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Das Leid im Leid

Illustration: Bertall

*

Axiom

Das Leid geht auf Umwegen.

*

Beispiel

Man hat zwar verschieden, aber immer schlecht, von Seitenstichen gesprochen; doch dieses Übel ist nichts im Vergleich zu den Stichen, um die es sich hier handelt und die sich bei den Freuden des Ehesommers ebenso sicher einstellen, wie ein Klavierhammer beim Anschlag hochschnellt. Es entsteht ein stechender Schmerz, der sich erst dann voll entfaltet, wenn die Schüchternheit der jungen Ehefrau jener peinlichen Gleichheit der Rechte gewichen ist, die die Ehen wie Frankreich zugrunde richtet. Jeder Jahreszeit ihre Leiden!

Eine Woche, nachdem Karoline die Abwesenheit des gnädigen Herrn festgestellt hat, bemerkt sie, daß er täglich sieben Stunden fern von ihr verbringt. Eines Tages findet Adolf, der heiter wie ein gefeierter Schauspieler zurückkehrt, Karolines Gesicht leicht zu Eis erstarrt. Karoline sieht, daß die Frostigkeit ihrer Miene aufgefallen ist, nimmt ein freundliches falsches Aussehen an, dessen wohlbekannter Ausdruck die Fähigkeit hat, einen Mann innerlich zu peinigen, und sagt: »Du hast wohl heute viele Geschäfte gehabt, mein Freund?«

»Ja, viele!«

»Hast du eine Droschke benutzt?«

»Für sieben Franken …«

»Hast du alle deine Leute angetroffen?«

»Ja, die, mit denen ich verabredet war …«

»Wann hast du ihnen denn geschrieben? Die Tinte in deinem Tintenfaß ist eingetrocknet: sie ist hart wie Lack; ich hatte etwas zu schreiben und brauchte eine gute Stunde, um sie zu einer dicken Sauce aufzuweichen, mit der man hätte Pakete nach Indien beschreiben können.«

Hier wirft jeder Gatte auf seine Ehehälfte tückische Blicke.

»Ich habe ihnen wahrscheinlich in Paris geschrieben …«

»In was für Geschäften also, Adolf!«

»Kennst du sie nicht? … Willst du, daß ich sie dir sage? … Zunächst die Sache Chaumontel …«

»Ich dachte, Herr Chaumontel sei in der Schweiz …«

»Aber hat er nicht seine Vertreter, seinen Rechtsanwalt?«

»Du hast nur Geschäfte gemacht?« sagt Karoline, Adolf unterbrechend.

 

Sie senkt dabei einen klaren, geraden Blick unversehens in die Augen ihres Mannes: einen Degen ins Herz.

»Was soll ich sonst getan haben … Falsches Geld, Schulden gemacht, Statist gespielt?«

»Ich weiß nicht. Ich kann vorläufig nichts erraten! Du hast es mir hundertmal gesagt: ich bin zu dumm.«

»Sehr gut! Da legst du ein zärtliches Wort übel aus. Geh, das ist recht weiblich.«

»Hast du etwas abgeschlossen?« sagt sie, indem sie eine Miene annimmt, als interessierten sie die Geschäfte.

»Nein, nichts …«

»Wieviel Menschen hast du gesehen?«

»Elf, abgesehen von denen, die auf den Boulevards promenierten.«

»Wie du mir antwortest!«

»Aber du fragst mich auch aus, als hättest du zehn Jahre das Handwerk eines Untersuchungsrichters ausgeübt …«

»Ach was, erzähle mir deine ganze Tagesarbeit, das unterhält mich. Du solltest hier doch an mein Vergnügen denken! Ich langweile mich genug, wenn du mich da die ganzen Tage allein läßt.«

»Du willst, daß ich dich mit Geschäftsberichten unterhalte?«

»Früher hast du mir alles gesagt …«

 

Dieser kleine freundschaftliche Vorwurf verbirgt eine Art Sicherheit, mit der Karoline die ernsten, von Adolf verhehlten Dinge behandeln will. Adolf beginnt also, seine Tagesarbeit zu erzählen. Karoline täuscht eine ziemlich gut gespielte Zerstreuung vor, um ihn glauben zu machen, daß sie nicht zuhört.

 

»Aber du hast mir soeben gesagt«, ruft sie in dem Augenblick aus, in dem Adolf sich verwickelt, »daß du für sieben Franken Droschke benützt hast, und jetzt sprichst du von einem Fiaker? Das war ohne Zweifel gleichzeitig? Du hast also deine Geschäfte im Fiaker gemacht?« sagt sie in etwas spöttischem Tone.

»Warum sollen mir Fiaker verboten sein?« fragt Adolf, indem er seinen Bericht wieder aufnimmt.

»Du bist nicht zu Frau von Fischtaminel gefahren?« sagt sie mitten in einer äußerst verworrenen Erklärung und schneidet Ihnen unbarmherzig das Wort ab.

»Warum sollte ich dahin gehen?«

»Das hätte mich gefreut: ich hätte gern gewußt, ob ihr Salon fertig ist …«

»Er ist es!«

»Ach! du bist also dort gewesen?«

»Nein, ihr Tapezierer hat es mir gesagt.«

»Du kennst ihren Tapezierer?«

»Ja!«

»Wer ist das?«

»Braschon.«

»Du hast ihn wohl getroffen, den Tapezierer?«

»Ja.«

»Aber du hast mir gesagt, daß du nur im Wagen gefahren bist?«

»Aber, mein Kind, um einen Wagen zu nehmen, muß man ihn ho …«

»Bah! du wirst ihn im Fiaker getroffen haben …«

»Wen?«

»Ach, den Salon – oder – Braschon! Geh, das eine wie das andere ist gleich wahrscheinlich.«

»Aber du willst mich also nicht anhören?« ruft Adolf aus, der glaubt, mit einer langen Erzählung werde er den Verdacht Karolines einschläfern.

»Ich habe dich zu lang angehört. Halt: du lügst mich seit einer Stunde an.«

»Ich werde nichts mehr sagen.«

»Ich weiß genug, ich weiß alles, was ich wissen wollte. Ja, du sagst mir, daß du Rechtsanwälte, Notare, Bankiers gesehen hast: du hast keinen von diesen Leuten gesehen! Wenn ich morgen Frau von Fischtaminel einen Besuch abstatten würde, weißt du, was sie mir sagen würde?«

 

Hier beobachtet Karoline Adolf; aber Adolf heuchelt die Ruhe eines trügerischen Sees vor, nach dessen schöner Mitte Karoline die Angel auswirft, um einen Beweis zu finden.

 

»Gewiß, sie würde mir sagen, daß sie das Vergnügen gehabt hat, dich zu sehen … Mein Gott! sind wir unglücklich! Wir können niemals wissen, was Sie treiben … Wir sind hier in der Wirtschaft eingesperrt, während Sie Ihre Geschäfte machen! Schöne Geschäfte! … In solchem Falle würde ich dir etwas besser ausgedachte Geschäfte erzählen als die deinen! … Ach, wir erfahren von Ihnen schöne Sachen! … Man sagt, daß die Frauen lasterhaft sind … Aber wer hat sie lasterhaft gemacht …«

 

Hier heftet Adolf einen festen Blick auf Karoline und versucht, die Wortflut aufzuhalten. Karoline fährt, wie ein Pferd, das einen Peitschenschlag empfangen hat, noch schöner fort, mit der Bewegtheit einer Rossinischen Coda.

 

»Ach! das ist eine hübsche Einrichtung, seine Frau aufs Land setzen, um in Paris den Tag so frei zu verbringen, wie es einem paßt! Das ist also der Grund Ihrer Leidenschaft für ein Landhaus! Und ich arme dumme Gans falle darauf herein! … Aber Sie haben recht, mein Herr, so ein Landhaus ist sehr bequem, es kann zwei Seiten haben. Die gnädige Frau wird sich ganz ebenso einrichten wie der gnädige Herr. Ihnen Paris und der Fiaker! … Mir die Wälder und ihre Kühle! … Entschieden, Adolf, das gefällt mir, seien wir einander nicht mehr böse …«

 

Adolf läßt eine Stunde lang Sarkasmen über sich ergehen.

»Bist du zu Ende, meine Liebe?« fragt er, indem er eines Augenblicks gewahr wird, wo sie den Kopf zu einer effektvollen Frage hebt.

Karoline endigt dann, während sie ausruft: »Ich habe das Landhaus satt, und ich setze keinen Fuß mehr hinaus! … Aber ich weiß, was mir passieren wird: Sie werden es ohne Zweifel behalten und mich in Paris lassen. Gut! In Paris werde ich mich wenigstens unterhalten können, während Sie Frau von Fischtaminel in den Wäldern spazierenführen. Was hat man von einer Villa Adolfini, wo einem übel wird, wenn man sechsmal rund um die Weide gegangen ist? Wo man Ihnen unter dem Vorwand, Ihnen Schatten zu verschaffen, kahle Stücke und Besenstiele hingepflanzt hat? … Man sitzt da wie in einem Backofen: die Mauern haben sechs Zoll Dicke! Und der gnädige Herr ist sieben von den zwölf Stunden des Tages abwesend! Das ist der tiefe Sinn der Villa!«

»Höre, Karoline …«

»Wenn du mir noch«, sagt sie, »gestehen wolltest, was du heute getan hast … Schau, du kennst mich nicht: ich werde ein braves Kind sein, sag es mir! … Ich verzeihe dir im voraus alles, was du getan hast.« Adolf hatte Verhältnisse vor seiner Heirat; er kennt zu gut das Ergebnis eines Geständnisses, um es abzulegen und sagt darauf: »Ich will dir alles sagen …«

»Ja, du wirst nett sein … ich werde dich um so mehr lieben!«

»Ich bin drei Stunden geblieben …«

»Ich war dessen sicher … bei Frau von Fischtaminel?«

»Nein, bei meinem Notar, der mir einen Käufer gefunden hat; aber wir haben uns nicht verstehen können: er wollte unser Landhaus ganz möbliert, und ich bin dann zu Braschon gegangen, um zu erfahren, was wir ihm schulden …«

»Du dachtest dir diesen Roman soeben aus, während ich sprach! … Sieh mich an! … Ich werde Braschon morgen aufsuchen.«

Adolf kann ein nervöses Zucken nicht zurückhalten.

»Du mußt lachen, siehst du, altes Ungeheuer!«

»Ich lache über deine Hartnäckigkeit.«

»Ich gehe morgen zu Frau von Fischtaminel.«

»Ha, geh, wohin du willst!«

»Welche Brutalität!« sagt Karoline, indem sie aufsteht und hinausgeht, das Taschentuch vor den Augen.

 

Das Landhaus, das von Karoline so glühend gewünscht ward, ist eine teuflische Erfindung Adolfs geworden, ein Käfig, in dem das Reh gefangengehalten wird.

Seitdem Adolf erkannt hat, daß es unmöglich ist, mit Karoline vernünftig zu reden, läßt er sie reden, was sie will.

Zwei Monate nachher verkauft er die Villa, die ihn zweiundzwanzigtausend Franken gekostet hat, für siebentausend Franken! Aber es ist ein Gewinn, zu wissen, daß ein Landhaus noch nicht das ist, was Karoline gefällt.

Die Frage wird ernst: Stolz, Naschhaftigkeit, zwei Sünden sind dort weniger geworden. Die Natur mit ihren Büschen, ihren Wäldern, ihren Tälern, die Schweiz der Pariser Umgebung, die künstlichen Flüsse haben Karoline kaum sechs Monate unterhalten. Adolf fühlt sich versucht, abzudanken und die Rolle Karolines zu übernehmen.


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