Honoré de Balzac
Junggesellenwirtschaft
Honoré de Balzac

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Während der beiden Wochen, die bei diesem heiligen Geschöpf der Kampf zwischen Leben und Tod dauerte, hatte Agathe Blicke, Regungen und Gebärden für ihren Sohn so voll von lauter Liebe, daß sich in jeder Äußerung ein ganzes Leben zu ergießen schien . . . Sie dachte nur an ihn, gab kaum auf sich acht und fühlte in ihrer Hingabe ihre Leiden nicht mehr. Worte fand sie bisweilen, wie sie so naiv nur Kinder sprechen. Oft kamen die Freunde D'Arthez, Michel Chrestien, Fulgence Ridal, Pierre Grassou, Bianchon, um Joseph Gesellschaft zu leisten, und disputierten mit leiser Stimme im Zimmer der Kranken.

»Ach, wenn ich doch wüßte, was Farbe ist«, rief sie einmal, als sie dem Streit über ein Bild zuhörte.

Und Joseph seinerseits war hinreißend zu der Mutter, er verließ ihr Zimmer kaum, er verzärtelte sie. Es war ein unvergeßliches Schauspiel für die Freunde des großen Malers. All diese Männer, in deren Wesen Talent und Charakter so echt zusammenklang, waren für Mutter und Sohn wie Engel, die mitbeten und mitweinen ohne Worte und ohne Tränen. Aus Agathes Blicken erriet Josephs geniales Zartgefühl ihren heimlichsten Wunsch; und eines Tages sagte er zu D'Arthez: »Zu sehr hat sie diesen Halunken, den Philipp, geliebt, um ihn vor ihrem Tode nicht noch einmal sehen zu wollen . . .« Joseph bat Bixiou, der emporgekommen war in der Bohème, die Philipp bisweilen aufsuchte, es bei dem infamen Parvenü zu erreichen, daß er aus Mitleid eine Komödie der Sohnesliebe spiele, um Träume in das Sterbelinnen der armen Mutter zu weben. Gern übernahm der Menschenkenner und menschenfeindliche Spötter die Mission. In einem mit gelbem Damast ausgeschlagenen Schlafzimmer empfing ihn der Graf von Brambourg und ließ sich von Agathes Lage berichten. Dann antwortete er mit einem Gelächter: »Was zum Teufel hab ich da zu suchen? Der einzige Dienst, den mir die gute Frau leisten kann, ist, sobald wie möglich zu krepieren. Bei meiner Hochzeit mit Fräulein von Soulanges würde sie doch eine traurige Figur abgeben. Je weniger Familie ich habe, um so besser steh ich da. Begreifst du denn nicht, daß ich den Namen Bridau im tiefsten Grab des Kirchhofs verschwinden lassen möchte? . . . Mein Bruder begeht einen Mord an mir, indem er meinen wahren Namen an die große Glocke hängt. Du hast zu viel Geist, um meine Lage nicht zu übersehen. Nimm an, du mit deinem fabelhaften Mundwerk würdest ein gefürchteter Deputierter und könntest es zum Grafen Bixiou und zum Staatssekretär der Künste bringen, wäre es dir dann angenehm, daß deine Großmutter Descoings noch lebte? Würdest du ihr gern in den Tuilerien den Arm reichen? Sie der Adelsfamilie vorstellen, in die du aufgenommen werden möchtest? Nein, mein Junge, du würdest sie sechs Schuh unter die Erde und in ein bleiernes Hemd wünschen . . . Frühstücke mit mir und laß uns von was anderm reden. Ich bin ein Emporkömmling, mein Lieber, das weiß ich! Ich habe keine Lust, meine Windeln vorzuzeigen! . . . Mein Sohn, der wird es besser haben als ich, er wird ein großer Herr sein. Der Spitzbube wird mir den Tod an den Hals wünschen, darauf bin ich gefaßt; sonst wär er nicht mein Sohn.«

Er klingelte und ließ ein vornehmes Frühstück auftragen.

»Aber die vornehme Welt würde dich doch in dem Zimmer deiner Mutter gar nicht sehen«, meinte Bixiou. »Was kann es dich schon kosten, der armen Frau ein paar Stunden die Liebe vorzuspielen?«

Philipp kniff das Auge: »Du kommst von ihnen. Ich kenn mich aus. Meine Mutter will mir bei Gelegenheit ihres letzten Seufzers für ihren Joseph was abschwindeln! . . . Danke.«

Als Bixiou diesen Auftritt Joseph erzählte, wurde dem armen Maler kalt bis in die Seele hinein.

»Weiß Philipp, daß ich krank bin?« fragte Agathe mit leidender Stimme am Abend desselben Tages. Joseph ging aus dem Zimmer, um seine Tränen nicht sehen zu lassen. Der Abbé Loraux, der am Bett seines Beichtkindes saß, drückte Agathes Hand und sagte: »Mein Kind, Sie haben immer nur einen Sohn gehabt! . . .«

Als Agathe diese Worte hörte, bekam sie einen Anfall, mit dem ihr Todeskampf begann. Vierundzwanzig Stunden später war sie tot. In der Agonie entfuhr ihr die Frage: »Von wem hat Philipp das geerbt?«

Joseph führte allein das Trauergeleit seiner Mutter. Philipp hatte sich dienstlich nach Orléans schicken lassen. Ihn vertrieb aus Paris ein Brief, den Joseph ihm schrieb, als die Mutter ihren letzten Seufzer verhauchte:

»Untier, meine arme Mutter ist gestorben an der Erschütterung, die Dein Brief verursacht hat; leg Trauer an; aber sieh zu, daß Du krank bist; ich will nicht ihren Mörder neben mir hinter ihrem Sarge haben.

Joseph B.«

Der Maler, der keinen rechten Mut hatte zu malen, obwohl sein tiefer Schmerz nach der mechanischen Ablenkung durch Arbeit verlangte, war umgeben von seinen Freunden, die sich geeinigt hatten, ihn nicht allein zu lassen. So war etwa zwei Wochen nach dem Begräbnis einmal auch Bixiou, der Joseph so sehr liebte wie ein Spötter überhaupt lieben kann, unter den Freunden im Atelier, als plötzlich die Magd hereinkam und Joseph einen Brief reichte, den eine alte Frau gebracht hatte, die unten beim Portier auf Antwort wartete:

»Mein Herr!

Den Namen Bruder wage ich Ihnen nicht zu geben, aber ich muß mich an Sie wenden, und sei es auch nur wegen des Namens, den ich trage . . .«

Joseph drehte das Blatt um und sah nach der Unterschrift. Die Worte ›Gräfin Flora von Brambourg‹ jagten ihm einen Schreck ein; er ahnte eine Schandtat des Bruders.

»Der Bube,« sagte er, »würde es mit dem Teufel selbst aufnehmen! Und so was nennt sich Ehrenmann, so was hängt sich einen Haufen Klimperzeug um den Hals und schlägt sein Pfauenrad bei Hofe, statt daß man ihn aufs Rad sticht! So was läßt sich Herr Graf titulieren!«

»Und von der Sorte gibt's viele!« meinte Bixiou.

»Schließlich verdient diese Käscherin, daß sie auch einmal gekäschert wird«, fuhr Joseph fort. »Sie ist die Krätze nicht wert, die sie kriegt, sie hätte mir wie einem Huhn den Hals abhacken lassen, obwohl sie wußte, daß ich unschuldig war.«

Er warf den Brief fort. Da langte Bixiou ihn auf und las ihn vor.

»Ziemt es sich, daß die Gräfin Bridau von Brambourg, was sie auch für Unrecht begangen haben mag, im Spittel stirbt? Wenn das mein Schicksal, der Wille des Herrn Grafen und der Ihre ist, nun gut, so bitten Sie wenigstens Ihren Freund, den Doktor Bianchon, um seine Fürsprache, damit ich in ein Hospital komme. Die Person, die Ihnen diesen Brief bringt, ist elf Tage hintereinander im Hotel Brambourg in der Rue de Clichy gewesen, ohne von meinem Gatten eine Unterstützung zu erlangen. Mein gegenwärtiger Zustand macht es mir unmöglich, einen Anwalt zu nehmen, um auf dem Wege des Rechts durchzusetzen, was mir zusteht, und in Frieden zu sterben. Übrigens kann mich, das weiß ich, nichts mehr retten. Falls Sie sieh nicht um Ihre unglückliche Schwägerin kümmern mögen, so geben Sie mir das nötige Geld, um meinem Leben ein Ende zu machen; ich sehe wohl, Ihr Herr Bruder will meinen Tod und hat ihn stets gewollt. Wohl hat er mir gesagt, er habe drei Mittel, um eine Frau zu töten, aber ich war nicht klug genug zu erraten, welches von den dreien er gegen mich angewandt hat.

Falls Sie mir die Ehre Ihrer Unterstützung erweisen und sich selbst von meinem Elend überzeugen wollen, ich wohne Rue du Houssay, Ecke der Rue Chantereine, im fünften Stock. Wenn ich morgen nicht meine rückständige Miete zahle, muß ich hinaus! Und wo soll ich dann hin? . . . Darf ich mich nennen Ihre Schwägerin

Gräfin Flora von Brambourg?«

»Was für eine Kloake von Gemeinheit!« sagte Joseph. »Was mag dahinter stecken?«

»Lassen wir erst einmal die Frau heraufkommen, die wird eine kuriose Vorrede zu dieser Geschichte liefern«, riet Bixiou.

Es erschien ein Weib, das Bixiou als ›wandelnde Lumpen‹ bezeichnete. Ein Haufen Wäschefetzen und alte Kleider, eines immer überm andern, mit Kot bespritzt, das Ganze aufgesetzt auf ein Paar dicke Beine und breite Füße, die gestickte Strümpfe und triefende Schuhe schlecht umhüllten. Oben auf diesem Lappenhügel erhob sich ein Kopf, wie Charlet ihn seinen Straßenkehrerinnen gibt, aufgeputzt mit einem gräßlich zerfaserten Kopftuch.

»Wie heißen Sie?« fragte Joseph, während Bixiou das Weib nebst seinem Regenschirm aus dem Jahre II der Republik abzeichnete.

»Frau Gruget, zu dienen. Hab auch mal Renten gehabt, mein Herrchen«, wandte sie sich an Bixiou, dessen tückisches Lachen sie verdroß. »Hätte meine arme Tochter nicht das Pech gehabt, einen zu sehr zu lieben, dann wäre ich jetzt auch woanders. Sie ist, mit Verlaub, ins Wasser gegangen, meine arme Ida! Dann hab ich die Dummheit gemacht, eine Quaterne zu halten; dafür muß ich nun mit siebzig Jahren Kranke pflegen, mein lieber Herr, für zehn Sous am Tag und das Essen . . .«

»Aber ohne Kleidung«, meinte Bixiou. »Meine Großmama hat auch eine niedliche kleine Terne gehalten, aber die hatte doch was anzuziehen.«

»Von meinen zehn Sous muß ich auch noch die Wohnung zahlen . . .«

»Was hat denn die Dame, die Sie pflegen?«

»Nicht so viel hat sie, lieber Herr, was das Geld betrifft, versteht sich! Denn eine Krankheit hat sie, daß die Arzte blaß werden . . . Sechzig Tage ist sie mir schuldig, deshalb pfleg ich sie noch immer weiter. Ihr Mann, der Herr Graf, denn sie ist 'ne Gräfin, wird mir doch meine Rechnung zahlen, wenn sie tot ist; dafür hab ich ihr alles gepumpt, was ich hatte . . . nun hab ich nichts mehr, hab meinen ganzen Kram versetzt . . . Siebenundvierzig Franken zwölf Sous ist sie mir schuldig, außer meinen dreißig Franken für Pflege, und wo sie sich doch jetzt mit Kohlendunst umbringen will . . . das ist nicht recht, hab ich ihr gesagt; hab auch zur Portierfrau gesagt, sie soll auf sie aufpassen, solang ich weg bin, denn sie ist imstande und wirft sich aus dem Fenster.«

»Was fehlt ihr denn?« fragte Joseph.

»Ach, lieber Herr, da ist der Arzt von den Schwestern gekommen, aber die Krankheit . . .« – Frau Gruget machte ein verschämtes Gesicht – »er hat gesagt, sie muß ins Hospital . . . der Fall ist tödlich.«

»Wir gehen hin«, erklärte Bixiou.

Joseph gab der Alten zehn Franken.

Dann griff er in den berühmten Totenkopf und nahm alles Geld heraus, stieg in einen Fiaker und fuhr zu Bianchon, den er zum Glück zu Hause traf; inzwischen eilte Bixiou in die Rue de Buci, um Desroches abzuholen. Eine Stunde später trafen sich die vier Freunde in der Rue du Houssay.

»Dieser Kavallerie-Mephistopheles, der sich Philipp Bridau nennt«, sagte Bixiou, »hat es kurios angestellt, um sich seine Frau vom Halse zu schaffen. Wie ihr wißt, hat unser Freund Lousteau, der den Tausendfrankenschein brauchen kann, den Philipp ihm jeden Monat gibt, dafür gesorgt, daß Frau Bridau in der Gesellschaft von Florine, Mariette, Tullia und der Val-Noble blieb. Als Philipp sah, wie sich seine Käscherin an schöne Toiletten und teure Vergnügungen gewöhnte, hat er ihr kein Geld mehr gegeben und es ihr selbst überlassen, sich's zu verschaffen. Wie, könnt ihr euch denken! So hat er im Verlauf von anderthalb Jahren seine Frau von Vierteljahr zu Vierteljahr tiefer hinabsinken lassen; schließlich hat er ihr noch mit Hilfe eines schneidigen Unteroffiziers den Geschmack an Schnäpsen beigebracht. In dem Maße, als er sich erhob, sank seine Frau, und jetzt sitzt die Gräfin im Schmutze. Aber dies Landkind hat ein hartes Leben; ich weiß nicht, was Philipp angestellt hat, um sie ganz loszuwerden. Neugierig bin ich, den Schluß dieses kleinen Dramas kennenzulernen, denn ich habe noch eine Rache vor an dem Kumpan.« Und in einem Ton, der die Freunde im Zweifel ließ, ob er scherzte oder im Ernst sprach, fuhr Bixiou fort: »Ach, meine Freunde, es genügt, einen Menschen einem Laster auszuliefern, um ihn loszuwerden. ›Sie hat zu sehr den Tanz geliebt, und das hat sie getötet‹, sagt Victor Hugo. Meine Großmutter liebte die Lotterie, der alte Rouget liebte gewisse Späße, und Lolotte hat ihn getötet. Frau Bridau, das arme Weib, liebte Philipp, an ihm ist sie verdorben. Das Laster! Das Laster! Meine Freunde, wißt ihr, was das Laster ist? Der Kuppler des Todes!«

»Danach müßtest du an einem Witz sterben!« meinte Desroches.

Vom vierten Stock an klommen die jungen Leute eine leiterähnliche steile Treppe hinan, wie sie in Pariser Häusern zu gewissen Mansarden führen. Joseph, der Flora in voller Schönheit gekannt hatte, war auf einen furchtbaren Gegensatz gefaßt, aber das entsetzliche Schauspiel, das sich seinem Künstlerauge bot, hatte er nicht ahnen können. Unter dem scharfen Winkel einer Mansarde ohne Tapete lag auf einem Gurtenbett mit magerer, kümmerlich mit Wollresten gefüllter Matratze, eine Frau, grün wie eine Wasserleiche am zweiten Tage und mager wie eine Schwindsüchtige zwei Stunden vor dem Tode. Der faulige Kadaver hatte ein häßliches kariertes Baumwolltuch auf dem haarlosen Schädel. Um die hohlen Augen waren rote Ringe, die Lider glichen Eihäutchen. Von dem einst so reizenden Leibe war nur ein armseliges Knochengerüst übriggeblieben. Als sie Besuch kommen sah, zog Flora über ihre Brust einen Musselinfetzen, der früher ein kleiner Fenstervorhang gewesen sein mochte, er hatte einen Rostrand wie von Gardinenstangen. Das ganze Mobiliar, das die jungen Leute im Zimmer sahen, bestand in zwei Stühlen, einer elenden Kommode, auf der eine Kerze in eine Kartoffel gesteckt war, und einem tönernen Kohlenbehälter in einem leeren Kamin. Bixiou entdeckte den Rest des Schreibpapiers, das beim Krämer gekauft worden war, um den Brief zu schreiben, den die beiden Frauen wahrscheinlich gemeinsam verfaßt hatten. Als die Sterbende Joseph erblickte, rannen ihr zwei dicke Tränen über die Wangen.

»Sie kann noch weinen!« sagte Bixiou. »Tränen, die aus einem Dominobrett laufen: dies Schauspiel erklärt das Wunder Mose.«

»Wie ausgetrocknet sie ist!« sagte Joseph.

»Ja, am Feuer der Reue«, sagte Flora. »Und ich kann keinen Priester bekommen, ich habe nichts, nicht einmal ein Kruzifix, um Gottes Bild zu sehen!« Sie hob ihre Arme, die wie zwei angespitzte Holzstücke aussahen, und rief: »Wohl bin ich schuldig, aber so wie mich hat Gott noch niemand gestraft . . . Philipp hat Max getötet, der mir Gräßliches geraten hatte, und jetzt tötet er mich. Er ist Gottes Geißel . . . Oh, hütet euch, wir haben alle unsern Philipp.«

»Laßt mich mit ihr allein,« sagte Bianchon, »ich will untersuchen, ob ihre Krankheit heilbar ist.«

»Wenn man sie heilte, Philipp Bridau würde krepieren vor Wut«, sagte Desroches; »ich will den Zustand seiner Frau zu Protokoll nehmen; er hat sie nicht wegen Ehebruchs verurteilen lassen, sie genießt alle Rechte einer Ehefrau; er soll einen Skandalprozeß kriegen. Zunächst wollen wir die Frau Gräfin in die Klinik des Doktors Dubois in der Rue du Faubourg Saint-Denis bringen lassen; dort soll sie mit allem Luxus gepflegt werden. Dann will ich den Grafen wegen böswilliger Verlassung vor Gericht zitieren.«

»Bravo, Desroches!« rief Bixiou. »Was für ein Vergnügen, Gutes zu tun, das andern übel bekommt.«

Bianchon kam heraus zu seinen Freunden und sagte: »Ich laufe zu Desplein, er kann durch eine Operation diese Frau retten. Oh, er wird sie sorgsam behandeln, denn das Übermaß von Alkohol hat in ihrem Fall eine prachtvolle Krankheit entwickelt, die man schon verloren glaubte.«

»Kleiner Schäker, sagte Bixiou. »Sind denn da nicht ein paar Krankheiten?«

Aber Bianchon war schon im Hof, so eilig hatte er es mit seiner großen Neuigkeit für Desplein. Zwei Stunden später wurde Josephs Schwägerin in die Klinik überführt, die der Doktor Dubois gegründet und später die Stadt Paris angekauft hat. Und nach drei Wochen stand in den Hospitalnachrichten der Bericht über einen der kühnsten Versuche der modernen Chirurgie, ausgeführt an einer mit den Initialen F. B. bezeichneten Kranken. Die Patientin erlag mehr dem Schwächezustand, in den sie das Elend gebracht hatte, als den Folgen der Operation. Alsbald suchte der Oberst Graf von Brambourg in tiefer Trauer den Grafen von Soulanges auf und teilte ihm den ›schmerzlichen Verlust‹ mit, den er erlitten hatte. Man tuschelte in der Gesellschaft, der Graf von Soulanges verheirate seine Tochter an einen Emporkömmling von großen Meriten, der demnächst Brigadegeneral und Oberst eines königlichen Garderegiments werden würde. De Marsay gab diese Neuigkeit an Rastignac weiter, der brachte sie bei einem Souper im Rocher de Cancale zur Sprache in Gegenwart von Bixiou. ›Daraus wird nichts!‹ entschied der geistvolle Künstler für sich.

Andere Freunde, die Philipp verleugnete, wie Giroudeau, konnten sich nicht rächen. Aber daß er Bixiou verletzt hatte, der wegen seines Geistes überall offnes Haus fand und nicht zu verzeihen pflegte, das war ungeschickt. Philipp hatte im Rocher de Cancale bei einem Souper, an dem gewichtige Persönlichkeiten teilnahmen, zu Bixiou, der ihn im Hotel Brambourg besuchen wollte, vor aller Welt gesagt: »Du kannst zu mir kommen, wenn du Minister bist!« . . .

»Muß ich am Ende Protestant werden, um dich besuchen zu dürfen?« spaßte Bixiou laut, aber innerlich sagte er sich: ›Bist du ein Goliath, ich habe meine Schleuder, und an Kieselsteinen fehlt es mir auch nicht.‹

Er ließ sich von einem befreundeten Schauspieler durch die Allmacht des Kostüms in einen Weltgeistlichen mit grüner Brille auf der Nase verwandeln, fuhr in einem Mietwagen zum Hotel Soulanges und wurde auf sein Drängen, Herrn von Soulanges in wichtiger Angelegenheit sprechen zu müssen, vorgelassen; er spielte den Würdenmann, dem wichtige Geheimnisse anvertraut sind. Mit verstellter Stimme erzählte er die Krankheit der verstorbenen Gräfin, deren schreckliches Geheimnis ihm Bianchon mitgeteilt hatte, den Tod Agathes, den Tod des alten Rouget, dessen sich der Graf von Brambourg gerühmt hatte, den Tod der Descoings, den Eingriff in die Zeitungskasse und Philipps Lebenswandel in seinen üblen Tagen. »Der Herr Graf werden ihm Ihre Tochter nicht geben, bevor Sie Ihre Erkundigungen eingezogen haben, befragen Sie seine alten Gefährten Bixiou, den Hauptmann Giroudeau usw.«

Drei Monate später waren bei dem Obersten Grafen von Brambourg Du Tillet, Nucingen, Rastignac, Maxime de Trailles und De Marsay zum Souper eingeladen. Unbekümmert nahm der Gastgeber die halb tröstenden Äußerungen seiner Gäste über seinen Bruch mit dem Hause Soulanges auf.

»Du kannst Besseres finden«, sagte Maxime.

»Was für ein Vermögen muß man haben, um ein Fräulein von Grandlieu zu heiraten?« fragte Philipp Herrn de Marsay.

»Sie? . . . Sie bekämen die häßlichste der sechs Töchter nicht unter zehn Millionen«, war die unverschämte Antwort.

»Ach, mit zweihunderttausend Franken Rente können Sie Fräulein von Langeais, die Tochter des Marquis, haben; sie ist häßlich, dreißig Jahre alt, und hat keinen Heller Mitgift, das wäre etwas für Sie«, sagte Rastignac.

»Heut in zwei Jahren habe ich zehn Millionen«, erklärte Philipp Bridau.

»Wir schreiben den 16. Januar 1829!« rief Du Tillet. »Ich arbeite seit zehn Jahren und habe sie noch nicht.«

»Wir werden einander beraten, und Sie sollen sehen, wie ich mich auf die Finanzen verstehe«, antwortete Bridau.

»Wieviel haben Sie denn, alles in allem?« fragte Nucingen.

»Wenn ich alles flüssig mache, außer meinem Gut und meinem Haus, die ich nicht riskieren will und kann, weil sie zu meinem Majorat gehören, könnte ich gut eine Summe von drei Millionen zusammenbringen . . .«

Nucingen und Du Tillet sahen sich an. Nach diesem besondern Blick sagte Du Tillet zu Philipp: »Mein lieber Graf, wir werden zusammen arbeiten, wenn Sie wollen.«

De Marsay bemerkte den Blick, den Du Tillet Nucingen zugeworfen hatte und der besagte: »Die drei Millionen gehören uns.« Diese beiden großen Bankiers standen mitten im politischen Geschäft und konnten im gegebenen Augenblick mit ziemlicher Sicherheit auf der Börse gegen Philipp spielen, wenn die Wahrscheinlichkeit ihm günstig schien, während es die Wirklichkeit ihnen war. Der Fall trat ein. Bis zum Juli 1830 hatten Du Tillet und Nucingen den Grafen von Brambourg, der ihnen ganz vertraute, fünfzehnhunderttausend Franken gewinnen lassen. Philipp, den die Gunst der Restauration emporgebracht hatte, ließ sich von seiner tiefen Verachtung der ›Zivilisten‹ täuschen, glaubte an den Erfolg der Drei Verordnungen des Königs und wollte auf Hausse spielen; Nucingen und Du Tillet glaubten an Revolution und spielten auf Baisse gegen ihn. Dabei stimmten die beiden Schlauberger dem Grafen von Brambourg in allen seinen Überzeugungen bei; sie machten ihm Hoffnung, seine Millionen zu verdoppeln, und hielten sich bereit, sie ihm abzunehmen. Philipp schlug sich wie einer, für den der Sieg vier Millionen bedeutet. Seine Ergebenheit erregte Aufsehen, er wurde zusammen mit dem Herzog von Maufrigneuse nach Saint-Cloud befohlen. Diese Auszeichnung rettete ihm das Leben; denn er wollte am 25. Juli einen Sturm unternehmen, um die Boulevards zu säubern, und dabei hätte er sicher von seinem Freunde Giroudeau, der eine Division der Gegner befehligte, eine Kugel abbekommen. Einen Monat später besaß der Oberst Bridau von seinem gewaltigen Vermögen nur noch sein Haus, sein Landgut, seine Bilder und Möbel. Er war obendrein, wie er selbst fand, dumm genug, an die Wiedereinsetzung der älteren Linie zu glauben, der er bis 1834 treu blieb.

Als er erfuhr, daß Giroudeau Oberst geworden war, nahm er aus ziemlich begreiflicher Eifersucht wieder Dienste. Sein Unglück wollte, daß er 1835 ein Regiment in Algier bekam, wo er drei Jahre lang, in beständiger Hoffnung auf die Generalsepauletten, auf dem gefährlichsten Posten blieb; ein böswilliger Einfluß, der des Generals Giroudeau, ließ ihn dort sitzen und warten. Hart geworden, übertrieb Philipp die Härte des Dienstes und war trotz seiner an Murat erinnernden Tapferkeit verhaßt. Im Anfang des verhängnisvollen Jahres 1839 unternahm er bei einem Rückzug einen Gegenangriff gegen überlegene arabische Streitkräfte und stürzte sich mit einer einzigen Kompagnie auf das Gros des Feindes. Es gab einen blutigen schrecklichen Kampf, Mann gegen Mann, und nur wenige Reiter schlugen sich durch. Als diese aus der Ferne ihren Obersten umzingelt sahen, hatten sie keine Lust, ihr Leben unnütz dranzusetzen, um ihn herauszuschlagen. Sie hörten noch die Rufe: »Euer Oberst! Her zu mir! Ein Oberst des Kaisers!«, dann folgte ein gräßliches Geheul. Sie kehrten zum Regiment zurück. Philipp fand einen schaurigen Tod; man schnitt ihm, als er von den Jatagans schon halb zerhackt war, den Kopf ab.

Um dieselbe Zeit heiratete Joseph, protegiert von dem Grafen von Sérizy, die Tochter eines ehemaligen Pächters und Millionärs und erbte Schloß und Gut Brambourg, über die sein Bruder nicht mehr hatte verfügen können, so gern er Joseph des Erbes beraubt hätte. Am meisten freute sich der Maler an der schönen Bildersammlung. Jetzt besitzt Joseph bereits sechzigtausend Franken Rente, denn sein Schwiegervater häuft ihm von Tag zu Tag die Taler. Obwohl er herrliche Gemälde schafft und den Künstlern große Dienste leistet, ist er noch immer nicht Mitglied des Instituts. Infolge einer Klausel in der Stiftungsurkunde des Majorats ist er Graf von Brambourg geworden, worüber er sich oft im Atelier mit seinen Freunden vor Lachen schüttelt.

 

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