Berthold Auerbach
Auf der Höhe. Vierter Band
Berthold Auerbach

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Fünftes Kapitel.

Es war ein unruhevoller Rüstabend, Hansei hatte viel zu thun, aber immer wieder machte er sich bei den Kuhschellen zu schaffen, er hörte den Ton gar zu gern, denn er hatte ein gut abgestimmtes Glockenspiel gekauft, und Irma hatte es am Tage heut', da er es ihr zeigte und erklingen ließ, gar sehr gelobt.

Man ging früh zu Bette, denn am andern Morgen mußte man lang vor Tag aufstehen.

Hansei war eingeschlafen. Da erwachte er und hörte Walpurga weinen und schluchzen.

»Um Gotteswillen, was ist?«

»Ach, wenn meine Mutter nur noch am Leben wäre!« klagte Walpurga. »Wenn ich nur meine Mutter noch hätte!«

»Thu das nicht. Weine jetzt nicht mehr. Das ist eine Sünde.«

»So? Um die Mutter trauern ist eine Sünde?«

»Es kommt drauf an, wie man trauert. Ich hab' oft gehört, so lange der Boden auf dem Grab noch offen ist, darf man weinen um ein Gestorbenes, da schadet's dem Toten nicht und den Lebenden auch nicht; wenn aber Gras über das Grab gewachsen ist, darf man nicht mehr mit Weinen an ein Verstorbenes denken. Man sagt im Sprichwort: man macht ihm die Kleider in der Ewigkeit damit naß. Versündige dich nicht, Walpurga, deine Mutter hat ihre Jahre ausgelebt, und so ist es einmal in der Welt, die Eltern müssen vor den Kindern sterben, und ich wünsch', daß unsere Kinder uns auch nicht vergessen, aber wenn die Zeit um ist, nicht mehr mit Weinen an uns denken. Jetzt aber –warum läßt du mich so viel reden? Hab' ich recht oder nicht? Warum bist du so still?«

»Ja ja, sollst recht haben. Aber ich bitt' dich, frag' mich jetzt nichts mehr; ich habe eben vielerlei Gedanken. Gut Nacht!«

»Gut Nacht, und sag' auch deinen unnötigen Gedanken gut Nacht.«

Ein flüchtiges Lächeln zog über das Angesicht Walpurgas, da Hansei sie so gut anrief, aber dann überfiel sie wieder Wehmut, Verzweiflung und Verlassenheit. Sie hatte nach ihrer Mutter geweint, die das Geheimnis Irmas mit ihr getragen hatte und mit der sie davon reden konnte. Jetzt wälzte sich eine neue Last auf ihre Seele und drohte sie zu erdrücken und niemand kann ihr helfen.

Jener Abend, da sie im Schloßhof gestanden, als wäre sie in den Zauberberg geholt, stand plötzlich vor ihrer Seele und die steinernen Männer im Halblicht starrten sie an. Sie hatte einen goldenen Schatz von dort mitgenommen, aber was haftete daran? Die erfahrene Unbill nagte am Herzen. »So sind die Vornehmen,« knirschte sie, »sie verdammen ungehört. Ich könnte mich rechtfertigen, aber ich will nicht.«

»Ist dir's vielleicht nicht recht, daß unsre Irmgard auf die Alm zieht?« fragte Hansei nach geraumer Weile.

»Ich hab' gemeint, du schläfst schon lang,« erwiderte Walpurga. »Nochmals schlaf wohl.«

Sie dachte, wie es sein wird, wenn Hansei erfährt, was man ihr nachsagt. Wie wird er's ertragen? Und ist es nicht wie ein Wunder, daß man bisher nichts davon erfahren hat?

Alle Ehre vor den Menschen verwandelte sich ihr plötzlich in Schande. Ihre besondere Gabe, sich auszudenken, was die Menschen da und dort reden und meinen, wurde wieder zur Qual, und alles verwirrte sich ihr in halbwachem Traumgesicht.

Sie richtete sich auf und griff nach ihren Kleidern, sie wollte zu Irma, ihr klagen und sich das Herz erleichtern. Aber rasch kämpfte sie den Vorsatz wieder nieder. Wie willst du der Büßenden das auferlegen? Sie hat die Kraft, für gestorben zu gelten in der Welt und sich alles zu versagen; wie so wenig, wie so gar nichts ist das, was du dagegen zu erleiden hast ... Und muß nicht auch die Königin unschuldig leiden? Muß nicht eines auf der Welt leiden für das andere?«

Eine Kraft, wie sie sie noch nicht gekannt hatte, erfüllte sie plötzlich. Sie wollte für Irma leiden, ihr Ehrengewand opfern, um der Büßenden Schutz zu gewähren.

Sie dankte dem Geschicke, daß der Leibarzt sie hart behandelt hatte; wie wär's, wenn sie bei freundlichem Empfang doch etwas verraten hätte?

Die Elemente, die sich in Walpurga gemischt hatten, bald in Gärung, bald in Ruhe waren: das stille Leben daheim, das unruhige am Hofe, die Eitelkeit, die Ehre, die Demut, der Stolz, die Freude am Besitz, die Lust, etwas zu gelten, alles regte sich durcheinander und endlich kam die Klärung.

Was hast du denn noch für Irma gethan? fragte sie sich. Gar nichts! Du hast sie neben dir leben lassen.

Jetzt war sie bereit, um ihretwillen in Unehre zu stehen.

Nicht was man in der Welt gilt, sondern was man in sich wert ist, ist die Hauptsache.

Das stieg ihr im dämmernden Denken auf und sie atmete frei.

Als sie sich endlich ruhig in die Kissen zurücklegte, war's ihr, als striche die Hand ihrer Mutter ihr über die Stirne.


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