Berthold Auerbach
Auf der Höhe. Dritter Band
Berthold Auerbach

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Neunzehntes Kapitel.

Die Königin war nun doppelt unglücklich; sie hatte den unsäglichen Schmerz um die verlorne Liebe und sie hatte sich noch dazu in häßliche und gehässige Leidenschaften verleiten lassen. Die freie Erhabenheit, in der sie sich durch die Anrufungen Gunthers gefühlt hatte, war von ihr gewichen. Und nun, da die herzzerschneidende Trennung vollbracht war, nun war es wie der Eintritt eines Todes, den man vorausgesehen; alles Vorausdenken hilft nichts, die erfolgte Thatsache bringt neues, ungeahntes Wehe. Die Königin ging nach den Gemächern des Kronprinzen. Sie kam am Kabinett des Königs vorüber. Sie stand eine Weile still. Wie, wenn sie nun hier einträte, die Arme um ihn schlänge und sagte: es soll alles vergessen sein. Du bist ja auch unglücklich, ich will dir tragen helfen?

Sie ging vorüber, sie fürchtete, wiederum nur als schwächlich und weichmütig zu erscheinen, und sie wollte stark sein.

Als sie ihr Kind sah, strahlte ihr Auge wieder hell. Das Kind hatte die schmerzlich ringende, die weinende Mutter nicht gesehen; jetzt war sie wieder bei ihm. Eine Stimme, die sie kaum hören wollte, sagte ihr: auch er wird jetzt hierher kommen. Sie zitterte. Sie hörte, daß der König den Prinzen schon heute zu sich hatte bringen lassen.

Sie wartete lange, sie küßte das Händchen des Knaben und schaute oft um, ob sein Vater nicht komme.

Er kam nicht.

Der König saß in seinem Kabinett und hielt sich die brennende Stirn. Er hat einen entscheidenden Wendepunkt seines Lebens betreten, jetzt sollte er nicht noch von persönlichem Seelenjammer bedrückt werden. Er hat bereut, nun ist's genug. Er ist entschlossen, sich zu ändern, das ist mehr als genug. Wozu noch das Anklagen und Strafen? Tiefer Zorn über seine Gemahlin stieg ihn ihm auf. Sie ist klein und rachgierig. – Nein – klein nicht! Es ist eine Macht in ihr, die er nie geahnt hätte. Er fühlte tief die schwere Sünde, solch eine Gattin hintergangen zu haben. Noch ist ein Etwas in ihm, das die Strafe als eine Beleidigung seiner hohen Stellung ansehen will. Und in dieser Zertrümmerung seines persönlichen Daseins soll er nun die Selbstverleugnung üben, das Leben im großen ganzen neu zu gestalten? Nur ein in sich versöhntes und befriedigtes Herz kann versöhnend und befriedigend wirken. Trotz und Mißmut wollen ihn bereden, nun abzulassen von der begonnenen Umkehr, sie wird doch nicht gerecht erkannt, von seiner Nächsten, von seiner Gattin nicht.

So sitzt er lange dumpf und schwer. Endlich richtet er sich empor und ein Ausdruck von Trotz und Festigkeit tritt in sein Antlitz. Er ist entschlossen, das Gute zu vollführen ohne Anerkennung, ja mitten in Verkennung; die beste Kraft seines Wesens tritt siegesmächtig hervor: aus sich und um der Selbstehre willen wird er vollbringen, was er als richtig erkannt, und dies Glück soll ihm Ersatz bieten für das verlorene Liebesglück ...

Am Abend war große Cour.

Die Verlobung der Prinzessin Angelique mit dem Fürsten Arnold wurde offiziell gefeiert.

Die Königin erschien am Arm ihres Gemahls, überallhin freundlich und mild grüßend. Sie sah angegriffen aus, aber nicht minder schön.

Niemand sah etwas vom Zerfall des fürstlichen Paares, so wenig jemand das Fehlen des Ringes an der Hand des Königs bemerkte. Der König sprach mit großer Selbstbeherrschung zutraulich mit der Königin und sie antwortete ihm in derselben Weise.

Oft aber war's ihr, als müsse sie ihn fragen: Ist denn nichts vorgefallen?

Dann schaute sie wieder scheu um in den großen Sälen, als müsse plötzlich die Totengestalt Irmas erscheinen, schneeweiß in nassen Gewändern.

Als der König mit seiner Gattin am Arme den Rundgang durch die Säle vollendet hatte, begrüßte er Bronnen überaus herzlich und verweilte lange mit ihm in lebhafter Unterhaltung.

Die Königin sah es staunend. Sie wußte, daß Bronnen im stillen Irma verehrt, ja sogar um ihre Hand geworben hatte. Was ist geschehen, daß der König sich so nahe mit diesem Manne befreundet und ihn vor dem ganzen Hofe auszeichnet? Es gab keine Gelegenheit, darüber Erkundigungen einzuziehen.

Das ganze Sommerschloß war erleuchtet, auf der Terrasse brannten die bunten Lampen, im Park waren Pechpfannen aufgestellt, die hellen Schein in die Spätsommernacht hinauswarfen, das Musikkorps vom Regiment des Fürsten Arnold spielte muntere Weisen auf, Lichtglanz und Musikklänge drangen weit hinaus ins Thal und bis zu den Bergen, wo auf einsamen Höhen die Menschen leben.

Die Königin begegnete dem Leibarzt, sie sprach nur einige flüchtige Worte mit ihm. Der König grüßte ihn im Vorübergehen freundlich.

Er wird mir das nicht anthun – tröstete sich die Königin. Es lag etwas eigentümlich Scheues in ihrem Auge, wenn ihr Blick auf den Leibarzt fiel; das bemerkte der König einmal und er nickte. Die Königin fühlte, daß Gunther mit ihr unzufrieden sein müsse, sie hatte nicht nach den Gesetzen gehandelt, die aus seiner Lehre flossen.

Am andern Tag ging das Gerücht durch die Residenz, der Leibarzt habe seine Entlassung genommen.

Die Regierungszeitung brachte am Abend neben den Hofnachrichten von den Verlobungsfestlichkeiten die Mitteilung: Se. Majestät der König haben in Gnaden geruht, Allerhöchst ihrem Leibarzt, dem Geheimrat Gunther, auf dessen Gesuch die Entlassung aus dem Staatsdienst zu gewähren und ihm zum Zeichen Ihrer Zufriedenheit das Komturkreuz des ** Ordens zu verleihen.

Unter den Privatanzeigen stand:

Meinen Freunden sage ich Lebewohl. Ich ziehe nach meiner Vaterstadt * im Gebirge.

Dr. Wilhelm Gunther,
Geheimrat und Sr. Majestät des Königs
Leibarzt a.D.

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