Berthold Auerbach
Auf der Höhe. Vierter Band
Berthold Auerbach

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Ich bin nun vier Monate hier.

Meine Hände sind hart.

Ich sehe bei jeder Begegnung, daß alle, die mich umgeben, mich von Herzen lieben.

*

Ich weiß nicht, wann etwas kommen kann, das mich aufscheucht aus meinem Versteck, wo ich mich niedergeduckt. Ich will diese Tage festhalten und alles um mich her und in mir.

*

Wenn man nur immer sich gleich bliebe, ich meine, immer im Vollbesitz seiner Kraft stände.

Ich sinke so oft unter mich herab, fühle mich vernichtet, verlassen, hilflos und unfähig, und meine, es müsse mir jemand helfen. Wer? Was?

Ich muß noch täglich die Morgenschwere überwinden. Am Abend bin ich ruhig –ich bin müde.

*

Den Regen hört man fallen, den Schnee nicht. Der herbe Schmerz ist noch laut, der gefaßte ist still.

*

Es ist grimmig kalt hier oben; aber wir haben den Wald nahe, und mein Ungeheuer von Kachelofen ist mir ein treuer Freund, der die Wärme bewahrt.

*

Wenn Hansei aus dem Wald kommt, dauert es oft eine Stunde, bis er im buchstäblichen Sinne des Wortes auftaut. Da darf man nichts mit ihm reden, er wird da leicht ärgerlich, weil seine Stimme und seine Bewegungen noch so ungelenk. Wenn er dann auftaut, ist er ganz glücklich. »Gottlob, daß ich Holzknecht gewesen bin,« sagt er dann immer. Er hat mit dem Wald etwas Besonderes vor, aber er sagt es nicht.

*

Das Volk hat immer überheizte Stuben; es liebt den Rausch, auch den Wärmerausch.

*

Ich habe keinen Spiegel. Ich brauche nicht zu wissen, wie ich aussehe. Der Spiegel ist Anfang und Grund des Selbstbewußtseins. Das Tier sieht sich nicht, es wird nur gesehen, und doch putzt es sich, der Vogel auf dem Zweig, wie die Katze vor meinem Fenster. Auch ich kleide mich um meiner selbst willen sorglich, es ist mir nicht wohl, wenn ich nicht stramm gekleidet bin.

*

Anfangs war's ein hartes Opfer, jetzt finde ich Beruhigung und Selbstvergessen darin, viel mit meiner Umgebung zu leben. Ich möchte ihr Dasein nicht trüben, sondern erhellen. Die Meinigen fühlen, daß ich nicht nur teilnehmend, sondern auch teilgebend bin.

Ich glaube, das Wort habe ich von Goethe.

*

Heute war große Freude im Hause. Das Gespiel der Walpurga erschien plötzlich mit ihrem Mann, einem Förster. Nun das Glück, diese Freude, dieser Austausch von Erlebnissen!

Hansei bat den Förster gleich zu Gevatter für seinen Jungen –denn ein Junge muß es sein! Walpurga sagte schnell, sie wolle der Freundin das ganze Haus zeigen. Ich mußte auch mitgehen.

Die Liebe ist in den höheren Ständen vielleicht größer, energischer, tiefer, und hat mehr alles, was mit Leidenschaft zusammenhängt; die Treue aber, dies beständige und warmherzige Verharren, scheint mir größer im Volke. In der Arbeit lernt man Treue.

*

Ich war mit Hansei im Wald. O wie schön! Wir kamen an dem gefrorenen Wasserfall vorbei; die krystallenen Säulen glitzerten im Sonnenschein.

Hansei zeigte mir hoch oben zwei Bäume, die er mir schlagen lasse, damit ich das beste Holz zum Verarbeiten habe. Zwei ganze Bäume soll ich verarbeiten!

Ganz lustig ward mein Hansei, als ich ihm sagte: »Ich habe mir deine Bergregel behalten: immer stat vorwärts und nie stehen bleiben.«

Dieses frische Bergsteigen im Winter hat mich sehr müde gemacht; aber mir ist ganz wohl.

*

Ich habe mich lange gewundert, daß ich gar nie von der Familie Hanseis gehört habe. Jetzt erzählt mir Pechmännlein, daß seine Mutter schon früh gestorben, und seinen Vater hat er nie gekannt.

Nun ist mir vieles von Hanseis Benehmen erklärlicher, aber es ist darum um so schöner.

*

Wir haben Metzelsuppe im Haus.

Groß ist Hansei und ein Spender vieles Guten.

Ja, auch groß. Wie verrottet sind doch unsre Vorstellungen! Ein homerischer Held, der Schweine zerteilt und kocht und bratet, bleibt uns ein Held, und Hansei ist so viel wie sie alle, wenn auch nicht gerade mit dem Schwert.

Es ist ein homerisches Schmausen im ganzen Hof, und sie beißen mit so guten Zähnen, wie Held Menelaos.

*

Das Beste auf der Welt ist gesundes Blut, gestählte Sehnen und starke Nerven.

Wer noch ein ruhiges Gewissen dazu hätte!

*

Ich liebe die Dämmerung, dieses Nachtwerden aus dem Tag, wie es ineinander verschwimmt. Wenn man ganz mit dem Naturwalten lebt, ist jeder Tag voll gelebt.

Licht und Feuer machen den Menschen zum Menschen. Der Mensch allein lebt in die Nacht hinein.

Der allwissende Schnabelsdorf sagte einmal: »Es ist ein Gradmesser der Kultur, wie viel die Menschen in die Nacht hinein leben.«

Jetzt setzen sie sich bei Hofe zum Diner; sie scherzen, sie lachen, es gibt Anekdoten. –Wenn ich plötzlich unter ihnen erschiene ...

Nein, ich störe euch nicht, ihr sollt ruhig leben! Und dann fahren sie ins Theater –Ist heute nicht? –Ja, ich hatte es ganz vergessen –heut ist mein Geburtstag. Heut vor einem Jahr ging ich als Seejungfrau auf den Ball, und er sagte mir leise –dort im Palmenhaus, ich höre noch seine Stimme: »Ich habe diesen Tag absichtlich gewählt –nur Sie sollen es wissen, nur Sie und ich.«

O diese Nacht!

Ob sie dort wohl auch meiner gedenken?

Die Aegypter stellten bei ihren Festen die Gedenkzeichen der Toten auf ... Ich kann nicht mehr schreiben –Ich will Licht anzünden –ich muß arbeiten.

*

Drunten im Dorf lebt ein Taubstummer, der grobe Holzschnitzereien macht. Er hat weder lesen noch schreiben gelernt, noch Religionsunterricht bekommen; er weiß von gar nichts. Aber die Kirchweihen, die Festtage und besonders Fastnacht weiß er ganz genau. Da stellt er sich mit seinem Schirm vor die Kirche, sieht sich die Bauern an, und wer ihm gefällt, zu dem geht er, zieht den Rock aus und setzt sich an den Tisch, und man gibt ihm, ohne ein Wort zu sagen, drei Tage zu essen und zu trinken.

Und so kam er nun zu uns.

Manchmal weint er und kann nicht sagen, worüber; aber er gibt durch Zeichen zu verstehen, und das Pechmännlein erklärt, er weine darüber, daß er nichts mehr essen kann.

Ich habe mich mit dem Stummen zu verständigen gesucht, aber wir verstehen einander nicht.

*

(Aschermittwoch.) Heut ist alles im Hause so still, gedankenvoll. Jede Stirn wurde mit Asche bestreut und dazu der Spruch gesagt: Mensch, gedenke, daß du Staub bist!

Ach, ich habe einen langen Aschermittwoch nach einem tollen Karneval.

*

Ich sehe oft das Bild jener ägyptischen Königstochter vor mir. Alle Gewänder sind von ihr abgefault: nackt, mit aufgelöstem Haar kniet sie betend an ihrem offenen Grabe.

Wann wirst du mich aufnehmen, du allbarmherzige Mutter Erde?

Mir kommt die einfach große Antwort der Antigone in den Sinn. Sie sagt zu Kreon, der ihr das Todesurteil verkündet:

»Ich wußte, daß ich sterben werde, du sagst mir nur, wann.«

*

Ich will ruhig die Folgen meines Thuns tragen, ganz allein auf mich gestellt, auf keine materielle und keine geistige Hilfe von außen.

*

Es ist eine schöne Sitte, daß die Leute, wenn sie das Ave Maria unter dem Geläute gesprochen haben, einander »Guten Abend« sagen.

Sie kommen vom Himmel wieder heim zu den Ihrigen.

*

Walpurga will, wenn wir allein sind, »Sie« zu mir sagen und mich »Gräfin« heißen.

*

Alles kehrt sich um. Einst sagte ich zu ihm heimlich »Du« und öffentlich ...

Ach, in alles hinein springt das eine.

Das Entsetzlichste wäre, wenn ich empfindsam würde –bin ich's vielleicht schon?

Der Empfindsame ist der Waffenlose unter lauter Bewaffneten, der Unverhüllte unter lauter Maskierten.

Ich will stark sein. Ich muß.

*

Walpurga brachte mir heute einige Blumentöpfe ins Zimmer, Rosmarin, Geranium und Oleander.

Hansei hat sie mitgebracht von einem großen Doktor, wie er sagt, der einige Stunden von hier im Thal wohnt; sein Gärtner darf Pflanzen verkaufen, und da bringt sie mir nun Walpurga und sagt: »Du hast immer Blumen um dich gehabt, diese da halten sich im Winter.«

Glücklich machen mich diese wenigen Pflanzen. Die Blume fragt nichts danach, welch einen Topf sie hat, wenn ihr nur Sonne und Regen wird. Was haben die Menschen im Schlosse dort von den Blumen im Treibhaus? Sie haben sie nicht gepflanzt und nicht gewartet, sie kennen einander nicht.

*

Hansei kam heute zu mir und sagte:

»Irmgard, wenn ich dir einmal was Leids gethan hab' –ich weiß zwar nichts –so bitt' ich, verzeih' mir's!«

»Warum fragst du mich das jetzt?«

»Ich gehe morgen mit den Meinigen zur Beichte und Kommunion,« erwiderte er.

Meine Thränen, die auf dies Blatt fallen, beichten. In Worte kann ich es nicht fassen.

*

Warum bin ich erst über die besudelte Schwelle hinüber in dies engumschlossene und doch in sich gefriedete Leben eingegangen? Warum nicht rein und frei, stolz und stark?

Ich habe einmal von Franz von Assisi gelesen, daß er, mit lustigen Gesellen von einem Gelage kommend, morgens in der Frühe, auf dem Weg plötzlich vom Geist ergriffen ward, allem entsagte und ein heiliges Leben führte.

Also immer nur aus Sünde heraus?

Härter aber noch ist die Frage: Warum mußtest du, Königin, das erleben?

*

Ich gehe im triefenden Regen oft wie gefangen in den Feldern umher. Was hält mich hier? Was lockt mich fort?

*

Ich lebe auch gefangen wie zwischen Steinen und Eisengittern, die aus dem Grunde meines Wollens genommen sind.

Ich fühle den ganzen Schmerz des Verbannten.

Ich lebe in einer Erstarrung. Warum muß ich auf den Tod warten?

Mir ist oft, als läge ich träumend an einem Abgrund und kann doch nicht erwachen und mich aufraffen.

Wohin sollte ich?

*

Oft, und wie mit Zaubergewalt, wie ein Reiter auf geflügeltem Rosse, sprengt der Gedanke durch die Seelenöde und schleppt mich fort: du weißt so gar nichts mehr von der Welt draußen –deine Umgebung verhehlt dir's, wenn sie etwas weiß, und du darfst nicht fragen.

Wie, wenn die Königin tot wäre, und der dich einst liebte und den du liebtest –ach so sehr –er ist doppelt allein und verlassen und denkt trauernd deiner? Gib ihm ein Zeichen und er kommt und holt dich, und auf weißem Zelter reitest du ein ins Schloß als Königin, und alles ist gesühnt und versöhnt und du bist eine Freundin des Volkes, denn du kennst es, du hast mit ihm gelebt und gelitten ...

So packt's mich oft und umschlingt mich wie ein Zaubernetz, und läßt mich nicht los, und ich horche, wie wenn ich Stimmen und Trompetentöne vernähme, die mich rufen. Noch ist das wilde Heer in der Seele nicht zur Ruhe gekommen.

*

Es schlummern zusammengekauert rätselhafte Dämonen in der Seele, die Phantasie ruft, sie recken die Häupter und kriechen und fliegen und schwimmen und rennen. Sie haben kluge Augen und schillernde Gestalten, und können auch als Tugenden erscheinen, sie borgen sich das Priestergewand und reden die Sprache des Mitleids: Hab' Erbarmen gegen dich und gegen andre. Sie prunken im Stahlpanzer der Kraft und Thatenlust und sprechen: Du kannst beglücken den einen und die vielen, und kannst Gutes und Großes thun an dem einen und an den vielen.

Ich vernichte sie, ich halte ihnen das Licht vor die Augen, sie verschwinden.

Du lebst, Königin, von mir so tief gekränkte Freundin, du lebst... Ich frage nicht und will nicht wissen, ob du tot bist.

Du lebst, und ich wünsche nur, daß du von meinem Reueleben wissest, und wie ich wühle in den Eingeweiden meiner Seele.

*

Das griechische Drama vom gefesselten Prometheus liegt mir im Sinn. Prometheus war der erste einsiedlerische Mensch. Er ist äußerlich angeschmiedet. Wir schmieden uns selber an, durch Gelübde, Ordensregeln.

Ich bin kein Prometheus und keine Nonne.

*

Nach gar nichts in der Welt draußen habe ich Verlangen, nur nach einer guten Musik mit vollem Orchester. Ich freue mich, daß ich sie oft im Schlaf höre. Wunderbar! Meine Seele spielt im Traume alle Instrumente und große Orchesterstücke, die ich nie ganz auswendig konnte.

Unser Leben hat doch einen zweiten Boden.

*

Freiheit und Arbeit, das sind die schönsten Vorzüge des Menschen.

Einsam und arbeitsam, das ist mein Alles.

*

Noch nie hat Walpurga jener vorahnenden Scene gedacht, wo sie mich warnte. Ach, sie hat mich mit derber Hand gefaßt, als ich am Abgrunde schwebte und ich habe sie gescholten und bethört und mich selbst verwirrt. Sie hält jede Erinnerung daran zurück.

*

Mein alter Jochem hat mir die ganze Bitternis seines Lebens damit ausgesprochen, daß er mir heute sagte:

»Alte Ochsen und alte Kühe schlachtet man, alte Pferde und alte Hunde schießt man tot und alte Menschen füttert man zu Tode –das ist der einzige Unterschied.«

*

Das Wohnhaus auf unserm Hof ist verwahrlost. Aber Hansei will nicht sofort bauen.

»Man muß sich mit dem alten Haus behelfen, zuerst muß man arbeiten,« sagt er. Und dann hat er eine gewisse Scheu vor den Leuten: das Haus war bis jetzt gut genug –warum soll's ihm nicht sein?

Auch der Bauer auf seinem einsamen Gehöft ist nicht vollkommen unabhängig. Wem noch daran gelegen ist, was die Leute von ihm denken, muß auch Rücksicht darauf nehmen.

Da ist die ganze Sklavenkette.

*

(1. März.) Glück und Freude ist in unser Haus gekommen. Auch in mir ist es licht, als wäre nicht mein Leben in Nacht versunken. Walpurga hat einen Knaben, Hansei ist ganz glückselig, er nennt den Knaben nicht anders, als den »jungen Freihofbauer«.

*

Wir hatten Taufe im Haus. Es that mir weh, daß ich nicht mit zur Kirche gehen konnte. Aber ich konnte nicht.

*

Ich habe die Bauernkleider abgelegt. Die waren am Platze zur Flucht; jetzt nicht mehr. Ich trage nun einfachen Kattun, wie die vielen auf dem Lande, die sich mit Hausindustrie beschäftigen. Nur den grünen Hut trage ich noch, und das ist nötig, man kann sich gut darunter verbergen.

Ich habe viele äußere Gewänder abgelegt; wie viele innere muß ich noch abthun?

*

Furcht und Bangen weichen von mir.

Ich war zum erstenmal im Dorf. Es liegt zerstreut am Berggelände, die Häuser stehen einzeln an den Wiesen und sehen von oben gesehen fast aus wie eine zerstreute Herde.

*

In der Nacht ist mir das Rauschen des Wassers und des Waldes so wundersam. Das strömt und rauscht so ewig fort. Wie nichtig und klein ist doch ein Menschenkind!

*

O, dieses Erwachen durch den Finkenschlag, und alles so voll stark und herb machender Morgenluft!

*

(19. April.) Dichter Nebel den ganzen Tag. Sterben und Erwachen der Natur geht verhüllt unter dem Schleier des Nebels vor sich.

*

Drüben am Bach singt eine Nachtigall den ganzen Tag und die ganze Nacht. Welch eine unermüdliche Kraft, welch ein unerschöpflicher Quell im Nachtigallensang!

Eben jetzt, da ich schreibe, als wüßte sie, daß ich mich nach ihr sehne, singt sie hier näher.

*

Ich sehe jede Knospe aufgehen, ich sehe das Farrenkraut noch in Schnecken zusammengerollt und selbst die herbe Rüster hat eine zarte Blüte. Alles blüht und singt. Auch das Gackern der Hühner ist Gesang. Die Welt ist eine unendliche Mannigfaltigkeit.

*

O dieses glückselige Warten auf jedes einzelne grüne Blättchen, das Aufgehen jeder Knospe! Das Schönste an der Natur ist doch, daß sie nie Eile hat; sie kann warten und unsre ganze Arbeit ist: ihrer warten.

*

Anfangs will man jede kleine Entwickelung beobachten, jedes Wachstum: bald aber geht's nicht mehr, es ist zu viel.

*

Nur ein einziger Regentag und alle Knospen springen auf. Der helle Frühling ist da. Es gibt auch im Frühling eine Unruhe im Gemüte, die dem Drängen draußen parallel geht.

*

Welch ein lautloses und doch in der Bewegung melodisches Wiegen in der Hängebirke, jetzt, da sie so voll Blütentrauben hängt.

*

Das beste Selbstvergessen ist: die Dinge der Welt mit Aufmerksamkeit und Liebe ansehen –oder eigentlich in der Aufmerksamkeit ist schon die Liebe, vielleicht die am meisten unselbstische.

*

Morgens in der ersten Frühe kommt der Kuckuck ganz nahe an unser Haus und ruft.

*

(Pfingsten.) Die Festesvorbereitungen sind eine Freude, vielleicht eine höhere, als das Fest selber. Dieses Mehleinthun zum Kuchenluxus, dies Kneten, Backen, dieses Erquicken am Anblick des gelungenen Festkuchens.

Die selbstbereitete Freude ist ganze Freude.

Und nun das Fest! Die Bäume blühen und die Menschen blühen und da draußen steht der Wald und sie tragen ihn als Pfingstmaien in die Stube.

Hansei hatte ein neues Gewand in hierländischer Tracht. Als er heute durch den Hof ging und sich wohlig umschaute, lag in seinem »Guten Morgen!« eine ganze Welt voll Glück.

Es thut mir wieder wehe, daß ich nicht mit zur Kirche gehe. Die Festesstimmung hat ihre Höhe im Kirchgang; aber auch daheim ist das Haus voll Duft der Birken und des Festkuchens.

*

(24. Mai.) Wir hatten einen tollen Frühlingssturm mit Blitz und Donner. Die Bäume bogen und krümmten sich, als müsse alles zerbrechen.

»Das ist bös,« sagte mein Pechmännlein, »für den Roggen freilich ist's auch wieder gut; aber ein Gewitter im Frühling bringt viele Tage kalt, im hohen Sommer aber bringt's neue Wärme.«

Wie sinnbildlich ist das für frühreife Leidenschaftlichkeit...

Jetzt haben wir wieder hellen Sonnenschein. Ich war draußen, Millionen Blüten liegen am Boden und im Wald liegen viele junge Vögel tot, sie hatten sich zu früh herausgewagt aus dem Nest, der Regen machte ihnen die jungen Flügel naß und sie konnten nicht mehr zurück, auch hatte das Nest keinen Raum mehr für sie; verlassen und hungrig mußten sie sterben.

Die Natur ist grausam. Sie arbeitet so lange an Hervorbringung eines Wesens, und dann plötzlich, mutwillig läßt sie's verkommen.

*

Die Sonntage sind mir das Schwerste. Man ist gewohnt, da etwas Besonderes zu wollen. Man zieht ein besonderes Kleid an und die Welt soll auch ein besonderes haben. Am Sonntag fühle ich am meisten, daß ich in einer fremden Welt bin; vielleicht überall, aber hier besonders.

Der Brunnen rauscht und die Vögel singen, so heute wie gestern. Wie kann ich verlangen, daß sie mir heute etwas andres singen?

Die Natur hat keine Stimmung. Der Mensch allein hat sie.

Da liegt ein schwerer Stein darin ...

*

Die Wolkenbildungen und ihre Farben, die ich sonst nur hoch am Himmel sah, sehe ich jetzt auf der Erde und unter mir.

Ich kann stundenlang die Wolkenwandlungen, ihre wechselnden Bildungen auf den Bergen betrachten. Aus solchen flüssigen Formen hat sich die Erde zu fester Gestaltung gebildet. Kein Künstler kann je diese gestaltenreiche Wolkenwelt ausmessen. Bevor die Gedanken fest sind in unsrer Seele, müssen sie auch solche Wolkenformen haben; wir können sie nur nicht fassen.

*

Am Saume des Waldes ist der mannigfaltigste Vogelsang, da tönt das Lerchenschwirren zusammen mit Ammer und Zeisig, Amsel, Fink, Drossel, Rotschwänzchen und Kohlmeise. Nur wenige Vögel, die tief im Walde nisten, singen dort.

*

Im Frühling ist in jeder Waldrinse ein Bächlein; im Sommer ist da nichts als eine ausgetrocknete Schlucht. Es geht auch im Menschenleben so.

*

Wenn ich mich mit dem Frühling freue, da sagt der alte Jochem: »Ha, was ist denn dran? In so und so viel Wochen nehmen die Tage schon wieder ab.«

*

Wenn die Menschen alljährlich wie die Bäume sichtbare Blüten trügen, es würden von Jahr zu Jahr andre Blüten erscheinen an Farbe und Gestalt. Die Blüte meiner Seele war einst so feurig, und jetzt ...

*

Ich habe zum erstenmal in meinem Leben ein Adlerpaar in den Lüften gesehen. Welch ein Leben, solch ein Adlerpaar! Sie schwebten im Kreise, hoch oben. Um was schwebten sie? Dann schwangen sie sich höher und verschwanden tief in den Lüften.

Es gibt noch freie Adler in der Welt. Der Adler hat niemand über sich, keinen Feind, der ihm beikommen kann. Nur der Mensch sendet die tödliche Kugel, und wirkt noch da, wohin nur sein Blick reicht.

Auch er war damals stolz und hoch, als er einen Adler geschossen. Warum? Weil es ein Zeichen seiner Kraft. Und mit dem Siegeszeichen schmückte er meinen Hut –o wehe! wehe!

Warum kommt aus der unendlichen Ferne immer wieder mein Elend auf mich hernieder?

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Wir Frauen sind nie allein in der Natur.

Immer wieder die Tiefsinnigkeit der alten Sage: Der Mann, zuerst geschaffen, war allein in der Natur; die Frau war nie allein da. Das wiederholt sich durch die ganze Geschichte der Geschlechter, und ich verstehe ein rätselvolles Geheimnis.

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In der vornehmen Welt werden wie im Park die Fußtapfen von gefälligen Dienern wieder ausgelöscht. Nur seine Fußtapfen von gestern!

Und doch soll ihr ganzes Leben Geschichte sein.

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Nichts Böses mehr thun –das ist noch nicht Gutes thun. Ich möchte eine große That vollziehen. Wo ist sie? In mir allein.

*

Mein Pechmännlein ist draußen in der Natur ein ganz andrer Mensch. Er liebt die Natur nicht, er hat nur –wie er sagt –seinen Spaß daran, seine Freude an den kleinsten Zügen des Vogellebens, und wie kennt er sie alle!

*

(In vielen Regentagen.) Ich vergehe fast vor Heimweh nach der Sonne. Ich gehe umher, wie verwelkend, wie verdurstend –ich kann nicht leben ohne Sonne, sie ist mir diese holden Maitage schuldig, sie sind mein Labsal, ich muß sie haben.

*

Wenn ich so abhängig vom Wetter bleibe und jede Wolke mir die Seele verfinstert, jeder Regen mich in das fröstelnde Gefühl der Verlassenheit taucht, dann wäre mir besser, ich läge tief im See, und der Schiffer im Kahn, der über mein Gebein wegschwimmt, erzählte dem Ueberfahrenden, wie dort beim Kloster: Hier unten ruht ein junges Hoffräulein ...

Ich habe der Sonne schon einmal ade gesagt, ich will frei sein von ihr ...

*

Es gibt Menschen, die nur Regen und Sonnenschein kennen und haben.

Es gibt aber auch Seelen voll taubildender Kraft –das sind die stillen, in sich reichen, triebkräftigen, die mehr innerlich als äußerlich erleben.

*

(12. Juni.) Es hat nach heißen Tagen geregnet in der Nacht. Alles glitzert und tropft. O dieser wonnige Morgen nach einem Nachtgewitter! Solch einen Morgen voll gelebt zu haben, ist der Lebensmühe wert.

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Jochem hat eine Lerche im Käfig –er muß noch etwas bei sich eingesperrt haben.

Die Lerche macht mir Freude. Es gibt hier oben keine Lerchen, wir haben hier lauter Wiesen –über den Getreidefeldern im Thal, dort schwirren sie.

*

Nach der Sonnenwende um Johanni ist der Wald stumm. Die Sonne zeitigt nur noch; sie ruft keine Blüten und keinen Sang mehr. Der Fink allein ist noch lustig.

*

Das Schimmelfüllen grast vor meinem Fenster auf der Wiese. Es kennt mich. Wenn ich aufschaue, sieht es mich lange stillstehend an, dann springt es tollend hin und her. Ich habe ihm den Namen Wodan gegeben; es hört darauf und kommt zu mir, wenn ich Wodan rufe.

Ich habe das Schimmelfüllen gezeichnet und schneide es nun in Birke aus. Ich glaube, es gelingt mir. Holz ist aber doch ein spröder, eckiger Stoff. Ich werde so leicht ungeduldig. Ich darf's nicht sein.

*

Gestern war es ein Jahr, daß ich drunten am Felsen lag. Ich konnte kein Wort schreiben, ich verging fast vor Schwindel über all dem Denken von damals. Nun ist's vorbei.

Ich glaube, ich werde nicht viel mehr schreiben.

Ich habe nun alle Jahreszeiten in meiner neuen Welt durchlebt. Der Ring ist geschlossen. Es kommt von außen nichts Neues mehr, ich kenne alles, was da ist und kommen kann. Ich bin in meiner neuen Welt daheim.

*

Die Schriftgelehrten und Pharisäer brachten ein Weib zu Jesus, das den Steinigungstod erleiden sollte, und er sprach zu ihnen: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.

So steht geschrieben.

Ich aber frage: Wie lebte sie weiter, die vom Steinigungstod Errettete, zum Leben Begnadigte oder Verdammte? Wie lebte sie weiter? Kehrte sie in ihr Haus zurück? Wie stand sie in der Welt? Wie in ihrem Herzen?

Keine Antwort. Keine.

Ich muß die Antwort erleben.

*

Wer sich rein fühlt, werfe den ersten Stein auf sie. Du größtes Wort, das je ein Menschenmund gesprochen und ein Menschenohr gehört! Du teilst die Geschichte des Menschengeschlechts in zwei Hälften. Du bist das »Werde« der zweiten Schöpfung. Du teilst und heilst auch mein kleines Leben und schaffst mich neu.

*

Darf ein Mensch, der nicht ganz rein, den andern Lehren und Betrachtungen geben?

Greift in euer eigen Herz! Wer seid denn ihr?

Seht her, meine Hände sind rauh von der Arbeit –ich habe sie nicht bloß betend erhoben.

*

Ich habe in meiner Einsamkeit noch keinen gedruckten Buchstaben gesehen. Ich habe kein Buch. Ich will keines. Nicht aus Kasteiung. Ich will mich allein haben.

*

Erdrückend ist die Last, immer für sich allein den Ewigkeitsgedanken zu hegen, die Abgeschiedenheit von der Welt auf sich zu nehmen.

Das Kloster hat doch sein Gutes. Im Chorgesang hebt und trägt eine Stimme die andre, und wenn der Ton einmal ausgleitet, er verschwimmt und verschwindet. Hier aber bin ich ganz allein, bin Priester und Kirche, Orgel und Gemeinde, Beichtiger und Beichtkind, alles zusammen, und meine Seele ist mir oft so schwer, so zentnerschwer, als müßte ein andres mir tragen helfen. Nimm du mich und trage mich, ich kann nicht weiter! ruft meine Seele. Aber dann raffe ich mich wieder auf, fasse Bündel und Wanderstab und wandere, wandere einsam und allein mit mir, und im Wandern gewinne ich wieder Kraft.

*

Seit einem Jahre zum erstenmal habe ich dort auf der weißen Straße im Thal eine Kutsche fahren sehen. Die Darinsitzenden ahnen nicht, wie ich ihnen nachschaue. Wohin geht der Weg? Wer seid ihr?

*

Ich muß doch wieder schreiben. Ich glaube jetzt zu wissen, was gemütlich ist: Ausdenken und Vorsorgen für das Kleinste, vollkommenes Versetzen in Lage, Bedürfnis und Stimmung eines andern, ein Dichten mit dem Herzen, die Phantasie der Empfindung.

Die echte Bildung ist Gemütlichkeit. Denn was ist Bildung? Die Kraft, sich in die Zustände eines andern zu versetzen und seine eigenen Zustände wie fremde anzusehen.

Ich bleibe beim ersten. Mein Hansei erscheint stockig und ist viel gebildeter als ein Dutzend Herren mit Orden und Epauletten, die als die interessantesten Kavaliere brillieren.

*

Ich meine immer, in mir liege etwas, was ich noch nicht gefunden. Es läßt mir keine Ruhe. Ist's ein Gedanke? Ist's eine Empfindung? Ist's ein Wort? Eine That? Ich weiß es nicht. Aber ich spüre, es will noch etwas aus mir heraus. Vielleicht sterbe ich und habe es nicht gefunden.

*

Mein alter Jochem weiß noch einige Verse aus dem Gesangbuch auswendig. Er sagt sie immer vor sich hin, aber ganz verkehrt, und es ist purer Unsinn, was er daraus gemacht hat. Ich wollte ihm nun die Verse richtig stellen. Darüber ward er sehr bös und sagte, das wäre Neues, das gelte nicht. Sein Unsinn ist ihm lieber, er hat etwas Geheimnisvolles daran, und das imponiert ihm, weil er's nicht versteht.

*

Wer es nicht selbst erlebt, kann nicht wissen, was es heißt: nach einer leichten Ansprache mit Menschen gleicher Art sich sehnen. Es ist brennender Durst. Jeder, der meine Sprache spräche, wäre mir jetzt recht. Ich halte diese Spannung nicht aus. Ich komme mir vor, als wäre ich in fremdem Lande und lausche auf den geliebten Ton meiner Heimatsprache, aber immer vergebens. Wohl mir, daß ich arbeiten kann.

*

Solange ich Walpurga im Schloß hatte, konnte ich gut von allerlei mit ihr reden. Ich kam zu ihr von anderm, aus der eigentlichen Heimat meines Geistes. Hier, wo ich sie allein und nichts andres mehr habe, ist das anders. Es ist nicht Stolz –wie sollte ich und Stolz –es ist eine Fremdheit, oder ist's Verdrossenheit, daß mir nur so Karges verblieben?

*

Die Naivetät ist nur für eine kurze Weile anmutend und ausgiebig. Die Weisheit allein ist es immer, die Weisheit, wie sie Mutter Beate und wie sie der Leibarzt hat. Ja, nach ihm sehne ich mich am meisten.

Weisheit ist gebildete Naivetät oder Naivetät des Genies, sie ist der rotwangige Apfel von der schönen Apfelblüte Naivetät, die als Nutzen noch im Apfel da ist.

Nacht und Tag und alle elementarischen Einwirkungen, helle Erkenntnis und dunkler Naturdrang vollenden die schönste Frucht.

*

Ich kann die Arbeit nicht als das Höchste des Menschen betrachten. Der schöne Mensch ist der, der müßig geht, sich hegt und pflegt, sich entwickelt –so leben die Götter, und der Mensch ist der Gott der Schöpfung.

Da ist meine Ketzerei. Ich habe sie gebeichtet. Aber drin im Beichtstuhl sitzt ein andrer Mensch und der hat doch eigentlich recht, wenn er sagt: Wohl, mein Kind, nichts thun, bloß da sein –das wäre das Würdigste und Erhabenste. Ganz recht! Aber da kein Mensch da sein kann, ohne daß ein andrer für ihn arbeitet –komm her, tritt auf diesen Punkt! –daran muß jeder auch arbeiten. Alles muß bezahlt werden. Die einen sind nicht da, um bloß zu sein, und die andern, um bloß zu arbeiten.

*

Wenn keine Vergangenheit wäre, wie glücklich könnte ich sein. Ein zweites Leben mit Erinnerung –wie traurig! Und ohne Erinnerung, wär's da ein zweites Leben?

*

Jetzt erst ist die rechte Freude im Haus. Wenn wir etwas genießen, sagt meine Walpurga: »Das haben wir selber gepflanzt, an dem und dem Tag haben wir die Bohnen gesteckt, ich hab' sie der Burgei in die Hand gegeben und dann hat sie sie aufs Beet fallen lassen.«

Und so geht's mit allem. Die vergangenen Tage wachen wieder auf.

*

Es ist mir schwer geworden, denselben Gegenstand der Arbeit zu wiederholen und nicht nur einmal, ein Dutzendmal und mehr. Aber das ist Arbeit; dasselbe immer wieder thun. Alles andre ist Lust, Liebhaberei.

Die Natur thut immer das Gleiche, und wir müssen ihr dienen, es ihr nachthun. Die Natur wiederholt sich im Gesetz, der Mensch in der Pflicht.

Ich habe aber doch Variationen gemacht und auch diese gefallen. Beim Gang durch den Stall sah ich die Kuh, wie sie sich zu ihrem saugenden Kalb wendet und ihm zubrummt. Das habe ich nun auch geschnitzt.

Ich möchte die ganze Natur noch einmal schaffen, neuschaffen. Die Menschen sollen sie sehen mit meinem Blick.

O, Dank dir, ewiger Geist, daß du mir diese Gabe verliehen.

*

Nicht die Freude, nicht die Ruhe ist Lebenszweck. Arbeit ist es, oder es gibt überhaupt keinen Zweck.

*

Arbeit und Liebe, das ist Leib und Seele des Menschenseins. Glückselig, wo sie eins.

Ich habe die Liebe verwirkt, mir bleibt nur die Arbeit.

*

Mein Schimmelfüllen! Du siehst mich an und ich dich; frei und ungebunden rennst du umher, und ich halte dich doch fest und schicke dich hinaus in alle Welt, sie sollen auch Freude an dir haben, du schönes fröhliches Tier!

Ich habe mein Schimmelfüllen gezeichnet, wie es lustig daher rennt, wie es grast, wie es ins Weite hinaus horcht, Nüstern und Augen aufsperrt, wie es niedergestreckt liegt und wie es sich aufrichtet, wie es traulich mich anschaut und zu mir kommt, wenn ich es locke. Wie rein und reich sind diese Bewegungen, wie schön und fest.

*

Ich habe es fertig gebracht, mit fliegendem Atem: ich habe mein Schimmelfüllen in Holz geschnitten. Die Meinigen staunen und ich selbst staune. Ich glaube, es ist mir gelungen.

Mein Pechmännlein hat das Werk –warum soll ich's nicht so nennen? – hinabgetragen zum Händler. Es war mir eigentlich schmerzlich, meine Arbeit herzugeben, aber mein Zauberrößlein muß mich nähren und es nährt mich. Ich bekomme einen guten Preis und habe eine große Bestellung erhalten. Manchmal muß ich mich umschauen, ob sie nicht wirklich da sind. Ich denke mir, was die Oberhofmeisterin, was die fromme Konstanze, was Schnabelsdorf, was Bronnen dazu sagen würde, wenn sie mich so sähen, wie ich jetzt einhergehe.

Du bist nicht frei, solange du nicht auch deine Phantasie beherrschest. Die Phantasie ist der mächtigste Despot.

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Unser Brunnen quillt und sprudelt die ganze Nacht, und besonders, wenn der Mond scheint, ist es so schön und friedlich. Die Erde strömt immerwährend ihre Labung aus, wir Menschen brauchen nur zu kommen und schöpfen und trinken. Ich sitze am liebsten am Brunnen, und oft ist es, als ob er schnell etwas Besonderes zu bringen hätte, er sprudelt rascher und voller; es ist aber wohl nur eine Luftströmung, die mich das glauben macht. Es träumt sich so gut am Brunnen.

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Besondere Freude macht mir Gundel, die Tochter meines Pechmännleins. Das gute, rechtschaffene, einfältige Wesen ist jetzt so gehoben und beglückt: Sie liebt und wird geliebt.

Hansei hat einen Knecht aus seinem Heimatsorte. Er stand früher bei den Kürassieren. Und dieser Knecht, ein derber und gar nicht schöner Bursch, aber äußerst treuherzig, liebt die Gundel. Solch ein Mädchen, von niemand beachtet, immer nur zur Arbeit da –von einem Manne geliebt, wird sie auf einmal etwas, ihre Person hat nun ein Interesse für andre, alles an ihr wird gut und schön gefunden, sie ist aus der Niedrigkeit und Vergessenheit erhoben.

Die Liebe ist die Krone jedes Lebens, sie krönt auch das niedrigste Haupt.

Wenn jetzt die Gundel Wasser holt und die Tiere füttert und alle rauhe Arbeit thut –es umstrahlt sie bei allem ein höherer Glanz.

Sie merkt es, mit wie teilnehmendem Auge ich sie betrachte, obgleich ich ihr nichts gesagt; sie kommt oft und fragt, ob sie nichts für mich thun soll.

Ich möchte wieder reich sein, um die Liebenden glücklich zu machen.

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Ach, die Sucht, immer etwas Besonderes sein zu wollen! Die Natur ist gar nicht originell, sie wiederholt immer dasselbe. Die Rose von heuer ist wie die Rose vom vorigen Jahr. Die Menschen bestimmen sich –das ist Wahl und Qual.

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Ich bin doch noch eitel. Ich freue mich, wenn mir ein brillanter Ausdruck in die Feder kommt. Ist das Eitelkeit! Geistiges Spiegelgefallen? Ich glaube nicht. Ich schmücke mich in meiner Zelle vor mir, ich muß schön sein und Schönes um mich haben, sonst ist mir nicht wohl. Derbes verletzt mich nicht, aber Unschönes wie eine Disharmonie. Ueber eine Derbheit schreit die sogenannte gebildete Welt Ach und Weh, aber eine elegante Gemeinheit wird belächelt.

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Jede Woche wenigstens einmal muß ich dem alten Jochem seine Verschreibungen vorlesen. Er weiß sie zwar ganz auswendig, ist aber doch glücklich, wenn er hört, wie alles richtig gestellt ist –wie er sagt –und vom Amt gestempelt. Er läßt mich das Blatt nicht in die Hand nehmen, ich muß es ihm vorlesen, wenn er es in der Hand hält. Er ist äußerst mißtrauisch.

Der Alte will immer, ich soll ihm eine Eingabe an den König machen –es ist ihm fast leid, daß er nichts mehr zu klagen hat –ich soll ihm die Eingabe aus Vorsorge machen. Wunderbar, wie sich ihm der Begriff alles Rechts, aller Gerechtigkeit immer als König darstellt.

Er erzählt auch viel vom verstorbenen König, unter dem er als Soldat gedient, und sagt immer: Das war ein ganzer Herr, der hat hier herum oft gejagt; der jetzige soll kein Jäger sein, hab' ich mir sagen lassen, der hält's mit den Pfaffen und die geben ihm dafür Absolution. Er fragt mich dann immer, ob ich den König auch schon einmal gesehen, und wenn ich hundertmal nein sage, er fragt mich immer wieder.

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O, wie recht hatte Hansei, wie möchte ich ihm Abbitte thun! Will man den Alten nicht bis zu seinem Tod am Tisch haben –und es ist grausenhaft, wie er ißt –so ist es besser, man hat ihn gar nicht dazu gebracht. Klug und brav war's von Hansei und nicht hart und roh. Wenn man eine Gutthat nicht ausführen kann, ist es besser, man fängt sie nicht an.

Als ich heute Walpurga das erklärte, weinte sie und sagte: »Es ist mir tausendmal lieber, wenn du meinen Hansei lobst, als wenn du mich lobst.«

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Die Humanität kann zur schweren Pflicht werden, dann aber erst zeigt sich, ob man sie wirklich übt, als Opfer, nicht bloß als Lust.

Ich habe mich dem alten Jochem natürlich freundlich erwiesen, habe ihn oft bei mir gehabt und ihn unterhalten, und nun will er mich gar nicht mehr allein lassen, will immer bei mir sein, und das einzige, was ich habe, mir rauben: meine Einsamkeit, Es ist mir schwer geworden, aber ich mußte festsetzen, daß er nur zu bestimmten Stunden bei mir sein darf. Auch das ist schon hart für mich. Ich bin nicht mehr in ungemessener Zeit allein, ich bin an Stunden gebunden. Wenn es zwölf Uhr läutet vom Thal herauf, kommt der Alte und bleibt bei mir sitzen. Unsre Gespräche sind nicht sehr ergiebig, er hat nur ein kleines Kontingent von Gedanken, und alles andre, was da nicht anfaßt, daran ist ihm kein Interesse beizubringen; dazu hustet er viel, und will immer, ich soll ihm von meinem Vater erzählen; er vergißt immer wieder, daß ich ihm gesagt –und das war das Schwerste, was ich je zu sagen hatte –daß ich meinen Vater nicht gekannt habe. Ich habe ihn auch nicht gekannt, solange er lebte; er wollte sich mir zu erkennen geben im Tiefsten, aber ich verstand ihn nicht. Aus der Tiefe meiner Seele rufe ich: Mein armer Vater, du wolltest deine Vollendung, aber deine letzte That war die bittere That eines Gebundenen und doch wolltest du mich nur wecken. Ich vollführe das, was du stockend begannst; indem ich für dich arbeite, liebe ich dich ganz und voll; du bist mir nahe, bist was du mir sein wolltest, mein Erretter.

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Ich habe nun doch –es ging nicht anders –dem Alten das Gesetz gemacht, daß er nur kommen darf, wenn ich ihn rufe. Und das ist mir wieder eine neue Plage, fast schwerer, als früher die bestimmte Stunde; ich muß oft denken: jetzt wäre es Zeit, den Alten zu rufen, jetzt wird er dich nicht stören. Ich bin dadurch mehr mit ihm beschäftigt als früher.


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