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Der letzte Thorwart von Offenburg.

Die ihn gekannt, haben oft mit ihm gelacht, und die ihn nicht gekannt haben – ja da zeigt sich was Sterben ist; vom großen Stadtthor, das abgebrochen ist, kann man durch Abbildung eine Vorstellung geben, aber von einem Menschen kann man das nicht. Man sagt von einem sprechend ähnlichen Porträt; aber was spricht es? Der Mensch hat nicht festgestanden wie ein Haus, das war ein Wesen das sich bewegt hat, bald so bald so dreingeschaut, bald gelacht und bald geflucht; denn geflucht hat der alte Thorwart regelmäßig bei allem was ihm Zuwideres begegnete, und bei so einem alten Soldaten springen Haubitzen, Granaten und Kartätschen in seinen Flüchen, daß es knattert und prasselt. Weinen hat den Thorwart kein sterbliches Auge gesehen, und er ließ sich's gefallen, daß man ihm nachsagte: ihm fehle dieser Vorzug des Menschen vor dem Thiere.

Könnt Ihr Euch denken, wie der Thurm dort auf dem Staufenberg einmal neu war, frisch von Kelle und Hammer weg? Man ist gewohnt, daß er grau und verwittert dasteht, und so war's auch mit dem Schlüsselbart. Er war allezeit alt, man konnte sich ihn gar nicht anders denken. Es ist nämlich zu merken, daß der Thorwart den Unnamen »Schlüsselbart« hatte. Sein Geschlechtsname hieß »Bart«, und weil er einst gesagt, daß er der Schlüssel der Stadt sei, hieß er davon der Schlüsselbart.

Es ist ein eigen Ding um solchen Unnamen. Tausende von Menschen mühen sich ab und sterben gar darum, Saaten werden zerstampft, Städte verbrannt und ganze Länder verwüstet, um zu einem Namen das Beiwort: »der Große« u. s. w. hinzuzufügen: da hat man's weit leichter, sich einen Unnamen zu machen; es braucht nichts als einmal eine ungeschickte Redensart und dergleichen, und fertig ist er.

Zu den seltsamsten Lebenslagen gehört aber, wenn die Welt von Einem etwas weiß, nur der, den's betrifft, weiß nichts davon; es ist, wie wenn Einem etwas hinten in den Rockkragen gesteckt wäre. Jeder der vorüberging, lachte den Thorwart an; er konnte sagen was er wollte, man lachte halb dazu, bis er endlich erfuhr, daß er Schlüsselbart heiße. Unser Thorwart wußte nicht was er machen sollte. Wehrte er sich dagegen, so blieb der Spottname gewiß haften, wehrte er sich nicht, so blieb er auch. Was that also unser Thorwart? Das Wohlfeilste: er that nämlich nichts, und verachtete nur im Stillen die Menschen, und dabei dünkte er sich groß, denn das soll ja eine Größe sein, die Menschen verachten zu können; da kann man sich einbilden was man will, sich für groß und erhaben halten, und wer etwas dagegen sagen will, ist eben verächtlich.

Unser Thorwart war aber bei seiner Menschenverachtung wohlauf.

In England soll's bald keine Füchse mehr geben, die rothjackigen Jäger haben sie weggeschossen. Auerochsen hält sich nur noch der Czar von Rußland, auch Menschenrassen sterben aus, und wie lange wird es dauern, und es giebt keinen Thorwart mehr. Wir Alten aber, die wir sie noch gekannt, müssen den Jungen sagen, wie ein solcher in vergangenen Zeiten ausgesehen hat.

Der alte Thorwart war der Erste und Letzte im Städtchen, es kommt nur darauf an, wie man's nimmt oder von wo man herkommt. Der Thorwart war wie das graue Stadtthor, er kam auch nie vom Fleck und drehte sich nur um seine Angel. Eine lange Pfeife und der Thorwart gehören nothwendig zusammen. Dazu ein kleines Häuschen, an der Vorderseite mit wilden Reben übersponnen, daneben ein wohlgepflegtes Gärtchen mit hellgelben Sandwegen und Buchsbaumeinfassungen. Da war Alles vollgesteckt mit frischen Blumen und Pflanzen, als ob Blumen und Bäume hier beim Eingange in den finstern Thorthurm noch recht innig Abschied nehmen wollten vom freien Feld da draußen. In das Gärtchen ist nie ein Kinderfuß gekommen, denn der Thorwart liebte die Kinder nicht, oder vielleicht haben wir's uns damals nur eingeredet, weil er allezeit so grimmig dreinsah, als wäre er der Wachthund der ganzen Stadt. Aus diesem Gärtchen trieb er indeß allerlei Pflanzen- und Samenhandel bis weit über den Oberamtsbezirk hinaus, und wer bei ihm wohl dran sein wollte, durfte nur seine Blumen, seine Vögel und seine Hunde loben. Wachteln, Schwarzamseln und Drosseln hatte er in verschiedenen Käfigen, und sogar ein Eichhörnchen in einer Drille.

Unser Schlüsselbart hat oft gesagt, er selber sei wie ein Vogel, und sein Käfig hange auch im Freien; an Nahrung gebrach es ihm nie, und zwar erwuchs ihm diese besonders aus den Steinen, denn er war Pflastergeldeinnehmer. Dabei trieb er mit besonderer Vorliebe eine eigene Art von Thierzucht. Er hatte sich eine Hündin von Ulmer Rasse angeschafft, nicht nur, weil eine Hündin, wie er sagte, nie mit einpassirenden fremden Hunden Händel bekommt, sondern er versorgte auch damit Dorf und Stadt, und das Geschlecht, das aus seinem Hause ausging, hatte das Wächteramt auf Bauerhöfen, und das Treibergeschäft bei Metzgern – und er that sich viel darauf zu gute. Ja, wenn der Schulmeister von Zell zur Konferenz in die Stadt kam, sagte er ihm oftmals, er sei auch ein Lehrer, er ziehe die nützlichsten Mitglieder der menschlichen Gesellschaft heran, und der Verstand eines seiner Hunde sei oft größer als der ihrer Herren. Ueberhaupt liebte es der Schlüsselbart, Bekannte eine Weile bei sich aufzuhalten, ehe sie durch das dunkle mächtige Thor, das zugleich Stadtgefängniß war, einpassirten. Er unterhielt sich aber nur mit Bekannten; Fremde, die in Kutschen ankamen, und zu einem Thore hinein- und zum andern hinausfuhren, waren ihm höchst gleichgültig. Jede Nacht Schlag Halb-Eins hatte aber auch Schlüsselbart seinen gemessenen Aerger. Vom Kinzigthale herauf tönte ein Posthorn; der Eilwagen kam, das Thor mußte geöffnet und hinter ihm geschlossen werden. Unser Thorwart hörte aber weniger die fröhlichen Klänge des Posthorns, als das vermaledeite Bellen des kleinen weißen Kläffers, des Postspitz, auf der Decke des Eilwagens. Der Schaffner hatte diesem Hunde nicht mit Unrecht den Namen Zänkerle gegeben; besonders Schlüsselbart zankte stets mit ihm, aber der Spitz blieb ihm keine Antwort schuldig. Und wenn der Postillon blies, kläffte Zänkerle immer unaufhaltsamer, und sein böses Beispiel weckte die ganze Zucht Schlüsselbarts und die gleichgestimmten Seelen aller Hunde im Städtchen; aus allen Höfen antworteten Zurufe in den verschiedensten Tonarten, und der boshafte Zänkerle stand auf dem Hinterdeck des Eilwagens, und bellte unaufhörlich gegen die Stadt. – An Markttagen war Schlüsselbart besonders aufgeräumt. Wenn er die Körbe der Marktweiber untersuchte, damit nichts Zollbares eingeschleift werde, hatte er allerlei Spaß; dafür war er aber auch mit allem Möglichen versehen, denn man stellte bei ihm ab, man gab ihm Aufträge an Ankommende und Abgehende; aber sehr hüten mußte man sich, ihm etwas zweimal zu sagen, da konnte er grimmig werden, daß man seinem Gedächtniß nicht traue. Er beobachtete den Lebenslauf Vieler die aus- und eingingen, und konnte tagelang erzählen vom Steigen und Fallen der Menschen; besonders von Proceßbauern konnte er viel berichten, und wußte Manchen bei Namen zu nennen, der im Anfange mit Roß und Wagen angekommen war, bis ein Stück nach dem andern in die Akten eingenäht wurde, und man ihm endlich alle Eisen abriß, wie einem Gaul der zum Abdecker kommt. »Es giebt überhaupt nichts Neues,« sagte er stets mit dem weisen König Salomo, »und ich weiß schon Alles,« setzte er aus eigener Machtvollkommenheit hinzu.

Seit vielen Jahren hatte der Schlüsselbart eine Nachbarin, mit der er aber beharrlich kaum einen Gruß wechselte. An der Innern rechten Seite des Thores saß in einem halb ausgeschnittenen Fasse eine Obstfrau Jahr aus Jahr ein, und hatte die zeitläufigen Früchte vor sich, und dabei einiges altgebackene Zuckerwerk, und in neuerer Zeit auch Zündhölzchen. Man hätte nun glauben sollen, daß der Schlüsselbart in der vielen müßigen Zeit die er hatte, sich mit dieser Nachbarin unterhielt: er that aber beständig, als ob sie nicht da wäre, und das nicht aus Bosheit, sondern aus Bequemlichkeit, denn er sagte eines Tages zu einem Vertrauten: »Wenn ich mich mit ihr einlasse, weiß ich schon wie es geht. Da heißt es bald: ich muß da und dort hin, Nachbar Thorwart gebt mir ein bischen auf meinen Kram Acht – und das will ich nicht, und darum kennen wir einander nicht.«

Nur wenn die Obstfrau die ersten Kirschen gezählt auf Stäbchen anknüpfte, nickte er ihr zu, als wenn er sagen wollte: giebt's schon wieder Kirschen? Sonst aber lebten die Beiden neben einander als wenn sie hundert Meilen Wegs von einander entfernt wären.

Am unliebsamsten aber war Schlüsselbart gegen die Handwerksburschen, die schnauzte er gern an, und es konnte wohl sein, daß es daher kam, weil er festgenagelt war, und nicht mehr auch wandern konnte; denn es ging die Sage, daß er einst selber ein Handwerk betrieben habe: die Schusterei. Er wollte das aber nie gelten lassen, denn seit er bei Leipzig mitgeholfen hatte, dem Bonaparte Füße zu machen, ruhte er von aller Arbeit aus, und genoß in stiller Beschaulichkeit den Lohn seiner Thaten. Die kupferne Denkmünze auf seiner linken Brust erinnerte an seine Thaten, er aber hatte noch ganz andere Erinnerungsfeste; er hatte seine besonderen Schlachttage, die er im Stillen feierte, und wenn er die Ankommenden anlachte, konnte man sicher sein, daß er heute einen seiner Schlachttage mit einem guten Trunk Durbacher gefeiert hatte. – Er liebte den Sonntag weit weniger als den Samstag, denn an diesem war Fruchtmarkt, und wenn die schwerbeladenen Wagen daherknarrten, hänselte und lachte er oft die Bauern aus, besonders wenn das Korn recht billig war; war es aber hoch im Preise und die Verkäufer zechten in der Stadt, und er mußte noch tief in der Nacht oft und oft das Thor aufmachen, da konnte man sicher sein, daß man unter dem gewölbten Thore lange knallen mußte, bis er endlich rief: »Ja, ja, komm' schon!«

Oft kam er Monate lang nicht aus den Kleidern, und er behauptete, das halte den Menschen gesund; die Thiere behielten ja auch ihre Kleider an, und darum seien sie auch viel weniger krank. Frühling und Sommerszeit waren ihm angenehm, denn da saß er im Freien und ließ sich von der Sonne braten und rauchte dabei, und ließ sich von seiner Wachtel, seiner Schwarzamsel und seiner Drossel was Vorsingen; wenn aber draußen der Sturm den Regen jagte, und Schnee und Hagel niederfielen, da war's ihm eigentlich noch wohler, da saß er in seinem wohldurchwärmten Stübchen, während draußen der Wind dem Fuhrmann den Mantel vom Leibe reißen wollte, streckte seine verlängerte Hand, die Stange mit dem Lederbeutel dran, zum Schiebfenster hinaus, und dachte bei sich: »Jagt ihr in der Welt herum, ich sitze im Trockenen.« Sehr ärgerlich war er, als man den Kirchhof vor die Stadt hinaus verlegte; er wollte nie gern an den Tod erinnert sein. Aber von dieser Zeit an kam eine Verdrießlichkeit nach der andern. Das hohe thurmähnliche Stadtthor wurde abgebrochen und die große steinerne Fratze, just über der Thorwölbung, die gegen alle Ankommenden die Zunge herausstreckte, und so griesgrämlich dreinsah, ähnlich wie der Thorwart, wurde beim Abbruch zerschlagen.

Seit dem Verschwinden des Thurmes war es unserm Thorwart nun immer, als ob man ihm die Augenbrauen abgeschoren hätte; er blinzelte nur noch ärgerlich und behauptete, im Sommer könne er es vor schattenloser Hitze, und im Winter vor Sturmwehen gar nicht mehr aushalten; dabei spöttelte er über die Stadtbewohner, die er beim Aus- und Eingang stellte, und sagte zu ihnen: sie hätten die alte Reichsstadt zum Dorfe gemacht, denn was sei eine Stadt anders als ein Dorf, wenn sie kein Thor mehr habe? Man werde bald sehen, es gäbe gar keinen Zusammenhalt mehr; jetzt werde man hinausbauen, und die ganze Stadt wäre nichts als eine aufgesprungene Wurst, während früher das Thor der Bindfaden gewesen wäre, der sie zusammengehalten. Aber es kam noch schlimmer. Die Eisenbahn wurde abgesteckt, unser Schlüsselbart lachte über das einfältige Zeug, das die Leute sich einredeten. Der Bau ging trotzdem immer weiter, und als endlich die erste Locomotive heranbrauste, und die ganze Stadt hinauslief, um das neue Wunder zu sehen, da verlachte und verfluchte der alte Thorwart die ganze Welt. Und jetzt kam das Unerwartete. Unser Schlüsselbart wurde zur Ruhe gesetzt, denn Pflastergeld und Stadtzoll wurden abgeschafft. Jeder Wagen, der vorüberfuhr, ging ihm durch die Seele; er dankte Niemand mehr, der ihn grüßte, er wollte keinen Gruß wo er nichts mehr zu befehlen hatte. Das abgesetzte Thorwarthaus wurde von der Stadt anderweit vermiethet, und auf seine letzten Tage mußte unser Schlüsselbart gar noch ausziehen. Er blieb aber nicht lang in der neuen Wohnung. Noch in seinen letzten Tagen scherzte er oft: er wolle doch sehen, ob der älteste Thorwart, der heilige Petrus am Himmelsthor, noch bei seinem Amt gelassen sei, oder ob auch dort Alles ungefragt ein- und ausspaziere.

Das war der alte Thorwart, und so wenig es mehr abgeschlossene Zünfte und Stände geben wird – was Manche wiederum wünschen – so wenig wird man mehr Thurmthore an den Eingang der Städte bauen können. Die zusammengestellten Wohnungen der Menschen haben jetzt freie Aus- und Eingänge ins Weite, und der alte Schlüsselbart, der sie wieder in ein Thor einschlösse, ist – abgebrochen.


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