Berthold Auerbach
Auf der Höhe. Vierter Band
Berthold Auerbach

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Zwölftes Kapitel.

Die Schuljugend war hüben und drüben am Wege unter den Obstbäumen aufgestellt. Die Glocken läuteten, Musik erscholl, Böller krachten und widerhallten von den vielzackigen Bergen.

Die Königin zog ein.

Sie saß im offenen, von vier Schimmeln gezogenen Wagen, neben ihr der Prinz, ein Knabe mit hellen goldenen Locken und frischem Antlitz. An der Gemarkung hielt der Wagen. Ein in der kleidsamen Landestracht aufgeputztes Mädchen hieß die Königin mit einem vom Schulmeister verfaßten Gedichte willkommen und überreichte ihr einen Strauß Alpenblumen. Die Königin empfing den Strauß, auf ihrem Antlitze lag Güte und Holdseligkeit; sie grüßte nach allen Seiten, reichte dem Kinde die Hand, und auch der Prinz reichte seine Händchen dar und sagte –der ganze Gemeinderat, der katholische und evangelische Geistliche hörte es –»Grüß Gott!«

»Hoch und abermals hoch!« wurde gerufen und Blumen wurden auf den Weg gestreut.

Die Königin fuhr durch das Städtchen, das mit Kränzen und Fahnen geschmückt war, nach der Meierei. Dort standen bereits die Hofkavaliere, die vorausgekommen waren, unter ihnen Gunther. Er trug die großen Orden auf der Brust, die die Bewohner des Städtchens noch nicht an ihm gesehen hatten.

Jetzt kam der Wagen durch die Ehrenpforte; er hielt an, die Königin stieg aus.

Sie reichte Gunther die Hand, er hätte sie gern geküßt, aber er wandte sich zum Prinzen und küßte ihn. Auch er war so bewegt, daß er kein Wort hervorbringen konnte, endlich sagte er:

»Ich heiße Majestät von Herzen willkommen auf meinem Heimatsgrunde.«

»Wo Sie sind, ist Heimatsgrund,« erwiderte die Königin.

Sie ging voran, an der Hand den Knaben führend.

Die Oberhofmeisterin Gräfin Brinkenstein, die Palastdame Konstanze und andre Hofdamen begrüßten nun ebenfalls Gunther; es waren aber auch neuernannte da, die Gunther nicht kannte.

Bald war die Königin mit den ihr Zunächststehenden auf der großen Terrasse, die einen entzückenden Ausblick über das Thal und nach den Bergen bot. Gunther erklärte der Königin den Höhenzug und die dazwischenliegenden Thäler, er nannte die Namen der vernehmlichsten Bergspitzen und fügte da und dort etwas Geschichtliches hinzu; er stellte die Häupter seiner Heimat der Königin vor. Jetzt begann die Abenddämmerung sich niederzusenken und ruhte im glühenden Rot dort oben auf den Höhen. Man stand eine Weile still und schaute hinauf nach den Höhen dort, wo allen ungeahnt eine Frauengestalt träumend hineinsah in die weite Welt und erschreckt sich umgeschaut hatte, als plötzlich von den nahen Schrofen das Echo der Böllerschüsse donnergleich widerhallte. Da drunten feiern wohl die Menschen ein lautes Fest, und sie, die einst auch unter den hier Versammelten gestanden und die nicht am wenigsten Bewunderte war, lebt still und einsam in sich.

An dem Zaune des abgegrenzten Parkes stand die Einwohnerschaft des Städtchens und viele, die aus den Dörfern und den einsamen Höfen herbeigekommen waren; sie schauten alle nach der Königin, jedes wollte etwas Besonderes bemerkt haben, an ihr, an den Pferden, an dem Wagen, an den Dienern.

Jetzt läutete die Abendglocke, die Männer zogen die Hüte ab und alles betete still und zog heimwärts.

Die Nacht brach schnell herein, die Versammelten zerstreuten sich und die Königin fragte Gunther, ob es nicht einen Weg nach seinem Hause gebe, der nicht durch das Städtchen führe. Gunther erwiderte, daß der König einen solchen längs des Vorhügels habe anlegen lassen.

Die Königin blickte nieder. Sie war im Innersten erquickt von dieser freundlichen Fürsorge, und wäre jetzt der König dagewesen, sie hatte ihm ein Wort der Güte gesagt, wie er es lange nicht von ihr gehört.

»Ich will Ihre Familie begrüßen,« sagte die Königin.

»Ich werde die Ehre haben, sie Eurer Majestät morgen vorzustellen.«

»Es ist so schön, der Abend so mild, lassen Sie uns noch heute dahin gehen.«

Die Königin und Gunther und mehrere Herren und Damen vom Hofe gingen den neuen Weg nach dem Hause Gunthers.

»Wollen Sie nicht Ihren Damen schnell voraussagen lassen, daß Ihre Majestät zu Besuch kommt?« sagte die Oberhofmeisterin beim Ausgang aus der Meierei mit sehr gnädigem Ausdruck zu Gunther. Die Formlosigkeit der Königin, mit der sie diesen Besuch in Scene setzte, war doch gegen alle Regel, obgleich der Landaufenthalt mancherlei Freiheit gestattet.

Gunther lehnte ebenso höflich jede Ansage ab.

In ihm war das stolze Selbstgefühl: es kann zu jeder Stunde eine Königin mit ihrem Gefolge in sein Haus eintreten, sie findet es würdig bereit, und seine Frau und seine Kinder bedürfen keiner Zurechtstellung.

Die Frau des Inspektors, die kluge Stasi, hatte aber doch gehört, wohin es geht; sie war durch die Stadt vorausgeeilt zu Frau Gunther, um zu sagen, wer heute noch zu ihr käme.

So fand nun der Hof den Gartensalon schön erleuchtet, und Frau Gunther, von ihren beiden Töchtern umgeben, begrüßte die Königin am Eingang des Gartens, mit ehrerbietiger, wenn auch nicht vollkommen ordonnanzmäßiger Verbeugung.

»Ich konnte es nicht erwarten,« sagte die Königin –ihre Stimme klang jetzt so hell, ganz anders wie ehedem –»ich mußte Sie noch heute begrüßen und Ihnen meinen Glückwunsch aussprechen. Sie sind die Braut des Ministers Bronnen?« wendete sie sich zu Paula.

Paula verbeugte sich so regelrecht, daß die Oberhofmeisterin zufrieden nickte. Die Königin reichte Paula die Hand und küßte sie auf die Stirne.

»Ich werde Sie nun oft sehen,« setzte sie hinzu, »und es wird uns eine Quelle der Erinnerung sein, daß ich Sie schon in Ihrem elterlichen Hause gekannt.«

Sie winkte dann Frau Gunther an ihre Seite und ging mit ihr durch den Garten.

»Also erst heute muß ich Sie sehen,« sagte die Königin, »ich hoffe, ich bin Ihnen keine Fremde.«

»Majestät, es ist zum erstenmal in meinem Leben, daß ich mit einer Königin spreche, und ich bitte –«

»Ihr Mann ist mir ein väterlicher Freund, und ich wünsche, daß auch Sie mir in ähnlicher Weise –doch, überlassen wir das der freien Bestimmung, wie wir uns gegenseitig finden. Legen Sie nur als Schweizerin ein klein wenig Ihr Vorurteil gegen eine Königin ab.«

»Majestät, ich bin eine Bürgerin Ihres Landes.«

»Ich freue mich, daß ich Sie zuerst in Ihrem eigenen Hause begrüßen konnte. Singen Sie noch viel? Ich hörte, daß Sie schön gesungen.«

»Majestät, das überlasse ich jetzt den frischeren Stimmen meiner Kinder; Paula singt.«

»Ach, das freut mich! Ich entbehrte es lange, daß keine Dame unseres näheren Kreises schön singt.«

Wie ein flüchtiger Schatten huschte die Erinnerung an Irma in der Nacht dahin durch die Seele der Königin. Sie stand am Bach, der von dort oben kam, und hier jetzt laut quallte und murmelte.

Die Königin blieb nur eine kurze Weile im Pavillon. Als sie zurückging, sagte sie an der Gartenthür zu Frau Gunther:

»Wollen Sie uns nicht noch ein Stück Weges begleiten?«

»Ich danke, Majestät.«

»So sehe ich Sie morgen. Gute Nacht! Auf gute Nachbarschaft!«

Die Königin ging davon.

Gunther wußte, wie die Herren und Damen laut oder still über die unerhörte Unschicklichkeit sprechen werden, daß man einen ausgesprochenen Wunsch der Königin geradezu verneint; aber er sagte seiner Frau kein Wort, er konnte sie gewähren lassen und war sicher, daß sie das Rechte that; wenn sie auch gewisse Konvenienzen unberücksichtigt ließ, sie wird doch mit rechtem Takt alles einleiten und festhalten, und gerade das, daß sie das überaus huldvolle Zuneigen der Königin mit leiser Abwehr behandelte und sich von der Gnade nicht eine Freundschaft befehlen ließ, gerade das war ihm sichere Bürgschaft.

»Es ist mir lieb,« sagte Frau Gunther zu ihrem Manne, als sie in der Wohnstube beisammen waren, »daß unsre Paula schon vom elterlichen Hause aus in das Hofleben eingeführt wird, und die Königin scheint mir in Wahrheit ein edles Gemüt.«

Gunther stimmte bei und setzte hinzu, daß Paula schon bei der kurzen Begegnung gezeigt habe, wie sie die Unterweisung ihres Verlobten praktisch zu üben wisse, denn Bronnen hatte ihr gesagt: Man ist bei Hofe frei, wenn man sich den Krimskrams der Formen, ohne Accent darauf zu legen, so zu eigen macht, daß man sie ohne Beschwer übt, wie grammatische Regeln.

Die Nacht war mondhell und Paula sang in die stille Nacht hinein mit klangvoller Stimme und in glühendem bräutlichem Ausdruck den Schluß des Goetheschen Liedes, das Bronnen vor allen liebte:

Krone des Lebens,
Glück ohne Ruh,
Liebe bist du!

Und droben auf dem Berge, wohin keine Stimme drang, saß in ihre blaue Decke gehüllt eine Einsame, und durch ihre Seele zog lautlos das Lied desselben Meisters, das Lied aller Lieder, in dem die von aller Schwere freigewordene Seele sich mit der ewigen Natur eint:

Füllest wieder Busch und Thal
Still mit Nebelglanz,
Lösest endlich auch einmal
Meine Seele ganz.

Die Hofdamen in der Meierei plauderten noch lange miteinander: diejenigen, die die Königin nicht hatten begleiten dürfen, beneideten die andern, die sofort die Braut Bronnens mustern konnten. Was mochte nur an dem bürgerlichen Mädchen sein, daß Bronnen, dem keine noch so hoch Stehende ihre Hand geweigert hätte, gerade sie wählte? Die einen fanden sie linkisch, die andern zu sicher: auch ihre Schönheit war zweifelhaft. Den jüngeren Hofdamen wurde scherzend mitgeteilt, daß der Leibarzt jetzt viele Tage große Parade der Gefühle und Weltideen abhalten werde, und zwar au grand sérieux.

Der Mond schien hell auf den Bergen und im Thal, wo endlich alles schlief. Nur die Brunnen rauschten und der Bach murmelte und manchmal erscholl ein Jodelruf hoch in den Bergen.

Ein heller Tag brach an.

Gunther war früh bei der Königin. Er war entschlossen, nun die nächsten Wochen seine Morgenstille zu opfern: er wollte sich ganz der Freundin widmen, und er sah jenseits dieser Wochen wieder seine ungestörte Ruhe.

Wieder wie vor fünf Jahren saß er am Morgen auf der Terrasse, aber nicht ausschauend nach den fernen Bergen, sondern nun von ihnen umschlossen: und wieder, wie damals, erschien die Königin in weißem Gewand und grüßte ihn, aber ihr Wesen war jetzt ein andres, ihr Gang war sicherer, ihr Wort bestimmter.

»Wir machen kein Programm, wie wir nun hier leben wollen,« sagte die Königin, mit Gunther im Garten auf und ab wandelnd, »wir wollen den Tag nehmen, wie er sich gibt.«

Sie sprach ihre Freude aus, daß sie seine Frau und Töchter nun schon kenne: sie fand, daß er wohlgethan, in der Residenz seine Häuslichkeit vom Hofe entfernt gehalten und nur mit wenigen Menschen eine Ausnahme gemacht zu haben.

Wieder zog wie ein flüchtiger Schatten die Erinnerung an Irma durch die Morgenfrühe dahin, denn die Königin wußte, daß Gunther sie in sein Haus eingeführt. Immer noch schien das Andenken Irmas nicht völlig gebannt und begraben.

»Majestät erlauben mir,« sagte der Leibarzt, »doch ein kleines Programm aufzustellen; es hat nur einen einzigen Paragraphen. Erlauben Sie mir, ihn zu motivieren. Ich habe mich nie brieflich über diesen Punkt aussprechen können, ich kann es nur persönlich. Majestät, ich habe mich vor Ihnen einer Schuld anzuklagen.«

»Sie? Einer Schuld?«

»Ja, und es macht mich frei, sie beichten zu dürfen. Majestät, ich frage nicht, wie jetzt Ihr Verhältnis zu Ihrem königlichen Gemahl. Daß und wie er Ihnen dies alles hier bereitet, ist die That eines zarten Sinnes –«

»Und ich erkenne die That vollkommen; aber ich kann doch nicht –«

»Ich muß Sie unterbrechen, Majestät, denn das ist meine Bitte: Gestatten Sie mir, daß wir nie mehr miteinander über Ihr Verhältnis zu Seiner Majestät sprechen. Ich habe damals –und das eben ist meine Schuld –in dem schweren Konflikt geglaubt, Eure Majestät durch freies und umfassenderes Denken zur Gerechtigkeit und von da aus zur wiedererweckten Liebe zu führen. Ich habe geirrt und gegen einen ganz einfachen Grundsatz verstoßen. Gefühle wollen sich nicht durch Gedanken beherrschen lassen; und wäre es auch in dem genannten Falle, jeder dritte, der da sich einstellen läßt, wird mit Recht zermalmt und ausgestoßen. Wer da Mittler sein will, der macht den Riß nur weiter. Gatte und Gattin können nur allein sich finden. Ich breche ab und bitte nun Eure Majestät –denn so allein können wir freien Blickes einem jeden und Ihrem Gemahl selbst, wenn er kommt, frei ins Auge schauen –wir sprechen nie mehr über dies Verhältnis. Sie haben keinen andern Vertrauten, als Ihr Herz, und Ihrem eigenen Herzen allein müssen Sie folgen und vor keiner scheinbaren Abtrünnigkeit und Umkehr zurückschrecken. Ist dies eine mir gewährt?«

»Ja, und nun weiter kein Wort davon.«

Als ob den beiden eine Last abgenommen wäre, ein Bann, der auf ihnen geruht, frei und heiter besprachen sie sich nun.

Der Kronprinz wurde herbeigeführt. Der Leibarzt freute sich seiner kräftigen Gestalt und versprach ihm eine Gespielin, die am selben Tag mit ihm geboren war.

»Mama, warum hab ich kein Schwesterchen?« fragte der kleine Prinz. Die Königin wurde über und über rot.

»Die kleine Cornelia soll deine Schwester sein,« erwiderte sie und gab Auftrag, daß man den Prinzen in das Haus des Leibarztes zu dem Kinde führe.

Der Leibarzt gab Frau von Gerloff noch die Anweisung, daß man den Kindern das Vogelnest mit den jungen Vögeln im Rosenbusch zeige. Der Prinz bat, daß er Schnipp und Schnapp mitnehmen dürfe, und bald fuhren die beiden Kinder miteinander in dem zierlichen Wagen durch das Thal, ein kleiner Groom lenkte die Pferdchen, ein Vorreiter ritt voraus.

Am Mittag kam Frau Gunther mit ihren Töchtern zur Königin. Allmählich bildete sich ein zutrauliches Verhältnis zwischen dem Hause Gunthers und dem Hofe, als wären es zwei gleichstehende Familien. Keine Gesellschaft in geschlossenen Räumen kommt so zu gleicher Stimmung, wie die auf dem Lande bei Ausfahrten; die Gemeinsamkeit der Naturfreude und Erfrischung gibt auch eine Gemeinsamkeit der Stimmung.

Die Tage flossen schön dahin, die Königin wollte keine außergewöhnlichen Vergnügungen, und jede Stunde war in sich erfüllt.

Die Königin sagte einst Frau Gunther, daß sie die erste Bürgerin sei, mit der sie von Haus zu Haus in Beziehung getreten, und sie könne nicht umhin, ihren klaren und festen Sinn zu bewundern.

»Ich muß Ihnen etwas aus meiner Jugend erzählen,« entgegnete Frau Gunther, der dieses mit Lob Begnadigen sehr anfremdend war.

»Bitte, erzählen Sie,« ermunterte die Königin.

»Majestät, ich war eine glückliche Braut. Wilhelm war in den Ferien verreist, wir schrieben uns oft. Da kam eines Tages ein Brief von ihm, der meinen Stolz beleidigte, ja mich tief verletzte. Ich hatte mich in allerlei Ueberschwenglichkeiten verstiegen, und er schrieb mir das Lessingsche Wort, das Nathan zum Tempelherrn spricht: ›Mittelgut wie wir, findet sich überall in Menge‹.«

»Und das verletzte Sie?«

»Ja, Majestät, das verletzte mich tief. Gunther hat keine Spur jener lügenhaften Bescheidenheit, die um so eitler ist, je bescheidener sie thut. Nach meinem Gefühl beleidigte er sich mit diesem Wort, er, der mir so hoch stand, und, gestehe ich's nur, er beleidigte auch mich; ich hielt mich nicht für Mittelgut, ich hielt mich für eine höher bevorzugte Natur. Von damals aber begann ich und lernte durch mein ganzes Leben immer mehr einsehen, daß das meiste Elend davon kommt, daß die Menschen, die Verstand, Bildung und etwas Talent haben, sich für bevorzugt, für höher geartet halten und sich damit das Recht zuerkennen, über die gewohnten Schranken und den geschlossenen Pflichtenkreis hinwegzuschreiten. Sich als Mittelgut erkennen, danach handeln für sich und urteilen über andre –das ist meine Lebensführung gewesen, und so bitte ich Eure Majestät, mich auch anzusehen. So wie ich bin, sind tausend und aber tausend Frauen in der Welt. Es ist wie im Gesange. Ich habe im Chorgesang gefunden, wie viele gute Stimmen im Chor mitsingen und damit froh sind und nie nach einem Solo verlangen.«

Die Königin ging still neben Frau Gunther. Wie viele Anwendungen ließen sich von dem machen, was die Frau mit dem Ausdruck vollster Wahrhaftigkeit gesagt. Die Königin konnte es auf sich selbst, auf den König und die noch immer Unvergessene deuten.

Frei aufschauend begann sie endlich:

»Ich wollte Sie um etwas bitten,« sprach sie stockend und nahm eine Busennadel mit einer großen Perle ab, »Bitte, nehmen Sie das zum Andenken an diese Stunde, zur Erinnerung dessen, was ich jetzt von Ihnen empfangen.«

»Majestät,« erwiderte Frau Gunther, »ich habe in meinem ganzen Leben noch nie etwas derart geschenkt genommen. Doch, ich verstehe. Sie als Königin sind gewohnt, die Seligkeit des Gebens zu empfinden, andre zu beglücken. Ich nehme dies Zeichen an, als wär's eine unverwelkliche Blume aus Ihrem Garten.«

Frau Gunther ging still in sich begnügt heimwärts. An ihrem Hause stand sie still. Auf dem Klavier im großen Saal, dessen Fenster offen standen, spielte eine Meisterhand voll Kraft und Innigkeit. Das kann Paula nicht sein. Wer ist es?

Es war ein herzerschütterndes Wiedersehen, oder leider, wir sind des Wortes zu sehr gewohnt –es war kein Wiedersehen, sondern nur ein Umfassen! Der Neffe der Frau Gunther, der junge Mann, von dessen Komposition Irma vor Jahren ein Lied gesungen, und der die Verwandten auch hier schon einmal besucht hatte und damals, bei einem Ausflug vom Gewitter überrascht, auf dem Freihof übernachtet, Irma gesehen hatte, ohne zu wissen, wer sie war, der junge Mann war jetzt, wie ihm vorausgesagt, völlig erblindet. Er war ein Meister im Pianospiel geworden und trug das Schicksal der Blindheit mit männlicher Kraft.

Frau Gunther stellte ihren Neffen am Abend der Königin vor, und es war die erste Freundesthat der Königin gegen Frau Gunther, daß sie den Blinden zu ihrem Kammervirtuosen ernannte, sie wollte die Ernennung nur noch dem König zur Bestätigung vorlegen, der in den nächsten Tagen kommen sollte.


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