Berthold Auerbach
Auf der Höhe. Vierter Band
Berthold Auerbach

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Elftes Kapitel.

Im Garten Gunthers grünte und blühte es, die Vögel sangen, und der Waldbach, der wohl umhegt, mitten durch den Garten floß, murmelte hier in sich hinein, daß es ihm leid thäte, so schnell da fort zu müssen. Auch drin im Hause blühte Freude und Glück. Bronnen war mit Paula verlobt. Was still erwachsen und gediehen war, brach nun plötzlich und in reicher Fülle auf. Bronnen wollte Paula die Seine nennen, bevor der Hof kam, damit sie dann desto freier sich bewege und an das Hofleben gewöhne. Frau Gunther sah mit Bangen ihr Kind in das bewegte große Leben eintreten; sie hatte davor eine unüberwindliche Scheu. Bronnen erzählte den Schwiegereltern, daß ihm die liberalen Reformen im Staatsleben weit müheloser und gefügiger sich ergäben, als die Reform der Hofetikette; es bestand bisher als altherkömmlicher, unerschütterlicher Brauch, daß die Gattinnen bürgerlichen Standes, welches auch die Stellung des Mannes bei Hof, doch nicht selber hoffähig waren. Bronnen hatte eine Aenderung hierin nicht anders zu stande gebracht, als bis er eine Kabinettsfrage daraus machte.

Gunther lächelte zu dieser Darlegung. Er kannte die Sprödigkeit der Etikette, die sich nicht splittern ließ. Frau Gunther dagegen war davon erschreckt. Mit heißer Angst überfiel sie's, daß Paula nach der Königin die erste Dame am Hof und in der Residenz sein sollte; es wäre ihr erwünschter gewesen, wenn Bronnen eine geringere Stellung eingenommen hätte; aber sie liebte ihn mit einer mütterlichen Liebe, die nur im Glanz ihres Auges einen Ausdruck fand, wenn dies Auge auf dem stattlichen, gediegenen Manne ruhte; ja sie ging so weit, daß Gunther lächelnd sagte: »Du wirst deiner Heimat untreu« –denn sie hatte behauptet, daß ein Mann, so edel in allen Formen und würdig in allem Denken, so fügsam und selbstgewiß zugleich, sich vielleicht nur in einer Monarchie entwickeln könnte. In der Republik sei doch eine gewisse Formlosigkeit, ein Sichgehenlassen; diese Selbstehre dagegen, die zugleich immer so respektvoll gegen andre, sei eine eigentümliche Blüte des Hoflebens, und Bronnen habe ein Talent, das besonders anheimelnd sei, er habe das Talent, gut zu hören, er warte so aufmerksam, bis man ganz gesagt habe, was man sagen wolle.

So leuchtend aber auch das Glück der Eltern, es war doch nur ein milder Widerschein von dem der Verlobten. Nachdem Paula in voller Aufrichtigkeit ihr Zagen bekannt, einem Manne wie Bronnen zu genügen, ward sie bald wieder ruhig; denn sie empfand, daß es eine Fülle der Liebe im Herzen gibt, welche die höchste und, was noch mehr ist, die dauernde Beglückung in sich schließt. Durch Feld und Wald gingen Bronnen und Paula, und Bronnen erkannte immer aufs neue die reine Kraft, die sich aus einer edlen häuslichen Atmosphäre in seiner Erkorenen fest gebildet hatte. Bei jedem neuen Tone, den er anschlug, fand er ein still vorbereitetes reiches Denken, eine klare und reine Empfänglichkeit. Er pries sein Schicksal, das ihn so geführt, und tief erquickte sich ihm die Seele in der Erkenntnis, daß alle Selbstveredelung erst in der gemeinsamen Veredelung sich vollkommen erweise.

Frau Gunther saß bei ihrem Mann in der Arbeitsstube. Sie schaute manchmal durch das Fenster auf die Liebenden, die im Garten dahingingen.

»Er hat gestern,« sagte sie, »Paula und mir ein seltsames Geständnis gemacht. Wenn mir's ein andrer berichtet hätte, ich hätte es nicht geglaubt.«

»Und was ist das?«

»Er hat uns erzählt, und seine Stimme war dabei sehr bewegt, er habe einst die Gräfin Wildenort geliebt. Wußtest du davon?«

»Nein. Ich kann es aber nur gerecht finden. Sie war des besten Mannes wert, wenn sie ihre Natur hätte ordnen können, und mein guter Eberhard hätte es wohl verdient, solch einen Mann seinen Sohn zu nennen.«

»Ich bitte,« fragte Frau Gunther, »findest du es recht –ich habe sonst noch nicht den leisesten Schatten an ihm bemerkt –findest du es recht, daß er Paula davon erzählt? Es wird Paula noch ängstlicher machen, sie wird sich mit der glänzenden Erscheinung der Gräfin vergleichen und –«

»Sei hierüber vollkommen ruhig,« unterbrach sie Gunther. »Ein Herz wie das unsres Kindes, das die volle Kraft der Liebe in sich fühlt, hat eine unerschöpfliche Fülle, die keine noch so glanzvolle Erscheinung stören und überragen kann; daß aber Bronnen hiervon erzählte, macht mir ihn, wenn es möglich wäre, noch teurer. Nicht jeder Mann ist so glücklich, wie ich es war und bin, daß seine erste Liebe auch seine einzige; die meisten müssen durch Täuschung und Abfall gehen, und der Mann darf sein Geschick preisen, der wie Bronnen rein und ganz daraus hervorgeht; denn das ist, je mehr ich die Welt aus der Ferne betrachte, der große Jammer, der die Menschheit erfaßt hat, und –wenn sie gerettet werden soll –eine Umwälzung ohnegleichen auch in den Gesinnungen hervorbringen muß: es darf nicht so weitergehen, daß ein Lasterleben sich parallel hinzieht mit dem sogenannten geordneten und häuslichen und die Menschheit und jeden Mann in sich spaltet. Wir haben unser Kind so lange, so treu behütet und ich hätte bei allem äußern Glück tiefes Herzweh, wenn ich sehen müßte, daß ein Mann ihr die Hand reicht, der, wie die Gesellschaftsfalschmünzerei es nennt, schon stark gelebt hat.«

Frau Gunther sah mit glänzendem Auge auf ihren Mann. »Ich finde, daß Bronnen dich auch von deiner Abneigung gegen das militärische Leben bekehrt hat,« sagte sie leise.

»Keineswegs,« erwiderte Gunther, »nur hat Bronnen keine Schädigung davon erfahren. Er vereinigt mit dem entschlossenen Mut und der leichten Beherrschung fremder Kraft ein tiefes und ernstes Denken. Es ist wie ein Wunder, wie eine unverhoffte schöne Fügung, daß mir eben jetzt, wo ich das Bild des reinen Menschen, des modernen, thätigen, in meiner Arbeit herausmeißeln will, eben jetzt echte Züge in einem Menschen entgegentreten, der durch die Freiheit der Natur mir zu eigen wird. Es ist doch, als ob geheimnisvolle Mächte uns eben das zutrügen, wonach in Dichten und Trachten unser Auge gespannt ist. Bronnen tritt mir entgegen, als träte er aus meiner Arbeit heraus.«

Noch nie hatte Gunther so von seiner Arbeit gesprochen.

»Du verstehst mich recht,« fügte Gunther hinzu, »ich sehe das Ideal des reinen Menschen in keinem vollkommen; aber ich sehe Züge in jedem und sehe viele davon in Bronnen besonders. Die Menschen leben mir in der Wirklichkeit schön, in der Wahrheit aber noch schöner. Ich freue mich, daß das nach uns kommende Geschlecht ein andres ist als wir, und doch dürfen wir sagen, daß das Gute von uns mit ihm fortlebt; der Enthusiasmus des neuen Geschlechts ist ein andrer als der unsre war, aber ich glaube, daß die Nüchternheit ihn auch nachhaltiger macht. Doch –ich will mich jetzt nicht zu weit verlieren. Ich wollte dir nur sagen: ich habe gefunden, daß die Herzspältigkeit der modernen Welt wesentlich darin beruht: Die Religion hat den Glauben, die Kunst die Schönheit, die Politik die Freiheit für sich und abgelöst von der Sittlichkeit hingestellt, und doch sind sie eins und müssen es sein, wie die beiden Seiten ein und derselben Substanz. Ich hoffe, daß ich das der Welt noch deutlich machen und etwas beitragen kann zur Einigung der wahren Frömmigkeit, Schönheit und Freiheit mit der so vornehm und gnädigst nebenher tolerierten Sittlichkeit.«

Das Gespräch wurde unterbrochen, denn der Graf von Wildenort, seine Gemahlin und Schwiegermutter wurden gemeldet; man ließ ihnen sagen, sie möchten in den Gartensalon eintreten, und bald waren die Gemeldeten, Gunther und seine Frau, Bronnen und seine Braut dort in lautem Gespräch versammelt.

Frau Gunther sprach ausschließlich mit der jungen Gräfin, welcher der Kuraufenthalt sehr wohl gethan hatte. Die Baronin Steigeneck wußte das Brautpaar in einem Gespräche festzuhalten, und Frau Gunther sah oft nach Tochter und Sohn hinüber, als müsse sie eine Raupe von ihren Kleidern abthun. Bruno sprach sehr heiter mit Gunther und sagte, daß er auf Befehl der höchsten Herrschaften wohl noch einmal während der Anwesenheit derselben hierher kommen werde; er wollte damit vielleicht Gunther den Auftrag geben, daß ihm der Befehl zugehe, denn die Baronin wollte vor Ankunft der Majestäten –ihre Ausgeschlossenheit drückte sie sehr –mit den Kindern und Enkeln nach ihrem Schlosse zurückkehren, um dann in ein Luxusbad zu reisen; sie war voll Ungeduld, bis sie zur Spielbank kam.

Man nahm sehr redseligen Abschied, man dankte für den herrlichen Landaufenthalt, man beneidete die Menschen, die hier wie auf einer glückseligen Insel leben könnten und endlich stieg man in den auf der Straße haltenden Wagen.

Als die Fremden fortgegangen, kehrte Frau Gunther nochmals in den Gartensalon zurück und öffnete alle Fenster, damit ein frischer Luftzug durch das Gemach strich; es bedurfte auch dessen, um die starken Parfüms der Baronin zu zerstreuen.

Am Abend verließ Bronnen das Städtchen. Der Wagen fuhr nebenher, man gab dem Bräutigam das Geleite. Er und Paula gingen voraus, Gunther und seine Frau hinterdrein. Der Abschied war einfach und herzlich, man freute sich der genossenen Tage und sah neuen freudig entgegen, denn Bronnen wollte mit dem König wiederkommen.

Bei der Rückkehr ging Paula zwischen den Eltern, ihre Wangen glühten; unterwegs trennte sich Gunther von den Seinen und ging nochmals zum Grafen Wildenort, um dessen Gemahlin fernere Verhaltungsregeln zu geben.

Mutter und Tochter gingen allein, und als Frau Gunther ihr Kind anblickte, sah sie eine stille Thräne in dessen Auge, aber das Antlitz leuchtete.

»Du darfst vollauf glücklich sein,« sagte Frau Gunther. »Dir wird ein Mann, der sich mit deinem Vater vergleichen darf, und ich kann dir nichts Höheres wünschen, als daß dir werde, was mir geworden, und daß du einst Freude haben mögest, wie ich an den Meinen und an dir besonders.«

»Ach Mutter,« sagte Paula, »ich fasse es gar nicht, daß ich ihn allein ziehen ließ, und fasse es doch wieder nicht, daß ich dich, den Vater und die Schwester lassen soll; aber Bronnen« –sie nannte ihn unabänderlich nie bei seinem Taufnamen –»sagt, daß er hoffe, der Vater werde wieder in die Residenz zurückkehren; er könne sich jede Stellung, die ihm beliebe, auswählen, der König wünsche das.«

»Ich glaube nicht, daß der Vater dem nachgibt. Doch du, Kind, laß dich in nichts stören; du kannst glücklich sein, denn dein Glück lebt in uns allen.«

Noch auf dem Heimwege begegneten den beiden Frauen viele schöne Pferde und Wagen, die der Königin vorausgingen, deren Ankunft man in den nächsten Tagen erwartete. Die Landstraße war auf einmal so belebt, und im Städtchen war ein Wogen, ein Staunen, ein Freuen. Der Hof kommt! Und das alles verdankt man doch nur Gunther! –Die Frau und Tochter wurden ehrerbietig begrüßt, und schon von ferne sah man, wie die Städtebewohner den neuangekommenen Hofdienern sagten, wer die beiden Damen seien; auch die Hofdiener grüßten mit großer Unterwürfigkeit.

Den Weiterschreitenden begegnete auch ein Fuhrwerk, wie aus einem Märchen hervorgesprungen. Zwei isabellenfarbene winzige Ponies mit kurzgeschorenen schwarzen Mähnen, mit buntem Geschirr angethan, waren an einen kleinen zierlichen Wagen mit niederen Rädern gespannt. Als ob sie ahnten, was da vorging, kamen die Kinder aus den Bauernhäusern über die Wiesen und von den Halden dahergesprungen und bewunderten das Märchengespann des Kronprinzen und begleiteten es jubelnd durch das Städtchen, wo das Kindergefolge immer größer ward, bis hinaus zur Meierei.

Paula sah allem lächelnd zu. Sie stand bei der Mutter vor dem Hause, wo ein Schild anzeigte, daß hier fortan das neue Telegraphenamt sei. Hierher wird sie Botschaften senden und von hier wird sie solche vom Elternhause empfangen.

Die Leitung, die Irma nicht weit vom Freihof vorbei hatte aufrichten sehen, war für den Sommeraufenthalt der Königin hergestellt.

Als man am andern Morgen im Hause Gunthers erwachte, kam das erste Telegramm ins Städtchen. Es war an Paula gerichtet und lautete:

»Ich weihe den elektrischen Funken ein zum Dienst der Liebe. Bin wohlauf, grüße Dich, Vater, Mutter und Schwester.

Bronnen.«


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