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Zwölftes Kapitel

Unvorsichtigkeit. Der Schreckensruf. Das Scalpiren. Flucht. Die List. Die Rückkehr. Die Todesnachricht. Die Theilnahme. Der Trauerzug. Schwerer Gang. Die Mittheilung. Böse Ahnung. Der Leichenwagen. Fassung.

 

Nichts störte den wonnigen Schlaf der Reisenden, und erfrischt und neu belebt erwachten sie beim ersten Grauen des Morgens.

Das Frühstück war bald bereitet und verzehrt, und als es in der Stadt sich zu regen begann, saßen die vier Reiter schon zu Roß, und trabten munter durch das Thal den Bergen zu.

Während des ganzen Morgens hielten sie ihre Pferde zur Eile an, rasteten in der Hitze des Mittags im Schatten hoher Bäume an einem klaren Wasser, und setzten dann eilig ihre Reise fort, um zeitig ihr Nachtquartier zu erreichen.

Die Sonne stand noch über den Gebirgen, als sie in das Thal hinab nach dem Wäldchen ritten, wo Burg und Kracke beim ersten Anlegen der Straße die beiden Büffel geschossen hatten, und wo der Obrist von Wildhorst damals so sehr zu übernachten wünschte.

Spaßes halber wollen wir diesmal nun doch hier unten bleiben, und unter diesen prächtigen Eichen lagern, sagte der Obrist, als sie das kleine Gehölz erreichten, der Director meinte damals, es könnten einige hundert Indianer in diesem Busche liegen und uns überfallen.

Ja, Herr Obrist, unmöglich wäre es doch nicht, und die Eichen stehen kaum sechzig Schritt davon entfernt, fiel Kracke ihm warnend in die Rede.

Sie, junger Mann, sehen Sie auch schon Gespenster? Auf meine Verantwortung, lassen Sie uns hier bleiben, meine Herren, unsre Pferde haben hier viel besseres Gras, als dort oben auf dem Berge, sagte der Obrist, indem er voran unter die Eichen ritt, dort sein Roß anhielt und mit den Worten abstieg: Einen schönern Lagerplatz habe ich nie gesehen.

Seine Gefährten folgten, wenn auch etwas zögernd, seinem Beispiel, und nur Kracke blieb im Sattel sitzen, indem er sagte:

So geben Sie mir die Zügel Ihrer Pferde, ich will sie nach dem Wasser führen und sie tränken, dort Unten einige Schritt vom Wäldchen ist ein guter Platz dafür.

So wollen wir während der Zeit das Feuer anzünden, sagte der Obrist zu Calden und Krebs, indem sie alle Dreie die Zügel ihrer Pferde an Kracke gaben, der dann mit den müden Thieren davonritt.

Die drei zurückbleibenden Männer hatten ihre Satteltaschen, Mantel und Waffen unter eine der Eichen niedergelegt, als der Obrist einiges trockenes Reisholz zusammenraffte, dann ein Feuerzeug aus der Tasche zog, und mit den Worten: Holen Sie etwas Holz herbei, meine Herren, das Reisig anzündete.

Er hatte sich dabei niedergekniet, und Calden und Krebs hoben trockene Aeste von dem Boden auf, als plötzlich das furchtbare Kriegsgeschrei von Indianern ihnen durch Mark und Bein drang, und sie, zum Tode entsetzt, eine Schaar von Wilden aus dem nahen Gehölz hervorbrechen sahen.

Sie stürzten zu ihren Waffen, der Obrist richtete einen Revolver auf den heranstürmenden Feind, doch noch ehe er Feuer geben konnte, kam ein Schauer von Pfeilen ihm entgegengesaust, und drei der tödtlichen Geschosse vergruben sich in seine Brust.

In demselben Augenblick blitzte es aus Caldens Büchse den Wilden entgegen, doch auch er brach schwer getroffen zusammen, und Krebs, der die Flucht ergriff, wurde gleichfalls von den Pfeilen erreicht, und stürzte unter den Eichen zu Boden.

Kaum drang das Geheul der Indianer zu dem Ohr des langsam dahinziehenden Krackes, als derselbe sich erschrocken umwandte und sah, wie der Obrist seiner- Revolver zum Schießen erhob, im nächsten Augenblick aber zurücksank, und fast zugleich mit Calden niederfiel. Auch Krebs sah er stürzen, und erkannte nun Kateumsi, der an der Spitze der wilden Schaar, wie der Tiger nach seiner Beute, zu den Gefallenen hinsprang.

Nur einen Augenblick hielt Kracke entsetzt sein Pferd an, seine unglücklichen Gefährten waren in dem Haufen der Wilden vor seinem Auge verschwunden, er ließ die Zügel der drei Leitpferde fallen, stach seinem Roß die Sporn in die Flanken, und sprengte nun in fliegender Carriere nach der Straße und auf derselben zurück.

Fort flog er aus dem flüchtigen Thier durch das Thal und den Berg hinaus, daß Kies und Funken von dessen Hufen stoben, und ohne zu rasten, trieb er es bergab, bergan dahin mit dem ersten Gedanken, sich durch dessen Schnelligkeit zu retten; denn daß die Wilden ihm bald folgen würden, davon war er überzeugt.

Die Kraft des Thieres aber nahm ab, sein Athem ließ es nicht mehr zu, die nächste Höhe im Galopp zu erreichen, und Kracke kam zu der Ueberzeugung, daß die Indianer auf ihren frischen Rossen ihn sehr bald einholen würden. Er mußte sein Pferd verlassen, sonst war er verloren.

Zugleich aber mußte er die Falkenblicke der Wilden von seiner eignen Spur ablenken, und sinnend, in welcher Weise dies mit Sicherheit geschehen könne, langte er auf der Höhe des Berges an.

Schnell sprang er ab, nahm die über seinem Sattel liegende Satteltasche herunter, schlang einen Strick um die Mitte derselben und befestigte an dessen eines kurzen Ende die zwei Blechtöpfe, und die kleine Bratpfanne, welche er zum Trinken, Kochen und Braten mit sich führte.

Darauf band er das andere Ende des Stricks fest an den Schwanz seines Pferdes, so daß die lederne Tasche und die Metallgefäße hinter ihm auf den Boden hingen, nahm ihm Zaum und Sattel ab, und hieb es nun mit aller Gewalt mit seiner Peitsche über die Gruppe, daß es entsetzt davon sprang.

Kaum aber hörte das edle Thier das Klappern der Gefäße und sah die Satteltasche hinter sich fliegen, so schoß es, wie vom Winde getragen, auf der Straße dahin den Berg hinab und an der nächsten Höhe wieder hinauf, bis es über dieselbe hinaus vor seines zurückbleibenden Reiters Blicken verschwand.

Kracke rannte nun mit Sattel und Zeug seitwärts einem nicht weit gelegenen dichten Dornengestrüpp zu, und verbarg sich zwischen dort wild übereinander liegendem Gestein.

Er hatte kaum sein Versteck erreicht und sein Ohr nach der Gegend gewandt, von woher er seine Verfolger zu erwarten hatte, als der Hufschlag flüchtiger Rosse zu ihm drang, und bald darauf Kateumsi auf dem Fuchs mit weißer Mähne und weißem Schweif, den ihm Director Schubbert von den Delawaren wiederverschafft hatte, von seiner fürchterlichen Schaar gefolgt, auf der Spur des reiterlosen Pferdes in rasender Carriere auf der Höhe erschien, und bei Kracke vorüberbrauste.

Wie ein Orkan zogen die finstern Gestalten der Wilden mit fliegenden Haaren über Berg und Thal dahin, und Kracke, der das höchste Felsstück in seiner Nähe erklommen hatte, schaute ihnen, freier ausathmend, so lange nach, als sein Blick sie noch erreichen konnte.

Dann aber ergriff er seine Waffen, und eilte dem nächsten Thale zu, um dem dort fließenden Wasser zu folgen, bis wo dasselbe sich in die Pierdenales ergießen würde.

Die Sonne war versunken, und das Licht des Mondes nahm Besitz von der Herrschaft über die Erde. Kracke wanderte rastlosen Schrittes durch die unwegsamen Einöden, über loses Gestein, durch sumpfige Wiesen, durch Dornengestrüpp und Waldstriche, bald schreckte ihn, plötzlich vor ihm fliehendes Wild, bald der höhnisch lachende Ruf eines Uhus und bald das Geheul, an ihm vorüberjagender Wölfe, doch mit der zum Schuß bereiten Büchse eilte er vorwärts, und erreichte bei dem letzten Scheine des sinkenden Mondes gegen Morgen das felsige Ufer der Pierdenales. Erschöpft von der Anstrengung, mehr aber noch von dem Entsetzen über das gräßliche Schicksal seiner Gefährten, sank er in einem Dickicht unter einem Baume nieder, und fiel in tiefen Schlaf.

Der Ruf wilder Truthühner, die über ihm in den Bäumen ihr Nachtlager hatten, weckte ihn auf, er fuhr empor und griff nach seiner Büchse, doch Nichts, als das wilde Brausen des tobend vorüber eilenden Wassers unterbrach die Stille der Nacht.

Der Morgen graute und sein Licht zitterte über die Erde, als Kracke seine Wanderung wieder antrat und stromauf dem Ufer des Flusses folgte. Im Gehen verzehrte er die Lebensmittel, die er noch in der Jagdtasche mit sich führte, und rastete während des ganzen Tages nicht, bis die Sonne versank und er wieder ein Dickicht am Flusse wählte, um dort die Nacht zu verbringen. Nahe bei erlegte er einen Hirsch, bereitete aus dessen Fleisch sein Abendbrod, und ruhte dann bis der Morgen ihn wieder zum Aufbruch ermahnte.

Ohne zu wissen, wann er wieder in bekannte Gegenden kommen werde, wanderte er während des ganzen Tages, und als derselbe sich neigte, schaute er sich abermals nach einem sichern Nachtlager um, da plötzlich öffnete sich die Bergschlucht und die Stadt der Mormonen lag vor ihm.

Neu belebt, verdoppelte er jetzt seine Schritte, und erreichte mit einbrechender Dämmerung die Wohnung des Herrn Grays. Mit aufrichtiger Theilnahme vernahm dieser nun die gräßliche Begebenheit, und war auf die Bitte Krackes, ihn mit einem Reitthier zu versehen, welches ihn nach Friedrichsburg zurückbringen solle, gern dazu bereit. Es wurde schnell ein Pferd gesattelt, und nachdem Kracke sich durch Speise und Trank erfrischt hatte, bestieg er dasselbe, und eilte nun bei dem Licht des Mondes nach Friedrichsburg zurück.

Es war gegen neun Uhr, als er in der Stadt anlangte und sein Pferd durch das Thor des Vereinsgebäudes in den Hof lenkte. Die Schützen, welche dort bei ihrem Feuer lagen, hörten das Nahen eines Reiters, sahen sich nach ihm um, und sprangen Kracke erblickend überrascht und erschrocken auf.

Mein Gott, Kracke, sind Sie es? rief Burg ihm, Böses ahnend, entgegen, Teufel, was ist das für ein Gaul – beim Himmel, wie sehen Sie aus – was ist geschehen?

Wo ist der Director? fragte der Angeredete, ohne Auskunft auf die Fragen zu geben, und stieg vom Pferde.

Bei Herrn Bickel im Geschäftszimmer, antwortete Burg, faßte Kracke aber zugleich beim Arm und sagte:

So reden Sie doch, Kracke, Sie sind ja wie verdonnert!

Dieser aber wandte sich rasch von ihm und den übrigen Kameraden ab, und eilte in das Haus. Als er die Thür des Zimmers öffnete, wo der Director und der Proviantmeister an einem Schreibtische saßen, stierten Beide ihn erschrocken an, und riefen einstimmig aus:

Mein Gott Kracke?

Zugleich sprangen sie ihm entgegen, und der Director fragte bestürzt:

Doch kein Unglück geschehen, Kracke?

Großes Unglück, Herr Director, antwortete der Schütz mit bebender Stimme.

Sagen Sie, um Gottes Willen, was ists – wo sind die Andern?

Todt – versetzte Kracke.

Todt? wiederholten Schubbert und Bickel mit Entsetzen, und starrten dann den Ueberbringer der Schreckenskunde wortlos einige Augenblicke an, als könnten sie das Ungeheure der Nachricht noch nicht mit ihren Gedanken fassen.

Todt – sagen Sie, Kracke rief endlich der Director aus, das ist ja gräßlich, um des Himmels Willen, wie ist denn das geschehen.

Kracke berichtete nun den ganzen Hergang ausführlich, wobei der Director wiederholt ausrief: Entsetzlich – furchtbar – als dieser aber den Bericht zu Ende gehört hatte, stand er eine Zeit lang schweigend und unbeweglich vor sich hinschauend da, als suche er nach Mitteln, um den Folgen des Unglücks zu begegnen.

Dann fuhr er sich mit der Hand über die Stirn, wandte sich zu dem Schützen, und sagte:

Haben Sie schon Jemandem Etwas darüber mitgetheilt?

Nicht ein Wort, Herr Direktor, antwortete Kracke.

Gut, so schweigen Sie auch noch darüber, damit die Schreckensbotschaft durch Niemanden, als durch mich zu Nimanskis Ohren komme. Ich mag denselben die Nachtruhe nicht rauben, und will erst Morgen früh zu ihnen gehen.

Der arme Rudolph! fuhr er dann zu Bickel gewandt fort, der Schlag ist zu furchtbar für ihn, als daß er ihn mit Fassung tragen könnte. Was soll ich thun, um ihn möglichst vorsichtig auf das Unglück vorzubereiten?

Wenn Sie ihm einen Boten entgegensenden wollen, Herr Director, bemerkte der tief ergriffene, gutherzige Proviantmeister; Sie könnten ihm ja schreiben, daß sein Vater schwer erkrankt sei.

Dann jagt er sein Pferd und sich selbst todt. Nein, das darf ich nicht thun. Er würde allein mit der fürchterlichen Ungewißheit, allein mit seinem Schmerze so lange Zeit in Verzweiflung verbringen – nein, er soll es hier erfahren, hier, wo ein liebendes Herz ihm mit seinem Troste nahe ist. Wenn ich es nur verhindern kann, daß die Nachricht von hier nach Braunfels hinunter gebracht wird.

Dafür lassen Sie mich sorgen, fiel Bickel ein, es soll Niemand von hier reisen, ohne daß ich ihm das strengste Schweigen auflege.

Er muß ja auch in wenigen Tagen zurückkehren; Sorgen Sie dafür, daß man ihn nicht hier am Hause vorüberreiten läßt, ohne ihn zu mir zu weisen.

Nach diesen Worten ging der Director einigemale sinnend im Zimmer auf und nieder, und sagte dann zu Bickel:

Lassen Sie sofort den kleinen Korbwagen zurecht machen, in einer Stunde muß er abfahren, um die Leichen hierherzuholen; Burg mit sämmtlichen Schützen soll ihn begleiten.

Dann wandte er sich zu Kracke: Sie allein bleiben hier, Kracke, Sie sind zu sehr erschöpft.

Nein, Herr Director, erlauben Sie, daß ich mitreite, ich fühle mich noch stark genug dazu, entgegnete der Schütz bittend.

Nun wohl, wenn Sie wollen, so reiten Sie mit, rufen Sie mir aber Burg jetzt herein, ihm muß ich es sagen, ehe er aufbricht; die Andern mögen es unterwegs erfahren.

Kracke ging, und Burg trat in das Zimmer. Mit zunehmendem Entsetzen hörte derselbe die Mittheilung des Directors an, und sagte dann ganz außer sich: Sehen Sie Herr Bickel, hätten Sie mich den Kerl damals vom Pferde schießen lassen, dann wäre auch dies Unglück nicht geschehen. Der Himmel mag ihn mir aber wieder vor die Augen bringen!

Nun schnell, machen Sie sich fertig, damit Sie sobald als möglich aufbrechen, fiel ihm der Director in das Wort, und Alle verließen das Zimmer, um die nöthigen Vorkehrungen dazu zu treffen.

Der Mond stand hoch am Himmel, als der leichte Korbwagen, von zwei mächtigen Braunen gezogen, aus dem Thor des Vereinsgebäudes fuhr und das ganze Corps der Schützen, von Burg geführt, ihm zu Pferde folgte. Vor des Directors Wohnung hielten sie einige Augenblicke an, derselbe gab Burg noch wenige Weisungen, und dann eilte der Trauerzug durch die helle Nacht davon.

Am folgenden Morgen begab sich der Director mit schwerem Herzen auf den Weg nach Nimanski's Wohnung- Es war eine sehr harte Aufgabe für ihn, dem alten Freunde des Obristen, der Braut von dessen Sohn die Schreckensbotschaft zu überbringen, und doch mußte er es thun, sollte sie nicht noch schmerzlicher, durch einen Andern mitgetheilt, auf die Beiden einwirken.

Je näher er dem Hause kam, um so zögernder wurden seine Schritte, um so banger ward ihm vor den Folgen seiner Ausgabe.

Ludwina hatte ihn kommen sehen, und trat mit ihrem Vater aus dem Hause, als der Director die Thür in der Einzäunung erreichte.

Schon so früh in diesem Theile der Stadt, Herr Director? sagte Nimanski denselben begrüßend, und schritt zu ihm hin.

Sie bringen mir gewiß frohe Nachricht von Rudolph? versetzte Ludwina, ihrem Vater folgend, und grüßte den Director mit freudigem Lächeln.

Nein, Fräulein Ludwina, von ihrem Bräutigam habe ich nicht gehört, hoffentlich kehrt er in wenigen Tagen zu Ihnen zurück, antwortete Schubbert mit einem Ton, in welchem seine trübe Stimmung nicht zu verkennen war.

Ludwina blickte ihn überrascht und fragend an, er aber wich ihrem Blick aus, und sagte zu dem Major:

Ich wollte Sie bitten, mit mir dort unten am Bache eine Baustelle in Augenschein zu nehmen, es liegt mir daran, ihr Urtheil darüber zu hören.

Sehr gern stehe ich zu Diensten, antwortete Nimanski, und trat zu dem Director hinaus, der sich mit einer höflichen Verneigung Ludwina empfehlen wollte, als diese ihm ernst in die Augen sah, und sagte:

Sie haben also wirklich durchaus keine Nachricht von Rudolph erhalten, Herr Director?

Auf mein Wort, Fräulein, durchaus keine Nachricht, erwiederte Schubbert, grüßte das augenscheinlich besorgte Mädchen, und schritt nun mit dem Major Arm in Arm davon.

Wohl hundert Schritt war er schweigend mit ihm über das Gras gewandert, als Nimanski das Wort nahm, und sagte:

Sie haben mir doch nichts Unangenehmes mitzutheilen, Herr Director? Sie sind so ernst und so still!

Etwas sehr Trauriges, lieber Herr Major, etwas so Trauriges, daß Sie sich mit aller Kraft waffnen müssen, um es zu vernehmen.

Mein Gott, Sie erschrecken mich, versetzte Nimanski, trat einen Schritt zur Seite, und sah Schubbert bestürzt an, indem er fortfuhr: Da sie von Rudolph nichts gehört haben, so muß es dessen Vater betreffen.

So ists, verehrter Freund, versetzte der Director, und schwieg abermals.

Um Gottes Willen, ist Wildhorst todt? rief der Major entsetzt aus.

Ja, er ist todt, Herr Major, und Sie sind der Mann, der das Unglück mit Stärke tragen muß, um Rudolph und Ludwina in ihrem Schmerze aufrecht zu erhalten, antwortete der Director, und berichtete nun den ganzen Hergang der schrecklichen Begebenheit.

Nimanski war außer sich und voll Verzweiflung doch Schubbert hielt ihm seine Pflicht den Kindern gegenüber vor, und sprach ihm Muth ein, bis er ruhiger und gefaßter wurde, und die Sorge um Ludwina die Oberhand über seinen Schmerz gewann.

Ich bin jetzt noch nicht im Stande, vor meinem Kinde zu erscheinen, ihr Jammer würde mir die Kraft nehmen, gefaßt zu bleiben; ich will mit Ihnen gehen, lieber Herr Director, damit ich mich erst selbst an das schreckliche Unglück gewöhnt und mich mit dem Gedanken vertraut mache, daß mein guter, braver Wildhorst nicht mehr lebt! sagte der Major, aufs Tiefste erschüttert, nahm wieder Schubberts Arm, und schritt nun langsam mit ihm durch die Stadt nach dessen Wohnung.

Ludwina's Besorgniß, daß irgend etwas Unangenehmes, etwas Böses geschehen sei, war durch die Versicherung des Directors in Bezug auf Rudolph noch keineswegs ganz beseitigt, sie hatte auf seinen Zügen zu deutlich gelesen, und mit Sehnen und Verlangen harrte sie von Minute zu Minute der Rückkehr ihres Vaters. Ihre Unruhe aber steigerte sich zu wirklicher Angst, als die Zeit zum Mittagsessen nahete und derselbe immer noch nicht erschien, was konnte es so Ernstes sein, das der Director ihm rnitzutheilen hatte.

Wieder und wieder lief sie an das Fenster, auch in die Thür, und blickte sich um – da endlich sah sie den Ersehnten von der San Sabastraße langsam heranschreiten.

Ja – es war etwas Schreckliches geschehen – Ludwina sah es ihrem Vater an, er ging gebeugt – er brachte eine Trauerbotschaft!

Ludwina eilte hinaus und ihm entgegen, und als sie zu ihm trat, schlang sie ihren Arm um ihn, und sagte mit zitternder Stimme:

Was ist geschehen, Vater? Sag es mir gleich, diese Ungewißheit ist schlimmer, als die volle Wahrheit.

Der Alte aber legte seinen Arm fester um sein Kind, und schritt schweigend mit ihm durch die Einzäunung nach dem Hause.

Um Gottes Willen, Vater, die Angst tödtet mich – sag, was ist geschehen? rief Ludwina, jetzt ihn mit beiden Händen erfassend, und schaute ihm flehend in die thränenschweren Augen.

Rudolph ist Nichts geschehen, antwortete der Major sich ermannend, und sah, wie ein Gottlob auf Ludwina's Lippen trat.

Gott sei gedankt! sagte sie, ihre Brust durch einen tiefen Athemzug erleichternd, aber wem ist denn Etwas geschehen, Vater? fuhr sie gleich darauf fort, ich bitte Dich, so sage es mir doch!

Wer steht denn unsern Herzen wohl nach Rudolph am Nächsten, mein Kind? hub der Major nun mit bebender weicher Stimme an.

Ach – guter Gott – Rudolph's Vater! stammelte Ludwina hervor, und ein Thränenstrom entquoll ihren Augen. Sie warf ihren Arm um ihres Vaters Nacken, und barg schluchzend ihr Antlitz an seiner Brust. Nimanski aber stand unbeweglich und sprachlos da, hielt seine Tochter in seinen Armen, und dankte dem Himmel im Stillen für die Thränen, die er seinem Kinde gegeben hatte.

Nach einer langen Pause entwand sich Ludwina langsam den Armen ihres Vaters, ließ ihre gefalteten Hände vor sich niederhängen, und wandte sich gesenkten Hauptes nach ihrem Zimmer, doch der Alte ergriff ihre Hand, und hielt sie mit den Worten zurück:

Nein, Ludwina, Du darfst jetzt nicht allein sein, ich muß zu Dir reden, ich muß Dir Muth einsprechen, denn Du allein bist im Stande, Rudolph aufrecht zu halten; in Dir allein kann er Trost und Stärke finden, um seinen Schmerz zu ertragen, sonst wird er von ihm erdrückt werden. Du kennst sein Gemüth, es lebt nur in Gegensätzen, in höchster sorglosester Freude und Glück, oder in wild aufflammendem Zorn, in tiefstem Unglück, in Verzweiflung. Du, Ludwina, Du mußt stark, Du mußt die Stütze sein, an der er sich aufrichtet, Du mußt ihn vor Verzweiflung bewahren. Komm her, mein Kind, setze Dich zu mir, und laß mich Dir die unselige Begebenheit genau mittheilen, laß uns das Unglück bereden, besprechen, dann wirst Du es leichter tragen.

Bei diesen Worten führte der Major seine Tochter nach der Bank unter der Verandah, ließ sich mit ihr darauf nieder, und theilte ihr nun in der schonendsten Weise das Schicksal des Obristen mit, wie er es von dem Director erfahren hatte.

Ein geheimnißvolles Schweigen lag auf der Bevölkerung von Friedrichsburg, denn ein spät heimkehrender Jäger hatte in der vergangenen Nacht den Wagen mit sämmtlichen Schützen an sich vorüberziehen sehen, und früh Morgens war die Kunde davon durch die ganze Stadt gegangen. Man wünschte Auskunft über das nächtliche Unternehmen zu erhalten, und fand sich zu diesem Zweck unter allerlei Vorwänden in dem Vereinsgebäude ein, doch dort herrschte das tiefste Schweigen darüber und tausend Vermuthungen, unzählige Gerüchte gingen nun von Mund zu Mund.

Der Tag aber verstrich, ohne daß man die leiseste Aufklärung über das Geheimniß erhalten hatte, und auch der folgende Tag neigte sich schon seinem Ende zu, und noch waren weder Schützen noch Wagen zurückgekehrt.

Die Sonne war versunken, und der Himmel glühte über der Westseite der Stadt, als der Director unter die Verandah vor seinem Hause trat und ungeduldig nach Osten auf der Straße hinblickte, da erschien in der Ferne auf derselben ein einzelner Reiter, und Schubbert spähete erschrocken nach ihm hin, denn sein erster Gedanke war, daß es Rudolph sein möchte. Gleich darauf aber brach der ausgesandte Wagen aus dem Walde hervor, und nun folgte ihm der lange Zug der Schützen.

Burg ritt voran, und kam, als er den Director erblickte, im Galopp zu ihm herangesprengt.

Wir bringen die drei Leichen, Herr Director, sagte Burg, von seinem Pferde springend, von Indianern haben wir Nichts gesehen.

Wie fanden Sie die Todten? fragte Schubbert tief ergriffen.

All ihrer Kleider beraubt und entsetzlich verstümmelt: Alle sind scalpirt, antwortete Burg.

Sagen Sie dem Fuhrmann, er soll, ohne sich aufzuhalten, nach Wildhorsts Wohnung fahren und dort halten, Herr Bickel wird sogleich mit einigen Leuten dorthin kommen, und den Obristen in sein Zimmer bringen lassen. Auch ich werde mich sofort dorthin begeben. Sie bleiben mit den Schützen hier und stellen einen derselben auf die Straße als Posten aus, der den jungen Herrn v. Wildhorst, wenn er von Braunfels ankommen sollte, den Bescheid von mir giebt, mich in meinem Hauses zu erwarten, und dasselbe nicht eher zu verlassen, bis ich ihn gesprochen hätte.

Burg ritt nun schnell zurück dem nahenden Zug entgegen, und führte die Befehle des Directors aus, der selbst in das Vereinsgebäude geeilt war, und mit dem Proviantmeister und mehreren Arbeitern wieder heraustrat, als eben der Wagen mit den Leichen vorüberfuhr.

Sie langten zusammen vor der Wohnung des Obristen an, aus welcher dessen altes Dienerpaar überrascht und neugierig hervorkam. Der Director theilte ihnen nun die Unglückskunde schonend mit, und unter ihrem Jammer und lauten Wehklagen wurde ihr alter entseelter Herr in sein Zimmer getragen und auf dem Bette niedergelegt.

Er bot ein entsetzliches Bild dar, denn er war seiner Kopfhaut beraubt, der Schädel war ihm eingeschlagen, und sein Körper zeigte unzählige Wunden von Pfeilen und Axthieben.

Der Director ließ die Leiche mit einem Leinentuch verhüllen, ließ die Thür durch den alten Diener verschließen, und trug demselben auf, Niemandem, wer es auch sei, den Eintritt zu gestatten.

Der Wagen war bereits fortgefahren, um die beiden andern Todten nach ihren Wohnungen zu führen, als der Director das Haus verließ und zu Nimanski eilte, um diesem die Ankunft der Leiche anzuzeigen.

Er fand den Mayor gefaßt, Ludwina aber sehr niedergebeugt und in Thränen. Sie saßen in dem schon dunkelnden Zimmer, und der Major kam dem Director entgegen und drückte ihm schweigend die Hand; nachdem dieser ihm aber die Mittheilung gemacht hatte, sagte er:

Gott hat es so gewollt und wir dürfen nicht murren. Ich danke Ihnen, Herr Director, für die Sorge, die Sie dem Todten noch angedeihen ließen.

Dann wandte sich Schubbert zu Ludwina, nahm ihre Hand in die seinige, und sagte tief ergriffen mit theilnehmender Stimme:

Sie müssen stark sein, Fräulein, öffnen Sie Ihr Herz für den Schmerz des armen Rudolph's, damit er ihm nicht unterliege. Er kann jede Stunde zurückkehren, und er muß von Ihren Lippen sein herbes Geschick erfahren, damit das hohe Glück Ihrer Liebe die Verzweiflung fern von ihm halte. Sein Sie stark, Fräulein Ludwina, und kommen Sie Ihrem Rudolph zu Hülfe.

Da erhob sich das Mädchen, trocknete die Thränen, drückte dem Director die Hand, und sagte nach einer kurzen Pause:

Ja, ich will stark sein, will den eigenen Schmerz über den meines Rudolph's vergessen, und ihm mit meiner Liebe zu ersetzen suchen, was ein gräßliches Schicksal ihm geraubt hat.

Dabei preßte sie mit einem schweren Athemzuge beide Hände auf ihr Herz, und hob ihren Blick wie zum Gelöbniß nach Oben. Dann aber fuhr sie mit gefaßtem Tone fort:

Wenn Rudolph es nur von Niemand Anderem hört – wenn er nur nicht zuerst nach seiner Wohnung reitet!

Das werde ich verhindern, Fräulein, fiel der Director rasch ein, sorgen Sie nicht, er soll geraden Wegs zu Ihnen kommen, denn das Leid, wenn Sie es ihm reichen, ist nur halbes Leid.

Dann verließ er die Trauernden, und eilte der San Sabastraße zu, als er sich von dort aber nochmals nach Nimanskis Wohnung umschaute, waren deren Fenster schon erleuchtet.


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