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Ein besonderes Kennzeichen der Eitelkeit

liegt auch darin, daß die damit Behafteten es nie geradezu eingestehen wollen, wenn sie auch nur in einer unscheinbaren Sache Unrecht haben oder im Irrthum sind. Oft mit Eifer und Scharfsinn bringen sie tausenderlei Gründe vor, für das was sie gethan und gesagt, während sie beim Thun und Sagen keinen einzigen davon im Sinne hatten. Und so kommt zum anfänglichen Irrthum noch das Laster der Lüge. Einen Irrthum kann man einem Menschen beweisen – indem man ihm die wirkliche oder mögliche Sache vor Augen stellt – eine Lüge nur seltener; denn wo soll man den Beweis des Gegentheils hernehmen, wenn Einer lügnerisch behauptet: ich habe die Sache so und so angesehen?

Alle die Ausreden der Eitelkeit geschehen nur, um nicht einfach gestehen zu müssen: ich habe mich geirrt, ich habe das und das nicht recht verstanden oder habe es vergessen.

Forsche einmal im Leben nach, und du wirst sehen, daß diese Eitelkeit in der Regel von solchen ausgeht, die nicht in sich fest sind oder immer eine abhängige und unselbständige Stellung nach außen vor Augen haben, so daß sie durch das freie Bekenntniß eines Mangels sich etwas zu vergeben fürchten.

Der Gevattersmann kennt einen tüchtigen Menschen, der bei manchen Gelegenheiten sagte: »das und das verstehe ich nicht oder davon weiß ich nichts.« »O Sie sind zu bescheiden,« rief man ihm entgegen. »Nein,« erwiderte er, »im Gegentheil, dieses Bekenntniß ist Stolz. Weil ich von manchen Dingen sagen kann, daß ich davon etwas weiß oder verstehe, kann ich den Muth haben ohne Scheu zu sagen: in diesem bin ich unwissend. Wer wirklich etwas gelernt hat, braucht sich nicht zu fürchten, die Grenzen seines Wissens einzugestehen, und je mehr man wirklich versteht um so mehr sieht man ein, was man nicht versteht; wer aber nichts Rechtes inne hat, der giebt sich gern bei jeder Gelegenheit den Anschein, als ob ihm gar nichts verborgen wäre. Mein Bekenntniß ist also nicht Bescheidenheit, sondern Stolz, und diesen wünsche ich recht vielen Menschen, und dann wird weniger Lüge und Hohlheit in der Welt sein. Einer wird gern vom Andern lernen und bereichert und aufgeklärt von ihm weggehen.«

Von jenem obengenannten freien Eingeständniß, von jener Willigkeit sich eines Bessern belehren zu lassen, hat der Gevattersmann noch ein treffendes Beispiel in Erfahrung gebracht. Der alte Meister Gottfried von Berlin, ein weltberühmter und ehrenfester Künstler, hatte die Redeweise im Gebrauche: es soll mir lieb sein, wenn ich Unrecht habe – und gerne ließ er sich von einer Beweisführung überzeugen. Der Gevattersmann kennt Nachkommen des Meisters, in deren Familie das Wort heimisch ist, und hoffentlich wird es nun auch in anderen Familien heimisch. Probirt's nur; werdet sehen, wie manche Störrigkeit gebeugt, mancher Streit dadurch geschlichtet wird.


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