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Der Beschluß

Illustration: Bertall

Es ist acht Uhr, Sie treten ins Schlafzimmer Ihrer Frau ein. Eine Menge Lichter brennen. Das Stubenmädchen und die Köchin springen umher. Die Möbel sind mit probierten Kleidern überhäuft, mit Blumen überschüttet.

Der Friseur ist da, ein Künstler par excellence, eine hohe Autorität, alles und nichts zugleich. Sie haben die übrigen Bedienten kommen und gehen gehört; Befehle werden erteilt und widerrufen, Aufträge gut oder schlecht ausgeführt. Die Unordnung hat ihren Gipfel erreicht. Das Zimmer ist eine Werkstatt, aus der eine Venus des Salons hervorgehen soll.

Ihre Frau will die Schönste auf dem Ball sein, den Sie besuchen. Ist es für Sie oder nur für sich oder für einen andern? Schwere Fragen! Sie denken nicht einmal daran.

Sie sind in Ihrem Ballanzug zusammengepreßt, verschnürt und gepanzert; Sie gehen mit abgezählten Schritten, blicken um sich, beobachten und denken daran, auf neutralem Boden Geschäfte mit einem Wechselmakler, einem Notar oder einem Bankier zu besprechen, denen Sie nicht den Vorzug geben wollen, sie bei sich zu empfangen.

Jeder kann die seltsame Tatsache beobachten, deren Ursachen jedoch beinahe unbestimmbar sind, daß festlich gekleidete und für eine Gesellschaft bereite Männer gegen alle Gespräche und Auskünfte einen ausgesprochenen Widerwillen hegen. Im Augenblick des Aufbruchs sind die meisten Ehemänner schweigsam und tief versunken in je nach dem Charakter verschiedene Gedanken. Die Antwort geben, haben kurze und bündige Worte.

Illustration: Bertall

Ihre Frau ist Ihnen so bekannt.

In diesem Augenblick werden die Frauen äußerst anzüglich, sie ziehen Sie zu Rate, sie wollen Ihre Meinung darüber hören, wie der Stiel einer Rose zu verhüllen, der Büschel von Erika zu hängen, eine Schleife zu binden sei. Es handelt sich nie um diesen Firlefanz, sondern um sie selbst.

Nach einer hübschen englischen Redensart angeln sie nach Komplimenten, und manchmal nach mehr als Komplimenten.

Ein Schulkind würde bemerken, was sich hinter diesen schmächtigen Vorwänden verbirgt; aber Ihre Frau ist Ihnen so bekannt, und Sie haben so oft über ihre moralischen und körperlichen Vorzüge geplaudert, daß Sie so grausam sind, Ihre Meinung kurz nach Ihrem Wissen und Gewissen zu sagen; und Sie zwingen dadurch Karoline zu dem entscheidenden Wort, das für alle Frauen, selbst nach zwanzigjähriger Ehe, grausam auszusprechen ist:

»Mir scheint, ich gefalle dir nicht?«

Durch diese Frage auf das richtige Gebiet gelockt, überhäufen Sie sie mit Lobsprüchen, wertlos wie die geringgeachteten Heller und Pfennige Ihrer Börse.

»Das Kleid ist entzückend! – Ich habe dich noch nie so gut angezogen gesehen! – Das Blau das Rosa, das Gelb, das Rot (wählen Sie) steht dir ausgezeichnet. – Die Frisur ist sehr originell. – Wenn du in den Ballsaal trittst, wird dich alles bewundern. – Du wirst nicht nur die Schönste sein, sondern auch die Bestgekleidete. – Alle werden wütend sein, nicht deinen Geschmack zu haben. – Die Schönheit können wir nicht verschenken; aber der Geschmack ist wie der Geist, etwas, worauf wir stolz sein können …«

»Findest du, meinst du das ernstlich, Adolf?«

Ihre Frau kokettiert mit Ihnen. Sie wählt diesen Augenblick, um Ihnen Ihre vermutlichen Gedanken über diese oder jene ihrer Freundinnen zu entlocken und um Ihnen den Preis der schönen Sachen beizubringen, die Sie loben. Nichts ist zu teuer, um Ihnen zu gefallen. Sie schickt die Köchin hinaus.

»Gehen wir«, sagen Sie.

Sie schickt das Stubenmädchen hinaus, nachdem sie den Friseur hinausgeschickt hat, und beginnt sich vor dem Spiegel zu drehen und zeigt Ihnen ihre glorreiche Schönheit.

»Gehen wir«, sagen Sie.

»Du hast es sehr eilig«, antwortet sie.

Und sie ziert sich, indem sie sich zur Schau stellt wie eine in der Auslage eines Delikatessenhändlers großartig hergerichtete schöne Frucht.

Da Sie sehr gut gespeist haben, küssen Sie sie auf die Stirn, Sie haben keine Lust, Ihre Urteile zu wiederholen. Karoline wird ernst.

Der Wagen ist vorgefahren. Das ganze Haus sieht zu, wie gnädige Frau fortfährt; sie ist das Meisterwerk, daran jeder Hand angelegt hat, und alle bewundern das gemeinsame Werk.

Ihre Frau fährt ab, berauscht von sich selbst und wenig zufrieden mit Ihnen. Sie schreitet glorreich in den Ballsaal, wie ein geliebtes Bild, das erst im Atelier vom Maler geliebkost, dann in den riesigen Louvre-Basar, auf die Ausstellung geschickt wird.

Ihre Frau findet, ach! fünfzig Frauen, die schöner sind als sie; sie haben irrsinnig teure, mehr oder minder originelle Toiletten ersonnen; und dem weiblichen Meisterwerk geht es wie dem Werk im Louvre: das Kleid Ihrer Frau verblaßt neben einem andern, fast ähnlichen, dessen auffälligere Farbe die ihre schlägt. Karoline ist nichts, sie wird kaum beachtet. Wenn in einem Salon sechzig hübsche Frauen sind, verliert sich das Gefühl für Schönheit, man weiß nichts mehr von Schönheit. Ihre Frau wird etwas ganz Gewöhnliches. Die listige Feinheit ihres vollendeten Lächelns wird unter den großartigen Ausdrücken, neben den hochmütig und kühn blickenden Frauen nicht mehr verstanden. Sie ist unbeachtet, sie wird nicht zum Tanze aufgefordert. Sie versucht, sich zu verstellen, um die Zufriedene zu spielen, und da sie nicht zufrieden ist, hört sie sagen: »Madame Adolf ist schlechter Laune.« Die Frauen fragen sie heuchlerisch, ob sie leide; warum sie nicht tanze. Sie haben einen Vorrat von Bosheiten, die in Gutmütigkeit gehüllt, mit Wohlwollen verbrämt sind, daß man damit einen Heiligen in Verdammnis stürzen, einen Affen ernst machen und einen Dämon zum Erschaudern bringen könnte.

Sie, der in seiner Unschuld spielt, kommt und geht, der keinen der tausend Nadelstiche merkt, mit denen man die Eigenliebe Ihrer Frau tätowiert hat, nähern sich und sagen ihr ins Ohr:

»Was hast du?«

»Bestell meinen Wagen.«

Dieses »mein« ist die Erfüllung der Ehe.

Zwei Jahre hat man der Wagen des Herrn gesagt, der Wagen, unser Wagen und endlich mein Wagen.

Sie haben eine Partie zugesagt, um sich zu revanchieren, um Geld zurückzugewinnen.

Hier gesteht man Ihnen zu, Adolf, daß Sie stark genug sind, ja zu sagen, zu verschwinden und den Wagen nicht zu holen.

Sie haben einen Freund, Sie schicken ihn mit Ihrer Frau tanzen, denn Sie sind bereits bei einem System von Zugeständnissen angelangt, das Sie vernichten wird: Sie erkennen schon die Nützlichkeit eines Freundes.

Aber schließlich holen Sie den Wagen doch.

Ihre Frau steigt mit einer stummen Wut ein, sie wirft sich in eine Ecke, wickelt sich in ihren Mantel, kreuzt die Arme im Pelz, rollt sich wie eine Katze zusammen und spricht kein Wort.

O Ehemänner! wisset es, ihr könnt in diesem Augenblick alles gutmachen, alles verbessern, und niemals fehle hier ein Ungestüm wie bei Liebenden, die sich den ganzen Abend mit flammenden Blicken geliebkost haben! Ja, Sie können sie im Triumph zurückgewinnen, sie hat nur noch Sie, Ihnen bleibt die Möglichkeit, Ihre Frau zu bezwingen. Ach, was! Sie sagen ihr einfältiges, leeres und gleichgültiges »Was hast du?« zu ihr.

*

Axiom

Ein Ehemann soll immer wissen, was seine Frau hat, denn sie weiß immer, was sie nicht hat.

*

»Mich friert«, sagt sie.

»Der Abend war prächtig.«

»Oh, oh, keine ausgesuchte Gesellschaft! Man hat heutzutage die Manie, ganz Paris in ein Loch einzuladen. Bis auf die Stiege standen die Frauen; die Toiletten wurden schrecklich zugerichtet, meine ist hin.«

»Man hat sich unterhalten.«

»Ihr andern, ihr spielt, und damit ist alles getan. Seid ihr einmal verheiratet, gebt ihr euch mit euren Frauen ab, wie sich Löwen mit Malerei abgeben.«

»Ich erkenne dich nicht mehr; du warst so heiter, so glücklich, so fesch, als wir kamen.«

»Ach, ihr versteht uns nie! Ich habe dich gebeten fortzugehen, und du läßt mich da, als ob die Frauen je etwas ohne Grund täten. Ihr habt Geist, aber in gewissen Augenblicken seid ihr wirklich eigentümlich, ich weiß nicht, woran ihr denkt …«

Hier angelangt, nimmt der Streit zu. Wenn Sie Ihrer Frau beim Aussteigen die Hand geben, fassen Sie ein Stück Holz; sie sagt Ihnen ein Danke, mit dem sie Sie in die Reihe ihrer Bedienten herabsetzt …

 

Sie haben Ihre Frau vor dem Ball nicht mehr als nachher verstanden, Sie folgen ihr mit Mühe, sie steigt nicht die Treppe hinauf, sie fliegt. Es gibt einen kompletten Bruch.

Das Stubenmädchen ist mit in Ungnade gefallen; sie wird mit einem Ja und Nein empfangen, trocken wie Brüsseler Zwieback, und sie schluckt es, mit einem schiefen Blick auf Sie.

»Der Herr hat es nie anders gemacht!« sagt sie brummend. Gnädige legt sich, sie will sich rächen; Sie haben sie nicht verstanden, sie versteht Sie überhaupt nicht.

Sie legt sich in der verdrießlichsten und feindseligsten Weise in ihre Ecke; sie ist in ihr Hemd, in ihre Nachtjacke, in ihre Nachthaube eingewickelt wie ein Uhrmacherpaket, das nach Ostindien geschickt wird. Sie sagt weder Gute Nacht, noch Guten Tag, noch mein Freund, noch Adolf zu Ihnen; Sie existieren nicht, Sie sind ein Mehlsack.

Ihre Karoline, die fünf Stunden vorher in demselben Zimmer wie ein Aal herumschnellte und so reizvoll war, ist jetzt wie ein Bleiklotz. Wären Sie die Tropen in Person, zu Pferd am Äquator, Sie würden die Gletscher dieser kleinen personifizierten Schweiz nicht zum Auftauen bringen, die zu schlafen scheint und die Sie im Notfalle von Kopf bis zu Fuß in Eis verwandeln würde. Fragten Sie sie auch hundertmal, was sie hat, die Schweiz antwortet Ihnen mit einem »Beschluß« wie der Schweizer Bundesrat oder wie die Konferenz von London.

Sie hat nichts, sie ist müde, sie schläft.

Je mehr Sie sie drängen, desto mehr verschanzt sie sich hinter Unwissenheit und umgibt sich mit spanischen Reitern. Wenn Sie ungeduldig werden, so hat Karoline zu träumen begonnen! Sie brummen, Sie sind verloren.

*

Axiom

Die Frauen wissen uns ihre Größe immer wohl zu erklären, aber ihre Kleinheit lassen sie uns erraten.

*

Karoline wird vielleicht auch geruhen, Ihnen zu sagen, daß sie sich schon sehr indisponiert fühlt; aber sie lacht sich ins Fäustchen, sobald Sie schlafen, und schleudert Flüche über Ihren schlummernden Leib.


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