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Ein Kuß.

I

Als zu Anfang dieses Jahrhunderts das französische Heer sich des altberühmten Toledo bemächtigte, suchten die Befehlshaber, da sie sehr gut die Gefahren kannten, denen sie in den Ortschaften Spaniens ausgesetzt waren, zumal infolge der von einander abliegenden Quartierungen, vor allem die größten und stärksten Gebäude der Stadt zu ihren Standorten aus.

Nachdem der prunkvolle Alkazar Karls V. schon besetzt war, nahm man das Rathaus in Beschlag, und als endlich auch dieses keinen Menschen mehr zu fassen vermochte, drangen sie in die Asyle der frommen Orden und verwandelten gottgeweihte Stätten in Pferdeställe.

So weit war es schon gekommen, als zu später Nachtstunde etwa hundert Dragoner, dicht eingehüllt in ihre dunklen Mäntel, durch die einsamen, verlassenen Gassen trabten, die von der Puerta del Sol gegen den Zocodover führen.

Das Geklirr ihrer Waffen, das lärmende Stampfen der Pferde hallte durch die nächtliche Stille, und Funken sprühten aus dem Pflaster unter den eisenbeschlagenen Hufen hervor. ...

Hundert Dragoner, von der Art der hochgewachsenen, unerschrockenen und bärenhaften Männer, von denen stets mit Bewunderung unsere Großväter erzählten, trabten durch die Stadt. – –

Ihr Kommandant, ein noch junger Offizier, ritt an die dreißig Schritte vor seinen Leuten, in halblautes Gespräch mit einem Menschen vertieft, der seiner Gewandung nach ebenfalls Soldat zu sein schien. Dieser, eine Laterne in der Hand tragend und zu Fuß an der Seite des Anführers einherschreitend, schien die Rolle eines Führers im Wirrsal der düsteren, krummen und sich kreuzenden Straßen übernommen zu haben.

»Mein Wort!« sagte der Reiter, »wenn das Kantonnement, das uns erwartet, so beschaffen ist, wie du es mir schilderst, wäre es fast besser, uns irgendwo im freien Felde oder mitten auf dem Marktplatze zu lagern!«

»Was wollen Sie, Herr Kapitän?« entgegnete der Führer, der in Wirklichkeit Sergeant und Quartiermeister war. »Was wollen Sie? In den Alkazar geht auch nicht einmal ein Weizenkorn hinein, von einem Menschen ganz zu schweigen! San Juan de los Reyes dürfen wir gar nicht in Betracht ziehen, dort lagern in einer Mönchszelle ganze fünfzehn Husaren. Das Kloster, in das ich Sie führe, ist übrigens nicht so übel. Aber vor drei oder vier Tagen kam, wie vom Himmel gefallen, eine jener fliegenden Kolonnen, wie sie die Provinzen durchkreuzen, und wir müssen Gott danken, daß sie sich in den Kreuzgängen zusammengepfercht und die Kirche leer gelassen hat!«

»Nun denn – –« rief der Offizier nach kurzem Schweigen und als nähme er mit Resignation die wunderliche Wohnung an, die ihm der Zufall anbot – – – »besser ein unbequemes Quartier, als gar keines. Auf alle Fälle sind wir, wenn es regnet, was nicht unmöglich scheint, da sich die Wolken zusammenballen, wenigstens unter Dach und Fach, und das ist denn doch etwas!«

Die Unterredung war hiermit beendet und die Reiter trabten schweigend ihres Weges hinter dem sie führenden Sergeanten, bis sie an einen kleinen Platz gelangten, aus dessen Hintergrund sich der schwarze Schattenriß des Klosters abhob mit seinem maurischen Turm, der hohen, spitz zulaufenden Glockenstube und der zwiebelförmigen Kuppel, sowie den dunklen mit ungleichmäßigen Giebeln besetzten Dächern.

» Voilà, das ist Ihr Kantonnement!« rief der Sergeant zum Kapitän gewendet, der seinen Trupp halten ließ, vom Pferde sprang und die Laterne aus der Hand des Führers nehmend, auf das bezeichnete Gebäude zuschritt. –

Weil die Kirche des Klosters schon halb in Trümmern lag, glaubten die Soldaten, die sich der übrigen Räume bemächtigt hatten, das Tor wäre mehr als überflüssig und so brachen sie denn Stück für Stück heraus, den einen Flügel heute, den andern morgen, um damit Feuer anzumachen, woran sie sich während der kalten Nächte erwärmen könnten.

Der junge Offizier brauchte also weder einen Schlüssel umzudrehen, noch einen Riegel wegzuschieben, um in das Innere des Gotteshauses einzutreten.

Beim Schein der Laterne, deren unbestimmtes Licht sich im dichten Dunkel der Kirchenschiffe verlor und auf den Wänden in riesenhaften Umrissen den phantastischen Schlagschatten des Sergeanten abzeichnete, der als Quartiermeister voranschritt, durchmusterte er die Kirche von oben bis unten und durchstöberte nacheinander deren vereinsamte Kapellen.

Mit der Örtlichkeit bekannt geworden, befahl er seinen Leuten abzusitzen, und Pferde und Menschen wurden alsdann gemeinschaftlich untergebracht, so gut es eben gehen mochte.

Wie schon erwähnt wurde, sah die Kirche vollständig verfallen aus: über dem Hauptaltar hingen von den hohen Gesimsen noch immer – freilich in zerrissenen Fetzen – die Schleier herab, mit denen ihn die Mönche bedeckt hatten, als sie den Ort verließen. Dort und hier gewahrte man im Kirchenschiffe ein paar an die Mauer gerückte Altartafeln ohne Bilder in den Rahmen.

Ein dünner Lichtstrahl vom Chor spiegelte sich wider von den seltsamen Profilen des dunklen Hintergrundes, in dem die Ebenholzbänke für die Gläubigen standen. Im Estrich, an vielen Stellen ausgebrochen, waren noch die breiten Platten der Grabsteine kenntlich, mit Wappen, Helmzimieren und langen gotischen Inschriften, und weit rückwärts, in den stillen Tiefen der Kapellen, sowie längs der Seitenschiffe stiegen undeutlich, wie weiße, unbewegliche Phantome, steinerne Statuen aus dem geheimnisvollen Dunkel heraus, die einen liegend, die andern auf ihren Marmorgrüften knieend, als die einzigen Bewohner des halbzerstörten Gotteshauses.

Jedem anderen, der weniger ermüdet gewesen wäre, als es der Dragoner-Offizier war, dessen Glieder den Gewaltmarsch von vierzehn Meilen fühlten – oder jedem, der weniger gewohnt war, solch eine Entweihung als eine sehr gewöhnliche Sache anzusehen, hätte nur ein Aufblitz der Phantasie genügt, um die ganze Nacht über kein Auge zu schließen in dieser düsteren, erhabenen Räumlichkeit, wo die Flüche der über dieses Quartier sich laut beschwerenden Soldaten, das metallische Rasseln ihrer Sporen auf den steinernen Gruftplatten des Bodens, das Stampfen der ungeduldig sich bäumenden Pferde, das Klirren der Ketten, womit sie an die Säulen gekoppelt waren – wo all dies einen seltsamen und ungewöhnlichen Lärm hervorrief, der durch die ganze Kirche hallte und an der hohen Wölbung Echo um Echo weckte. – –

Aber der Offizier, obwohl noch jung, war an diesen Trubel des Lagerlebens schon so gewöhnt, daß er nach Bequartierung seiner Mannschaft einen Futtersack auf die Stufen des Presbyteriums zu legen befahl und sich so gut es ging in seinen Mantel hüllend, mit dem Kopf auf einer Altar-Stufe liegend fünf Minuten darauf mit mindestens ebenderselben Ruhe, als König Josef selbst in seinem Palaste zu Madrid schnarchte.

Die Soldaten folgten seinem Beispiele, indem sie ihre Sättel als Kopfkissen benutzten, und das Getöse verstummte allmählich.

Eine halbe Stunde später waren nur noch die gedämpften Seufzer des Windes zu hören, der durch die zerschlagenen Scheiben der Bogenfenster drang, sowie das erschrockene Flattern des Nachtgevögels, das unter den steinernen Baldachinen der Statuen seine Nester gebaut hatte, und der gleichmäßige Schritt des Wachtpostens, der in seinen breiten Mantel gehüllt, längs des Portikus auf- und abschritt.

 

II

Zu dieser Zeit war Toledo, ebenso wie heute, für jene, welche die in seinen Mauern aufgehäuften Kunstschätze nicht zu bewerten verstehen, nichts mehr als ein winkeliges, verfallenes, unerträgliches Nest.

Es braucht wohl nicht erst gesagt zu werden, daß die Offiziere des französischen Heeres, die nach den vandalischen Taten zu schließen, durch die sie ein trauriges und ewiges Andenken an ihre Okkupation hinterlassen haben, nichts weniger als Künstler, noch Archäologen waren, sich in dieser alten Cäsarenstadt ausnehmend langweilten.

In solch einer geistigen Verfassung wurde jede auch an sich unbedeutende Neuigkeit, die den Frieden jener ewig- und immergleichen Tage unterbrach, von den Beschäftigungslosen mit Begier aufgenommen.

So kam es, daß die Rangerhöhung eines Kameraden, die Nachricht von der strategischen Bewegung einer fliegenden Kolonne, die Abreise eines Kabinetts-Kuriers oder der Einmarsch einer Heeresabteilung in die altehrwürdige Stadt ein übermäßig ausgiebiger Gesprächsgegenstand für eine Reihe von Erörterungen wurde, bis wieder eine andere Begebenheit an dessen Stelle trat und als Grundlage zu neuen Beschwerden, Kritiken und Vermutungen diente.

Wie natürlich, war unter den Offizieren, die sich gewöhnt hatten, an jedem Tage im Zocodover zusammenzukommen, um ihre Uniform in der Sonne auszuwärmen und mit Plaudern die Zeit totzuschlagen, von nichts anderem die Rede, als von der Ankunft jenes Dragonerpikets.

Fast eine Stunde schon drehte sich das Gespräch um diesen Gegenstand und schon fing man an, die Abwesenheit des jüngst Eingelangten, den einer von seinen Kriegskameraden nach dem Zocodover bestellt hatte, auf verschiedene Weise auszulegen, – als da endlich in einer der engen, auf den Marktplatz einmündenden Gassen der stattliche Rittmeister erschien, aber ohne den breiten Feldmantel, in dunkelblauem Waffenrock mit hochroten Aufschlägen, auf dem Haupte einen hohen, funkelnden Metallhelm mit weißem Federbusch und an der Seite einen breiten Säbel in gleißender Scheide, der auf der Erde nachschleifend im Takte zu seinem martialischen Schritte und zum durchdringenden Klange seiner vergoldeten Sporen klirrte.

Sein Freund hatte ihn kaum bemerkt, als er ihm schon entgegeneilte, um ihn zu begrüßen und gleichzeitig näherten sich fast alle, die hier eben beisammen waren denn die Einzelheiten, die sie von der Eigenart und dem sonderbaren Charakter des Ankommenden gehört hatten, hatten sowohl ihre Neugier, als auch den Wunsch geweckt, ihn näher kennen zu lernen.

Nach gewohnter herzlicher Umarmung, Ausrufen, Glückwünschen und den bei solchen Anlässen unerläßlichen Fragen, nach langer und gründlicher Musterung über alle Neuigkeiten, die durch Madrid kreisten, nach allen möglichen Gesprächen vom wechselnden Kriegsglück, von toten oder abwesenden Freunden, kam man schließlich auf das gewöhnliche Thema, das ist auf die Mühsale des Kriegsdienstes, den Mangel an Unterhaltung in der Stadt und die Unbequemlichkeiten der Quartiere.

Als das Gespräch dahin gelangt war, sagte einer der Anwesenden, der allem Anscheine nach schon von der schlechten Laune wußte, mit der der junge Offizier seine Leute in der verlassenen Kirche bequartiert hatte, stichelnden Tons:

»Weil wir gerade von Kantonnements reden – wie haben Sie denn die Nacht in dem ihren überstanden?«

»Noch gut genug,« entgegnete der Gefragte, »es ist freilich wahr, daß ich nicht allzuviel geschlafen habe, aber die Ursache meiner Schlaflosigkeit ist wohl der Nachtwache wert. An der Seite eines Weibes zu wachen, ist gewiß nicht das schlimmste.«

»Einer Dame!« wiederholte der erste, über das gute Glück des Ankömmlings erstaunt, »das ist, wie man sagt: herkommen und einen Heiligen küssen dürfen.«

»Gewiß irgend eine alte Liebe vom Hofe, die ihm nach Toledo gefolgt ist, um ihm die Verbannung erträglicher zu machen,« setzte ein anderer hinzu.

»O nein!« widersprach der Kapitän, »ganz und gar nicht! Mein Ehrenwort, daß ich sie vorher nicht gekannt habe und daß ich nie gedacht hätte, eine so schöne Beschützerin in einem so unbequemen Quartiere zu finden. Das ist's gerade, was man ein richtiges Abenteuer nennt.«

»Erzählen Sie! erzählen Sie!« riefen im Chorus die Offiziere, die ihn umringten, und als er sich bereit erklärte, ihrem Wunsche zu willfahren, widmeten alle seinen Worten die größte Aufmerksamkeit.

»Ich schlief,« begann der junge Rittmeister, »in jener Nacht wie ein Erschlagener, was nach dreizehnstündigem Ritt kein Wunder ist, als mich urplötzlich im besten Schlafe ein scheußlicher Lärm weckte, so scheußlich, daß ich erschreckt auffuhr und eine Weile auf den Ellbogen gestützt blöd vor mich hinstarrte, denn dieses Getöse betäubte mich vollständig, und gewiß eine ganze Minute lang hallten mir die Ohren, als brummte ein Regiment von Bremsen um meinen Kopf.

Wie ihr euch wohl denken könnt, war die Ursache meines Erschreckens der erste Schlag auf die verdammte Riesenglocke, eine Gattung jener bronzenen Chorsänger, welche die Herren Canonici von Toledo in ihren Kathedralen einquartiert haben in der lobenswerten Absicht, daß sich die, welche des Schlafes am meisten bedürftig sind, in den Tod hineinärgern!

Die Glocke samt dem Glöckner, der sie geläutet, zwischen den Zähnen verfluchend, bereitete ich mich, nachdem eine Weile darauf jenes ungewohnte und widerwärtige Tosen aufgehört hatte, aufs neue den Faden des unterbrochenen Schlummers weiterzuspinnen, als sich etwas Seltsames meinen Blicken darbot und meine Phantasie aufstörte.

Beim schwachen Schein des Mondes, der durch ein schmales Fenster in der Mauer der Hauptkapelle drang, gewahrte ich ein vor einem Altare knieendes Weib!«

Die Offiziere sahen einander mit dem Ausdruck des Erstaunens und Unglaubens an, aber der Rittmeister fuhr, ohne den Eindruck zu beachten, den seine Erzählung machte, ruhig fort:

»Ihr könnt euch nichts vorstellen, das jenem nächtlichen und phantastischen Gesichte glich, das nebelhaft aus dem Halbdunkel der Kapelle emporstieg, gleich einer von jenen Mädchengestalten auf buntfarbigen Fensterscheiben, die oft genug von fern weiß und leuchtend aus dem tiefen, dunklen Hintergrund der Kathedrale hervortreten.

Ihr ovales Antlitz, in dem man den leichten Ausdruck seelischen Leidens bemerken konnte, ihre harmonischen Züge, voll süßer und melancholischer Anmut, ihre wunderbare Blässe ... die reinen Linien ihrer schlanken Gestalt ... ihre ruhevolle vornehme Haltung ... das weiße, faltige Gewand ... all das rief in mir die Erinnerung an jene Frauen wach, von denen ich zu träumen pflegte, als ich noch ein Kind war! ... O züchtige Himmelsbilder, o chimärischer Gegenstand der flüchtigen Jugendliebe!! ...

Mir war es, ich sei das Spielzeug einer Sinnestäuschung, ich fürchtete mich, meine Augen abzuwenden ... ich wagte nicht zu atmen, aus Furcht, ein einziger Hauch könnte jenen Zauber verschwinden machen.

Sie blieb knieen ohne Regung! ...

Als ich sie so sah, fast durchsichtig und strahlend schön, da schien es mir, es könnte dies kein irdisches Wesen sein, sondern ein Geist, der auf einen Augenblick wieder menschliche Gestalt annehmend auf dem Mondstrahle herniedergeglitten sei, hinter sich eine bläuliche Lichtspur zurücklassend, die aus einem hohen Fenster geradewegs zum Fuße der gegenüberliegenden Mauer fiel und so den düsteren Schatten jenes geheimnisvollen Raumes durchquerte ...«

»Aber ...!« rief, ihn unterbrechend, sein Jugendfreund, der die Erzählung anfänglich als einen Scherz belächelte, jetzt aber mit offenbarer Anteilnahme zuhörte. ... »Wie ist denn das Weib dorthin gekommen? ... Hat sie nichts gesagt? ... Hat sie dir ihre Anwesenheit nicht erklärt?« ...

»Ich konnte nicht den Mut fassen, sie anzureden, denn ich war gewiß, daß sie mir nicht antworten würde, daß sie mich weder sehen, noch hören würde ...«

»War sie taub?! ...«

»War sie blind?! ...«

»War sie stumm?! ...«

So riefen drei oder vier der Zuhörer zu gleicher Zeit.

»Sie war dies alles zusammengenommen!« sagte nach kurzer Pause der Rittmeister, »denn sie war ... aus Marmor!«

Diese überraschende Lösung des ungewöhnlichen Abenteuers vernehmend, brachen alle in ein lärmendes Gelächter aus, und einer wandte sich zum Erzähler der eigentümlichen Geschichte, der allein ruhig und ernst geblieben war, mit den Worten:

»Das hätten wir denn mit einem Schlage gelöst! Von dieser Sorte besitze ich – mein Wort! – mehr als tausend, ein wahrhaftiges Serail bei San Juan de los Reyes! Ein Serail, das Ihnen von Stund ab zur Verfügung steht, da Ihnen – wie es scheint, – ein Weib aus Stein gerade so viel gilt, als eines von Fleisch und Blut!«

»O nein!« fuhr der Rittmeister fort, das Lachen seiner Kameraden nicht im geringsten beachtend ... »Ich bin der festen Überzeugung, daß jene nicht so sind, wie die meine! Meine Dame ist eine wahrhaftige Kastilianerin, die dank der Kunst ihres Bildhauers so aussieht, als könnte sie nicht begraben ruhn in der Gruft, sondern als kniee sie lebendig, mit Leib und Seele begabt, auf dem Grabstein, der ihr Sterbliches bedeckt, regungslos, die Hände zu stillem Gebet gefaltet und ganz versunken in eine Verzückung mystischer Liebe! ...«

»Du sprichst, als wolltest du uns von der Möglichkeit der Fabel von der Galathea überzeugen – –«

»Was mich betrifft, so kann ich Ihnen sagen, daß ich dergleichen stets für Aberwitz gehalten habe, aber seit heute nacht beginne ich die Leidenschaft des griechischen Künstlers zu begreifen!«

»In Hinsicht auf die besonderen Eigenschaften deiner neuen Liebe, wird es dir, glaube ich, wohl nicht unangenehm sein, uns ihr vorzustellen. ... Ich muß gestehen, daß ich es nicht erwarten kann, dieses Wunder zu sehen ...! – Aber, ... welcher Teufel plagt dich!? Man sollte meinen, daß du der Vorstellung ausweichst! Ha, ha, ha! Das wäre gelungen, wenn wir dich jetzt schon eifersüchtig gemacht hätten!«

»Eifersüchtig!« ... sagte hastig der Kapitän, »eifersüchtig auf Menschen, nein! ... Aber seht, trotzdem, wie weit schon meine Schwärmerei reicht! ... An der Seite der Statue jener Dame kniet, ebenfalls aus Marmor, ein stattlicher ... und just so lebendig wie sie scheinender Ritter ... vielleicht ihr Gatte! ... Nun denn ... ich will euch alles sagen, obgleich ich weiß, daß ihr mich meiner Albernheit wegen auslachen werdet! ... Wenn ich nicht fürchtete, für einen Narren gehalten zu werden – wahrhaftig, ich hätte ihn gewiß schon hundertmal in Stücke geschlagen.«

Ein abermaliges und noch schallenderes Gelächter der Offiziere begrüßte dieses originelle Bekenntnis der so eigenartigen Liebe zu einer Dame aus Stein.

»Nichts da! Nichts da! Wir müssen sie sehen!« riefen die einen.

»Ja, ja! wir müssen in Erfahrung bringen, ob der Gegenstand einer so erhabenen Leidenschaft entspricht!« setzten die anderen hinzu.

»Und wann kommen wir zusammen, um einen Becher in der Kirche zu leeren, in der Sie logieren?« frugen die übrigen.

»Wann es euch beliebt! Noch in dieser Nacht, wenn ihr wünscht,« entgegnete der junge Kapitän, sein natürliches Lächeln wieder aufnehmend, das einen Augenblick vom Ausbruch der Eifersucht verscheucht worden war ... »Und gerade zupaß! Ich habe in der Bagage ein paar Dutzend Bouteillen Champagner mitgebracht, echten Champagner, den Rest vom Bankett unseres Brigade-Generals, der, wie ihr wißt, ein entfernter Verwandter von mir ist.«

»Bravo! Bravo!« schrieen die Offiziere einstimmig und brachen in Freudenrufe aus.

»Wir werden Wein aus der Heimat trinken!«

»Und singen ein Lied von Ronsard!«

»Und werden von Weibern schwatzen, vor allen von der Dame unseres Gastgebers!«

»Also ... auf heute abend!«

»Auf heute abend!«

 

III

Es war schon lang her, daß die ehrsamen Bürger von Toledo die schweren Tore ihrer altertümlichen Häuser unter Schloß und Riegel gelegt hatten. Die riesenhafte Glocke der Kathedrale hatte längst Feierabend geläutet, und von der Höhe des in Kasernen verwandelten Alkazar erklang der letzte Ton der zum Schlummer rufenden Trompeten, als zehn oder zwölf Offiziere, die nach und nach im Zocodover zusammengekommen waren, sich auf den Weg zur Kirche aufmachten, wo der junge Kapitän hauste, weit mehr von der Hoffnung beseelt, die versprochenen Flaschen zu leeren, als vom Wunsche, die zauberhafte Statue kennen zu lernen.

Die Nacht war dunkel und drohte mit einem Gewitter. Der Himmel hüllte sich in bleifarbenes Gewölk, der in den engen und krummen Gassen sich verfangende Wind wirbelte mit den sterbenden Lichtern vor den Heiligenbildern, und bewegte mit schrillem Gekreisch die eisernen Wetterfahnen auf den Türmen.

Kaum hatten die Offiziere das Quartier ihres neuen Freundes erreicht, der sie ungeduldig erwartete, kam er ihnen auch schon entgegen, und nach einigen halblaut ausgetauschten Worten traten alle in die Kirche ein, in deren dunklem Raum der schwache Schein einer Laterne nur mühsam gegen die düsteren, dichten Schatten ankämpfte.

»Meiner Treu,« rief einer von den Gästen, rings um sich blickend, »dieses Lokal ist zum Bankettieren eines der ungemütlichsten in der ganzen Welt!«

»In der Tat!« sagte ein zweiter, »du führst uns her, damit wir eine Dame kennen lernen, und der Mensch kann kaum die Finger seiner Hand voneinander unterscheiden.«

»Und vor allem ist es hier kalt, daß man meint, wir wären in Sibirien!« fügte ein dritter bei, indem er sich in seinen Mantel hüllte.

»Geduld, meine Herren, nur Geduld!« unterbrach sie der Wirt, »nur Geduld! Es wird für alles gesorgt werden. He da! Bursche!« rief er einem seiner Soldaten zu. »Suche hier irgendwo etwas Holz und mach uns in der Hauptkapelle ein braves Feuer!«

Dem Befehle gehorchend stieg der Soldat auf den Chor und begann die Orgel auseinander zu legen, und nachdem er eine hübsche Menge Holz an den Stufen des Presbyteriums aufgestapelt hatte, nahm er die Laterne und schichtete die zerspaltenen Stücke der kostbaren Holzschnitzarbeit, worunter hier Teile von gewundenen Säulen, dort die Gestalt eines heiligen Abtes, anderwärts eine weibliche Figur, oder auch der ungeschlachte Kopf eines geflügelten, aus Laubwerk herausglotzenden Löwen, zum Scheiterhaufen auf.

Einige Minuten nachher kündigte eine große Helligkeit, die sich über den ganzen Raum der Kirche verbreitete, den Offizieren an, daß die Stunde des Banketts gekommen sei.

Der junge Kapitän, der die Honneurs in diesem Quartier mit eben derselben Würde machte, wie er es in seinem Hause getan hätte, rief zu den Eingeladenen gewendet:

»Wenn es Ihnen beliebt, gehen wir zum Buffet!«

Seine Kameraden, sich bemühend alles mit größtem Ernst mitzumachen, antworteten mit einer komischen Verbeugung und unter dem Vortritt des Festgebers schritten sie in die Hauptkapelle.

Der junge Mann blieb an den Stufen einen Augenblick schweigend stehen und dann mit der Hand in der Richtung des Ortes zeigend, wo das Grabmal sich befand, sagte er mit ausgesuchter Höflichkeit:

»Ich habe die Ehre, Ihnen die Dame meines Herzens vorzustellen. Ich glaube. Sie werden mit mir übereinstimmen, daß ich deren Schönheit nicht übertrieben habe.«

Die Offiziere sahen nach der Richtung und ein Ruf des Staunens drang unwillkürlich aus aller Mund.

Im Hintergrunde der im Bogen gewölbten, mit schwarzem Marmor ausgelegten Gruft, auf einem Betstuhle, mit gefalteten Händen, das Antlitz gegen den Altar gewendet, gewahrten sie in der Tat die Gestalt eines Weibes, so schön, wie ähnliches kaum je aus den Händen eines Bildhauers hervorgegangen ist, ja, daß selbst die Sehnsucht in ihrer Phantasie eine erlauchtere Schönheit nicht hervorzaubern könnte.

»Wahrhaftig, ein Engel!« rief einer.

»Schade, daß sie aus Marmor ist!« meinte ein zweiter.

»Kein Zweifel, daß der bloße Gedanke, in der Nähe eines Weibes von so ergreifender Schönheit zu weilen, genügt, um die Augen während der ganzen Nacht nicht zu schließen!«

»Und wissen Sie nicht, wer sie ist?« fragten einige den lächelnden, mit seinem Triumphe augenscheinlich sehr zufriedenen Kapitän.

»Ich habe mich des bißchens Latein wiedererinnert, das ich in meiner Jugend lernte, und es gelang mir nach vieler Mühe, die Inschrift des Grabmals zu entziffern,« antwortete der Gefragte. »Und nach dem, was ich daraus schließen kann, gehört die Gruft einem hochgeborenen Kastilianer, einem berühmten Kriegshelden, der mit seinem Könige oft ins Feld zog. Seinen Namen habe ich vergessen, aber seine Gattin, die ihr hier sehr, hieß: Donna Elvira de Castanneda, und mein Ehrenwort: wenn die Kopie dem Original gleicht, so war es das schönste Weib seines Zeitalters!«

Nach dieser Erklärung machten sich die Gäste, die den Hauptgrund ihres Zusammenkommens nicht aus den Augen verloren, an das Öffnen einiger Flaschen, und sich rings ums Feuer setzend ließen sie den Wein im Kreise herumgehen.

Je reichlicher und größer die Libationen waren und je mehr der Dunst des brausenden Champagners in die Köpfe zu steigen begann, desto lebhafter ward auch die Laune, der Lärm und das Schreien der jungen Männer. Die einen warfen ihre leeren Flaschen den an den Säulen stehenden granitenen Mönchen ins Gesicht, die andern sangen aus vollem Halse bacchische und nicht sonderlich keusche Lieder, während die übrigen entweder in wieherndes Lachen ausbrachen, mit den Händen Beifall klatschten, oder untereinander mit Flüchen und Scheltworten stritten.

Der Rittmeister trank schweigsam wie ein Verzweifelter, ohne von der Statue der Donna Elvira auch nur einen Blick abzuwenden.

Von der roten Lohe des Feuers bestrahlt, schien es ihm durch den Nebelschleier, den die Trunkenheit ihm vor die Augen breitete, als ob die marmorene Gestalt sich plötzlich in ein lebendiges Weib verwandelt hätte. ... Es war ihm, als öffne sie die Lippen, um ein Gebet zu flüstern ... als höben ihren Busen unterdrückte Seufzer ... als presse sie krampfhaft ihre verschlungenen Hände ineinander ... dann wieder glaubte er, ihr Antlitz färbe sich und endlich, als erröte sie über und über wegen dieses gottlosen und widerwärtigen Schauspiels.

Die Offiziere, das trübe Sinnen ihres Kameraden bemerkend, rissen ihn aus der Verzückung, in die er versunken war, und indem sie ihm den Becher reichten, riefen sie im Chor:

»Auf! Stoßen Sie an! Sie sind ja der einzige, der während der ganzen Nacht keinen Trinkspruch ausgebracht hat!«

Der junge Mann sprang auf und den dargereichten Becher hocherhebend, rief er, indem er die Gestalt des zu Donna Elvira geneigten Ritters maß:

»Ich trinke auf das Wohl des Kaisers! Ich trinke auf das Glück seiner Waffen, dank welcher wir bis hieher in die Mitte von Kastilien gedrungen sind, um der Gemahlin des Siegers von Cerinola auf seinem eigenen Grabe den Hof zu machen!«

Die Offiziere nahmen den Trinkspruch mit einer Beifallssalve auf und der Rittmeister tat schwankend einige Schritte gegen das Grab:

»Nein,« sprach er mit dem stieren Lächeln des Rausches, zur Statue des Ritters gewendet. »Nein! Glaube nicht, daß ich vielleicht Eifersucht gegen dich hege, obwohl ich in dir meinen Rivalen erblicke! ... Au contraire! ... Ich bewundere dich als einen nachsichtigen Gatten, als ein Muster der Gutmütigkeit und Höflichkeit und auch ich will großsinnig sein! Du, der du Soldat warst, bist gewiß auch ein Trinker gewesen ... es soll nicht gesagt werden, daß ich dich des Durstes sterben ließ, da du uns vor deinen Augen zwanzig Flaschen leeren sahst! ... Nimm!«

Dies sprechend hob er den Becher zu den Lippen des steinernen Mannes und nachdem er diese mit dem Weine begossen hatte, schüttete er ihm den Rest ins Antlitz und brach in ein schallendes Lachen aus, als er sah, wie der Wein vom steinernen Bart des unbeweglichen Ritters herabtropfend auf den Boden floß.

»Kapitän! ...« schrie hier einer seiner Kameraden neckenden Tons, »bedenken Sie, was Sie tun! ... Bedenken Sie, daß derlei Späße mit dem steinernen Volke oft teuer zu stehen kommen! ... Vergessen Sie nicht, was den Husaren des fünften Regiments im Kloster de Poblet geschehen ist! ... Die steinernen Ritter griffen, wie man sagt, in einer schönen Nacht zu ihren granitenen Schwertern und stürzten sich auf die, die ihnen Schnurrbärte unter die Nasen gemalt hatten!«

Mit wildem Gelächter hörten die jungen Männer diese Begebenheit; aber der Rittmeister, ohne mitzulachen, fuhr ergriffen von seiner Idee fort:

»Glaubt ihr, ich würde ihm Wein gereicht haben, wenn ich nicht wüßte, daß er wenigstens das geschluckt hat, was ihm in den Mund gelangt ist?! ... Oh! nein!  ... Ich glaube nicht, wie ihr, daß diese Statuen nur ein Stück Marmor sind, heute genau so tot, wie an jenem Tage, an dem man es aus dem Steinbruch gebrochen! ... Ohne Zweifel haucht der Künstler, der ja ein Halbgott ist, seinem Werke eine lebendige Seele ein und obwohl er es nicht erreichen kann, daß es gehe und sich bewege, ... so teilt er ihm doch ein unbegreifliches und wundersames Leben mit ... ein Leben, das ich mir nicht erklären kann, das ich aber empfinde, hauptsächlich, wenn ich ein wenig trinke!«

»Ausgezeichnet!« riefen seine Freunde. »Trink und fahr fort!«

Der Offizier trank und seine Augen auf die Bildsäule der Dame geheftet setzte er in wachsender Erregung fort: »Seht sie! ... seht sie! ... Bemerkt ihr nicht die wechselnde Röte auf ihren zarten, durchsichtigen Wangen! ... Scheint es euch nicht, als ob unter dieser feinen, bläulich angehauchten und alabasterglatten Haut ein Strom rosigen Lichtes kreise? ... wollt ihr noch mehr Leben?! ... wollt ihr noch mehr Wahrheit?! ...«

»Oh! so ist es! Ganz gewiß!« sagte ein Zuhörer ... »wir wünschten, sie wäre von Fleisch und Blut! ...«

»Fleisch und Blut! ... Elend und Moder!« rief der Kapitän ... »ich habe in manch einer Orgie gefühlt, wie meine Lippen und mein Kopf in Flammen gerieten. Ich fühlte die Glut, die durch die Adern schäumend kreist, ähnlich der Lava des Vulkans, jene Glut, deren schwüle Dünste das Hirn verwirren und betäuben, und wunderliche Gesichte heraufzaubern! Damals brannte mich der Kuß jener Weiber von Fleisch und Blut wie weißglühendes Eisen und ich habe sie mit Widerwillen, mit Ekel, ja mit Schauder von mir gestoßen! ... weil ich dazumal, wie heute, des Meerwindes Hauch benötigte, um meine brennende Stirn zu kühlen, ich muß Eis trinken und Schnee küssen ... Schnee mit mildem Licht gefärbt ... Schnee auf dem ein goldener Strahl der Sonne spielt, ... ein Weib, so weiß, schön und kalt, wie es dieses marmorne Weib ist, das mich mit seiner phantastischen Schönheit zu locken scheint, ... das im Flackern des Feuers sich zu bewegen scheint, ... das mich lädt und lockt, ... ihre Lippen öffnend und mir die Schätze ihrer Liebe anbietend! .. Oh! .. Ja, ja! .. ein Kuß, ... ein einziger Kuß von dir vermag die Glut zu löschen, die mich verzehrt ...«

»Kapitän!« riefen einige von den Offizieren, da sie ihn wie sinnlos, mit weit hervorgequollenen Augen und unsicheren Schritten zur Statue taumeln sahen ... »Kapitän! Welch eine Torheit wollen Sie begehen!«

»Genug des Scherzes! ... Lassen Sie die Toten in Frieden!« ...

Aber er, die Ausrufe der Kameraden nicht achtend, schwankte, schleppte sich, so gut es ging, zur Gruft und näherte sich der Statue ... aber, als er seinen Arm nach ihr ausstreckte, ... schrillte ein Aufschrei des Entsetzens durch die Kirche.

Aus Augen, Mund und Nase blutend, fiel der Offizier bewußtlos mit zerschmettertem Schädel zu den Füßen des Grabes nieder.

Seine still gewordenen schreckerstarrten Kameraden wagten auch nicht einen Schritt zu tun, um ihm Hilfe zu leisten ...

Im gleichen Augenblick, als ihr Kamerad seine glühenden Lippen dem Munde der Donna Elvira nähern wollte, sahen sie, wie jener reglose Ritter seine steinerne Hand erhob und ihn mit einem furchtbaren Faustschlag zur Erde schmetterte.


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