Berthold Auerbach
Auf der Höhe. Vierter Band
Berthold Auerbach

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Buch.

Erstes Kapitel.

Gunther war entlassen. Satt an Erfahrung schied er aus dem zerstreuten Weltgetriebe.

Es war kein geringes, ein so lange eingewurzeltes und vielverzweigtes Heimwesen zu verpflanzen; es geschah ohne Schädigung des eigenen Bestandes. Die beiden reinen Götter: Liebe und Wissenschaft, folgten Gunther über die Berge und nichts von Groll haftete in seiner Seele.

Der Ring schloß sich. Wie von weiter weltumsegelnder Fahrt kehrte Gunther wieder in seinen Ausgangspunkt zurück; er wußte, daß in ihm, in seiner Gattin und seinen Kindern selbständiges Leben genug war, um alles Veredelnde und Verschönende aus sich zu schöpfen. Wohl fehlte die Atmosphäre eines gebildeten Umkreises, wo man empfängt und bietet, und damit im höheren Gemeinleben atmet; aber er glaubte mit den Seinen die Probe zu bestehen, entbehren zu können, ohne zu vermissen.

Sofort nach seiner Dienstentlassung hatte er den ehrenvollsten Ruf an eine große Universität erhalten. Er lehnte ab. Seit Jahren hatte er sich vorgesetzt, diese und jene Lücke seines Wissens auszufüllen und im Aufriß niedergelegte wissenschaftliche Arbeiten auszuführen; schmerzlich sah er oft, wie er aus dem Leben scheiden werde, unfertig in sich und Begonnenes unfertig hinterlassend. Denn das ist das Versplitternde des Hoflebens, daß es die stetig sich fortsetzende Gesamtstimmung und geschlossene Gedankenkette hunderfältig durchreißt. Jeden Morgen mit der ganzen Feldrüstung auf Wache ziehen, zu jeder beliebigen Stunde bereit sein, alle Erörterung nur im gesprächsamen Absprunge halten –solch ein Leben Jahrzehnte fortgesetzt, führt zu einer Schädigung des innern Wesens trotz aller Selbstwahrung und Selbstführung.

Gunther hatte das Glück und die Kraft, aus seinem Hause und aus seiner Wissenschaft kommend, immer mit neuer Frische ausgerüstet zu sein; aber er sah doch oft mit Schrecken, wie er einer Kleinteilung zu verfallen drohte und allmählich sein eigen Selbst ihm entwendet werden konnte; er ließ sich ein Stück Uniformierung gern gefallen, ja er erkannte sie als notwendig und schön, weil darin ein guter Rest jener geistigen und staatlichen Disziplin lag, die die Menschheit aus der Verzettelung in eitel unfügsame Persönlichkeiten wieder zusammen schließt. Aber Gunther hatte dabei die Physiognomie seines Wesens sich streng bewahren wollen, denn das betonte er oft: Wer sich in seiner Wesenheit umstimmen und verwandeln läßt, den hat die Welt besiegt und getötet, er lebt nicht als er selbst fort.

Die strenge, ja fast starre Haltung, die man so oft an ihm bemerkte, hatte ihren Grund darin, daß er täglich aus einer fremden Welt an den Hof kam. Er war aber mild gegen die Oberflächlichkeit und bloße Gefälligkeit in dieser Sphäre, denn er wußte, daß da, wo nicht in der Tiefe des Naturells oder der Bildung eine Quelle immer neu speist, eine Herrichtung für den Tag und die Stunde notwendig eintreten muß und der ganze Inhalt des Lebens überhaupt sich in die Tagesbegebnisse des geschlossenen Kreises auflöst.

Gunthers sogenannte Starrheit bestand aber auch darin, daß er den Schwerpunkt seines Wesens nie aus sich hinaus verlegte und damit, wenn die Stütze fiel oder brach, selbst dem Falle nahe wäre; er stand immer fest in sich. Als nun unversehens, wenn auch im Grund genommen nicht unerwartet, der Bruch eintrat, konnte er den Geheimrat ablegen und der Doktor blieb. Gunther hatte jegliche Verstimmung über den plötzlichen und jähen Sturz schnell verwunden. Es that ihm leid, die vielen Freunde in der Hauptstadt und vor allem die Königin verlassen zu müssen, ihr hätte er noch viel sein können; aber er sagte sich wieder, wie es wohl gut und notwendig sei, daß die Königin in sich selbst und ohne fremde Unterstützung erstarke.

So war Gunther von der Hauptstadt ausgezogen. Ein Ideal seines Lebens hatte sich ihm erfüllt; er wohnte wieder in dem Städtchen, wo er geboren war.

Jetzt, da er bald in das siebente Jahrzehnt eintrat, betrachtete er die noch beschiedene Lebenszeit als Feierabend, nachdem er redlich seine Manneslast getragen. Er wollte soweit als möglich abschließen mit seiner Erkenntnis, damit der Tod ihn nicht inmitten so vieles nur erst Begonnenen überrasche.

Schon vor Jahren hatte sich Gunther in seinem Heimatsstädtchen ein bescheidenes Haus erbaut, das zur Sommerfrische für seine Familie diente, so lange die Kinder noch im jugendlichen Wachstum waren. Jetzt sollte hier der letzte Ruhepunkt seines Lebens sein. Frau Gunther und die Kinder hatten mit heiterm Sinn Abschied genommen von der lang gewohnten Umgebung; sie verließen Freunde und Freundinnen, die ihnen lieb waren, aber ihr volles Leben war im Hause, und dies Haus ging samt allem Sichtbaren und Unsichtbaren mit in das neue Daheim.

Gunther hatte nur noch eine einzige Schwester im Gebirgsstädtchen. Sie war eine rüstige Wirtin. Bruder Wilhelm war immer der Abgott der Familie gewesen, und die Schwester, sowie die Mutter, so lang sie lebte –der Vater, der Landarzt gewesen, war schon zur Universitätszeit Gunthers gestorben –gedachten immer des Wilhelm wie eines kühnen und glücklichen Seefahrers. Nun hatte die Schwester mit ihren erwachsenen Söhnen und Töchtern geholfen, die neue Häuslichkeit behaglich herzustellen, und bald war das anmutige Haus Gunthers der Mittelpunkt des kleinen Städtchens, fast angesehen wie das Schloß mit der königlichen Familie in der Residenz.

Verehrung und Dankbarkeit standen als unsichtbare Wachen vor dem Hause, und die Art, wie die Menschen ihre Schuhe reinigten vor der Thür und wie sie sich zusammenfaßten beim Eintritt, zeigte deutlich, daß die Schwelle dieses Hauses nur von der Wohlanständigkeit betreten werden durfte.

Die Rosenwirtin, die Schwester Gunthers, stand in neuen Ehren, und als rasch nacheinander zwei Söhne und eine Tochter derselben sich verlobten, wurde es als besonderes und unschätzbares Glück hervorgehoben, daß man mit dem Geheimrat verwandt wurde. Jeder Fremde, der ins Städtchen kam, konnte bald hören, welch ein berühmter Mann hier Bürger sei, und wie prächtig es im Hause desselben bestellt sei.

In Gunthers Haus war eine friedsame Luft wie in einem Tempel der Wissenschaft und der Schönheit; es war schwer zu entscheiden, wann es hier behaglicher war, ob im Sommer oder im Winter. Im Sommer freilich mochte man es weniger bemerken, wie die Menschen in diesem Hause sich das Leben zu verschönen wissen; waren auch die Gärten in andern Häusern nicht so wohl bestellt, die Ruhesitze nicht so bequem und lauschig, die Aussichtspunkte nicht so künstlerisch gewählt; das frische Grün der Bäume und Hecken und die Fernsicht ist doch auch im Nachbargarten dieselbe. Im Winter aber, wo sich's der Mensch daheim schön macht und nichts hat, als die Welt, die er um sich gebildet und geordnet, da erst zeigt sich, was Menschen aus ihrer Umgebung schaffen können, wenn Licht und Wärme in ihnen selbst wohnt.

Wenn ein Wanderer, durchfroren, von den schneeigen Bergen herab in das kleine Bergstädtchen und plötzlich in das Haus Gunthers gekommen wäre, er hätte sich denken mögen, auf einer Insel der Bildung angelandet zu sein.

Salve! stand über der Schwelle des Hauses, dessen Bauart eine Veredlung des landschaftlichen Stiles zeigte. Das Dach bog sich weit vor, denn es ist hier sehr dafür zu sorgen, daß sich der Schnee nicht vor die Fenster lagere; aber dieses Schutzdach war mit geschmackvollen Schnitzereien bekrönt. Die Treppe war mit überwinternden Topfgewächsen bestanden, die Wände mit Gipsabgüssen aus dem Parthenon geschmückt, die Zimmer sauber geordnet, jedes Stück Hausrat sprach in seiner Anordnung aus: ich stehe am rechten Ort, und darüber hingen in guten Kupferstichen die erwähltesten Bilder, dazwischen Statuetten der großen Geister aller Zeiten und überall kleine Kunstgebilde in Gips, Marmor und Erz, die dem berühmten Arzt von Verehrern, vornehmlich aber von Verehrerinnen zugesandt waren; im Städtchen fabelte man viel von zwei ausgestopften Bären, die als wärmende Schemel auf dem Boden lagen und von einer russischen Fürstin geschenkt worden waren.

Die Wärme war nirgends eine jähe, vielmehr überall anmutend, darin Mensch und Pflanze gleichmäßig gediehen. Schöne große Blattpflanzen waren an Fenstern und in Zimmerecken angebracht. Auf einem Eckkonsol stand, von Blumen umgeben, die Marmorbüste Gunthers, wie sie der Lehrer Irmas vor Jahren geformt hatte.

Gunther war als berühmter Frauenarzt in vielfachem Briefwechsel mit Frauen aus den höheren Ständen. Allmählich kamen während des Sommers auch viele und blieben, oft kürzer, oft länger verweilend, in dem Städtchen. Die Frau Rosenwirtin hatte neben ihrem Wirtshaus noch zwei Häuser eingerichtet, die sie unter strenger Oberaufsicht durch zwei ihrer Kinder verwalten ließ, und hier wohnten die Fremden zu ihrer Heilung, Gunther übergab einem jungen Arzt, der die zweite Tochter der Rosenwirtin geheiratet hatte, einen großen Teil der Praxis und behielt für sich die Oberleitung.

Das Städtchen segnete seinen berühmten und so vielfach wohlthätigen Bürger. In das Haus Gunthers wanderte immer das Beste: von den Fischen aus dem Bach die ausgesuchtesten, vom Wilde das beste Stück, jedes Frühgemüse, jede besonders schöne Obstfrucht wurde ihm ins Haus gebracht, und Frau Gunther hatte nur abzuwehren, daß das Haus nicht übervoll wurde. Selbst die Dienstboten des Hauses standen in Ehren. Seit man ins Städtchen gezogen, hatte man dieselben Dienstboten behalten, denn alle beeiferten sich, immer gefälliger zu werden; ja sogar der Hund und das Maultier Gunthers, das er sich zu seinen Gebirgsfahrten angeschafft, waren wohlgefällig betrachtete Erscheinungen im Städtchen.


 << zurück weiter >>