Berthold Auerbach
Auf der Höhe. Vierter Band
Berthold Auerbach

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Sechstes Kapitel.

Draußen war eine milde Frühlingsnacht.

Irma saß am Brunnen und schaute hinein in den funkelnden Sternenhimmel. Es war ihr wunderbar zu Mute, daß sie nun wiederum wandern sollte. Morgen früh geht's auf die Alm, um dort einen ganzen Sommer zu verleben. Wie wird es dir sein, wenn du wieder hier sitzest und den Brunnen rauschen hörst in der Nacht?

Da vernahm sie aus der dunklen offenen Stallthür ein Geflüster.

»Ja, Gundel, die Bäuerin hat auch Aprilwetter im Kopf; auf der Hinfahrt war sie so lustig und auf der Heimfahrt, wie wenn sie Schläge bekommen hätte. Sie war bei dem großen Doktor, und da muß ihr was geschehen sein. Aber was geht uns jetzt die Bäuerin an? Sie hat Pfannen und Töpfe gekauft und ich was Besseres. Gib einmal deine Hand her. So, das silberne Ringlein steck' ich an deine Hand und hab' dich damit mit Leib und Leben eingeschirrt und du bist mein. Jetzt kannst du in die Welt hinausspringen und auf alle Berge hinauf, ich hab' dich doch.«

Man hörte schmatzendes Küssen, und Gundel sagte endlich:

»Du kommst aber doch auch manchmal hinauf auf die Alm?«

»Ja freilich,« und dann gab es wieder leises, unverständliches Flüstern.

»Horch, schau,« sagte Franz plötzlich. »Dort sitzt die Base Irmgard, die hat alles gehört.«

»Das hat nichts zu sagen, sie weiß alles, und das ist gut, da kann ich doch den Sommer über mit ihr reden. Komm, wir gehen zu ihr, du wirst sehen, wie gut die ist.«

Sie gingen zu Irma.

Diese gab beiden die Hand und sagte:

»Laßt eure Liebe sein wie dieser Brunnen, rein und frisch und unerschöpflich.«

Sie tauchte die Hand in den Brunnenstrahl, den der Mond durchglitzerte, und bespritzte die beiden Liebenden mit dem Wasser.

»Das ist so gut, wie aus dem Weihkessel,« rief Franz, »jetzt wird alles gut und frisch; ich hab' kein Bangen mehr. Du Brunnen und du Holunderbaum, ihr zwei seid unsre Zeugen, daß wir beide zu einander gehören und nie mehr voneinander lassen. Gut' Nacht!«

Franz ging nach dem Stall zurück und schloß die Thür. Gundel ging mit Irma in ihr Zimmer und schlief auf der Bank, denn der Vater Pechmännlein war schon mit ihrem Bett und allerlei Hausrat vorausgezogen auf die Alm.

Irma fand lange keinen Schlaf. Es war ihr, als müsse sie die vielen Tage und Nächte da oben vorausleben. Sie war unruhig. So lag sie hin- und hersinnend, und alles schwirrte in ihren Gedanken durcheinander.

Da fragte sie endlich leise:

»Gundel, schläfst du auch noch nicht?«

»O nein, ich weiß, mein Franz schläft auch noch nicht. Er hat's nicht so gut wie ich, er kann mit niemand so reden, wie ich mit dir. O, wie dank' ich dir das. Du sollst's recht gut haben. O, was ist der Franz für eine gute, getreue Seele! Hörst du die Kühe schreien im Stall? Die haben auch keine Ruhe. Ich mein', ich hör' schon die Glocken, die sie morgen um den Hals kriegen, und ich mein', die Kühe müssen's auch voraus wissen; o, wenn du nur auch einen Schatz hättest, Irmgard. Aber ich weiß schon, wie's mit dir noch wird, wie's in der Geschichte heißt –du bist's wert. Da ist einmal ein König durch den Wald geritten und da hat er die schöne Sennerin gefunden und hat sie auf sein Pferd gesetzt und hat sie mit heim genommen und hat ihr goldene Kleider angezogen und eine diamantene Krone auf den Kopf, und da hat die Königin –o, die Glocken, die Königin, komm Bläß, die Glocken ... komm, komm, komm ... so, so –«

Gundel schlief, aber Irma wachte und sah in den Mond hinein und die ganze Welt war ihr wie ein Wunder und schimmernde Märchen stiegen in ihr auf. Sie lächelte und ihr Auge glänzte, bis der Schlaf es schloß; aber das Lächeln blieb auf ihrem Antlitz und niemand sah es, als der Mond, der still am Himmel stand.


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