Berthold Auerbach
Auf der Höhe. Dritter Band
Berthold Auerbach

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Neuntes Kapitel.

Bruno stand, von allerlei Gepäck umgeben, im Zimmer, da meldete ein Diener die gnädige Frau Schwiegermutter.

»Die jetzt? und trotz des Verbots?« fuhr es ihm durch den Sinn. »Ist willkommen!« erwiderte er dem Diener, der schnell die Flügelthüren öffnete und hinter der Eintretenden wieder schloß.

»O meine gute Mutter!« wollte Bruno auf sie zueilen und sie umarmen; sie aber reichte ihm nur die Hand und sagte:

»Bitte, bitte!« Dann setzte sie sich auf das Sofa und fuhr fort:

»Kommen Sie näher, setzen Sie sich!«

»Wissen Sie –« fragte Bruno.

»Alles. Sie haben mir nichts zu erzählen.«

»Ich danke, daß Sie kommen, mich zu trösten.«

»Ich freue mich – ich will sagen, es ist mir eine Beruhigung, Sie so gefaßt zu finden. Arabella weiß noch nichts?«

»Nein.«

»Sie darf auch nichts erfahren ... Was bedeuten diese Koffer?«

Bruno sah die Fragende staunend an. Wer hat hier zu fragen? Und in solchem Tone?

»Ich verreise,« erwiderte er schroff; um es aber zu keiner Scene kommen zu lassen, setzte er in mildem Tone hinzu: »Ich muß als Bruder Nachforschungen nach der Verunglückten anstellen.«

»Ich billige das. Ist schicklich,« sagte die Baronin. »Haben Sie mit ihm bereits eine Auseinandersetzung gehabt? ... Sie verstehen mich wohl nicht, da Sie nicht antworten? Ich meine diesen König.«

»Ja,« erwiderte Bruno keck, »aber ich bin auf mein Wort verpflichtet, keine weitere Mitteilung zu machen.«

»Gut. Ich achte die Diskretion. Nun aber ein offenes Wort an Sie. Bitte, schließen Sie die Portièren.«

Bruno that, wie ihm befohlen. Er knirschte die Zähne, während er nach der Thür ging, aber als er sich umwendete, waren seine Mienen wieder freundlich, aufmerksam.

»Sprechen Sie. Es hört uns niemand. Ein Trauernder hört geduldig,« sagte er.

»Trauernder? Wir haben noch andern Grund zu trauern, als Sie. Wir glaubten uns mit einer der angesehensten Familien des Landes zu verbinden –«

Bruno wollte auffahren.

»Bitte, spielen Sie nicht mit mir –« fuhr die Baronin fort, und sie hatte eine andre Stimme, eine andre Gestalt, »wir sind allein, demaskiert. Sie, Herr Schwiegersohn, haben mich immer, wenn auch mit äußerem Anstand, doch nicht ganz mit dem Respekt angesehen, den ich verlangen muß – bitte gehorsamst, widersprechen Sie mir nicht; lassen Sie mich ausreden! – Ich war Ihnen, wenn ich's kaltblütig überlegte, darüber nicht gram. Ich kenne meine Stellung. Nun aber, Herr Schwiegersohn, ist das anders. Ich war, was Ihre Schwester ... und habe nie Tugend geheuchelt. Ich galt vor der Welt, was ich in Wahrheit war ...«

Bruno seufzte tief auf; die Baronin fuhr in knirschendem Tone fort:

»Ich hätte in Demut vor Ihrer Schwester niederknien mögen, damals, als sie so innig zu uns war. Sie muß mir aus der Hölle meine Demut wieder herausgeben. Nicht sie war die bessere, ich war's. – Doch lassen wir die Toten ruhen! Nun aber, mein Herr Schwiegersohn, mit Ihrem Stolz gegen mich hat es ein Ende. Das sage ich Ihnen: Sie müssen glücklich sein, daß wir uns mit Ihnen verbunden. Wir werden Sie das nie fühlen lassen, wenn Sie sich anständig benehmen.«

»Thue ich das nicht?« fragte Bruno, der diesem Schlage gegenüber alle Haltung verloren hatte.

»Wir wollen sehen. Vorerst eines: ich wohne künftig bei Arabella, so oft ich will und so lange ich will. Diese langweilige Moralkönigin hat nun auch ihre Lektion. Ich verlange indes nicht nach Hofe, aber die Gesellschaftskreise sind mir offen – ich trete an Ihrem Arme ein, mein galanter und liebenswürdiger Herr Sohn.«

Die Alte stand auf und verbeugte sich sehr zierlich, Bruno ihren Arm bietend. Dieser faßte die Hand seiner Schwiegermutter und führte sie an die Lippen.

»Pfui! Sie haben Wein getrunken in Ihrem Schmerz?« rief plötzlich die alte Tänzerin und hielt sich das feine, stark parfümierte Tuch vor den Mund.

»Fräulein Schwiegermutter« – hatte Bruno auf den Lippen, er wollte ihr das ins Gesicht schleudern. Da näherten sich draußen Schritte. Der Intendant trat wie ein Erlöser in die Stube.

»Bitte, ich will nicht stören,« rief er, da er die Schwiegermutter bei Bruno sah.

»Sie stören nicht!« erwiderte Bruno rasch. »Meine gute Frau Schwiegermutter« – er sagte »Frau« mit etwas scharfer Betonung – »unsre gute Mutter, jetzt Großmutter, ist trotz eines heftigen Fiebers zu uns geeilt, um uns zu trösten. Ich bin glücklich, noch treu Zugehörige auf der Welt zu haben und einen Freund wie Sie. Ich will ganz der Familie leben, die mir noch geblieben.«

Die Baronin Tänzerin nickte. Bruno besteht die erste Probe in seiner neuen Rolle zu ihrer Zufriedenheit.

»Wir reisen nun wohl heute nicht mehr?« fragte der Intendant.

»Doch, doch, wir wollen keine Minute mehr zögern.«

Die Frau Schwiegermutter übernahm es, Arabella von einer notwendigen Reise Brunos, die als Dienstreise bezeichnet wurde, zu unterrichten.

Bruno dankte ihr, während er mit einer Art beflissener Langsamkeit seine schwarzen Handschuhe anzog, und er dankte ihr aufrichtig, denn mitten in den Gedanken, daß er nun in eine Abhängigkeit geraten wird, die schwer auf ihm lastet, schimmerte die Hoffnung auf ein Stuck Erlösung: es ist doch gar zu mißlich, daß man sich als Ehemann so viel der Frau widmen muß; sie will immer unterhalten, immer mit Huldigungen umgeben sein. Wenn die Schwiegermutter im Haus ist – es wird zwar mit vielen Unzuträglichkeiten verbunden sein – aber Arabella hat doch für viele Stunden eine natürliche Gesellschaft, in denen er dann frei wird.

Der Abschied war kurz, aber innig; Bruno durfte seiner Schwiegermutter die Wange küssen. Noch als er im Wagen saß, wischte er sich die Schminke von den Lippen; er rieb sich die Lippen fast wund.

Es war schon Abend, als die beiden abfuhren, und sie übernachteten auf der ersten Station. Bruno legte sich aufs Bett, nur um ein wenig auszuruhen, er erwachte aber erst spät am andern Morgen.


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