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Der Streit um einen Pfiff.

In der Heimath des Gevattersmanns erzählt man sich eine Geschichte, die er seinerseits nun auch hier berichten will.

Der Zinngießer Huber war viel gewandert, und glaubte ein großer Menschenkenner zu sein, aber das weibliche Herz studirt man nicht so bald aus, und obgleich Huber bereits ansässiger Meister war, sah er doch schon einige Monate nach der Hochzeit, daß er in einem gewissen Bereiche der Menschenkenntniß noch Lehrjunge sei, und die Art, wie er darauf kam, war lustig und traurig in Einem Stück.

Unser Meister war also verheirathet mit einem eben so fleißigen als aufgeweckten Weibchen; er arbeitete mit zwei Gesellen, hatte ein wohleingerichtetes Haus, und daneben ein kleines Gemüsegärtchen mit einem großen Birnenbaum, der trug sogenannte Zweiputzer-Birnen, bei deren Verspeisung man wie die Gans beim Trinken den Kopf hoch halten muß, damit kein überflüssiger Saft herabläuft.

Es war sehr gescheidt von der Mutter Hubers, daß sie ihn just in der Mitte des Juni geboren hatte, nicht eben weil er ein Prinz war, und das ganze Volk in dieser geschickten Jahreszeit um so bequemer verehrungsvolle Kränze winden konnte, sondern weil es eben anmuthend ist, an dem Tage, da man zuerst in die Welt kam, auch froh hinauszukönnen in die freie Natur. Das hatte sich die junge Frau Huber wohl zu Nutze gemacht. Am Morgen, er war sonnenhell und frisch, stand unter dem Birnenbaum ein kleines Tischchen mit weißen Linnen bedeckt, und darauf bei dem zinnernen Kaffeegeschirr eine goldgestreifte Geburtstagstasse inmitten eines Kranzes von frischen Rosen.

Unser Meister war kein Freund von vielen Worten, absonderlich des Morgens. Er drückte seiner Frau tapfer die Hand für die schöne Ueberraschung, und sie verstand was das sagen wollte. Er trank den Kaffee, wozu sie ihm allen Rahm oben abschöpfte, und tunkte den Butterzopf mit vielem Behagen ein. Das war nach seiner Art die beste Danksagung. Nach dem Kaffee zündete er sich eine Pfeife an, und aus Rauch und Wolken tönte es wie eine Offenbarung aus seinem Munde:

»Das hast du brav gemacht, und ich gönne mir's gern, noch eine halbe Stunde so müßig dazusitzen, und wenn's nicht wegen der Leute wäre, die aus allen Nachbarfenstern in unsern Garten hereinschauen können, ich möchte dir den Rosenkranz da auf den Kopf setzen. Der Himmel ist so schön blau und die Luft so gut, und die ganze Welt ist gut, und du vor Allem.«

Er hielt den Rosenkranz in der Hand, und die Frau faßte ihn an der andern Seite; es war wie ein Sinnbild der hellen Freude, die sie so verband.

Nach einer Weile sagte Meister Huber: »Und das hast du auch so schön bestellt. Horch, die Tafelmusik! Wie der Fink auf dem Birnenbaum über uns so schön pfeift.«

»Ein Fink? Ein Fink?« sagte die Frau, »du hast dich verhört oder versprochen, das ist eine Grasmücke und kein Fink.«

»Frau, höre doch zu, du wirst mich doch nicht lehren wollen den Vogelpfiff kennen? Hör' doch! Ist das nicht der Fink?«

»Ich hör' ganz gut und deutlich, das ist eine Grasmücke.«

»Wie kannst du nur so widerspenstig sein? Das hört ja jedes Kind was das ist.«

»Ja, ja, nun hör' ich eben deutlich die Grasmücke.«

»Frauele, gutes Frauele! Du verdirbst mir den schönen Morgen mit deinem Widerspruch. So hör' doch ordentlich zu. Nein, es ist vorbei: wenn man einen Vogelsang beschreit, ist er plötzlich verstummt. Guck, mit deiner lauten Widerrede hast du noch gar den Vogel verscheucht. Siehst du? Sieh' ihn an, siehst du jetzt nicht, daß es ein Fink ist?«

»Meinetwegen, meinetwegen sei's was es wolle, meinetwegen ein Kukuk!«

»Du glaubst also noch nicht, daß es ein Fink ist?«

»Ja, meinetwegen, dir zu Gefallen, weil heut dein Geburtstag ist. Sei nur ruhig.«

»Das nehm' ich nicht an, ich will nichts geschenkt, kein Wort und nichts. Siehst du denn jetzt nicht ein, daß du dich geirrt hast?«

»Ehrlich gestanden, nein! Aber ich will dir meinetwegen Recht geben.«

»Ich laß mir nichts geben, was ich hab'; und wenn du jetzt nicht glaubst, daß es ein Fink ist, so zerschmeiß' ich da die Tasse an dem Baum. Was stehst du so stumm da? Was pressest du die Lippen übereinander? Was, stehen dir die Augen voll Wasser? Verdien' ich das? Kannst du nicht bester Einsicht annehmen? So red' doch! Du redest nicht? Da!«

Und klirrend zerschmetterte die schöne goldgestreifte Geburtstagstasse am Baumstamm.

Die Schürze vor das Gesicht haltend, ging Frau Huber nach dem Hause zurück. Der Mann aber saß noch eine Weile Zorneswolken paffend da, grimmig auf die ganze Welt, auf seine Frau, und ganz heimlich auch wieder auf sich. Er ging dann verdrossen an seine Arbeit, und der Tag, der so schön begonnen hatte, ward ihm zur Pein. Seiner Frau vor den Augen der Nachbarn den Kranz aufs Haupt zu setzen, hatte er sich gescheut: aber seinen Jähzorn auszulassen, und die schöne Stunde wie das Geschenk zu zerschmettern, dazu hatte er kein Bedenken getragen. Aber so ist die Leidenschaft! Sie reißt mit fort und überspringt alle Rücksicht.

Die Scherben ließen sich nicht mehr zusammenkitten, aber obgleich Huber in sich überzeugt war, daß er Recht gehabt, und nur in seinem Zornesausbruch zu weit gegangen sei, bemühte er sich doch, das glückliche eheliche Einverständniß wieder herzustellen, und es gelang ihm. –

Wieder ist ein Jahr vorüber, und wir sehen das Ehepaar vor demselben blanken Zinngeschirr und unter demselben Birnenbaum sitzen, zur fröhlichen Geburtstagsfeier; aber heute liegt kein Kranz von Rosen auf dem Tische, ein schöneres lebendigeres Kennzeichen hält die beiden Eheleute verbunden. Die Frau hat ein rothwangiges Kind auf dem Arm. Der rahmbedeckte Kaffee und der Butterzopf mundete wiederum vortrefflich, und bei den ersten Zügen aus der Pfeife sagte der Mann:

»Denkst du noch, Mutterle, was wir vor'm Jahr für Narren gewesen sind? Haben uns den schönen Tag verdorben wegen des Vogels.«

»Ja,« sagte die Frau, »und du hast mich immer zwingen wollen, ich soll sagen, es sei ein Fink, und es ist doch eine Grasmücke gewesen.«

»Mutterle, was machst du für Sachen? Wie kannst du das noch sagen?« rief Meister Huber, und die Zornesader schwoll ihm auf der Stirn.

»Ja, ja, ich will ja sagen, es ist ein Fink gewesen, ja, ja, ein Fink.«

»Du sollst's nicht blos sagen, du sollst's auch glauben.«

»Glauben? Ja, ja, wie du's willst, ja.«

»Nein, nicht blos weil ich's will, du mußt's einsehen, daß du dich geirrt hast; oder willst du noch einmal –?«

»Nein, ich sag: willst du noch einmal? Hast du vergessen, wie du das Damalige bereut hast? Zu so etwas kann man einen Andern nicht zwingen, ja, man kann sich selber nicht zwingen, etwas zu glauben, was man nicht glaubt.«

Die Faust Meister Hubers entballte sich, und er reichte seiner Frau die Friedenshand über den Tisch und sagte: »Aber ich kann mich zwingen, und von heute an will ich dir zu lieb annehmen, es ist eine Grasmücke gewesen.«

»Das will ich wieder nicht,« sagte die Frau. »Das wäre eben so wenig Recht von mir, als es von dir gewesen ist. Du müßtest doch im Innern denken, es ist ein Fink gewesen.«

»Ich sage aber meiner Frau zu lieb anders.«

»Das könnt' ich ja ebenso gut wie du auch so machen, aber das darf nicht sein. Es schadet nichts, wenn Zwei über eine Sache verschieden denken; wenn Eines nur dem Andern glaubt, daß es bei ihm wahr ist, dann wird man auch nicht verlangen, daß es anders glauben soll als es kann. Es darf Keines vom Andern verlangen, daß es ihm zu lieb heucheln soll. Das wäre die ärgste Sünde. Wo's darauf ankommt, etwas zu thun, da kann man sich zwingen; aber zu Gefallen glauben kann man nicht, und Gottlob, es sind ja nur Kleinigkeiten, über die wir nicht einerlei Meinung sind. Es ist nichts als ein Streit um einen Pfiff. Und es muß dir noch eine besondere Freude sein, daß ich dir in derlei Sachen um des Friedens willen nicht nachgebe und nicht heuchle. Das wäre ja viel leichter. Du kannst daraus abnehmen, daß wenn ich sage: ich bin mit dir einerlei Meinung – ich es auch gewiß und wahrhaftig bin. Dafür kannst du schon den Streit um einen Pfiff dreingeben.«

»Du bist ein ehrliches Herz,« sagte Meister Huber, und er hatte Gelegenheit, das sein ganzes Leben lang als Wahrheit zu erkennen, und der Streit um einen Pfiff war in den Wind geblasen.


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