Honoré de Balzac
Junggesellenwirtschaft
Honoré de Balzac

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So ging einer der Männer zugrunde, die zu großen Dingen bestimmt sind, aber nicht in der Umwelt bleiben, die ihrer Entwicklung günstig ist; ein Mensch, den die Natur als verwöhntes Kind behandelt hatte, indem sie ihm Mut, Kaltblütigkeit und die diplomatische Anlage eines Cesare Borgia gab. Aber die Erziehung hatte ihm nicht den Adel des Denkens und Auftretens vermittelt, ohne den in keiner Laufbahn Größe möglich ist. Sein Gegner war weniger wert als er. Aber er hatte ihn mit solcher Perfidie um die Achtung der Menschen gebracht, daß niemand seinen Tod beklagte. Mit ihm endeten die Abenteuer des Ordens vom Müßiggang zur großen Zufriedenheit der Stadt Issoudun. So wurde denn Philipp auch nicht weiter wegen dieses Duells, das eine Rache des Himmels schien, belästigt.

»Im Interesse der Regierung hätten sie sich gegenseitig umbringen sollen,« sagte Herr Mouilleron, »das wäre eine rechte Erleichterung gewesen.«

Flora Braziers Lage wurde dadurch vereinfacht, daß Maxences Tod sie in eine Nervenkrise warf; das Gehirn war in Mitleidenschaft gezogen und erlitt durch die Aufregungen der letzten drei Tage eine gefährliche Entzündung; sie phantasierte. Bei voller Gesundheit wäre Flora wahrscheinlich aus dem Hause entflohen, in dem über ihr in Maxences Zimmer, in Maxences Bett Maxences Mörder lag. Drei Monate hindurch schwebte sie zwischen Tod und Leben, gepflegt von Herrn Goddet, der auch Philipp behandelte. Sobald Philipp eine Feder halten konnte, schrieb er zwei Briefe. Den ersten an den Anwalt Desroches:

»Ich habe bereits die giftigere der beiden Bestien beseitigt, wobei allerdings mein Schädel durch einen Säbelhieb ein Loch abbekommen hat, aber zum Glück war die Hand, die ihn führte, schon schlaff. Noch bleibt die andere Viper übrig, und mit der werde ich mich zu verständigen suchen, denn mein Onkel hängt an ihr wie am eigenen Leibe. Ich mußte schon fürchten, daß diese verteufelt schöne Käscherin auskneifen würde, dann wäre der Onkel ihr nachgelaufen. Aber im kritischen Augenblick hat sie die heftige Erschütterung ans Bett gefesselt. Wenn der liebe Gott mich protegiert, so holt er sich diese Seele, solang sie noch ihre Sünden bereut. Bis dahin hab ich für mich, dank Herrn Hochon (dem Alten geht's gut), den Arzt. Das ist ein gewisser Goddet, eine gute Seele, die eingesehen hat, daß die Erbschaften der Onkel in den Händen der Neffen besser aufgehoben sind als in denen solcher Weibsbilder. Herr Hochon hat überdies Einfluß auf einen gewissen Papa Fichet, der eine reiche Tochter zu vergeben hat, auf die es wiederum Goddet für seinen Sohn abgesehen hat; so ist er uns treu ergeben, ohne daß der Tausendfrankenschein, den ihm meine Kohlrübe eintragen wird, dabei groß mitspielt. Goddet war seinerzeit Stabsarzt im dritten Linienregiment und Kamerad zweier guter Freunde von mir, der braven Offiziere Mignonnet und Carpentier. Er macht also der Kranken die nötigen Mätzchen vor. ›Sie sehen, liebes Kind, es gibt am Ende doch einen Gott‹, sagt er zu ihr, wenn er ihren Puls fühlt. ›Sie haben großes Unglück angerichtet, das können Sie jetzt wieder gutmachen. Da zeigt sich der Finger Gottes (merkwürdig, wo der sich alles zeigen soll). Die Religion bleibt die Religion. Seien Sie demütig und ergeben, das wird Sie beruhigen, das wird Sie ebensogut heilen wie meine Mixturen. Bleiben Sie hier, das ist die Hauptsache, pflegen Sie Ihren Gebieter. Vergessen Sie, vergeben Sie, das ist Christenpflicht.‹

Dieser gute Goddet hat mir versprochen, die Käscherin drei Monate im Bett zu halten. Dabei gewöhnt sich das Mädchen unwillkürlich daran, mit mir unter einem Dach zu leben. Die Köchin hab ich mir gekauft. Dies Schauerweib redet der Herrin ein, Max würde ihr das Leben recht schwer gemacht haben. Sie habe von ihm selbst gehört, er dächte gar nicht daran, sich an ein Weib ketten zu lassen, wenn er nach dem Tode des alten Biedermanns gezwungen wäre, Flora zu heiraten. Das Küchenweib hat es verstanden, ihrer Herrin zu insinuieren, daß Max sich ihrer entledigt haben würde. Also steht alles zum Besten. Auf Hochons Rat hat mein Onkel sein Testament zerrissen.

Der andere Brief war an Herrn Giroudeau (durch gefällige Vermittlung von Mademoiselle Florentine), Rue de Vendôme, Marais, Paris.

»Mein lieber alter Kamerad!

Erkundige Dich bitte, ob die kleine Césarine besetzt ist; wenn nicht, mach, daß sie parat ist, nach Issoudun zu kommen, sobald ich sie anfordere. Dann müßte der Racker aber auch postwendend eintreffen. Vorbedingung ist anständiges Auftreten und keinerlei Theaterallüren, sie muß hier die Tochter eines braven Offiziers spielen, der auf dem Felde der Ehre gefallen ist. Also lautet die Parole: gute Sitten, jüngferliche Kleidung, Tugend von prima Qualität. Wenn ich Césarine brauchen kann und sie ihre Sache gut macht, kriegt sie beim Tode meines Onkels fünfzigtausend Franken ab. Ist sie besetzt, so besprich meine Angelegenheit mit Florentine und treibt ihr beide mir eine Figurantin auf, die die gewünschte Rolle spielen kann. Bei meinem Duell mit dem bewußten Erbschleicher, dem es den Hals gekostet hat, ist mir der Schädel ein wenig zerkratzt worden. Ich werde Dir die Geschichte mündlich erzählen. Das gibt noch gute Tage für uns, mein alter Junge, und allerhand Kurzweil oder ich müßte mich sehr in dem guten Oheim täuschen. Schick mir doch bitte fünfhundert Patronen, die könnt ich brauchen. Leb wohl, alter Kumpan. Steck Deine Zigarre an meinem Brief an. Es versteht sich, daß die Offizierstochter aus Châteauroux kommt und hilfsbedürftig ist. Ich hoffe indessen, daß ich am Ende gar nicht zu diesem nicht ungefährlichen Mittel greifen brauche.

Bring mich Mariette und all unsern Freunden in gute Erinnerung.«

Auf einen Brief der Frau Hochon hin kam Agathe sogleich nach Issoudun, wurde von ihrem Bruder aufgenommen und in Philipps früherem Zimmer untergebracht. Die arme Mutter bekam für ihren verlorenen Sohn alle ihre mütterlichen Empfindungen wieder, und der allgemeine Lobgesang der Bürgerschaft aus ihren Philipp schenkte ihr ein paar glückliche Tage. – »Schließlich hat die Jugend ihre Rechte«, sagte gleich am Tage ihrer Ankunft Frau Hochon zu Agathe. »Und Offiziere aus der Kaiserzeit sind keine Familiensöhnchen in Vaters Hut. Du ahnst nicht, was sich dieser elende Max hier für nächtliche Streiche herausgenommen hat! . . . Deinem Sohne hat es die Stadt Issoudun zu danken, daß sie wieder ruhig schlafen kann. Philipp ist ja ein bißchen spät zur Vernunft gekommen, aber nun ist er vernünftig; er hat uns selbst gesagt, drei Monate Gefängnis im Luxembourg vertreiben den Leichtsinn. Herr Hochon ist entzückt von Philipps Benehmen, alle Welt hat Hochachtung vor deinem Sohne. Wenn er einige Zeit den Pariser Versuchungen fern bleiben kann, wirst du am Ende noch ganz zufrieden mit ihm sein.«

Diese Worte trösteten Agathe, und die Patin sah Tränen des Glücks in den Augen ihres Patenkindes.

Gegen die Mutter benahm sich Philipp fromm und bieder: er brauchte sie. Zu Césarine wollte dieser gewiegte Diplomat nur dann seine Zuflucht nehmen, wenn er dem Fräulein Brazier ein Greuel wäre. Sonst war ja Flora ein ausgezeichnetes Werkzeug, von Maxences Hand geformt und dem Onkel zur lieben Gewohnheit geworden. Ihrer konnte er sich besser bedienen als einer Pariserin, die imstande war, sich von dem guten Alten am Ende heiraten zu lassen. Ludwig XVIII. bekam einmal von Fouché den Rat, sich in Napoleons Laken schlafen zu legen, statt eine Verfassung zu geben. So hätte Philipp sich gern in Gilets Laken gelegt; aber er wollte sich doch seinen frischerworbenen guten Ruf im Lande Berry nicht verderben; setzte er nun Gilets Rolle bei der Käscherin fort, so war das von ihr ebenso verabscheuenswert wie von ihm. Die Gesetze des Nepotismus erlaubten ihm, bei dem Onkel und auf des Onkels Kosten zu leben; Flora aber mußte erst rehabilitiert werden, ehe er sie übernahm. All diese Schwierigkeiten zusammen mit seiner gierigen Hoffnung auf die Erbschaft brachten ihn auf den glänzenden Gedanken, die Käscherin zu seiner Tante zu machen. Mit diesem Hintergedanken veranlaßte er seine Mutter, sich freundlich um das Mädchen zu kümmern und es als eine Art Schwägerin zu behandeln.

»Ich muß gestehen, liebe Mutter,« sagte er mit scheinheiliger Miene zu ihr in Gegenwart von Frau Hochon, »mein Onkel führt eigentlich ein wenig schickliches Leben, und es gäbe doch ein einfaches Mittel, es schicklich zu machen und Fräulein Brazier die Achtung der Stadt Issoudun zu verschaffen. Steht es ihr nicht besser an, Frau Rouget zu werden, als weiter die Magd und Liebste eines alten Junggesellen zu bleiben? Ist es nicht einfacher, durch einen Ehevertrag endgültige Rechte zu erwerben, als eine Familie dauernd mit Enterbung zu bedrohen? Wenn du oder Herr Hochon oder ein würdiger Geistlicher ihr gut zureden würden, könnte man so leicht einen Skandal aus der Welt schaffen, der die anständigen Leute verdrießt. Auch würde Fräulein Brazier gewiß glücklich sein, von dir als Schwester und von mir als Tante angesehen zu werden.«

Schon am nächsten Tage saßen Agathe und Frau Hochon an Fräulein Floras Bett und machten die Kranke und Rouget mit Philipps lobenswerten Gesinnungen vertraut. Ganz Issoudun lobte den schönen Charakter des Obersten, insbesondere wegen seines Benehmens gegen Flora. Einen Monat lang bekam die Käscherin von ihrem Arzt, Goddet Senior, der soviel über den Geist der Kranken vermochte, von der frommen Frau Hochon und der sanften innigen Agathe dauernd die Vorteile einer Ehe mit Rouget vorgehalten. Der Gedanke, eine Madame Rouget, eine würdige und ehrsame Bürgersfrau zu werden, war verführerisch, sie sehnte sich, gesund zu werden, um Hochzeit feiern zu können, und so war es nicht schwer, ihr beizubringen, daß sie Philipp nicht gut vor die Tür setzen konnte, wenn sie in die alte Familie der Rougets aufgenommen werden wollte.

»Verdanken Sie denn nicht eigentlich ihm das ganze große Glück?« Sagte eines Tages der alte Goddet zu ihr. »Max hätte sie niemals den alten Rouget heiraten lassen. Denken Sie doch,« flüsterte er ihr ins Ohr, »wenn Sie Kinder bekommen, können Sie Ihren Max rächen! Dann sind die Bridaus enterbt.« Zwei Monate nach dem verhängnisvollen Ereignis im Februar 1823 gab dann die Kranke dem Rat ihrer ganzen Umgebung und Rougets Bitten nach und empfing Philipp. Der Anblick seiner Narbe brachte sie zum Weinen. Aber sein sanftes, geradezu liebevolles Benehmen beruhigte sie. Auf Philipps Wunsch ließ man ihn mit seiner künftigen Tante allein. »Mein liebes Kind,« begann er, »ich habe von Anfang an zu einer Ehe zwischen Ihnen und meinem Onkel geraten; es bedarf nur Ihrer Zustimmung, und die Hochzeit kann stattfinden, sobald Sie wiederhergestellt sind.«

»Man hat es mir gesagt«, antwortete sie.

»Haben mich die Umstände gezwungen, Ihnen Schmerz zu bereiten, so ist es ganz natürlich, daß ich Ihnen jetzt so viel Gutes als irgend möglich zu tun wünsche. Vermögen, Ansehen und eine Familie sind mehr wert als das, was Sie verloren haben. Nach dem Tode meines Onkels wären Sie ohnedies nicht lange die Frau jenes Gesellen gewesen; ich weiß es von seinen eignen Freunden, er hat Ihnen kein schönes Los zugedacht. Wir müssen uns nur recht verstehen, liebes Kind, dann werden wir alle glücklich miteinander leben. Sie werden meine Tante, nichts als meine Tante! Sie werden Sorge tragen, daß mein Onkel mich nicht in seinem Testament vergißt; und ich meinerseits – na, Sie werden schon sehen, wie ich Sie in Ihrem Ehevertrag versorgen lassen werde . . . Seien Sie ruhig, denken Sie nach, wir sprechen wieder davon. Sie sehen ja, daß die vernünftigsten Leute, daß die ganze Stadt Ihnen rät, Ihrer illegitimen Stellung ein Ende zu machen, und niemand hat etwas dagegen, daß Sie mich empfangen. Die Interessen gehen im Leben den Gefühlen voran, das begreift jeder. Am Tage Ihrer Hochzeit werden Sie schöner sein als je zuvor. Das Krankenlager, das Sie bleich gemacht hat, gibt Ihnen eine neue Distinktion. Wenn mein Onkel nicht so toll in Sie verliebt wäre, mein Ehrenwort,« – er erhob sich und küßte ihr die Hand – »Sie würden die Gattin des Obersten Bridau werden.«

Er ging und ließ diese letzten Worte in Floras Seele haften und mit ihnen einen beglückenden Traum von Rache; war Flora doch beinahe erfreut darüber, diesen schrecklichen Menschen zu ihren Füßen gesehen zu haben. Philipp hatte im kleinen den Auftritt Richards III. gespielt, in dem er die Königin gewinnt, die er eben erst zur Witwe gemacht hat.

Anfang April 1823 gab es, ohne daß jemand sich darüber wunderte, in Jean-Jacques Rougets Saal das Schauspiel eines prachtvollen Diners zur Feier der Unterschrift des Ehevertrags zwischen Fräulein Brazier und dem alten Hagestolz. Als Gäste waren erschienen Herr Héron, die vier Zeugen Mignonnet, Carpentier, Hochon und Goddet senior, der Bürgermeister und der Pfarrer; ferner Agathe Bridau, Frau Hochon und ihre Freundin, Frau Borniche, diese beiden alten Damen waren tonangebend in Issoudun. Philipp hatte diese Konzession bei den frommen Frauen durchgesetzt, sie glaubten einer Gefallenen, die bereut, ihre Gönnerschaft nicht entziehen zu dürfen, und darüber war die Braut sehr gerührt. Flora sah blendend aus. Der Pfarrer, der die unwissende Käscherin seit zwei Wochen unterrichtete, sollte sie am Tage nach der Hochzeit zum ersten Male kommunizieren lassen. Die Heirat wurde zum Gegenstand folgenden frommen Artikels, den das Journal du Cher in Bourges und das Journal de l'Indre in Châteauroux veröffentlichte:

»Issoudun.

Die religiöse Bewegung macht Fortschritte im Lande Berry. Alle Freunde der Kirche und alle ehrenwerten Bürger der Stadt sind gestern Zeugen einer Feier gewesen, durch welche einer der ersten Grundbesitzer des Landes einem skandalösen Zustande ein Ende bereitete, der noch aus der Zeit herrührte, als die Religion in unserer Gegend ohne Macht war. Wir danken dies Ergebnis dem aufgeklärten Eifer unserer Geistlichkeit und hoffen, daß es Nachahmung finden und zur Abschaffung der mißbräuchlichen Eheschließungen ohne kirchlichen Segen beitragen wird, die in den beklagenswerten Zeiten der Revolutionsherrschaft aufgekommen sind.

Bemerkenswert ist noch ein besonderer Umstand an dem Ereignis, das wir berichten. Veranlaßt wurde es durch die inständigen Bemühungen eines Obersten der ehemaligen kaiserlichen Armee, den eine Verordnung des Pairshofes in unserer Stadt interniert und der durch diese Ehe der Erbschaft seines Oheims verlustig gehen kann. Eine derartige Uneigennützigkeit ist heutzutage selten genug und verdient öffentliche Erwähnung.«

Im Ehevertrag erkannte Rouget Flora einen Brautschatz von hunderttausend Franken zu und sicherte ihr zugleich eine Wittumsrente von dreißigtausend Franken. Nach der prächtigen Hochzeitsfeier kehrte Agathe als glücklichste aller Mütter nach Paris zurück und überbrachte Joseph und Desroches die Neuigkeiten, die sie als frohe Botschaft bezeichnete.

»Ihr Sohn Philipp ist ein hinterhältiger Mensch, er wird seine Hand auf diese Erbschaft legen«, meinte der Anwalt. »Sie und der arme Joseph werden nie einen roten Heller von Ihres Bruders Vermögen erhalten.«

»Immer noch sind Sie ungerecht gegen den armen Jungen, und Joseph ist es auch«, sagte die Mutter. »Hat er sich nicht vor dem Pairshof wie ein großer politischer Charakter betragen und viele Köpfe gerettet? . . . Seine Verirrungen entspringen dem Mangel an Beschäftigung, seine großen Fähigkeiten lagen brach; aber nun hat er eingesehen, wie gefährlich eine schlechte Aufführung für sein Vorwärtskommen ist; er besitzt Ehrgeiz, das weiß ich; er hat eine Zukunft, das sage nicht nur ich, auch Herr Hochon glaubt fest an Philipps Aussichten.«

»Oh, wenn er seine tief verderbte Intelligenz anwenden will, um ein Vermögen zu erringen, so wird ihm das glücken; er ist zu allem fähig. Solche Menschen kommen schnell voran«, sagte Desroches.

»Warum sollte er nicht mit ehrlichen Mitteln sein Ziel erreichen?« fragte Frau Bridau.

»Sie werden sehen!« erwiderte Desroches. »Im Glück wie im Unglück wird Philipp stets der Mann bleiben, der er war, der Mörder der Frau Descoings, der Hausdieb; aber zu Ihrer Beruhigung sei's gesagt: in den Augen der Gesellschaft wird er ein Ehrenmann sein!«

Am Tage nach ihrer Hochzeit nahm Philipp nach dem Frühstück Frau Rouget am Arm. Der Onkel war hinaufgegangen, sich anzuziehen. Die Neuvermählten hatten im Schlafrock gefrühstückt.

»Verehrte Tante,« sagte er und führte sie in eine Fensternische, »Sie gehören jetzt zur Familie. Sie haben es dank mir verbrieft und versiegelt. Jetzt keine Faxen mehr! Spielen wir offenes Spiel! Ich weiß, was Sie mir antun könnten, und ich werde Sie besser hüten als eine Duenna. Nie werden Sie ausgehen, ohne mir den Arm zu reichen. Alles, was im Hause passieren kann, werde ich überwachen wie eine Spinne ihr Netz. Hier will ich Ihnen etwas zeigen, woraus Sie sehen können, daß ich Sie, als Sie zu Bette lagen und kein Pfötchen rühren konnten, hätte vor die Tür setzen können ohne einen Sou. Da, lesen Sie!«

Eingeschüchtert las Flora folgenden Brief:

»Lieber Junge, Florentine, die jetzt endlich in der Neuen Oper in einem Tanztrio mit Mariette und Tullia debütiert, hat Dich nicht vergessen, ebensowenig Florine, die Lousteau endgültig aufgegeben hat, um Nathan zu nehmen. Diese beiden, die sich auskennen, haben für Dich das entzückendste Geschöpf der Welt aufgetrieben, eine Kleine von siebzehn Jahren, schön wie eine Engländerin, Haltung wie eine Lady und bei ihren Streichen schlau wie Desroches und treu wie Godeschal. Stilisiert hat sie Mariette. Die wünscht Dir alles Gute. Gegen diesen kleinen Engel, in dem ein Teufel steckt, kann kein Weib aufkommen. Sie spielt Dir jede Rolle, wird Deinen Onkel toll vor Liebe machen und gängeln, wie Du ihn brauchst. Sie hat die Himmelsmienen der armen Coralie, weinen kann sie und hat eine Stimme, die dem härtesten Granitherzen einen Tausendfrankenschein entlockt, und den Champagner gießt die Kröte geschwinder hinunter als wir. Kurz, ein Juwel! Sie hat Verpflichtungen gegen Mariette und will sich ihr erkenntlich zeigen. Nachdem dies Fräulein Esther das Geld von zwei Engländern, einem Russen und einem römischen Fürsten verjubelt hat, ist sie jetzt ganz abgebrannt; gib ihr zehntausend Franken ab, dann ist sie zufrieden. Dein Anliegen macht ihr Spaß. ›Einen Bürgersmann hab ich doch noch nie aufgefressen, das ist eine gute Übung!‹ hat sie eben lachend erklärt. Finot kennt sie gut und Bixiou und Des Lupeaulx und unsere ganze Bande. Ja, wenn es in Frankreich noch wirklichen Reichtum gäbe, wäre sie die größte Kurtisane der Neuzeit. Mein Stil schmeckt nach Nathan, Bixiou und Finot, die hier mit obiger Esther Unfug treiben, und zwar in dem denkbar prächtigsten Appartement, das der alte Lord Dudley, der wahre Vater von De Marsay, für Florine eingerichtet hat. Diese Frau von Geist hat mit dem Kostüm ihrer neuen Rolle den Lord ›gemacht‹. Tullia ist immer noch mit dem Herzog von Rhétoré liiert, Mariette mit dem von Maufrigneuse; die beiden werden Dir zu Königs Namenstag die Aufhebung Deiner Polizeiaufsicht erwirken. Sieh zu, daß Du bis zum nächsten Sankt-Ludwigs-Tag den Onkel unter die Erde gebracht hast, komm heim mit Deiner Erbschaft und verjubele ein bißchen davon mit Esther und Deinen alten Freunden, die hier insgesamt unterzeichnen, damit Du sie nicht vergißt.

Nathan, Florine, Bixiou, Finot, Mariette, Florentine, Giroudeau, Tullia.«

Der Brief flatterte in Frau Rougets Händen, so bebten ihr Leib und Seele. Die Tante wagte nicht, dem Neffen in seine schrecklich drohenden Augen zu schauen.

»Sie sehen, ich vertraue Ihnen,« sagte er, »aber ich verlange dafür auch Ihr Vertrauen. Ich habe Sie zu meiner Tante gemacht, um Sie eines Tages heiraten zu können. Was Esther bei meinem Onkel erreichen kann, das können Sie auch. Übers Jahr müssen wir in Paris sein. Nur dort kann die Schönheit leben. Dort werden Sie sich besser unterhalten als hier, da gibt's immer Karneval. Ich werde wieder in die Armee eintreten, werde General, und Sie sind dann eine große Dame. Das ist Ihre Zukunft. Arbeiten Sie an ihr . . . Aber ich will ein Unterpfand unseres Bundes. Sie werden mir binnen einem Monat die Generalvollmacht meines Onkels verschaffen, unter dem Vorwand, sich selbst und ihn von der Sorge um die Geldangelegenheiten entlasten zu wollen. Einen Monat später will ich eine Spezialvollmacht, um seine Papiere überschreiben zu lassen. Sind die Papiere erst einmal auf meinen Namen umgeschrieben, so haben wir beide das gleiche Interesse, uns eines Tages zu heiraten. Das alles ist klar und deutlich, schöne Frau Tante. Keine Zweideutigkeiten zwischen uns beiden! Nach einem Jahre Witwenschaft kann ich meine Tante heiraten, während ich ein entehrtes Mädchen nicht heiraten konnte.«

Er ging, ohne eine Antwort abzuwarten. Als bald darauf Védie hereinkam, um abzudecken, fand sie ihre Herrin blaß und trotz der Jahreszeit in leichtem Schweiße. Flora war zumute, als wäre sie auf den Boden eines Abgrunds gefallen, in ihrer Zukunft sah sie nur Finsternisse, und in diesen Finsternissen zeichneten sich tief und fern schauerliche Bilder ab, undeutlich und beängstigend. Sie fühlte eine Kellerkühle; ihre Instinkte bebten vor diesem Philipp, und doch schrie eine Stimme in ihr, sie verdiene ihn zum Meister. Sie konnte nicht gegen ihr Verhängnis ankämpfen. Flora Brazier hatte anstandshalber ein eignes Appartement im Hause Rouget gehabt; aber Frau Rouget gehörte zu ihrem Gatten; mit der kostbaren Willensfreiheit der Magd als Herrin war es für sie vorbei. Ihre letzte Hoffnung in dieser Not war, ein Kind zu haben; aber sie hatte in den letzten fünf Jahren Jean-Jacques zum Greise gemacht. Unter der Überwachung Philipps, der nichts zu tun hatte – er hatte seinen Posten aufgegeben –, war keine Rache möglich. Benjamin war ein ebenso unschuldiger wie ergebener Spion. Die Védie zitterte vor Philipp. Flora sah sich allein und ohne Hilfe! Sie hatte Todesfurcht; wie Philipp sie umbringen würde, wußte sie nicht, aber sie erriet, daß eine verdächtige Schwangerschaft ihr Todesurteil bedeuten würde. Der Ton seiner Stimme, der trübe Schimmer der Spieleraugen, jede seiner Bewegungen, seine brutale Höflichkeit machten sie erbeben. Als der Oberst die gewünschte Vollmacht brauchte, bekam er sie. Denn Flora stand in seinem Banne, wie Frankreich in Napoleons Bann gestanden hatte . . . Und der alte Rouget verzappelte seine letzten Kräfte wie ein Schmetterling, dessen Fühler in das heiße Wachs einer Kerze geraten sind. Angesichts dieser Agonie blieb der Neffe ungerührt und kalt wie die Diplomaten von 1814 vor den Zuckungen des kaiserlichen Frankreichs.

Da er nicht mehr recht an Napoleon II. glaubte, schrieb Philipp an den Kriegsminister einen Brief, den Mariette durch den Herzog von Maufrigneuse übermitteln ließ:

»Exzellenz,

Napoleon ist nicht mehr. Ich habe dem Eide, den ich ihm geschworen, treu bleiben wollen; jetzt aber steht es mir frei, meine Dienste Seiner Majestät dem König anzubieten. Wollen Euer Exzellenz geruhen, Seiner Majestät mein Verhalten darzulegen, so wird es der König mit den Gesetzen der Ehre, wo nicht mit denen des Königtums in Einklang finden. Er, der es verstand, daß sein Adjutant, General Rapp, um seinen früheren Gebieter weinte, wird Nachsicht mit mir haben. Napoleon war mein Wohltäter.

So bitte ich denn Euer Exzellenz untertänigst, mein Gesuch um eine Verwendung in meiner Rangklasse zu berücksichtigen, und versichere Dieselben meines vollkommenen Gehorsams. Der König wird an mir seinen treuesten Untertanen haben.

Geruhen Euer Exzellenz, den Ausdruck der Ehrfurcht zu genehmigen, mit der ich verbleibe Euer Exzellenz ergebener und untertäniger Diener

Philipp Bridau,

vormals Schwadronskommandant der Gardedragoner, Offizier der Ehrenlegion, zur Zeit unter Aufsicht der hohen Polizei in Issoudun.«

Diesem Brief lag eine Bitte um Aufenthaltserlaubnis in Paris zur Regelung von Familienangelegenheiten bei. Ferner hatte Herr Mouilleron Schreiben des Bürgermeisters, des Unterpräfekten und des Polizeikommissars von Issoudun eingelegt. Alle diese Schriftstücke sprachen sich lobend über Philipp aus und verwiesen auf den Zeitungsartikel über die Heirat seines Onkels. Zwei Wochen später, zur Zeit der Ausstellung, erhielt Philipp die erbetene Erlaubnis und ein Schreiben des Kriegsministers, der ihm eröffnete, daß er auf Befehl des Königs als erste Vergünstigung seine Einstellung als Oberstleutnant in die Stammrolle erhalten habe.

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