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Das Verlöbnis.

I

Margarita weinte, ihr Antlitz in den Händen vergrabend. Sie weinte, ohne zu schluchzen, aber die Zähren glitten stromweise über ihre Wangen und fielen, zwischen ihren Fingern hervorquellend, zur Erde nieder, zu der sie ihr Köpfchen beugte.

An Gretchens Seite stand Pedro, der ab und zu auf sie blickte, und, wenn er sah, wie sie weinte, die Augen wieder senkte, selbst in tiefem Schweigen verharrend.

Und alles ringsum war still und schien ihren Schmerz zu begreifen. Das Leben in der Landschaft war verstummt; der Abendwind schlief ein und Schatten begannen die dichten Bäume des Wäldchens zu umspinnen.

So verrannen einige Minuten, während welcher jede Spur des Lichtes verwischt wurde, das die sterbende Sonne am Horizont hinterlassen hatte. Der Mond stieg allgemach aus dem Halbdunkel heraus auf dem violenfarbenen Abendhimmel und die Sterne funkelten nacheinander auf.

Endlich unterbrach Pedro das peinigende Schweigen, indem er mit dumpfer und gedämpfter Stimme, als ob er mit sich selbst spräche, ausrief:

»Es ist unmöglich ... ganz unmöglich!« – Dann an die Trostlose herantretend, faßte er sie bei den Händen und sprach voll Liebe: »Gretchen, dir bedeutet die Liebe alles und du siehst nichts über die Liebe hinaus! Trotzdem gibt es etwas gerade so Ernstes, als unsere Liebe, und das ist meine Pflicht. Unser Gebieter, der Graf von Gómara, zieht morgen früh aus seiner Burg, um seinen Heerbann mit dem des Königs Don Fernando zu vereinigen, der gegen Sevilla, den Hauptsitz der Ungläubigen, zu rücken plant, und ich muß mit dem Grafen von dannen ziehen.

Als arme namen- und elternlose Waise, danke ich ihm allein, daß ich geworden, was ich bin. Ich habe ihm gedient in den müßigen Stunden des Friedens, ich schlief unter seinem Dache, ich wärmte mich an seinem Herde und ich aß das Brot seines Tisches. Verlasse ich ihn jetzt, werden morgen seine Waffenknechte, wenn sie aus dem Burgtor herausreiten, erstaunt fragen, da sie mich nicht gewahren: – Wo ist der Waffenträger, der Liebling des Grafen von Gómara?

Und mein Herr wird vor Scham gar nicht antworten, und seine Pagen und Hansnarren werden spottend sprechen: – Der Waffenträger des Grafen ist nichts mehr, als ein artiges Herrchen, das nur in Höflichkeiten eine gute Klinge schlägt.« –

Bei diesen Worten erhob Gretchen die tränenschweren Augen, heftete sie auf ihren Liebhaber und bewegte die Lippen, als ob sie etwas erwidern wollte, aber ihre Stimme ward durch ein Schluchzen erstickt.

Pedro fuhr zärtlich mit überzeugendem Tone fort:

»Weine nicht, Gretchen! Um Gottes willen, weine nicht, deine Tränen machen mich traurig. Ich gehe von dir, aber ich kehre wieder zurück, sobald ich meinem unbekannten Namen etwas Ruhm erworben habe!

Der Himmel wird uns beistehn in diesem heiligen Unternehmen. Wir erstürmen Sevilla und der König wird den Eroberern Lehnsgüter am Ufer des Quadalquivir geben. Dann kehre ich zurück, um dich aufzusuchen und dann gehen wir selbzweit in jenes arabische Paradies, wo – wie sie sagen, – der Himmel viel feuriger und blauer ist, als der über Kastilien!

Ich kehre wieder, ich schwöre es dir! Ich werde zurückkehren, um das Wort einzulösen, mit dem ich mich dir feierlich verlobt habe, an jenem Tage, wo ich diesen Ring als Zeichen des Verlöbnisses an deinen Finger steckte!«

»Pedro!« rief da Gretchen, ihre Bewegung mit entschlossener und fester Stimme überwältigend, »sieh ... sieh zu, daß du dein Wort einlösest! ...« Und warf sich zum letzten Male in die Arme ihres Geliebten.

Dann setzte sie mit trauriger und bewegter Stimme hinzu:

»Sieh zu, daß du deine Ehre rettest, und kehre zurück ... kehre zurück, um mir die meine wiederzubringen!«

Pedro küßte Gretchens Stirn, band sein Pferd los, das an einem Baume angekoppelt stand, und ritt im Galopp durch den Waldschlag von dannen.

Gretchen folgte ihm, mit den Blicken, bis sein Schatten mit dem Nachthimmel zusammenfloß; und als sie nichts mehr unterscheiden konnte, ging sie langsam nach Hause, wo sie von ihren Brüdern erwartet wurde.

»Lege dein Sonntagsgewand an,« sagte einer von ihnen, »wir gehen morgen früh mit den Nachbarn nach Gómara, um den Grafen zu sehen, der nach Andalusien zieht.«

»Ich fühle mehr Betrübnis, als Freude, die zu sehen, die vielleicht nie mehr zurückkehren werden,« erwiderte Gretchen seufzend.

»Aber dennoch,« meinte der andere Bruder, »mußt du mit uns gehen und mußt ruhig und froh sein, dann werden die klatschhaften Leute nicht sagen können, daß du eine Liebschaft in der Burg hast und dein Liebster in den Krieg zieht« ...

 

II

Kaum blitzte der erste Morgenstrahl am Himmel auf, als schon durch die Umgebung von Gómara der durchdringende Drommetenschall des gräflichen Heerbanns zu vernehmen war, und die Landleute, die sich in zahlreichen Haufen aus den benachbarten Ortschaften zusammengefunden hatten, sahen das Banner des gräflichen Hauses auf dem höchsten Schloßturme im Winde flattern.

Die einen am Rande der Gräben sitzend, die andern hoch oben in den Baumzweigen stehend, die in der Ebene harrend, jene die Gipfel der Anhöhen besetzt haltend und andere wieder weit rückwärts eine Kette längs der Heerstraße bildend, – so warteten die Neugierigen fast eine Stunde lang auf das Schauspiel, und manche von ihnen begannen bereits ungeduldig zu werden, als von neuem Drommetenschall ertönte, die Ketten der Zugbrücke zu rollen begannen und diese langsam über den Graben fiel. Dann wurden die Schutzgatter emporgezogen, während die schweren Tore der Burg, in den Angeln stöhnend, sich öffneten.

Die Volksmenge rottete sich am Burgwege zusammen, um mit Begier die glitzernden Rüstungen und das prächtige Geschirr des Heerbanns zu sehen, der dem Rufe des im ganzen Gau durch seinen Prunk und Reichtum berühmten Grafen von Gómara gefolgt war.

Den Zug eröffneten Wappenherolde, die von Zeit zu Zeit anhielten und unter Trommelklang mit weitschallender Stimme den Sendbrief des Königs vorlasen, der die Vasallen in den Krieg gegen die Mauren rief und die Städte, so wie die Freisassen zu jeder billigen Unterstützung und Zuzug gegen die Feinde des Glaubens aufforderte.

Den gräflichen Herolden folgten die Herolde des Königs, stolz auf ihre Seidengewande, auf ihre Schilde mit goldenem und farbigem Rande und auf ihre mit wehenden Federn geschmückten Barette.

Darauf kam auf einem Schimmelhengste der erste Schildträger der Burg, bewehrt mit einer Lanze, hinter ihm auf schwarzem Fohlen ein Ritter, der die Heerfahne des Feudalherrn mit seinen Devisen und Wappenbildern in der Hand trug, und an dessen linker Seite der Gerichtsherr der Grafschaft in schwarz-rotem Talar.

Ihnen folgten etwa zwanzig jener trefflichen Drommetenbläser aus den Niederungen, die in den Chroniken unserer Könige infolge der unglaublichen Kraft ihrer Lungen berühmt geworden sind.

Als deren durchdringend-scharfe Töne verklungen waren, hörte man ein dumpfes, abgemessenes und einförmiges Dröhnen. Es rührte von einer Abteilung geharnischten Fußvolks her, mit langen Wurfspießen und Lederschilden bewaffnet. Nach ihnen kamen die Maschinenbauer mit ihren Werkzeugen und Holztürmen zur Belagerung der Vesten, dann ein Trupp Kletterer mir Sturmleitern, und verschiedene Leute aus der Dienerschaft, denen die Aufsicht über den Marstall des Grafen anvertraut war.

Hierauf, verhüllt in eine Staubwolke, welche die Hufe ihrer Pferde aufwirbelten, und Lichtfunken aus ihren Eisenhemden sprühend, ritten die Wappner der Burg in dichten Rotten gereiht, die von weitem einem Walde von Lanzen glichen.

Endlich näherten sich die Paukenschläger, auf starken Maultieren mit Schabracken und Federbüschen sitzend, hinter denen, umringt von einer Menge reich in Seide und Gold gekleideter Pagen und begleitet von seinen Schildknappen, der Graf ritt.

Als ihn das Volk erblickte, brach es in grüßende Jubelrufe aus, und in diesem verworrenen Stimmengetöse verklang ungehört der Aufschrei eines Weibes, das eben bewußtlos und wie vom Blitz getroffen, in die Arme der nächsten Umgebung fiel.

Es war Gretchen, ... Gretchen, die in ihrem geheimnisvollen Liebhaber ... einen sehr vornehmen, sehr gefürchteten Herrn erkannte ... den Grafen von Gómara, einen der edelstgeborenen und mächtigsten Bannerherrn der kastilischen Krone.

 

III

Das Heer des Königs Don Fernando war nach seinem Ausmarsch aus Cordova – nicht ohne Kampf – durch Ecija, Carmona und Alcalá del Río de Guadaira, wo es mit einem Male die berühmte Veste erstürmte, gedrungen und sah nun die Hauptstadt der Ungläubigen vor sich.

Der Graf de Gómara saß in seinem Zelte auf einem Ebenholzsessel, regungslos, blaß, unbehaglich anzusehen, die Hände über dem Schwertgriff gekreuzt und im Antlitz eine Versonnenheit, so daß es schien, als blicke er auf einen Gegenstand, der in Wirklichkeit nicht da war.

An seiner Seite stand einer von den ältesten Schildträgern seines Hauses, der einzige, der in solchen düsteren Stunden sich erkühnen durfte, seinen Herrn zu stören, ohne daß ein Zornausbruch über sein Haupt gekommen wäre, und sprach:

»Was fehlt Euch, Herr? Welch ein Gram quält Euch und frißt an Eurem Innern? Traurig geht Ihr in die Schlacht und traurig kehrt Ihr zurück, obgleich Ihr als Sieger kommt, wenn alle Krieger schlafen, niedergerungen von den Mühsalen des Tages, höre ich Euch in Ängsten seufzen; und komme ich an Euer Lager, sehe ich Euch mit etwas Unsichtbarem kämpfen, das Euch quält. Ihr öffnet die Augen und Euer Entsetzen schwindet nicht! ... Was ist Euch widerfahren, Herr? Sagt es mir! ... Wenn es ein Geheimnis ist, will ich es in der Tiefe meines Gedächtnisses, wie in einem Grabe bewahren!«

Der Graf schien den Knappen nicht zu hören; aber doch, nach einer langen Pause, und als brauchten die Worte so viel Zeit, bevor sie ihm durch sein Gehör zum Bewußtsein kämen, wachte er langsam aus seiner Starrheit auf; er zog den Knappen liebreich an sich und sprach mit leiser, gedrückter Stimme:

»Ich habe schweigend über die Maßen gelitten. Ich glaubte, es sei ein leeres Phantasiespiel, bis zu dieser Stunde schwieg ich aus Scham! Doch nein, nein! Es ist kein Gesicht, was mir begegnet!

Irgend ein furchtbarer Fluch lastet auf mir! Der Himmel oder die Hölle fordern etwas von mir und zeigen dies durch übernatürliche Dinge an!

Denkst du jenes Tages, an dem wir mir den Mauren aus Nebrija im Olivengarten von Triana zusammenstießen? Es waren unser nur wenige! Das Treffen war heiß und ich dem Tode nahe – du sahst es. Im hitzigsten Augenblick wurde mein Pferd verwundet und von blinder Wut gejagt, stürzte es wild in die dichten Massen des Maurenheeres. Umsonst bemühte ich mich, es anzuhalten; die Zügel fielen aus meiner Hand und das feurige Tier flog dahin, mich dem sicheren Tode entgegentragend.

Schon schlossen die Mauren ihre Reihen und stemmten die eisenbeschlagenen Schäfte ihrer langen Sperre wider die Erde, um mich aufzuspießen; eine Wolke von Pfeilen zischte um mein Ohr, das Pferd befand sich schon in der Entfernung einiger Schritte von der eisernen Mauer, auf die wir losstürmten, um daran zu zerschellen, als da, ... glaube mir, es war kein Gesicht ... als ich eine Hand erblickte, die mein Roß beim Zügel erfaßte und mit übernatürlicher Gewalt anhielt, es in der Richtung meiner Scharen wendete und mich so durch ein Wunder rettete.

Umsonst frug ich die einen und die andern nach meinem Retter, niemand kannte ihn, niemand sah ihn!«

»Als Ihr fortstürztet, um Euch auf die Lanzenmauer zu werfen, wart Ihr allein, ganz allein, deshalb waren wir ja so sehr verwundert, da wir sahen, daß Ihr das Pferd gewendet, denn wir wußten, es gehorche seinem Reiter nicht mehr.«

»In jener Nacht trat ich in Gedanken versunken in mein Zelt; ich bemühte mich vergebens, die Erinnerung an diese seltsame Begebenheit aus dem Sinn zu schlagen; aber als ich mich auf das Lager streckte, sah ich dieselbe Hand, eine schöne, weiße, totenhaft weiße Hand, welche die Vorhänge meines Lagers zurückschlug und danach entschwand.

Seit jener Zeit, zu allen Stunden, uns allenthalben sehe ich diese geheimnisvolle Hand, die mich beschützt und bei allem zugegen ist. ... Ich erblickte sie, als ich das Kastell von Triana eroberte, wie sie mit ihren Fingern den Pfeil auffing und zerbrach, der gegen mich flog, um mich zu verwunden. Ich sah sie bei den Banketten, wo sie sich bemühte, meine Pein im Lärm zu lindern, und ich weiß, daß sie Wein in meinen Becher gegossen hat, und immerdar schwebt sie vor meinen Augen, und wohin ich auch den Fuß lenke, immerdar folgt sie mir: in mein Zelt, in die Schlacht, Tags und Nachts ... selbst jetzt ... sieh, sieh, wie sie sich sanft auf meine Schulter legt.«

Mit diesen Worten richtete sich der Graf auf und machte außer sich einige Schritte, wie von einer tiefen, entsetzlichen Furcht ergriffen.

Der Schildknappe wischte sich die Tränen ab, die ihm über seine sonnenverbrannten Wangen glitten. Im Glauben, sein Gebieter sei wahnsinnig, bemühte er sich nicht mehr, ihm die Gedanken auszureden, und begnügte sich, mit tiefbewegter Stimme zu sagen:

»Kommt ... gehen wir eine Weile aus dem Zelte, vielleicht erfrischt die Abendluft Eure Sinne und besänftigt diesen unbezwingbaren Schmerz, für den ich kein Wort des Trostes finde.«

 

IV

Das christliche Heer breitete sich über die ganze Ebene von der Guadaira bis zum linken Ufer des Guadalquivir aus. Dem Heere gegenüber und sich vom strahlenden Horizont scharf abhebend türmten sich die Mauern von Sevilla, über und über mit mächtigen zinnengekrönten Türmen gedeckt.

Oben darauf, gleich wie ein Kranz all dieser Zinnen, stieg das Grün von tausend Gärten empor, und zwischen dem Dunkel des Laubwerks leuchteten schneeig-weiß Aussichtsplätze, Minarette der Moscheen und hohe Warttürme, auf deren luftiger Brüstung die Strahlen des Sonnenlichts gleißten und sich auf vier ungeheuren goldenen Kugeln brachen, die aus der Ebene, wo die Christen lagerten, wie vier Flammen anzusehen waren.

Die Kunde vom Feldzuge Don Fernandos, der zu den heldenhaftesten und kühnsten jener Zeit gehört, war blitzgleich auf der ganzen Halbinsel zu den berühmtesten Kämpen der verschiedenen Königreiche gedrungen, ja, es fehlten nicht einmal solche, die aus fremden und fernen Landen kamen, angelockt vom Ruhm, sich mit der Macht des heiligen Königs zu vereinigen.

Auf der ganzen Niederung verbreitet sah man Kriegszelte aller Formen und Farben, auf deren Spitzen eine Menge von Bannern im Winde wallte, mit verschiedenartigen Wappenzeichen, Sternen, Greifen, Löwen, Ketten, Pfählen, Pauken und tausend und abertausend heraldischen Figuren und Sinnbildern, die der Welt den Ruhm, den Namen und den Adel ihrer Herren verkündeten.

Zwischen den Gassen dieser improvisierten Stadt wimmelte es stets und nach allen Richtungen hin von Kriegsleuten, die in den verschiedensten Mundarten redend und nach der Sitte ihrer Heimat gekleidet, ja, sogar nach ihrer eigenen Art bewaffnet, sonderliche und malerische Gegensätze bildeten.

Hier ruhten ein paar Herren auf Ebenholz-Bänken am Eingang ihrer Zelte von den Mühen der Schlacht aus und unterhielten sich mit Brettspiel, während ihnen die Pagen die Becher aus blinkendem Metall mit perlendem Rebenblut füllten. Dort benützten einige Soldknechte die freie Zeit, um ihre im letzten Scharmützel verbogenen Waffen instand zu setzen. ... Und anderswo schossen die geschicktesten Bogenschützen des Heeres nach der Scheibe, unter dem Jubelgeschrei des über ihre Kunst staunenden Volkes. Und der Lärm der Heerpauken, der Drommetenschall, das Geschrei der umhergehenden Krämer, die Schläge des Eisens auf das Eisen, die Lieder der Spaßmacher, die ihre Zuhörer durch die Schilderung von wundersamen Begebenheiten unterhielten, und die Stimmen der Herolde, welche die Befehle der Feldherren verkündeten, – all das erfüllte die Luft mit tausend und abertausend mißtönenden Klängen und bot auf diesem Tummelplatz kriegerischer Gebräuche ein Leben und eine Bewegung, wie sie mit Worten nicht geschildert werden kann.

Der Graf von Gómara, begleitet von seinem treuen Schildknappen, erging sich zwischen der munteren Menge, ohne die zur Erde gehefteten Augen zu erheben, schweigend, trübsinnig, als gäbe es keinen Gegenstand, der ihm ins Auge fallen würde, und als berühre auch nicht der schwächste Ton sein Ohr. Er schritt mechanisch dahin, wie ein Mondsüchtiger, dessen Geist in der Welt der Träume herumtaumelt, indes er selbst sich bewegt und geht, ohne sich seiner Handlungen bewußt zu sein, wie von einem Willen fortgezogen, der seinem eigenen widerspricht.

Unweit des königlichen Zeltes, mitten im Kreise von Soldaten, Pagen und allerhand niederem Volke, das mit aufgesperrten Mäulern zuhörte, stand ein wunderlicher Mensch, bemüht, etwas von den Kleinigkeiten, die er laut ausschrie und mit übertriebenem Lobe anpries, zu verkaufen. Halb Krämer, halb Spaßmacher, der bald eine Art von Litanei in barbarischem Latein hersagte, bald einen Spaß oder lächerlichen Unsinn hinwarf und dabei in ununterbrochener Aufzählung Witze, die selbst einen Armbrustschützen schamrot gemacht hätten, mit frommen Stoßgebeten und mutwillige Liebesgeschichten mit Heiligenlegenden durcheinandermischte.

In dem mächtigen, auf seinen Schultern hängenden Ranzen waren zerworfen und untereinandergemengt tausend verschiedene Gegenstände: Gürtel, mit denen man das Grab des heiligen Jago von Compostella berührt hatte; Zettel mit Worten, von denen er sagte, sie seien hebräisch und zwar dieselben, die dereinst König Salomon gesprochen habe, als er den Grundstein zum Tempel legte, und welche allein die Macht hätten, vor allen ansteckenden Krankheiten zu bewahren; Zauberbalsam zum Zusammenkleben der mittendurch zerhauenen Menschen; Evangeliarien, in brokatene Deckel gebunden; geheime Anweisungen, wie man die Liebe sämtlicher Weiber der Welt erlangen könne; Reliquien der heiligen Patrone von allen Ortschaften Spaniens; Kleinode, Kettchen, Schwertanhängsel, Medaillen und viele und verschiedene andere Kleinigkeiten aus nachgeahmtem Gold, aus Glas und aus Blei.

Als der Graf zu dem Haufen trat, den der Krämer und seine Bewunderer bildeten, begann dieser eine Art von Mandoline oder arabischer Laute zu stimmen, mit der er beim Vortrag seine Romanzen begleitete.

Nachdem er gehörig die Saiten eine nach der anderen und mit gar gewichtiger Miene gestimmt hatte, begann er, indes sein Genosse umherging, um die letzten Überbleibsel aus seinem allgemach leicht gewordenen Ranzen den Zuschauern anzuhängen, näselnd mit eintöniger und trauriger Stimme eine Romanze zu singen, die immer mit dem gleichen Rundreim endigte.

Der Graf trat näher hinzu und lauschte.

Durch irgend einen besonderen, dem Anschein nach merkwürdigen Zufall entsprach Titel und Inhalt jener Geschichte ganz und gar den traurigen Gedanken, die seinen Geist beschwerten.

Wie der Sänger, bevor er anfing, verkündete, führte seine Romanze den Titel:

Die Romanze von der toten Hand‹.

Als der Schildknappe des Grafen den seltsamen Titel hörte, bemühte er sich, seinen Herrn anderswohin zu führen; aber der Graf, die Augen fest auf das Antlitz des Sängers geheftet, blieb regungslos stehen und lauschte diesem Liede:

Daß er ein Knappe sei, – die Süße,
Sie glaubte ihm im Liebeswahn,
Er sagte ihr, sein Graf, er rufe
Ihn eilends auf den Fehdeplan.

– Du gehst, und nimmer kehrst du wieder! –
– Ich kehr zurück, ich schwör's, o Maid! –
In des Gelübdes Stunde seufzte
Der Wind tiefauf voll Traurigkeit:
– O wehe, wehe, wer den Schwüren
Des Mannes glaubt zur Minnezeit! –

Und morgens trabt mit seinem Heerbann
Der Graf zum Burgtor stolz herfür.
Und sie erkennt – der Graf ist's selber!
Und schluchzt in Tränen: Wehe mir!

– O wehe mir, er zeucht zu Felde,
Mit meiner Ehr ins Schlachtfeld weit! –
Und in des Jammers Stunde seufzte
Der Wind tiefauf voll Traurigkeit:
– O wehe, wehe, wer den Schwüren
Des Mannes glaubt zur Minnezeit! –

Ihr Bruder stand bei ihr und sagte,
Als er sie stöhnen, schluchzen hört':
– Du hast geschändet unsern Namen! –
– Er schwur mir, daß er wiederkehrt!

– Doch trifft er nie mit dir zusammen,
Der mächtige Graf im Zobelkleid! –
Und in des Todes Stunde seufzte
Der Wind tiefauf voll Traurigkeit:
– O wehe, wehe, wer den Schwüren
Des Mannes glaubt zur Minnezeit! –

Sie trugen sie im Tann zu Grabe,
Wo Friede waltet, hoch und hehr,
Doch ihre Hand, die zarte, weiße,
Sie blieb im Boden nimmermehr.

Die weiße Hand, darauf er steckte
Das Ringlein, treuer Lieb geweiht.
Und nachts und tags allimmer seufzet
Der Wind dort voller Traurigkeit:
– O wehe, wehe, wer den Schwüren
Des Mannes glaubt zur Minnezeit! –

Kaum hatte der Sänger die letzte Strophe beendet, durchbrach der Graf den Kreis der Neugierigen, die sofort, als sie ihn erkannten, ehrfurchtsvoll auseinandertraten, und sprang auf den fahrenden Krämer zu, faßte ihn bei der Schulter und frug mit tiefer, bebender Stimme:

»Woher bist du?«

»Aus Soria,« entgegnete dieser ruhig.

»Und wo hast du diese Romanze gelernt? Auf wen bezieht sich die Geschichte, von der du singst?« rief der Graf mit den Anzeichen immer größerer und tieferer Bewegung.

»Herr,« gab der fahrende Sänger zur Antwort, indem er seine Augen mit kühner Offenheit in die des Grafen bohrte, – »dieses Lied singen die Landleute in der Ebene von Gómara, und es bezieht sich auf eine unglückliche Maid, die von einem edelgeborenen Herrn entehrt wurde. Der allmächtige Wille Gottes hat bestimmt, daß, als man sie begraben hatte, ihre Hand aus dem Grabe hervorkam und trotz allem außerhalb verbleibt; die Hand, worauf ihr Geliebter einen Ring zum Zeichen des Verlöbnisses gesteckt hatte! – vielleicht werdet Ihr wissen, wen die Erfüllung des Verlöbnisses angeht.«

 

V

In einem unscheinbaren Örtchen, das an der Seite des nach Gómara führenden Weges liegt, war noch lange jener Platz zu sehen, wo eine seltsame, ungewöhnliche Zeremonie abgehalten wurde, – die Trauung des mächtigen Grafen von Gómara.

Als dieser, auf den niedrigen Hügel hinknieend, Margaretes Hand in die seine nahm, und der Geistliche, mit Erlaubnis des Papstes die traurige Verbindung segnete, da – so erzählt man, – geschah ein Wunder, und die tote Hand zog sich in die Erde zurück auf immerdar.

Am Fuße alter, Jahrhunderte zählender, riesenhafter Bäume ist ein kleines Rasenfleckchen, das stets, wenn der Lenz wiederkehrt, sich zuerst vor allen mit Blüten bedeckt.

Das Volk in jener Ortschaft erzählt sich, dort sei das unglückliche Gretchen begraben.


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