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Leidensgeschichte des Landhauses

Illustration: Bertall

Ist es eine Annehmlichkeit, nicht zu wissen, was der eigenen Frau gefällt, wenn man verheiratet ist? … Manche Frauen (das kommt noch in der Provinz vor) sind naiv genug, ziemlich deutlich zu sagen, was sie wollen und was ihnen gefällt. Aber in Paris haben fast alle Frauen eine gewisse Freude daran, zu sehen, wie ein Mann ihr Herz, ihre Launen, ihre Wünsche (drei Ausdrücke für dieselbe Sache) belauert und sich dreht und wendet, läuft, sich unsinnig gebärdet, in Verzweiflung gerät wie ein Hund, der seinen Herrn sucht.

Sie nennen das geliebt sein, die Unglücklichen! … Und eine große Zahl sagt bei sich wie Karoline: »Wie wird er sich aus der Affäre ziehen?«

 

Adolf geht es so. Zu der Zeit ladet der würdige und vortreffliche Deschars, dieses Vorbild eines bürgerlichen Ehemannes, das Ehepaar Adolf und Karoline zur Besichtigung eines reizenden Landhauses ein. Es ist ein Gelegenheitskauf, zu dem sich die Deschars beim Anblick des Baumbestandes haben hinreißen lassen – die Laune eines Schriftstellers, eine köstliche Villa, in die der Künstler hunderttausend Franken gesteckt hat und die bei der Versteigerung um elftausend Franken verkauft wurde. Karoline hat eine hübsche Toilette, einen Hut mit Pleureusen auszuführen: da ist es köstlich, in einen Tilbury zu steigen. Man überläßt den kleinen Karl der Großmutter. Man verabschiedet sich von den Bedienten. Man fährt beim Lächeln eines blauen Himmels ab, über den, einzig zur Erhöhung des Effektes, milchweiße Wolken ziehen. Man atmet die frische Luft ein, man durchschneidet sie im Trab mit dem schweren normannischen Pferd, das durch den Frühling unruhig ist. Schließlich kommt man in Marnes oberhalb Ville-d'Avray an, wo die Deschars in einer Villa einherstolzieren, die einer florentinischen Villa nachgemacht und, ohne all die Unbequemlichkeiten der Alpen, von schweizerischen Weiden umgeben ist.

»Mein Gott! was für ein Vergnügen wäre so ein ähnliches Landhaus!« ruft Karoline auf dem Spaziergang durch die wunderbaren Wälder aus, die Marnes und Ville-d'Avray säumen. »Man ist glücklich im Schauen, als ob man ein Herz in den Augen hätte!«

Karoline, die nur Adolf ergreifen kann, ergreift also Adolf, der wieder ihr Adolf wird. Wie ein Reh laufen zu können und wieder das hübsche, naive, kleine, liebenwürdige Pensionatsmädchen werden, das sie war! … Ihre Zöpfe fallen nieder! Sie legt ihren Hut ab, hält ihn an den Bändern. Hier wird sie wieder jung, weiß und rosig. Ihre Augen lächeln, ihr Mund ist ein Granatapfel, voll Empfindsamkeit, einer ganz neuen Empfindsamkeit.

»Das würde dir also gut gefallen, meine Liebe, ein Landhäuschen!« sagt Adolf, indem er Karoline um die Taille hält und fühlt, wie sie sich aufstützt, als wollte sie ihre Biegsamkeit zeigen.

»Oh! du wirst so nett sein, mir eins zu kaufen? … Aber, keine Torheiten! … Erwisch eine Gelegenheit wie die Deschars.«

»Dir zu gefallen, zu wissen, was dir Vergnügen bereiten kann, das ist das Bestreben deines Adolf.«

Sie sind allein, sie können einander ihre kleinen Freundschaftsworte sagen, den Rosenkranz ihrer geheimen Zärtlichkeiten abbeten.

»Man will also seinem kleinen Mädel gefallen?« sagt Karoline und legt ihr Haupt auf die Schulter Adolfs, der sie auf die Stirn küßt, indem er denkt: »Gott sei Dank, ich habe sie in der Hand!«

*

Axiom

Wenn Mann und Frau zueinanderhalten, weiß der Teufel allein, wer den andern in der Hand hat.

*

Die junge Wirtschaft ist entzückend, und die dicke Frau Deschars erlaubt sich eine für sie, die so streng, so keusch, so fromm ist, ziemlich ungenierte Bemerkung.

Illustration: Bertall

»Das Land hat die Eigenschaft, die Ehegatten sehr liebevoll zu machen.«

Herr Deschars weiß von einem Gelegenheitskauf, der sich bietet. Ein Haus in Ville d'Avray ist zu haben um ein Nichts. Das Landhaus ist nämlich eine spezifische Krankheit des Pariser Bürgers. Diese Krankheit hat ihre Zeit und ihre Heilung. Adolf ist ein Ehemann und kein Arzt. Er kauft das Landhaus und richtet sich darin mit Karoline ein, die wieder seine Karoline geworden ist, seine Karola, sein weißes Reh, sein teuerster Schatz, sein kleines Mädchen usw.

 

Da offenbaren sich mit der erschreckenden Schnelligkeit beunruhigende Symptome.

Man bezahlt für eine Tasse Milch fünfundzwanzig Centimes, wenn sie getauft ist, fünfzig Centimes, wenn sie ohne Wassergehalt ist, wie die Chemiker sagen.

Das Fleisch ist in Paris weniger teuer als in Sèvres.

Das Obst ist unerschwinglich. Eine schöne Birne kostet auf dem Lande mehr als in dem Garten (wasserfrei!), der im Schaufenster von Chevet blüht.

Ehe man bei sich selbst Obst ernten kann, wo die wenigen grünen Bäume, die um eine zwei Quadratmeter große Schweizer Matte herumstehen, die aussehen, als seien sie für eine Vaudevilleausstattung entliehen, muß man, nach Aussage der zu Rate gezogenen größten Landautoritäten, viel Geld ausgeben und – fünf Jahre warten! …

Das Gemüse schießt bei den Gärtnern in die Höhe und liegt in den Markthallen aufgestapelt. Frau Deschars, die sich einer Gärtnerin-Hausmeisterin erfreut, gesteht, daß ihr das Gemüse, das dank dem Dünger auf ihrem Grund und Boden, in ihren Treibkästen gedeiht, doppelt so teuer kommt wie das in Paris bei einer Gemüsehändlerin gekaufte, die einen Laden hat, Steuer zahlt und deren Mann Wähler ist.

Trotz aller Anstrengungen und Versprechungen der Gärtnerin-Hausmeisterin sind die Frühgemüse in Paris um einen Monat eher zu haben als auf dem Lande.

Von acht bis elf abends wissen die Eheleute nicht, was sie anfangen sollen, bei der Abgeschmacktheit und Kleinlichkeit ihrer Nachbarn und angesichts der grundlos aufgeworfenen, selbstbewußten Fragen.

Herr Deschars stellt mit der tiefen Rechenwissenschaft, die einen alten Notar auszeichnet, fest, daß der Preis seiner Reisen nach Paris, zusammen mit den Zinsen des Preises für die Villa, mit den Abgaben, den Reparaturen, den Gehältern seiner Hausmeisterin und seiner Frau usw. einer Miete von tausend Talern gleichkommt! Er weiß nicht, wie er, ein alter Notar, auf so etwas hat eingehen können! … Denn er hat wiederholt Verträge über Schlösser mit Park und Dependancen für tausend Taler Miete abgeschlossen.

Alle sind sich in den Salons der Frau Deschars einig, daß ein Landhaus, weit entfernt, ein Vergnügen zu sein, eine offene Wunde ist …

»Ich weiß nicht, wieso man in der Markthalle einen Kohlkopf, den man vom Tage seiner Geburt bis zum Tage, an dem man ihn abschneidet, alle Tage begießen muß, nur um fünf Centimes verkauft«, sagt Karoline.

»Aber«, sagt ein kleiner zurückgezogener Kaufmann, »sich auf das Land zurückziehen heißt dort bleiben, dort wohnen, Landmann werden, dann ändert sich alles …«

Karoline sagt bei der Rückkehr zu ihrem armen Adolf: »Was hast du für eine Idee gehabt, ein Landhaus zu kaufen! Es ist besser, statt aufs Land zu andern Leuten zu gehen …«

Adolf erinnert sich eines englischen Sprichworts, das besagt:

»Halten Sie nie eine Zeitung, eine Maitresse, ein Landhaus; es gibt immer Toren, die es für Sie tun …«

»Bah!« antwortet Adolf, den die Ehetarantel endgültig über die Logik der Frauen aufgeklärt hat, »du hast recht; aber was willst du? Das Kind beginnt sich da zu erholen.«

Obzwar Adolf vorsichtig geworden ist, weckt diese Antwort den Verdacht Karolines. Eine Mutter will ausschließlich an ihr Kind denken, aber sie will nicht sehen, daß es ihr vorgezogen wird. Die Frau schweigt; am andern Tag langweilt sie sich tödlich. Adolf ist in Geschäften fortgefahren, sie erwartet ihn von fünf Uhr bis sieben und geht allein mit dem kleinen Karl bis zum Wagen. Sie spricht dreiviertel Stunden lang von ihrer Unruhe. Sie hat auf dem Wege vom Hause bis zur Haltestelle Angst gehabt. Ist es ratsam, eine junge Frau dazulassen, allein? Sie wird dieses Leben nicht ertragen.

Die Villa kommt in eine ganz besondere Phase, die ein eigenes Kapitel verdient.


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