Honoré de Balzac
Junggesellenwirtschaft
Honoré de Balzac

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Philipp, der ältere von Bridaus beiden Söhnen glich auffallend seiner Mutter. Obgleich er blond und blauäugig war, hatte er etwas lärmend Ungestümes im Wesen, das man leicht für Lebhaftigkeit und Mut halten konnte. Der alte Claparon, der mit Bridau zugleich in das Ministerium eingetreten war, einer der Getreuen, die abends zu den beiden Witwen Karten spielen kamen, klopfte alle paar Wochen einmal dem Philipp auf die Backen und sagte: »Das ist ein strammer kleiner Bursche! Der wird sich nicht bange machen lassen!« Das stachelte den Knaben an, er bekam eine prahlerische Entschlossenheit, und diese Richtung seines Charakters machte ihn geschickt zu allen körperlichen Übungen. Von seinen vielen Schlägereien auf dem Lyzeum bekam er die Kühnheit und Schmerzverachtung, die zum Soldaten ertüchtigt, aber zugleich eine große natürliche Abneigung gegen das Lernen; nie wird die öffentliche Erziehung das schwierige Problem der gleichzeitigen Ausbildung von Leib und Geist lösen. Agathe schloß von ihrer physischen Ähnlichkeit mit Philipp auf seelische Zusammenhänge und glaubte zuversichtlich, eines Tages in ihm ihr Zartgefühl durch Mannhaftigkeit verstärkt wiederzufinden. Fünfzehn Jahre war Philipp alt, als seine Mutter die traurige Wohnung in der Rue Mazarine bezog, und die Anmut dieses Alters bestärkte die mütterlichen Hoffnungen. Joseph, der drei Jahre jünger war, glich seinem Vater, aber zu seinem Nachteil. Sein dichtes schwarzes Haar war immer schlecht gekämmt, was man auch damit anstellte, während der Bruder trotz seiner Lebhaftigkeit immer hübsch blieb. Dann wollte es das Unglück – und beständiges Unglück wird zur Gewohnheit –, daß Joseph keinen Anzug sauber halten konnte; aus seinen neuen Kleidern machte er schnell alte. Der ältere Bruder hielt seine Sachen aus Eitelkeit instand. Unmerklich gewöhnte sich die Mutter daran, Joseph zu schelten und ihm den Bruder als Muster hinzustellen. So zeigte sie ihren Kindern nicht immer beiden das gleiche Gesicht. »Wie wird er mir wieder die Sachen zugerichtet haben?« pflegte sie von Joseph zu sagen, wenn sie die Knaben aus der Schule abholte. Diese Kleinigkeiten bildeten in ihrem Herzen eine gefährliche Vorliebe für den Älteren aus.

Keines von den recht gewöhnlichen Wesen, welche die Gesellschaft der beiden Witwen bildeten, weder der brave Dubruel, noch der alte Claparon, noch Desroches senior, nicht einmal der Abbé Loraux, Agathes Beichtvater, bemerkte Josephs Hang zur Beobachtung. Von seinem Triebe beherrscht gab der künftige Maler auf nichts, was ihn selbst anging, acht. Während seiner Kindheit glich diese Veranlagung einer Art Starrheit und beunruhigte den Vater. Der ungewöhnliche Umfang des Kopfes und die Ausdehnung der Stirn ließen einen Wasserkopf befürchten. Sein bewegtes Gesicht, dessen Eigenart in den Augen von Leuten, die den geistigen Gehalt einer Physiognomie nicht erkennen, Häßlichkeit bedeuten kann, sah in der Jugend ziemlich mürrisch drein. Die Züge, die sich später entfalteten, schienen gekrampft, und die tiefe Aufmerksamkeit des Kindes für die Außenwelt zog sie noch krauser zusammen. Während Philipp der Eitelkeit seiner Mutter schmeichelte, wurde ihr über Joseph nie ein Kompliment gemacht. Dem Philipp entschlüpften die hübschen Wendungen und schlagfertigen Antworten, bei denen sich Eltern einreden, daß ihre Kinder einmal bedeutende Männer werden. Joseph blieb schweigsam und versonnen. Die Mutter hoffte Wunderdinge von Philipp, von Joseph versprach sie sich nichts.

Josephs Vorbestimmung für die Kunst kam durch ein sehr einfaches Ereignis zum Durchbruch: In den Osterferien des Jahres 1812 kam er von einem Spaziergang in den Tuileriengärten mit seinem Bruder und Frau Descoings zurück. Da sah er einen Schüler die Karikatur eines Lehrers auf die Mauer zeichnen und blieb vor Bewunderung wie festgenagelt stehen vor diesen Kreidestrichen, die von Schalkheit sprühten. Am nächsten Tag ging das Kind an das Fenster und sah die Kunstschüler durch das Tor der Rue Mazarine eintreten; heimlich schlich sich der Knabe hinunter und in den langen Hof des Instituts, wo er die Statuen, Büsten, angefangenen Marmorskulpturen, Terrakotten und Gipsabgüsse bemerkte und fiebernd betrachtete; sein Instinkt wurde wach, seine Berufung regte sich. Er trat in einen Saal des Erdgeschosses, dessen Tür halb aufstand und sah dort eine Schar junger Leute eine Statue abzeichnen. Die machten ihn alsbald zur Zielscheibe von tausend Späßen.

»Put, Put!« rief der erste, der ihn sah, nahm eine Brotkrume und bröckelte sie ihm hin.

»Wem gehört das Kind?«

»Gott, wie häßlich der ist!«

Eine Viertelstunde lang hagelten die derben Witze aus dem Atelier des großen Bildhauers Chaudet auf den kleinen Joseph; als sich die Schüler dann genug über ihn lustig gemacht hatten, waren sie am Ende doch von seiner Beharrlichkeit und seinem Gesichtsausdruck betroffen und fragten ihn, was er wollte. Joseph antwortete, er hätte große Lust, zeichnen zu können; worauf ihn alle gleich ermutigten. Das Kind wurde durch den freundschaftlichen Ton vertraulich und gab zum Besten, daß er der Sohn der Frau Bridau wäre.

»Ja dann, wenn du der Sohn der Frau Bridau bist,« rief es aus allen Ecken des Ateliers, »dann kannst du schon eine große Nummer werden. Hoch lebe der Frau Bridau ihr Sohn! Ist sie hübsch, die Mutter? Nach deinem Klotzkopf zu schließen, muß sie recht schick sein!«

»Also, du willst Künstler werden,« sagte der älteste Schüler, verließ seinen Platz und kam zu Joseph, um sich mit ihm zu necken, »weißt du auch, daß man dazu verwegen sein und allerhand Elend auf sich nehmen muß? Da gibt es Dinge durchzumachen, daß einem Hören und Sehen vergeht. All die Kröten, die du hier siehst – da ist nicht ein einziger drunter, der nicht so was durchgemacht hätte. Der da, zum Beispiel, hat einmal sieben Tage lang gehungert! Laß mal sehn, ob du das Zeug zum Künstler hast!«

Er nahm Josephs linken Arm und hob ihn senkrecht empor, dann gab er dem rechten eine Lage, als sollte Joseph zum Faustschlag ausholen.

»Wir nennen das die Telegraphenprobe,« fuhr er fort, »kannst du eine Viertelstunde so stehenbleiben, ohne zu wackeln oder die Arme sinken zu lassen, ja, dann hast du bewiesen, daß du ein Kerl bist.«

»Vorwärts, Kleiner, nur Mut! Ja, ja, wenn man Künstler werden will, muß man leiden«, riefen die andern.

Treuherzig blieb Joseph fünf Minuten lang unbeweglich stehen, und alle Kunstschüler betrachteten ihn mit ernster Miene.

»Hallo! du wackelst«, rief einer.

»Sapperlot! Nicht sinken lassen!« sagte ein andrer.

»Der Kaiser Napoleon ist einen ganzen Monat so geblieben, wie du ihn da siehst«, meinte ein dritter und zeigte auf Chaudets schöne Statue, dieselbe, die im Jahre 1814 von der Säule, die sie so herrlich krönte, heruntergestürzt wurde. Aufrecht stand der Herrscher da und hielt sein kaiserliches Szepter.

Nach zehn Minuten schimmerten Schweißperlen auf Josephs Stirn. Da trat ein kleiner kahlköpfiger Mann von blassem, kränklichem Aussehen ein, und sogleich herrschte ehrfürchtiges Schweigen im Raum.

»Was treibt ihr denn da, Burschen?« fragte er beim Anblick des kleinen Märtyrers.

»Das Kerlchen steht uns Modell«, antwortete der älteste Schüler, der Joseph so hingestellt hatte.

»Schämt ihr euch nicht, ein armes Kind zu quälen?« sagte Chaudet und nahm dem Knaben die Arme herunter. »Seit wann bist du denn da?« fragte er Joseph und gab ihm einen freundlichen Klaps auf die Backe.

»Seit einer Viertelstunde.«

»Und was willst du hier?«

»Ich möchte Künstler werden.«

»Woher bist du denn? Wo kommst du her?«

»Von Mama.«

»Ach! Mama!« riefen die Schüler.

»Ruhe hinter der Pappe!« rief Chaudet. »Was tut denn deine Mama?«

»Die Mama ist Frau Bridau. Mein Papa, der ist tot; der war ein Freund des Kaisers. Der Kaiser wird bezahlen, was Sie wollen, wenn Sie mich zeichnen lehren.«

»Sein Vater war ja Sektionschef im Ministerium des Innern«, rief Chaudet, der sich des Namens erinnerte. »Und du willst schon Künstler werden?«

»Ja, Herr Lehrer.«

»Komm nur her, so oft du magst. Wir werden dich amüsieren! Gebt ihm doch Bleistift und Papier und laßt ihn gewähren. Wißt ihr, Jungens, ich bin seinem Vater verpflichtet. Du, hol uns Kuchen und Bonbons.« Und er gab dem, der Joseph geneckt hatte, Geld. Dann streichelte er dem Kleinen das Kinn und meinte: »Ob du ein Künstler bist, das werden wir jetzt sehen an der Art, wie du das Zeug kaust.«

Dann sah er die Arbeiten der Schüler der Reihe nach an, und der Knabe ging mit ihm, schaute, horchte und versuchte zu verstehen. Die Süßigkeiten kamen. Und das ganze Atelier, der Bildhauer selbst und der Knabe griffen zu. So viel er zuvor geplagt worden war, so gut wurde Joseph jetzt behandelt. An dieser Szene lernte er instinktiv Witz und Herz der Künstler begreifen, sie machte ihm einen gewaltigen Eindruck. Die Erscheinung des Bildhauers Chaudet, des Frühverstorbenen, den die Gunst des Kaisers verherrlichte, war für Joseph eine Art Vision. Der Mutter sagte der Knabe nichts von seinem Abenteuer; aber nun verbrachte er jeden Sonntag und Donnerstag drei Stunden in Chaudets Atelier. Die Descoings, die alle Launen ihrer beiden Herzensburschen begünstigte, schenkte von jetzt ab dem Joseph Kreide, Rötel, Zeichenwischer und Zeichenpapier. Im Lyzeum zeichnete der künftige Maler Lehrer, Kameraden und Schlafräume ab und war im Zeichenunterricht von erstaunlichem Fleiße. Professor Lemire war überrascht von Josephs Fähigkeiten und Fortschritten und ging zu Frau Bridau, um sie auf die Begabung ihres Sohnes aufmerksam zu machen. Soviel sie vom Haushalt verstand, so wenig verstand die gute Kleinstädterin Agathe von den Künsten.

Sie bekam einen Schreck, und als Lemire fort war, fing sie an zu weinen.

»Ach,« sagte sie zu der Descoings, die hinzukam, »aus Joseph wollte ich doch einen Beamten machen, seine Karriere im Ministerium des Innern war ihm schon ganz vorgezeichnet, im Schutz von seines Vaters Schatten wäre er mit fünfundzwanzig Jahren Bürovorsteher geworden, und nun will er Maler werden. Dabei kann er ja verhungern. Ich hab's gewußt, daß mir dies Kind nur Kummer machen würde!«

Frau Descoings gestand, daß sie seit Monaten Josephs Passion ermutigt und seine Sonntags- und Donnerstagsausflüge in das Institut verheimlicht habe. Und als sie einmal mit ihm in der Ausstellung gewesen sei, da habe der Kleine die Bilder angesehn mit einer Andacht: ein wahres Wunder!

»Wenn er schon mit dreizehn Jahren die Malerei versteht,« sagte sie, »dann wird dein Joseph noch einmal ein Genie.«

»Du hast doch gesehn, wohin das Genie seinen Vater gebracht hat! Zu sterben, von Arbeit aufgerieben, mit vierzig Jahren.«

Im Herbst, kurz vor Josephs vierzehntem Geburtstag, ging Agathe, trotz Frau Descoings' Beschwörungen zu Chaudet hinüber, um Einspruch dagegen zu erheben, daß man ihr ihren Sohn abspenstig machte. Sie traf Chaudet in seinem blauen Kittel an seinem letzten Werk modellierend. Recht unfreundlich empfing er die Witwe des Mannes, der ihn einst aus einer ziemlich gefährlichen Lage gerettet hatte. Aber schon war sein Leben bedroht, und er rang um sein Werk mit der Begeisterung, die in wenigen Augenblicken vollenden hilft, was sonst schwere Monate der Ausführung verlangt; an etwas lange Gesuchtes war er geraten und handhabte nun Meißel und Ton mit zuckenden Bewegungen, die der ahnungslosen Agathe als die eines Besessenen erschienen. In andrer Verfassung hätte Chaudet diese Mutter ausgelacht; aber als er jetzt anhören mußte, wie sie die Künste verfluchte, sich über das Schicksal beklagte, das man ihrem Sohn bereiten wollte, und verlangte, man solle ihn nicht mehr in das Atelier lassen, da geriet er in einen heiligen Zorn.

»Ich bin Ihrem verstorbenen Gatten zu Dank verpflichtet; den wollte ich abtragen, indem ich seinen Sohn ermutigte und die ersten Schritte Ihres kleinen Joseph in der größten aller Laufbahnen überwachte«, rief er. »Ja, Madame, lassen Sie es sich sagen, wenn Sie es noch nicht wissen: Der große Künstler ist ein König, mehr als ein König; er ist glücklich, er ist unabhängig, er lebt nach seinem Sinn; und Herrscher ist er in der Welt der Phantasie. Ihr Sohn hat eine schöne Zukunft! Anlagen wie die seinen sind selten; sie haben sich so früh nur bei einem Giotto, einem Raffael, Tizian, Rubens, Murillo enthüllt; er scheint mir nämlich eher Maler als Bildhauer zu werden. Heiliger Gott! Wenn ich solch einen Sohn hätte, ich' wäre so glücklich, wie es der Kaiser ist über seinen kleinen König von Rom! Sie haben zu bestimmen über das Los Ihres Kindes. Nur zu, Madame! machen Sie einen Trottel aus ihm, einen, der nur im Geleise laufen kann, einen elenden Federfuchser. Einen Mord begehen Sie! Ich hoffe bestimmt, er wird all Ihrer Mühe zum Trotz immer Künstler bleiben. Beruf ist stärker als alle Hindernisse, die man ihm entgegenstellt! Beruf, das heißt Ruf! das heißt: Gott hat gerufen, hat erwählt. Sie werden Ihr Kind unglücklich machen!« Heftig warf er den Rest Ton in einen Kübel und sagte zu seinem Modell: »Genug für heute.«

Agathe sah auf und bemerkte in einer Ecke des Ateliers, die sie noch nicht beachtet hatte, auf einem Schemel eine nackte Frau; vor diesem Anblick lief sie schaudernd fort.

»Ihr werdet also den kleinen Bridau nicht mehr hier hereinlassen«, sagte Chaudet zu seinen Schülern. »Seiner Frau Mutter paßt es nicht.«

»Huh! Huh!« johlten die Schüler, als Agathe die Tür schloß.

»Und da ist mein Joseph gewesen!« sagte sich die arme Mutter, ganz erschüttert von dem, was sie gehört und gesehen hatte.

Seit die Schüler der Bildhauer- und Malerklassen wußten, daß Frau Bridau ihren Sohn nicht Künstler werden lassen wollte, war es ihr Hauptvergnügen, Joseph zu sich zu locken. Wohl mußte der Knabe der Mutter versprechen, nicht mehr in das Institut zu gehen, aber er schlich sich doch oft in das Atelier des Malers Regnauld und ließ sich ermutigen, Leinwände vollzumalen. Als die Witwe sich beklagen wollte, sagten Chaudets Schüler zu ihr, Herr Regnauld sei nicht Chaudet; auch habe sie ihnen ihren Herrn Sohn nicht in Hut gegeben, und tausend andre Späße. Die schrecklichen Rapins verfaßten und sangen ein Lied auf Frau Bridau, hundertsiebenunddreißig Verse lang.

Am Abend jenes traurigen Tages mochte Agathe nicht mitspielen; ganz niedergeschlagen, blieb sie in ihrem Sessel und bisweilen traten Tränen in ihre schönen Augen.

»Was ist Ihnen, Frau Bridau?« fragte der alte Claparon.

»Sie glaubt, ihr Sohn wird einmal betteln müssen, weil er Anlage zum Maler hat,« sagte die Descoings, »mein Stiefsohn, der kleine Bixiou, ist auch ein wilder Zeichner, aber das macht mir keine Sorge für seine Zukunft. Die Männer haben das Zeug dazu, sich durchzusetzen.«

»Madame hat ganz recht«, sagte der dürre strenge Desroches, der es bei all seinen Talenten nicht zum Vizedirektor gebracht hatte. »Ich habe zum Glück nur einen Sohn, was wäre wohl mit meinen achtzehnhundert Franken und einer Frau, die mit ihrem Postverschleiß kaum zwölfhundert Franken verdient, aus mir geworden? Ich habe meinen Jungen zu einem Advokaten getan als Hilfsschreiber, da hat er seine fünfundzwanzig Franken im Monat und sein Frühstück, ich gebe ihm auch fünfundzwanzig, er ißt und schläft zu Hause. Der wird schon seinen Weg machen! Bei mir kriegt er mehr Arbeit, als wenn er auf der hohen Schule wäre; eines schönen Tages wird er Advokat werden. Wenn ich ihm einmal ein Theaterbillett bezahle, dann ist er froh wie ein König, er fällt mir um den Hals. Oh, ich halte ihn kurz! er muß mir über jeden Pfennig Rechenschaft geben. Wenn Ihr Sohn am Hungertuche nagen will, so lassen Sie ihn nur! Er wird es weit bringen.«

»Meiner ist erst sechzehn Jahre alt,« sagte Du Bruel, ein alter, eben pensionierter Sektionschef, »seine Mutter vergöttert ihn; aber ich halte nichts von einer Begabung, die sich so frühzeitig äußert. Das ist Spielerei, eine Neigung, die sich bald wieder gibt. Ich meine, Knaben müssen angeleitet werden.«

»Sie sind reich, Sie sind ein Mann, Herr Du Bruel, und Sie haben nur einen Sohn«, sagte Agathe.

»Ach ja,« begann Claparon wieder, »die Kinder sind unsere Tyrannen – Coeur! Meiner macht mich rasend, er hat mich an den Bettelstab gebracht, ich habe mich schließlich überhaupt nicht mehr um ihn gekümmert – Solo! Na, und seitdem ist er glücklicher, und ich bin's auch. Der Bursche ist mit schuld am Tod seiner armen Mutter. Nun ist er Reisender geworden, und das ist das Richtige für ihn; denn so oft er zu Hause war, gleich wollte er wieder fort, nirgends konnte er bleiben, nichts wollte er lernen. Ich bitte den lieben Gott nur noch um eine Gnade: daß ich sterbe, ehe der Junge meinem Namen Schande macht! Wer keine Kinder hat, der lernt viele Freuden nicht kennen, aber es bleibt ihm auch mancher Kummer erspart.«

›So sind die Väter!‹ dachte Agathe und fing wieder zu weinen an.

»Ich will damit nur sagen, meine liebe Frau Bridau, daß Sie Ihren Jungen Maler werden lassen müssen, sonst verlieren Sie Ihre Zeit . . .«

»Wenn Sie imstande wären, ihm die Leviten zu lesen,« fing der gestrenge Desroches wieder an, »dann würde ich Ihnen raten, seinen Neigungen entgegenzutreten, aber schwach, wie ich Sie mit Ihren Kindern kenne, lassen Sie ihn nur pinseln und kritzeln.«

»Verloren!« sagte Claparon.

»Was denn? Verloren?« rief die arme Mutter.

»Ach, nur mein Coeur-Solo; Desroches, diese alte Hopfenstange, legt mich immer herein.«

»Nur Mut, Agathe,« sagte die Descoings, »Joseph wird noch einmal ein berühmter Mann.«

Nach dieser Debatte, die allen Debatten glich, einigten sich die Freunde der Witwe auf einen Rat, und dieser Rat half ihr nicht aus der Verlegenheit. Man riet ihr, Joseph seiner Begabung nachgehen zu lassen.

»Wenn er kein Genie wird,« sagte Du Bruel, der Agathe den Hof machte, »so können Sie ihn immer noch in die Verwaltung tun.«

Auf der Treppe beim Hinausbegleiten nannte die Descoings die drei alten Beamten die »Weisen Griechenlands«.

»Sie macht sich zu viel Sorgen«, meinte Du Bruel.

»Sie ist nur zu froh, daß ihr Sohn überhaupt etwas will«, behauptete Claparon.

»Wenn Gott uns den Kaiser erhält,« sagte Desroches, »wird Joseph seine Protektion haben. Also, wozu beunruhigt sie sich?«

»Wenn sich's um ihre Kinder handelt, macht ihr alles Angst«, antwortete die Descoings; und als sie wieder bei Frau Bridau oben war, tröstete sie sie: »Du siehst, mein Herzchen, sie sind alle einer Meinung, was hast du noch zu weinen?«

»Ach, wenn es sich um Philipp handelte, da hätte ich weiter keine Furcht. Wenn du wüßtest, wie es in diesen Ateliers zugeht! Da haben die Künstler nackte Frauen.«

»Na, wenn sie nur gut einheizen!« meinte die Descoings.

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