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Glaubet an Gott! Provençalische Legende.

»Ich war der wahre Teobald von Montagut, Baron von Fortcastell! Edelmann oder Bauer, Herr oder Knecht, du, was immer du bist, der du einen Augenblick an meinem Grabe verweilst, glaube an Gott, wie ich geglaubt habe und bete für mich!«

 

Vorgesang.

I

O gefeierte Ritter! die ihr, den Speer in der Harnischgabel, mit herabgelassenem Helmvisier und auf stattlichem Rosse die Lande durchreitet, Eigner keines anderen Erbes als eurer berühmten Namen und des Zweihänders, um Ehre und Ruhm im Wettkampfe der Waffen zu suchen: wenn euch beim Durchstreifen des Bergtales von Montagut Nacht und Unwetter überfallen und ihr in den Ruinen des Klosters die dort noch emporragen, Zuflucht gefunden habet: höret mich!

 

II

O Hirten! die ihr mit langsamem Schritt euren Herden folget, die zerstreut auf Berghängen und in Talmulden weiden, wenn ihr die Herden zum kristallklaren Wildbach treibend, der zwischen den Felsblöcken von Montagut auch in der Dürre des Sommers hinfließt, zur Zeit des glühenden Mittags Schatten und Rast gefunden habt am Fuße der herabgestürzten Schwibbogen des Klosters, dessen moosumsponnene Säulen von den Wellen bespült werden: höret mich!

 

III

O Mädchen der Landschaft! ihr Lilien des Waldes, die ihr aufblühet glücklich im Schutz eurer Niedrigkeit, wenn ihr am Festmorgen des heiligen Patrons dieses Gaues herniedersteigend zum Tale von Montagut und Klee und Maßliebchen pflückend, um sein Bildnis zu schmücken, die Furcht überwunden habt, die aus diesem düsteren Felsenkloster atmet, und in seine stummen und verlassenen Kreuzgänge eintretet, zwischen den verwilderten Grabhügeln herumschweifend, an deren Säumen die schönsten Maßliebchen und blauesten Hyazinthen sprießen: höret mich!

 

IV

Du edelgeborener Ritter, Abglanz des flammenden Blitzes, du schweifender Hirt, versengt von den Strahlen der Sonne und endlich du, schöne Maid, beträufelt mit Tautropfen, die wie Tränen zu schauen, – ihr alle habt an jenem heiligen Orte einen Grabhügel geschaut, ein niederes Totenmal. Voreinst richteten sie dort einen ungefügen Stein auf und ein hölzernes Kreuz; das Kreuz ist längst dahin und übrig blieb nur der Stein. In diesem Grabe, dessen Inschrift den Denkspruch meines Gesanges bildet, ruhet in Frieden der letzte Baron von Fortcastell, Teobaldo de Montagut, dessen seltsame Geschichte ich euch erzählen will.

 

Erstes Lied.

I

Als die erlauchte Gräfin von Montagut mit ihrem eingeborenen Sohn Teobaldo schwanger ging, hatte sie einen geheimnisvollen, schrecklichen Traum, vielleicht eine Eingebung Gottes! vielleicht auch ein leeres Gesicht der Einbildungskraft, das die Zeit späterhin verwirklicht hat.

Es träumte ihr, sie hätte eine Schlange geboren, eine gräßliche Schlange, die mit markdurchdringendem Zischen bald zwischen den zarten Blumen dahinkröche, bald sich zusammenkrümme, als rüste sie sich zum Sprunge, und dann vor ihren Blicken flöhe und zuletzt im Gesträuch verschwände.

»Dort ist sie! dort ist sie!« schrie die Gräfin in ihrem entsetzlichen Traum auf, ihren Dienern das Gesträuch weisend, in dem sich das greuliche Kriechtier verborgen hatte.

Als die Diener in Hast dorthin vordrangen, wohin die hochgeborene Dame, regungslos und von tiefer Furcht ergriffen, noch immer mit der Hand wies, flog eine weiße Taube aus dem Dorngebüsch und schwebte gen Himmel.

Die Schlange aber war verschwunden.

 

II

Teobaldo kam zur Welt. Seine Mutter starb bei der Geburt und der Vater kam einige Jahre darauf in einer Schlacht um, wie ein wahrer Christ wider die Feinde Gottes kämpfend.

Von da ab mag die Jugend des Eingeborenen von Fortcastell nur mit einem Sturmwinde verglichen werden. Wo er schritt, überall waren Zeichen seines Pfades in Tränen- und Blutspuren zu sehen. Er henkte seine Leibeigenen, schlug sich mit Seinesgleichen, schändete die Mädchen, züchtigte die Mönche und seine Scheltworte und Flüche ließen keinen Heiligen in Frieden, ja es gab keine geheiligte Sache, die er nicht geschmäht hätte.

 

III

Eines Tages, als er auf die Jagd ritt und, seiner Gewohnheit gemäß, sich vor dem Regen mit seinem teuflischen Gefolge von verruchten Pagen, gottlosen Schützen und schurkischen Dienstmannen, samt Rüden, Rossen und Geierfalken in eine Dorfkirche seiner Oberherrlichkeit flüchtete, beschwor ihn der ehrwürdige Priester, von heiligem Zorn ergriffen und ohne Furcht vor der gewalttätigen Wut des Ungestümen, im Namen des Himmels, eine geweihte Hostie in den Händen erhebend, daß er diesen Ort verlasse und zu Fuß mit dem Pilgerstabe in der Hand gehe, den heiligen Vater um Vergebung seiner Sünden anzuflehn. ...

»Gib mir Ruhe, alter Narr!« rief Teobaldo, nachdem er ihn angehört hatte, »gib mir Ruhe, oder ich – da ich heute kein einziges Stück Wild erbeutet habe, – ich hetze die Rüden auf dich und werde dich jagen, wie ein Wildschwein, um mich zu belustigen!«

 

IV

Teobaldo war der Mensch, der alles tat, was er sagte. – Aber trotzdem gab ihm der Priester zur Antwort:

»Tue, was du willst, aber gedenke, daß es einen Gott gibt, der da straft und verzeiht, und der, wenn ich von deinen Händen sterbe, meine Schuld aus dem Buche seines Zornes auslöschen wird, um deinen Namen hinzuschreiben, damit du deine Missetat büßest ...«

»Ein Gott, der da straft und verzeiht!« unterbrach ihn der kirchenschänderische Baron mit wüstem Gelächter, »Ich glaube nicht an Gott und um dir das zu beweisen, will ich vollführen, was ich verheißen habe, weil ich, obschon kein Betbruder, gewohnt bin, nach meinen Worten zu handeln. Ramon! Gerardo! Pedro! Hetzt die Meute, gebt mir den Saufänger und blast ›Hallali!‹ auf euren Hörnern, damit wir diesen Dummkopf hin und wieder treiben, bevor er sich hinter die Bilder seiner Altäre verkriecht!«

 

V

Einen Augenblick im Zweifel über das Geheiß ihres Herrn begannen die Pagen die Windhunde loszukoppeln, welche die Kirche mit ihrem Gekläff erfüllten.

Schon spannte der Baron seine Armbrust mit dem Lachen des Satans wiehernd, und der ehrwürdige Priester erhob, ein Gebet flüsternd, die Augen gen Himmel und erwartete still seinen Tod, als sich vor dem Heiligtum ein fürchterliches Getümmel erhob, Hörner zur Hetzjagd schmetterten und Ausrufe durcheinander tosten:

»Hinter dem Eber! ... Ins Gebüsch! – Die Höhe hinan!«

Teobaldo, vom ersehnten Wildpret hörend, stürzte freudetrunken vor die Tür des Gotteshauses, und ihm folgten die Seinen mitsamt den Rossen und Rüden.

 

VI

»Wohin lief der Haksch?« frug der Baron, aufs Pferd springend, ohne sich auf die Bügel zu stützen und die Armbrust aus der Hand zu lassen.

»In die Niederung, am Fuße jener Anhöhe!« wurde geantwortet.

Ohne der letzten Worte zu achten, stieß der wilde Jäger dem Pferde seine goldenen Sporen in die Weichen und dieses setzte sich in Galopp. Hinter ihm drein jagte der Troß.

Die Dorfbewohner, die zuerst in jenes Lärm-Geschrei ausbrachen, waren in ihre Hütten geflohen, als sie das Ungetüm von Eber sich näherwälzen sahen, und steckten nun ängstlich ihre Köpfe aus den Fenstern hervor ... Und als sie gewahrten, daß die verruchte Rotte im Waldesdickicht verschwand, bekreuzten sie sich schweigend.

 

VII

Teobaldo jagte allen voran. Sein Pferd, um vieles schneller und geübter als jene seiner Diener, flog so nahe hinter dem Eber her, daß Teobaldo seinem rasenden Tiere die Zügel auf den Hals warf, sich zwei oder dreimal im Bügel hochaufreckte und die Armbrust von der Schulter riß, um auf den Eber zu schießen. Allein der Haksch, stets einen Durchschlupf zwischen dem Gesträuch eräugend, verschwand knapp vor seinen Augen, wie wenn ihn die Erde verschlungen hätte, um gleich darauf wieder außerhalb der Schußlinie aufzutauchen.

So jagte Teobaldo viele Stunden, jagte zwischen den Schluchten, watete durch das felsige Strombett, brach in den schier endlosen Wald und verlor sich in dessen tiefen Schatten, die Augen stets auf das erhoffte Tier geheftet, stets in der Meinung, daß er es schon und schon erreicht haben würde und sich immer wieder getäuscht sehend von dessen wunderbarer Schnelligkeit.

 

VIII

Endlich kam der günstige Augenblick –: der Baron zog die Sehne der Armbrust an und schoß den Pfeil ab, der sich erzitternd in den Rücken des furchtbaren Tieres bohrte, das hoch in die Höhe sprang und wild aufbrüllte.

»Verwundet!« schrie freudig der Jäger, seinem Pferde wohl zum hundertsten Male die Sporen in die blutigen Weichen hauend. »Er ist verwundet! Er flieht vergeblich! Die Spur des Blutes, das seiner Wunde entfließt, weist mir den Weg!« Und er stieß ins Horn zum Zeichen seines Sieges, um sein Gefolge herbeizurufen.

In diesem Augenblick blieb sein Pferd stehen, die Füße knickten ihm zusammen, ein schwaches Zittern durchlief seine angespannten Glieder, und indem es lotrecht zur Erde fiel, schoß ein breiter Blutstrom aus seinen schaumbedeckten Nüstern.

Es verendete aus Erschöpfung, es starb gerade, als der Lauf des verwundeten Wildschweines schon schwächer zu werden anfing und nur ein wenig Kraft ausgereicht hätte, um dieses zu erreichen.

 

IX

Den Zorn des heißblütigen Teobaldo zu schildern, ist unmöglich. Seine Flüche und Lästerungen auch nur zu wiederholen, wäre entsetzlich und gottlos. Er schrie drohend nach seinen Dienern, aber nur das Echo antwortete ihm in diesen unabsehbaren Einsamkeiten. Er raufte sich das Haar und zauste seinen Bart, von fürchterlichster Verzweiflung ergriffen.

»Ich werde ihn zu Fuß verfolgen, und wenn ich mich zu Tod jagen sollte!« brüllte er, indem er von neuem seine Armbrust spannte und sich bereitete, dem Eber nachzujagen.

Aber da hörte er hinter sich die Äste krachen, die Zweige des Dickichts öffneten sich und zwischen ihnen erschien ein Page, der ein Pferd schwarz wie die Nacht, am Zügel führte.

»Der Himmel schickt dich!« rief der Jäger, sich hurtig wie eine Gemse auf den Rücken des Tieres schwingend.

Der Page, der zart, sehr zart und bleich wie der Tod anzusehen war, reichte ihm mit seltsamem Lächeln die Zügel.

 

X

Das Roß wieherte mit einer Gewalt auf, daß der Wald ringsum zusammenschauerte. Es tat einen mächtigen Satz, einen Satz, wodurch es höher als zehn Ellen vom Boden emporflog, und die Luft begann dem Reiter in den Ohren zu sausen, wie ein Stein saust, den man aus der Schleuder geworfen hat. Es flog im Galopp dahin, aber in einem so wilden Galopp, daß Teobaldo in der Furcht die Zügel zu verlieren und vom Schwindel erfaßt zu werden, die Augen fest schließen mußte und mit beiden Händen in die weit umflatternde Mähne griff.

Und obwohl er weder die Zügel meisterte, noch mit den Sporen die Weichen berührte, ja es nicht einmal mit der Stimme aneiferte, flog das Pferd dahin und flog ohne anzuhalten. ...

Wie lange Teobaldo so dahinraste, ohne zu wissen, wohin, bloß die Zweige fühlend, die ihm beim Vorüberhasten ins Angesicht schlugen, und die Dornen, die sein Gewand zerrissen und den Wind, der rings um ihn toste –?

Niemand weiß es!

 

XI

Als er sich ein Herz gefaßt, öffnete er für einen Augenblick die Augen, und gewahrte, daß er sich weit, sehr weit von Montagut, in einer ihm ganz fremden und unbekannten Gegend befände.

Das Roß aber raste, raste ohne nachzulassen, und Bäume, Felsen, Burgen und Dörfer schwanden zur Rechten und zur Linken wie Dunst dahin. Neue und neue Gesichtskreise entrollten sich vor seinen Augen; Landschaften, die eben so schnell wieder verschwanden als sie emportauchten, vor anderen immer mehr und mehr unbekannten versinkend.

Enge Täler, starrend von gewaltigen Granitblöcken, die Unwetter von den Gipfeln der Felsgebirge losgerissen hatten; lebensfrohe Gefilde, bedeckt mit dem Teppich des Grüns und besät mit weißen Gehöften; Wüsteneien ohne Ende, in denen der Sand glühte, erhitzt von den Strahlen der Sonne; weitgedehnte Steppen, unabsehbare Ebenen, Landschaften mit ewigem Schnee, wo die riesigen, vom grauen, düsteren Himmel sich abhebenden Eisquadern fahlen Gespenstern glichen, die ihre Arme ausstreckten, um ihn an den langhin flatternden Haaren zu fassen – all das und tausend und abertausend anderes noch, das nicht gesagt werden kann, sah er auf seinem phantastischen Ritte, bis er eingehüllt in dunkle Nebel, nur mehr das Getöse hörte, das die Hufe seines Pferdes erzeugten.

 

Edelgeborene Ritter, schlichte Hirten, schöne Mädchen, die ihr meiner Erzählung lauscht, – so seltsam dies zu sein scheint: o, glaubt nicht, daß es eine Fabel ist, von meiner Phantasie gesponnen, um eure Leichtgläubigkeit zu nützen. Von Mund zu Mund ging diese Geschichte, bis sie zu mir gelangte, und die Aufschrift des Grabsteines, der noch heute im Kloster von Montagut zu sehen ist, zeugt unverwerflich für die Wahrheit meiner Worte.

Glaubet also, was ich euch gesagt habe, und glaubet auch, was ich euch noch sagen werde; es ist gerade so wahr, wie das Frühere, obgleich es noch weit seltsamer scheint.

Vielleicht vermag ich mit einigem Schmuckwerk der Poesie das kahle Gerippe dieser einfachen und furchtbaren Geschichte zu verschönern, aber niemals werde ich absichtlich von der Wahrheit abweichen. ...

 

Zweiter Gesang.

I

Als Teobaldo nur mehr das Getrabe seines Pferdes hörte, und fühlte, wie er durchs Leere geschleppt werde, vermochte er ein unwillkürliches Beben des Entsetzens nicht zu unterdrücken. Bisher hatte er geglaubt, alles, was sich seinen Blicken offenbarte, wäre bloß eine Ausgeburt seiner schwindelig gewordenen Einbildungskraft und sein Pferd rase dahin, weil es scheu geworden. Aber es galoppierte ziellos fort, ohne dem Willen des Reiters zu gehorchen.

Schon zweifelte er nicht mehr daran, daß er zum Spielzeug einer übernatürlichen Macht geworden sei, welche ihn, ohne daß er ahnte wohin, durch dunkle Nebel und Wolken von wundersamen phantastischen Formen schleppte, in deren manchmal von Blitzen erhelltem Schoß er Feuerfunken zu unterscheiden glaubte, die jetzt und jetzt auf ihn niederzufallen drohten.

Das Pferd flog, oder besser gesagt: schwamm in einem Ozean von düsteren und brennenden Dünsten dahin, und die Wunder des Himmels begannen sich nacheinander vor den erschrockenen Blicken des Reiters zu entfalten.

 

II

Auf Gewölken reitend, angetan mit langwallenden, flammenverbrämten Talaren, im Sturme dahinfliegend, und ihre gleißenden Schwerter schwingend, die da tausend blaue Funken in den Raum sprühten, erschienen ihm die Engel, die Vollstrecker des Zornes des Herrn, wie sie, ein reisiges Heer, auf den Flügeln des Sturmes dahinsausten.

Dann flog er noch höher und glaubte in der Ferne Gewitterwolken zu gewahren, einem Meere von Lava gleichend, und hörte den Donner zu seinen Füßen dröhnen, wie der Ozean dröhnt im Anprall an den Felsen, von dessen Gipfel der bewundernde Pilger hinabblickt.

 

III

Und er schaute den Erzengel, weiß wie Schnee, der auf einer ungeheuren Kristallkugel saß und sie durch sternenhelle Nacht lenkte wie einen silbernen Kahn auf den Fluten des blauen Meeres.

Und er schaute die flammende Sonne, auf goldigen Wellen in einer Atmosphäre von Farben und Feuer hinkreisend, und in ihrem Herde Geister des Feuers, die unversehrt in der Lohe hausen und aus ihrer brennenden Siedelei dem Weltschöpfer Hymnen der Freude singen.

Er sah das unergründliche Gewebe von Licht, das die Menschheit an die Gestirne fesselt und schaute den Regenbogen, wie eine unermeßliche Brücke über den Abgrund gespannt, der den ersten Himmel vom zweiten trennt. ...

 

IV

Auf unsichtbaren Stufen sah er die Seelen zur Erde niedersteigen: viele stiegen hinab und wenige wieder hinauf. Jede dieser reinen Seelen ward begleitet von einem Erzengel, der sie mit dem Schatten seiner weißen Schwingen beschirmte. Die, welche allein waren, gingen schweigend dahin und mit Tränen in den Augen. Jene, die der Engel geleitete, schwebten unter Gesang empor, wie die Lerchen beim Dämmern des Frühlingsmorgens emporschweben.

Dann öffnete sich ein rosiges und azurnes Gewölke, das im Raume schwamm, gleich Schleiern durchsichtigen Flors und wie an festlichen Tagen die Vorhänge der Altäre in den Gotteshäusern auseinanderrollen, so offenbarte sich das Paradies der Gerechten seinen Blicken, in blendendem Glanze strahlend.

 

V

Dort standen die heiligen Propheten, die ihr grob ausgehauen in den steinernen Portalen unserer Kathedralen gesehen habt; dort die strahlenden Jungfrauen, wie sie der Maler vergeblich nachzubilden strebt in seinen Träumen auf dem farbigen Glase der Bogenfenster; dort die Cherubim in langhinwallenden, goldverbrämten Gewanden, ähnlich den weißen Tüchern auf den Altären. ... Dort endlich schaute er, gekrönt von Sternen, gekleidet in Licht, umgeben von allen himmlischen Chören unsere liebe Frau von Montserrat, die Gottesmutter, die Königin der Erzengel, die Zuflucht der Sünder und der Trost der Betrübten. ...

 

VI

Über das Eden der Gerechten hinaus ging es, fernhin über den Thron der allerseligsten Jungfrau hinaus! Teobaldos Gemüt war erfüllt mit banger Angst, und ein tiefer Schrecken bemächtigte sich seiner Seele.

Ewige Einsamkeit, ewiges Schweigen herrscht in jenen Gegenden, die zum geheimnisvollen Tabernakel des Herrn führen. ... Von Zeit zu Zeit berührte seine Stirn ein Windhauch, kalt wie die Klinge eines Dolches und sträubte sein Haar vor Entsetzen, und drang bis ins Mark seiner Knochen; es waren dies Windstöße, ähnlich jenen, welche den Propheten verkündigten, daß der Geist Gottes nahe. ... Und endlich ward er an den Ort getragen, wo es ihm schien, als höre er ein dumpfes Gebrause, wie entferntes Gesummse von Bienenschwärmen, die an Spätherbstabenden rings um die letzten Blumen fliegen. ...

 

VII

Er durchquerte jene phantastische Gegend, wohin alle Wehklagen der Erde gehen, die Töne, von denen wir sagen, daß sie sich in der leeren Luft verlieren, die Worte, von denen wir glauben, daß sie ohne Echo verklingen, die Wehklagen, von denen wir annehmen, daß sie niemand höre. ...

Dort schweben im harmonischen Zusammenklang die Gebete der Kinder, die Bitten der Jungfrauen, die Psalmen der frommen Einsiedler, das Flehen der Erniedrigten und die keuschen Worte derer, die reinen Herzens sind, die entsagenden Seufzer jener, die dulden, das Jammern derer, die verzweifeln, und die Hymnen jener, die hoffen. ...

Und Teobaldo hörte unter diesen Stimmen, die im leuchtenden Äther hinzitterten, die Stimme seiner heiligen Mutter, welche bei Gott für ihn Fürbitte einlegte. ...

Aber seine eigene Stimme hörte er nicht!

 

VIII

Darüber hinaus drangen zu seinem Ohr mit tosendem Mißklang tausend und tausend wilde und durchdringende Töne, Flüche, Racheschreie, orgiastische Weisen, schamlose Worte, Flüche von Verzweifelnden, Drohungen von Ohnmächtigen und Meineide von Gottlosen.

Teobaldo flog durch diesen zweiten Kreis mit einer Heftigkeit, mit der ein Meteor am Sommerabend den Himmel durchquert, nur um seine – eigene Stimme nicht zu hören, die dort donnernd toste alle Klänge im Wirbel dieses höllischen Lärmes übertönend.

»Ich glaube nicht an Gott! ... Ich glaube nicht an Gott!« ... brüllte noch immer seine Stimme, in jenem Ozean von Lästerungen hin- und herwogend.

Und Teobaldo fing an zu glauben!

 

IX

Und wieder ließ er diese Lande hinter sich und kam in andere, unabsehbar, voll entsetzlicher Gesichte, die weder er begreifen konnte, noch ich zu schildern imstande bin, bis er endlich zum letzten Kreise der Himmel kam, wo die Seraphim Gott anbeten, dessen Angesicht bedeckt ist von den dreifachen Flügeln derer, die zu seinen Füßen knieen. ...

Teobaldo sehnte sich, ihn zu erblicken! – Ein Feueratmen berührte sein Gesicht, ein Meer von Licht betäubte seine Augen und er ward vom Rosse herabgeschleudert und flog kopfüber ins Leere, wie ein glühender Stein, den der Vulkan ausgeworfen hat; er fühlte, daß er falle und falle, ohne je niederzufallen, blind, betäubt und stumm, wie einst der empörte Engel gefallen ist, als Gott die Grundlage seines Überstolzes mit einem einzigen Hauch der Lippen umblies. ...

 

Dritter Gesang.

I

Die Nacht war dunkel und der Wind stöhnte, die Blätter der Bäume zausend, durch deren dichtbelaubte Zweige ein milder Mondstrahl drang, als Teobaldo, sich auf den Ellbogen stützend und seine Augen reibend, wie aus tiefem Schlummer erwacht um sich sah. Allgemach ward er inne, daß er sich in demselben Walde befand, wo er den Haksch verwundet hatte, wo sein Pferd tot niedergesunken war und wo ihm irgend jemand jenes seltsame Reittier zugeführt hatte, das ihn durch unbekannte, geheimnisvolle Gegenden schleppte.

Das Schweigen des Todes waltete ringsum, bloß zeitweilig unterbrochen vom Orgeln der Hirsche, vom ängstlichen Blattgelispel und vom Echo fernen Glockengeläutes, das ab und zu der Wind auf seinen Fittichen hierhertrug. ...

»Ich habe geträumt,« sagte der Baron, und durchschritt auf dem Fußsteige den Wald und kam endlich in sein Tal.

 

II

In der Ferne, auf den Felsen von Montagut, gewahrte er die schwarzen Umrisse seiner Veste, die sich vom azurnen Hintergrunde des Nachthimmels abhoben. ...

»Mein Schloß ist noch weit und ich bin müde,« murmelte er. »Ich will den Morgen in einem nahen Dorfe erwarten,« und richtete seine Schritte gegen die Ortschaft. ... Beim Tor angelangt, rief er den Wächter.

»Wer seid Ihr!« frug dieser.

»Der Baron von Fortcastell,« gab er zur Antwort und sie lachten ihm ins Gesicht.

Er rief beim zweiten Tor.

»Wer seid Ihr und was wollt Ihr?« frug man wieder.

»Euer Herr,« entgegnete der Ritter, überrascht, daß sie ihn nicht erkannten, »Teobaldo de Montagut!«

»Teobaldo de Montagut,« rief lachend der Fragende, der kein Greis war, »Teobaldo de Montagut, der, von dem die Geschichten erzählt werden?! ... Bah! ... Geht Eures Weges und trommelt ehrliche Leute nicht aus dem Schlaf mit Altweibergewäsch und abgedroschenen Schwänken!« ...

 

III

Teobaldo verließ voll Verwunderung das Dörfchen und lenkte die Schritte gegen die Burg, deren Tor er noch vor Tagesanbruch erreichte.

Der Graben war mit den Steinen der zertrümmerten Zinnen zugeworfen, die Zugbrücke, bereits ganz unbrauchbar und schon verfault, hing noch in ihren starken über und über verrosteten Zugankern.

Im Schloßturm schaukelte sich langsam eine Glocke.

Vor dem Torbogen der Veste, auf einem Granitsockel stand ein Kreuz aufgerichtet; auf den Mauern selbst war nicht ein einziger Knecht zu sehen; ... und aus dem Innern der Burg schien, gleich einem fernen Murmeln, schwach und unbestimmt, eine fromme Hymne zu ertönen, ernst, feierlich und ergreifend. ...

»Das ist meine Burg, ohne Zweifel!« sagte Teobaldo, unruhige Blicke dahin und dorthin werfend, und nicht imstande, zu begreifen, was sich hier wohl begeben hätte.

»Das ist mein Wappenzeichen, im Dorn der Wölbung ausgehauen! Das ist die Niederung von Montagut! ... Das ist die Landschaft, die zur Baronie von Fortcastell gehört ...«

In diesem Augenblick knirschten die schweren Torflügel in ihren Angeln und auf der Schwelle erschien ein Mönch.

 

IV

»Was seid Ihr und was wollt Ihr hier!« frug Teobald den Mönch.

»Ich,« erwiderte dieser, »bin ein demütiger Knecht des Herrn, ein Mönch des Klosters von Montagut.«

»Aber ...« unterbrach ihn der Baron, »Montagut ... Ist denn das nicht eine Baronie?« ...

»Es war eine solche,« sagte der Mönch ... »vor alten Zeiten. ... Ihren letzten Herrn hat, wie man erzählt, der Satan selbst geholt; und da es niemand gab, der in der Erbschaft gefolgt wäre, schenkten die erlauchten Grafen diese Ländereien den Brüdern unseres Ordens, die hier schon an die zweihundert und zwanzig Jahre hausen. ... Und Ihr, wer seid Ihr?«

»Ich,« stammelte der Baron, nach einer langen Pause des Stillschweigens, »ich bin ... bin ein elender Sünder, der seine Sünden bereuend, in Euer Kloster kommt, um zu beichten und Euch zu bitten, daß Ihr ihn in Euern Orden aufnehmt«. – –


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