis des Gesträuchs und gelangten, von der Dunkelheit begünstigt, ohne einander zu bemerken, schließlich zu den Pappeln. Martha kannte keine Furcht und ihre Schritte waren fest und sicher. Magdalena zitterte schon vor dem Geräusch, das ihr Fuß bei der Berührung mit den dürren Blättern des Bodens verursachte. Als die beiden Schwestern nahe beim Brunnen angelangt waren, begann der Nachtwind die Wipfel der Pappeln zu bewegen und das Wasser des Quells schien seinem Säuseln mit einem gleichmäßigen und ähnlichen Rauschen zu antworten.

Martha und Magdalena lauschten den Tönen, die zu ihren Füßen beständig murmelten und über ihren Häuptern klagten, jetzt dahinschwindend, jetzt wieder zurückkehrend, ins Gezweige wachsend und anschwellend. Mit dem Verrinnen der Stunden nahm die vom immerwährenden Gesang des Windes und des Wassers erzeugte seltsame Erregung zu, vergleichbar einer Art von Schwindel, welcher das Auge verwirrend und im Gehör brausend, alles zu verwandeln schien. Sie glaubten in jenem unbestimmbaren Geräusch und undeutlichen Tönen, ähnlich denen eines Kindes, das nach seiner Mutter rufen will und nicht rufen kann, Worte zu vernehmen, wie man solche im Traume fern und verworren sprechen hört, Worte, die sich immer in gleicher Weise wiederholen. Dann waren es unzusammenhängende und durcheinandergeworfene Redewendungen ohne Sinn und zuletzt ... zuletzt ... begann der durch die Bäume streichende Wind und das von Klippe zu Klippe springende Wasser zu reden.

Und sie redeten also:

Das Wasser.

»O Weib! ... O Weib! ... höre mich! ... Höre mich! ... Nähere dich, um mich zu vernehmen, auf daß ich küsse deinen Fuß, während ich bebe, dein Bild am dunklen Grund meiner Wellen zu spiegeln! O Weib! ... höre mich, sinnvoll ist mein Gemurmel!«

Der Wind:

»O Kind! ... Liebreizendes Kind! Erhebe dein Haupt, laß mich küssen in Frieden deine Stirn, während ich tändle in deinen Locken. Liebreizendes Kind! ... Lausche mir, denn ich weiß auch zu erzählen und ich will dir zärtliche Worte ins Ohr murmeln!«

Martha:

»O! Erzähle, erzähle! Ich werde dich verstehen, denn meine Seele taumelt im Schwindel, gleichwie deine unbestimmten Worte mich umtaumeln!

Erzähle du wundersamer Bronnen!«

Magdalena:

»Ich fürchte mich. O Nachtwind voller Düfte, kühle mir die brennende Stirn! Sprich zu mir, daß mich Mut erfülle, weil mein Geist schon zu wanken beginnt.«

Das Wasser:

»Ich habe durchwandert den finsteren Schoß der Erde, ich habe erlauscht das Geheimnis ihrer wundersamen Fruchtbarkeit, ich kenne die Erscheinungen ihres Innern, wo die künftigen Schöpfungen keimen.

Mein Raunen schläfert ein und ermuntert – ermuntert dich, wenn du es begreifst.«

Der Wind:

»Ich bin die Luft, die die Engel bewegen mit ihren ungeheuren Schwingen, um zu durchsegeln den Weltraum. Ich hause im Westen, in den Wolken, die der Sonne ein Lager aus Purpur bereiten und ich gieße beim Anbruch des Tages mit den Dünsten, die sich in Tropfen verwandeln, eine Flut von Perlen über die Blumen. Meine Seufzer sind Balsam, öffne dein Herz und ich will es erfüllen mit Seligkeit!«

Martha:

»Als ich zum ersten Male das Gemurmel einer unterirdischen Quelle vernahm, neigte ich mich umsonst zur Erde, um zu lauschen. Es raunte darin ein Geheimnis, das ich nun endlich verstehen kann.«

Magdalena:

»O Seufzer des Windes, wohl kenne ich euch. Ihr habt mich geliebkost, wenn ich schlief, ermüdet vom Weinen, ihr führtet mich im Traume in die Kindheit und euer Gelispel ward zu den Worten der Mutter, die ihr Kind einwiegt.«

 

Das Wasser verstummte für einige Augenblicke und nichts tönte, außer den Wellen, die zwischen den Felsen hindurchbrachen. Der Wind schwieg gleichfalls und sein Geräusch war nichts anderes als das Geräusch bewegter Blätter. So verging einige Zeit und dann begannen sie abermals zu sprechen und redeten also:

Das Wasser:

»Wenn ich Tropfen um Tropfen durchgesickert bin mitten durch eine Ader von Gold des unerschöpflichen Stollens, wenn ich durchlaufen ein Bett von Silber und, gleichwie über Kiesel über eine Unzahl von Saphiren und Amethysten gehüpft bin, zuweilen mühselig kriechend durch Blöcke von Diamanten und Rubinen, habe ich mich einem Geiste zugesellt, reich durch seine Macht und den verborgenen Zauber der kostbaren Steine und Metalle, deren kleinste Teilchen dein Verlangen sättigen könnten. Ich besitze die Kraft einer Zauberformel, die Macht eines Talismans und die Wünschelrute der sieben Steine und der sieben Farben.«

Der Wind:

»Ich streiche durch die Ebene und wie die Biene, die zu ihrem Stocke zurückkehrt, an den Füßen duftige Honigstäubchen, trage ich die Seufzer des Weibes, die Bitten der Kinder, die Worte der keuschen Liebe und die Düfte der Narden und Waldlilien! Ich habe auf meinem Wege nichts als Düfte und Echos von Harmoniken eingeheimst, meine Schätze sind unkörperlich, aber sie geben Frieden der Seele und eine ziellose Seligkeit wunderbarer Träume.

 

Während Martha wie von einer Verzückung befangen, sich über den Rand der Quelle beugte, um besser zu lauschen, entfernte sich Magdalena unbewußt von den Felsklippen, zwischen denen der Quell dahinfloß.

Die eine der beiden heftete ihre Augen auf den Grund des Wassers, die andere auf die Himmelshöhe.

Und Magdalena rief, die leuchtenden Gestirne im nächtlichen Azur betrachtend: »Das sind die Heiligenscheine der unsichtbaren Engel, die uns beschirmen!«

Zu gleicher Zeit rief Martha, den zitternden Widerschein der Sterne im Schoß der Quelle betrachtend: »Das sind die Goldteilchen, die das Wasser in seinem geheimnisvollen Laufe an sich reißt!«

Und der Bronnen und der Wind, die für ein Weilchen verstummt waren, begannen zu reden und sagten:

Das Wasser:

»Folge meinem Laufe, wirf weg die Furcht, gleichwie ein grobes Gewand und wage, die Quellen des Unbekannten zu überschreiten. Ich habe erkundet, daß dein Geist von der Art der höheren Geister ist. Der Neid wird dich oftmals aus dem Himmel schleudern, um dich in den Kot zurückzuwerfen, deßungeachtet sehe ich auf deiner düsteren Stirn das Siegel des Stolzes, das dich unser würdig macht: der starken und freien Geister. ...

Komm, ich will dich Zauberformeln lehren von solcher Gewalt, daß sich die Felsen öffnen werden und dich beschenken mit den Diamanten, die sie in ihrem Schoße tragen, gleichwie Perlen in der Muschel, welche die Fischer vom Meeresgrunde heraufholen. Komm! Ich werde dir Schätze schenken, damit du glücklich seiest und dereinst, wenn der Kerker zerbrochen sein wird, der dich umschließt, wird dein Geist ähnlich werden dem unsern, die Geister von Sterblichen sind und miteinander in eins verschmolzen, werden wir die bewegende Kraft sehen, den Lebensnerv der Schöpfung, der, ein lebendiger Strom, ihre unterirdischen Adern durchzuckt!«

Der Wind:

»Das Wasser gleitet über die Erde und lebt im Schlamm! Ich durcheile die Regionen des Äthers und fliege im grenzenlosen Weltraum. Folge den Empfindungen deines Herzens, lasse deine Seele wie eine Flamme und wie bläuliche Rauchwölkchen sich erheben. Unglücklich ist der, der Schwingen sein eigen nennt und sich erheben könnte zur Höhe, um Liebe und Glück zu finden und der doch in die Tiefen hinabsteigt, um nach dem Golde zu suchen. Lebe verborgen, wie das Veilchen, daß ich dir in meinem Kuß den belebenden Hauch der Blumen, deiner Schwestern bringe und die Nebel zerstreue, damit nicht der Sonnenstrahl fehle, deinen Frohsinn zu durchleuchten.

Lebe verborgen, lebe unbekannt, wenn sodann dein Geist sich von den Banden befreit, werde ich ihn auf rotem Gewölk in die Lande des Lichtes tragen!«

 

Der Wind und das Wasser schwieg und es erschien der Gnom. Der Gnom war wie ein durchsichtiges Männchen zu schaun: eine Art Lichtzwerg, ähnlich einer ermatteten Flamme, er lachte aus vollem Halse, aber ohne Laut und sprang von Fels zu Fels und verursachte Schwindel mit seiner taumelnden Beweglichkeit. Bald tauchte er ins Wasser und lief darin fort, es wie ein Edelstein mit tausend Farben beleuchtend, bald sprang er auf den Wasserspiegel und schlenkerte mit den Händen und Füßen und legte den Kopf jetzt auf diese, jetzt auf jene Seite mit einer wunderbaren Schnelligkeit.

Martha sah den Gnom und folgte mit verlorenen Blicken all seinen wunderlichen Gebärden und als sich der höllische Geist zuletzt in die unwegsamen Klüfte des Moncayo stürzte, wie eine tanzende Flamme, aus seinen Haaren Feuerfunken schüttelnd, übermannte sie eine unwiderstehliche magnetische Kraft, so daß sie ihm mit aberwitziger Hurtigkeit folgte.

»Magdalena!« rief hier der Wind, der sich zu entfernen begann, und Magdalena ging Schritt für Schritt, wie eine Schlafwandlerin, die in ihrem Traume von einer freundlichen Stimme geleitet wird, ihm nach, während er seufzend über die Ebene hinstrich.

Dann versank alles um die Quelle abermals in Schweigen und Finsternis, und Wind und Wasser raunten und rauschten wie vorher.

 

IV

Magdalena kehrte bleich und voll Entsetzen ins Dorf zurück. Vergebens harrte sie die ganze Nacht hindurch auf Martha.

Am Abend des nächsten Tages fanden die Mädchen des Dorfes einen zertrümmerten Krug auf dem Rande des Quells in den Pappeln. Es war Marthas Krug, von der man niemals wieder gehört hat. Seit jener Zeit gehen die Mädchen so zeitig um Wasser, daß sie mit der Sonne aufstehen.

Einige sagen, daß mehr als einmal zur Nachtzeit Marthas Weinen gehört wurde, die der Geist lebendig im Quell gefangen hält. Ob diesem Gerüchte Glauben geschenkt werden darf, ist zweifelhaft; die Wahrheit ist, daß seit jener Zeit niemand nach dem Abendläuten beim Quell in den Pappeln gewesen ist.


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