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Viertes Kapitel

Die Sonne, schlechte Lebensmittel, Krankheit, Flucht von Indian Point, Albert Werner's Abreise nach Neu-Braunfels, Todesfall in Werners Familie, die Farm der Gebrüder Johnson. Ben Johnson, Bob Johnson, die Hauskatze, der Fuhrmann, hoher Fuhrlohn, Werner's Abreise von Indian Point, beschwerliche Reise, das Nachtlager.

 

So verstrichen mehrere Wochen, ohne daß eine Aenderung in dem alltäglichen Leben Werner's eingetreten wäre; es wurde gehofft, immer gehofft, und diese Hoffnung wurde namentlich durch des Agenten Mittheilung belebt, daß es dem Verein wahrscheinlich bald gelingen werde, Fuhrwerke für den Transport der Emigranten zu verschaffen.

So sehr Werner's aber auch durch ihr Vertrauen auf eine glückliche Zukunft das Mißliche ihrer Lage zu bekämpfen suchten, so gab es doch eine Unannehmlichkeit, einen Feind, der ihnen von Tag zu Tag ernster und drohender entgegentrat, und den weder ihre Einbildungskraft, noch ihr Entschluß, mit einem bescheidenen Loos zufrieden zu sein, von ihnen abwehren konnte.

Dieser Feind war die Sonne, die von Tag zu Tag ihre Strahlen senkrechter auf sie herabwarf, so daß sie in der Mittagsstunde kaum noch ihren eigenen Schatten unter ihren Füßen sehen konnten, und ihnen der Aufenthalt in ihrem Zelte während des Tages beinahe unerträglich wurde. Das Gewebe der starken Leinwand war nicht dicht genug, die Sonnenblitze von Werner's abzuhalten; es wurden noch Tücher, ja wollene Decken darüber ausgebreitet und das Zelt hinten und vorn weit geöffnet, doch die Gluth, die über dem dürren, durchhitzten Sand zitterte, und vor der das Auge geblendet zurückschreckte, konnte nicht aus dem Zelt fern gehalten werden, und nur wenig Erquickung gewährten die Fächer, die während des ganzen Tages geschwungen wurden.

Auch das mit Salz geschwängerte Wasser wurde mit jedem Tag wärmer, es fachte mehr den Durst an, als es ihn löschte, während derselbe durch den täglichen Genuß von Salzfleisch sich ungewöhnlich heftig einstellte.

Zugleich fühlten Werner's mit großer Entbehrung die Verschiedenheit zwischen den Nahrungsmitteln, an welche sie in ihrer alten Heimath gewohnt gewesen waren, und denen, die ihnen hier zu Gebote standen. Wenn dieselben früher auch keineswegs aus ungewöhnlichen Leckerbissen, sondern mehr aus einer einfachen deutschen Hausmannskost bestanden hatten, so war ihr Tisch doch täglich mit einer guten Suppe, Gemüse, Kartoffeln und Mehlspeisen, sowie auch in jeder Woche einige Male mit frischem Fleisch versorgt gewesen. Jetzt, hatte der moderige Mais und das Salzfleisch Alles dies zu ersetzen. Täglich mußte Albert mit großer Anstrengung den ersteren zu Mehl umwandeln, um daraus ein elendes, schwer verdauliches, trockenes Brod zu backen; es wurde die Grütze, aus der das Mehl ausgeschieden war, zu Brei gekocht genossen, in Fett zu Kuchen gebacken, oder auch mit Wasser zu einer Suppe bereitet. Kaffee ohne Milch spielte dreimal des Tages eine Hauptrolle bei Werner's Mahlzeiten, und nur selten wendeten sie einige Pfund des theuern frischen Fleisches an sich.

Diese Veränderung der Nahrung in Verbindung mit der des Klimas verfehlte nicht, auf den Gesundheitszustand der Familie Werner nachtheilig einzuwirken, was sich durch wenn auch nicht gefährliche, doch sehr unangenehme frieselartige Hautkrankheiten äußerte, die, sowie die Stiche der Mosquito's, sie Tag und Nacht beunruhigten. Unter den Europäern aber, die schon längere Zeit hier gelegen hatten, brachen mit der zunehmenden Hitze mehr und mehr ernstliche Krankheiten aus, kalte Fieber, Nervenfieber, Ruhren wurden immer häufiger, fast täglich gab es Sterbefälle und Begräbnisse.

Noch immer konnte der Agent Rößler keine nähere Auskunft über die Resultate der vielseitigen und eifrigen Bemühungen des Vereins, Wagen im Osten des Landes zu miethen, geben, es war die Aussicht der Emigranten, von diesem täglich mehr Gefahr drohenden Platz fortzukommen, noch um keinen Schritt vorgerückt.

Einzelne mit Ochsen bespannte Fuhrwerke erschienen zwar in Indian Point, doch sie waren von Kaufleuten im Lande mit Produkten beladen heruntergesandt und mußten von den großen, hier angesammelten Waarenvorräthen Ladungen zu denselben hinaufführen, so daß sich für die Einwanderer dadurch keine Gelegenheit bot, ihr Gepäck oder sich selbst darauf von hier wegzuschaffen. Während dessen stieg die Sonne täglich höher am Himmel auf; mit Angst und banger Besorgniß für den kommenden Morgen erfüllten sich die Herzen der Emigranten, wenn die Nacht entschwand, mit Schrecken blickten sie nach Osten über den dunkeln Saum des ruhigen Golfs, wenn die Morgenröthe sich zeigte, und schaudernd sahen sie die ersten Sonnenstrahlen zu sich herüberblitzen, während ihre Augen mit Sehnsucht an den fernen, unbeweglich den äußersten Horizont umgürtenden, duftigen kleinen Wolken hingen, von denen keine heraufsteigen und sich schützend zwischen sie und die sengende Sonne stellen wollte. Kraftlos und niedergeschlagen verkrochen sie sich während des Tages unter ihren mangelhaften Ueberdachungen, oder schlichen ermattet durch den heißen Sand nach den Wasserlöchern, dort einen lauwarmen Trunk zu holen.

Die Luft stand in der Mittagszeit unbeweglich, die Sonnengluth zitterte und glitzerte auf dem öden Gestein der Küste, und eine Stille herrschte dann in dem von so vielen tausend Menschen bewohnten Lager, die deutlich deren Angst, Sorgen und Entmuthigung bezeugte.

Schweigend und mit bekümmertem ernstem Ausdruck blickten die Familienväter auf ihre um sie im Zelte gelagerten Lieben, und mancher innere Vorwurf, manche schwer gefühlte Verantwortlichkeit war in ihren Zügen zu lesen. Wenn aber der Tag sich neigte, die glatte Fluth des Golfs sich kräuselte und ein kühlender Luftzug über ihn nach dem Strande wehte, dann lebte Alles wieder auf; die Leute kamen aus ihren Zelten und Erdhütten hervor, trugen ihre Kranken hinaus, wo sie von der Luft freier umweht wurden, legten sich in die kommende und ziehende Brandung, um deren rollende leichte Wogen über sich hinlaufen zu lassen, und streckten sich mit möglichst weniger Bekleidung auf den feuchten Sand am Ufer hin, um sich zu kühlen und von der ermattenden Gluth des Tages zu erholen.

So kam und ging ein Tag nach dem andern; das Bedürfniß, aus dieser Hölle fortzukommen, wurde immer dringender, die Klagen wurden immer lauter, immer verzweifelter, und Rößler, der thätige, menschenfreundliche Agent des Vereins, ward immer ungestümer und rücksichtsloser bedrängt, Hilfe zu verschaffen.

Einzelne wohlhabende Familien bewogen durch Zahlung großer Summen amerikanische Fuhrleute, welche Produkte aus dem Innern gebracht hatten, auf die Rückfracht zu verzichten und statt derselben ihre Effekten und Personen nach Neu-Braunfels zu fahren.

Das Gerücht dieser unerhörten Fuhrlöhne verbreitete sich bald durch das Land; jeder Farmer, der einen Wagen bespannen konnte, zog mit ihm nach Indian Point, um auch solche Preise für eine Fracht zu bekommen, und da die Krankheiten daselbst einen epidemischen Charakter angenommen hatten und die Sterblichkeit auf eine Schrecken erregende Weise zunahm, so kamen, sobald sich ein Fuhrmann sehen ließ, schnell viele Familien überein, nur das Allernothwendigste von ihrem Gepäck auf dessen Wagen zu laden, wofür häufig die letzten Thaler ihrer Baarschaft hingegeben wurden, und zu Fuß nebenher ihre Flucht von hier anzutreten.

Andere, welche alle ihre Mittel bereits in dem Lager verzehrt hatten, wollten die Gelegenheit benutzen, wenigstens ihre Personen in Sicherheit zu bringen, übergaben dem Agenten ihre sämmtlichen Effekten zum Aufbewahren und folgten dem einzelnen oder mehreren Wagen, wenn sie Indian Point verließen.

Männer und Weiber mit kleinen Kindern auf den Armen und von größern gefolgt zogen, bis an die Knöchel im glühenden Sand watend, auf der Straße dahin, mit Regenschirmen, mit Tüchern, mit Körben über den Köpfen, in aller Hast vorwärts schreitend und nicht umblickend, als fürchteten sie, daß der Tod bringende Feind sie noch zurückhalten möchte.

Trotz Sonnengluth und mit äußerster Anstrengung folgten sie den Wagen wie ein Strich Zugvögel, um am Abend entkräftet bei dem Lagerfeuer des Fuhrmanns niederzusinken; doch nur Wenige von ihnen erreichten das Ziel ihrer Wünsche. Wehklagend und jammernd sahen die Eltern ihre Kinder am Wege niederfallen und das Leben aus ihnen entfliehen; doch todt war todt, sie durften sich nicht aufhalten, die Lieblinge wurden in den Sand gescharrt, ein Kreuz, von Stöcken zusammengebunden, auf das Grab gesteckt, und vorwärts eilten die trauernden Hinterbliebenen dem Wagen nach, während ihre Thränen, sich im Sande verloren. Dann mußte in gleicher Weise der Mann von der Frau, die Frau von dem Manne scheiden, und von vielen zahlreichen Familien wurde auch nicht ein Mitglied aufgespart, um die Kunde von deren Schicksal nach Neu-Braunfels zu bringen.

Bis jetzt war die Familie Werner nur von belästigenden Frieseln befallen worden, und die tröstliche Hoffnung, daß der Verein bald Wagen zu ihrer Beförderung senden würde, hielt sie immer noch an ihr Zelt und Gepäck gebunden; doch ihre Angst, ihre Besorgniß wuchs von Tag zu Tag, denn jeder neue Morgen rief ihnen durch die herzzerreißenden Wehklagen der Begleiter von Leichenzügen, die an ihrem Zelt vorüberkamen, die Gefahr, in der sie schwebten, in das Gedächtnis; zurück. Särge für die Verstorbenen waren nicht mehr anzuschaffen, diese wurden in alte Kisten gesteckt, oder auch eine Anzahl zusammen nur auf einen Wagen gelegt und hinaus nach den Gruben gefahren, die für ihre Aufnahme in den Sand gegraben waren.

Mit Zunahme der Krankheit, des Unglücks, des Elends unter den Emigranten machte sich auch unter ihnen Egoismus, Gefühllosigkeit, Hartherzigkeit und selbst Grausamkeit täglich mehr geltend; Jeder sorgte nur für sich selbst, Niemand nahm Antheil mehr an den Leiden Anderer, Keiner wollte mehr seinen Nachbarn hilfreiche Hand leisten, während doch viele Zelte so mit Kranken gefüllt waren, das sich kaum noch Einer darin befand, der für die Uebrigen einen Trunk Wasser holen konnte.

Die Hitze steigerte sich immer mehr, der Himmel wollte keine Wolken öffnen, der laue Abendwind wehte, mit dem feinen fliegenden Staub des Sandes geschwängert, durch die Reihen der Zelte und Hütten; doch so sehr die Sehnsucht ihrer Bewohner nach Erlösung aus diesem qualvollen Aufenthalte von Minute zu Minute zunahm, so erschienen doch keine Wagen von Neu-Braunfels.

Endlich brach auch die Geduld Werner's; sie sahen ein, daß sie hier nicht lange mehr verweilen dürften, wollten sie nicht auch von der herrschenden Epidemie befallen werden; sie sannen und besprachen sich über Mittel und Wege, um ihre Abreise von hier möglich zu machen, und, da sie sich nicht entschließen konnten, solch einen ungeheuern Preis einem amerikanischen Fuhrmann für ihre Fahrt nach Neu-Braunfels zu zahlen, wie Andere gethan hatten, so beschlossen sie zuletzt, Albert sollte zu Pferd dorthin eilen, um sich persönlich an die Direktion des Vereins zu wenden und dieselbe zu bestimmen, einen Wagen für seine Familie nach Indian Point zu senden.

Am folgenden Morgen theilte Werner diese seine Absicht dem Agenten mit, welcher ihm die Erfolglosigkeit des Unternehmens vorstellte, indem der Verein wirklich nicht im Besitze von Wagen sei und auch im Augenblick solche für Geld gar nicht anschaffen könne. Er rieth ihm dagegen, den ersten besten Fuhrmann, der mit Produkten nach Indian Point käme, zu irgend einem Preis zu bestimmen, ihn und seine Familie nach Neu-Braunfels zu fahren, und nur das allernothwendigste Gepäck mitzunehmen, so daß die Seinigen sämmtlich Raum zum Sitzen darauf behielten; denn es sei wohl außer Zweifel, daß auch sie sämmtlich binnen Kurzem von der Krankheit befallen werden würden.

Werner jedoch blieb bei seinem einmal gefaßten Beschluß; Rößler war ihm behilflich, ein recht gutes Pferd für Albert zu erstehen, und noch auf denselben Abend ward dessen Abreise festgesetzt.

Es war ein schwerer Abschied zwischen ihm und den Seinigen, denn Jene sahen in dem schönen, kräftigen Jüngling ihre eigentliche und alleinige Stütze. Seine vernünftigen klaren Ansichten hatten sich bei jeder Gelegenheit als die richtigen bewährt, durch seine schaffende Thätigkeit hatte er den elenden Aufenthalt in dem Zelt für seine Familie doch erträglich gemacht, sein liebevolles Benehmen, seine immer heitere Laune hatten sie davon abgehalten, sich allzu traurigen, verzweifelten Betrachtungen über ihre Lage hinzugeben, und seine Energie, Entschlossenheit und Furchtlosigkeit hatten bei den häufigen Reibungen und Zwistigkeiten, die mit einer so sehr gemischten Bevölkerung, wie die des Lagers, unvermeidlich gewesen waren, stets dieselben zu ihrem Vortheil beseitigt.

Den alten Herrn traf der bevorstehende Verlust dieser Stütze mehr noch, als die Andern, denn er fühlte, wie nun alle Last, alle Sorge für die Familie allein auf seine Schultern fallen würde; es wurde ihm jetzt klar, daß er die Thätigkeit seines Sohnes stets sich selbst zugerechnet hatte, und mit Bangigkeit überdachte er die vielen kleinen Dienste und die Hilfe, die Albert tagtäglich zu Gunsten der Familie geleistet, und die zu übernehmen er sich, so unbedeutend sie auch sein mochten, nicht getraute.

Auch Albert wurde im Augenblick des Scheidens das Herz schwer; denn obgleich seine Eltern und Geschwister bis jetzt noch von der herrschenden Krankheit verschont geblieben waren, so standen ihm doch die Schreckensscenen und Trauerzüge, die er täglich hier mit angesehen hatte, zu gräßlich und lebendig vor der Seele, als daß er sich über die Lage seiner hier zurückbleibenden Familie hätte beruhigen können. Die Hoffnung aber, Hilfe für sie zu schaffen, gab ihm Kraft, seinen Lieben tröstlich zuzureden, während der Ritt durch ein wildes, noch so wenig angebautes Land, so wie überhaupt sein erstes selbstständiges Auftreten und Handeln für die Seinigen ihn mit Willenskraft und Entschlossenheit beseelte.

Freilich traten auch ihm Thränen in die Augen, als er sah, wie niedergeschlagen und bebend seine Lieben ihre feuchten Blicke auf ihn hefteten, wie sie ihn immer noch einmal in ihre Arme, an ihr Herz drücken wollten, und wie sein Vater sich vergebens bemühte, sich selbst durch eine aufrechte Haltung Muth einzuflößen; doch der Augenblick des Scheidens war gekommen, Albert hatte sich auf sein feuriges Roß geschwungen, und, mit der Hand Lebewohl winkend, sprengte er, von einer Wolke Staub gefolgt, auf der sandigen Straße dahin.

Die Sonne stand schon tief, als der Liebling der Werner'schen Familie aus deren Blicken verschwand Mathilde hatte das karge Abendbrod bereitet, ihre Eltern und Geschwister setzten sich schweigend und mit feuchten Augen um den Kasten, auf dem es stand, doch es wollte Keinem von ihnen munden, und bald nachher saßen sie traurig vor dem Zelt, drängten sich näher aneinander, als suchten sie gegenseitig Stärkung in ihrer Trübsal, und blickten in den goldenen Abendhimmel der ihnen fürchterlichen Sonne nach, die ihnen die Schreckensworte zuzurufen schien: »Wartet nur, ich komme bald wieder!«

In der Nacht wurden die Eltern plötzlich durch lautes Klagen ihrer zweiten Tochter geweckt; erschreckt eilten sie an das Lager, auf dem sich das Kind umherwarf und krümmte, und ihre Bestürzung war so groß, daß sie nicht wußten, was sie zuerst beginnen sollten, um dem kranken Mädchen zu helfen.

Doch Mathilde hatte sich rasch angekleidet und die Laterne angezündet und eilte fliegenden Schrittes nach der Stadt zu der Wohnung des Arztes, um ihn zur Hilfe herbeizuholen. Derselbe war aber schon zu einem andern Kranken in das Lager gerufen worden, dessen Namen man ihr nannte, und, ohne sich aufzuhalten, lief das geängstigte Mädchen zurück und in der Dunkelheit zwischen den Zelten hin, bis sie endlich außer Athem dasjenige erreichte, wo der Arzt sich befand, der willig ihrer flehentlichen Bitte, mit zu ihrer kranken Schwester zu eilen, folgte.

Martha war von der herrschenden Ruhr und dem sie gewöhnlich begleitenden nervösen Fieber befallen, kämpfte während des folgenden Tages unter den unsäglichsten Schmerzen gegen den Tod und war, als die Sonne sank, eine Leiche.

Der Jammer, die Verzweiflung, mit der die Eltern und die Geschwister die Nacht bei dem todten Kinde zubrachten, war herzzerreißend; Werner saß wie eine Bildsäule neben dem Ausgang des Zeltes, seine hageren Hände gefaltet zwischen die Kniee gedrückt und seine Blicke gegen den dunkeln Sternenhimmel gerichtet, wobei von Zeit zu Zeit eine Thräne über sein unbewegliches trockenes Gesicht herabrollte und ein tiefer Seufzer seiner Brust entstieg. Die Mutter aber lag jammernd über ihr entschlafenes Kind hingeworfen, ihre Lippen konnten sich nicht von dem kalten Mund des Lieblings trennen, ihre Thränen rollten auf dessen geschlossene Augen, als suchten sie durch diese Fenster Eingang zu seiner Seele, und die kleinen zarten Hände des Mädchens hielt sie krampfhaft gegen das Mutterherz gedrückt. Auch sie seufzte schwer, und eben so that es Mathilde, die, mit dem Gesicht in ihre Hände gesunken, an der andern Seite der todten Schwester saß. Wären diese Seufzer in Worten ausgesprochen worden, so hätte man einstimmig den Namen der »alten Heimath« gehört; doch Keines von Allen wagte es sie zu nennen, sie hing wie ein Fluch Eines gegen den Andern auf ihren Lippen, und schaudernd suchten Alle sich von der Erinnerung an sie loszumachen. Aber sie stand wie ein Gespenst vor Aller Seelen, und je mehr sie sich gegen den Gedanken an sie sträubten, desto deutlicher warf sie ihnen den Uebermuth vor, mit dem sie dieselbe verlassen hatten.

Mit unsicherem, wankendem Schritt ging Werner, als der Tag graute, zu Herrn Rößler, um ihm sein Elend zu klagen und ihn um Hilfe zur Beerdigung des Kindes anzurufen. Der Agent nahm innigen Antheil an dem schweren Schicksal Werner's und war gern bereit, ihnen hilfreiche Hand bei dem letzten Liebesdienst gegen das Kind zu leisten; demzufolge leerte er eine große Kiste, die mit Schuhen gefüllt in dem Lagerhaus stand, und ließ sie durch seine Arbeiter nach dem Zelte Werner's bringen, damit sie der Leiche als Sarg dienen möge.

Marthchen wurde nun von der Mutter und ältesten Schwester ihr bestes weißes Kleid angezogen, es wurde ihr ein Kränzchen von künstlichen Blumen, welches sie vor einem Jahr auf einem Kinderball in dem Haar getragen hatte, auf den kleinen Lockenkopf gesetzt, und dann wurde die Kiste zugenagelt.

So sehr der Agent auch dagegen eiferte, daß die Familie die Kleine hinaus nach der Grube begleitete, so konnte er sie doch trotz der erdrückenden Hitze nicht davon zurückhalten, dem Kind durch den tiefen heißen Sand zu folgen, und erschöpft und mit blutendem Herzen kehrten sie dann zu ihrem Zelt zurück, um sich dort von Neuem den Ergüssen ihres Schmerzes, ihrer Trostlosigkeit hinzugeben.

Die Straße von Indian Point nach Neu-Braunfels, eine Entfernung von nicht ganz zweihundert englischen Meilen, führte über Victoria, Gonzales und Seguin, drei hart an dem Guadelupefluß gelegene Städtchen von sehr wenig Bedeutung. Ein breiter Strich Landes, der sich längs des Golfs an der Küste hinzieht, ist öde und mit Sand bedeckt; von da hebt sich das Erdreich etwas mehr, so daß ein kümmerliches Gras aufsprießt, doch da das Land gänzlich flach und thonig ist, und der Regen nicht abfließen kann, so ist das Gras sauer und der Boden unfruchtbar.

Weiter jedoch in das Land hinein steigt die Erde wellenförmig, der Boden wird sehr weich und ergiebig, und die üppigste Vegetation schießt hervor. Die Ufer der Flüsse aber sind bis zu ihrer Mündung in den Golf mit der reichsten Pflanzenwelt geschmückt, und besonders zeichnen sich die der Guadelupe durch einen kolossalen majestätischen Baumwuchs aus. Der östliche Theil von Texas trägt mehr den Charakter eines Waldlandes, während diese westlichen Gegenden aus offenen Grasländern bestehen, die auf das Anmuthigste mit Baumgruppen und Strichen Waldes so durchzogen sind, als wären Menschenhände vor sehr vielen Jahren mit Anlagen von Parken und Ziergärten hier thätig gewesen.

Etwa zwanzig Meilen oberhalb Victoria verließ ein alter, wenig benutzter Fahrweg die Hauptstraße, wandte sich westlich über die Guadelupe und zog sich dann in mehr nordwestlicher Richtung zwischen den Gewässern des Coleto- und des Sandies-Flusses nach San Antonio. Nahe an dem üppigen Ufer des Sandies, ungefähr sechs Meilen westlich von der Guadelupe und eine Meile weit von der gedachten verlassenen Straße, befand sich eine kleine Niederlassung, die aus zwei ganz unmittelbar aneinander gelegenen Farmen bestand. Auf den beiden Ufern dieses kleinen Flusses zog sich ein schmaler Strich Waldes hin, dessen ungeheuere Bäume von dem reichen Boden zeugten, aus dem sie ihre Nahrung sogen.

Die nebeneinander stehenden Wohngebäude beider Farmen bestanden aus Blockhäusern, welche von den mächtigen Aesten der sie umstehenden alten Pekannußbäume dicht überschattet wurden, so daß kaum ein Sonnenstrahl durch das dunkle Laubdach zu ihnen dringen konnte. Dicht hinter denselben stürzte sich der Fluß schäumend und brausend über wild aus ihm hervorragendes Gestein durch den tiefen Schatten des Waldes und hielt die üppigen Wasserpflanzen mit ihren wundervollen Blüthen, die zwischen den Felsblöcken emporgeschossen waren, so wie die ungeheuern Weinranken, die aus der Höhe der Bäume herab in seine Wellen hingen, in ewiger Bewegung.

So viel Schönheit die Natur auch auf diesen Platz verwendet hatte, so wenig war von den Bewohnern desselben hier für das Auge gethan. Die vor Jahren gefällten Bäume, welche den Gebäuden hatten Platz machen müssen, lagen noch halb vermodert in den Wald hineingestürzt und hatten andere, in deren Weinranken sie gefallen waren, an denselben zu sich niedergebeugt. Baumäste, gespaltenes Scheitholz, abgesägte Stämme lagen in wilder Unordnung um die Häuser her, eine elende, von Baumstämmen auf einander gelegte Einzäunung umgab dieselben in geringer Entfernung, wodurch ein wüster Hofraum um sie gebildet wurde, auf dem einige zerbrochene Wagenräder, ein Paar alte Pflüge und verschiedenes Ackergeräth zerstreut umher lag. Nirgends war die Spur eines Gartens zu sehen; die den Verandas vor den Häusern als Säulen dienenden morschen Baumstämme waren nicht von Schlinggewächsen umrankt, und in der ganzen Umgebung der Ansiedelung zeigte sich keine Blume, die durch Menschenhand hierher gebracht oder gepflegt worden wäre. Auf der Einzäunung hingen einige zerlumpte Hemden von grobem Baumwollenzeug, ein Beinkleid von gleichem Stoffe und einige noch nicht trockene Hirschhäute.

Der Abend hatte sich über die Gegend gelegt, als ein Mann mit einem Korb voll Mais aus einem der Häuser herauskam und nach der großen Stahlmühle ging, die an einem Baumstamme zwischen denselben befestigt war. Ein Hemd, eine blaue baumwollene Hose und ein Paar schwere Schuhe machten seine ganze Bekleidung aus; sein kohlschwarzes Haar hing zurückgestrichen auf seinen durch die Sonne gebräunten Nacken herab, und ein Paar unheimlich blitzende kleine schwarze Augen sahen unstät unter seinen buschigen Brauen hervor. Er war ein Mann von einigen dreißig Jahren, von schlanker, doch vornüber gebogenen Gestalt, hielt seinen Kopf stets etwas gesenkt, so daß er, wenn er Jemanden anblickte, immer von unten heraufsah, und in seinen Bewegungen lag etwas Nachläßiges und Unbekümmertes.

Er hatte den Mais in die Mühle geschüttet, ein großes Stück Kautabak in den Mund gesteckt und setzte nun mit Anstrengung seiner beiden Arme das eiserne Rad an der Mühle in Bewegung, um den Mais in Mehl umzuwandeln.

Während er hiermit beschäftigt war und von Zeit zu Zeit inne hielt, um frische Kräfte zu sammeln, und dann mit einem halblaut ausgesprochenen Fluch die Arbeit wieder begann, kam ein Reiter in ähnlicher Tracht, nur noch mit einem alten zerrissenen Strohhut bedeckt, auf die Ansiedlung losgetrabt und trieb, indem er eine ungeheuer lange Fahrpeitsche schwang, sechs Zugochsen vor sich her, von denen die beiden Vordersten lauttönende kupferne Glocken am Halse trugen.

»Ben, da sind die vermaledeiten Bestien, nach denen wir nun schon acht Tage die ganze Gegend ausgesucht haben. Sie lagen kaum eine halbe Meile von hier im Holze und hüteten sich wohl, die Köpfe zu bewegen, damit man die Glocken nicht hören sollte. Doch den einen hat wahrscheinlich eine Stechfliege härter getroffen, als er es vertragen konnte, und da ließ er denn seine Musik erschallen, die sie mir Alle verrieth; sie sollen aber dafür büßen,« rief dieser Reiter, Bob Johnson, seinem ältern Bruder Ben, dem Manne an der Mühle zu, worauf er einen gräulichen Fluch gegen die Ochsen ausstieß und dem ihm nächsten davon mit der am Ende der Peitsche befestigten Schnappe von roher Rindshaut einen Schlag gegen den Kopf führte, daß das Thier vor Schmerz sich bäumte und dann mit blutendem Auge und gesenktem Kopf davon rannte.

»Bei Gott, das war ein guter Hieb, ich bin verdammt, wenn ich ihm nicht das Auge aus dem Kopf gehauen habe; wie er abgeht!« rief Bob mit schallendem Gelächter und trieb die Ochsen, indem er hinter ihnen her galloppirte, in eine unweit der Häuser gelegene Einzäunung. Darauf kehrte er zu den Wohngebäuden zurück, hing den Sattel und Zaum seines Pferdes auf den Zaun neben die Hirschhäute und begab sich dann unter die Veranda des einen Blockhauses, wo er sich auf einen roh aus Holz geschnitzten Stuhl niedersetzte, sich zurück gegen das Haus lehnte und sein Taschenmesser auf der Schuhsohle wetzte.

Er war ein untersetzter breitschulteriger Mann von unangenehm häßlichen Gesichtszügen, die namentlich durch die Blattern sehr gelitten hatten, mit rothem Haar, dicker Nase und aufgeworfenen Lippen.

Vor beiden Blockhäusern wurde es jetzt lebendig; eine Menge Frauenzimmer und Kinder sehr verschiedenen Alters wurden sichtbar, indem mehrere von dem Fluß herauf, andere aus dem Wald und wieder andere aus den Gebäuden kamen, die Erwachsenen, um häuslichen Verrichtungen nachzugehen, wie Kühe melken, Wasser holen, Feuerholz an die Häuser tragen, die Kinder aber, um sich unter heftigem Schwören und Fluchen auf dem Platze herumzubalgen und zu jagen.

Bob Johnson's Familie bestand aus seiner Frau und sieben Kindern, von denen das Jüngste noch nicht allein laufen konnte, während sein Bruder Ben sechs Kinder und, wie die böse Welt sagte, zwei Frauen besaß, wenigstens lebte die Schwester seiner wirklichen Frau auch bei ihm.

Das Abendbrod war von beiden Familien genossen, als deren sämmtliche Mitglieder sich unter der Veranda vor Ben's Haus versammelten und sich dort theils auf Stühlen, größtentheils aber auf dem roh gezimmerten Fußboden der Gallerte niederließen.

»Hast Du denn den Wagen zurecht gemacht?« fragte Bob seinen Bruder; »die Ochsen sind nun da, und Du kannst Morgen abfahren.«

»Es ist Alles in Ordnung; ich will mich mit Tagesanbruch auf den Weg machen. Der Tod kommt uns zu Hilfe, das verdammte deutsche Volk soll in Indian Point sterben wie die Fliegen; Alles will fort von da, doch sie sitzen wie Mäuse in der Falle, ohne Wagen müssen sie schon bleiben, wo sie sind. Ich denke, unsere sechs Ochsen sollen ihnen wohl Lust machen, sich von ihnen aus dem heißen Sandbett fortziehen zu lassen, aber beim Himmel, sie sollen dafür den letzten Cent schwitzen, den sie haben! Ich will Ihnen die Schrauben schon anziehen.«

»Du solltest versuchen, fünf oder sechs Familien zusammen zu bekommen, daran ist schon mehr zu rupfen,« sagte Bob.

»Nein, besser ich nehme mir eine, sie muß aber schwer sein, Haben wir sie erst hier in unserer Nähe, dann wollen wir sie schon leicht machen. Wenn ich nur die richtige Sorte bekomme!« erwiederte Ben.

»O, darüber kannst Du leicht Auskunft erhalten, der Yankee Thornton, der den Specereiladen in Indian Point besitzt, der hat sie gewiß schon Alle abgewogen und weiß, wie Viel ein Jeder von ihnen werth ist. Wende Dich nur an ihn.«

»Sicher werde ich das thun, doch man kann nach dem Gepäck des Volkes schon ungefähr berechnen, ob es der Mühe werth ist, sie anzuzapfen; ich halte die Augen auf, darauf kannst Du Dich verlassen.«

Ein wildes Geschrei, lautes Lachen, Schelten der Frau Ben Johnson und heftige Klagetöne einer Katze erschallten in diesem Augenblick im Zimmer; die unter der Veranda versammelten Personen eilten hinein und sahen, daß Madame Johnson die von allem Haar entblößte Hauskatze vermittelst der großen Feuerzange von dem Kamin nach der Hinterthür des Gebäudes trug und sie dort in das Freie hinauswarf. Kaum hatte das Thier den Boden erreicht, als einige Hunde von der andern Seite des Hofes bellend herzugerannt kamen, da sie glaubten, dasselbe sei ihnen zur Beute hingeworfen.

»Zurück, Bull, hörst du wohl, Parry, willst du gleich zurück!« rief ihnen die Hausfrau, die Feuerzange drohend erhebend, entgegen, doch die Kinderschaar übertönte sie mit aufmunterndem Schreien und hetzte die Hunde an die unglückliche Katze, und in wenigen Minuten war dieselbe von ihnen zerrissen, während die Jungen und Mädchen lärmend und tobend um den Kampfplatz herumsprangen.

Der kleine Ben, ein Knabe von fünf Jahren, hatte sich die unschuldige Freude gemacht, Puß, die Katze, in das große Kaminfeuer, vor welchem seine Mutter das Abendbrod bereitet hatte, zuwerfen, als diese gerade noch damit beschäftigt war, das Geschirr zu reinigen und bei Seite zu setzen.

»Diesmal, Johnson, wirst Du es doch dem Taugenichts nicht so ungestraft hingehen lassen?« sagte die Frau zu Johnson, indem sie auf den kleinen Sünder zeigte, der die drohende Bewegung seiner Mutter jedoch nicht sehr zu fürchten schien, denn er blickte mit zusammengezogenen Augenbrauen erboßt nach ihr auf und hielt ihr seine kleine Faust geballt entgegen.

»Laß den Jungen gehen, Du hast immer Etwas an ihm auszusetzen; der Kerl wird gut und einmal ein echter Republikaner werden,« erwiederte Johnson, mit Wohlgefallen auf den kampffertigen Knaben blickend.

»Er wird ersten Tags Eins seiner Geschwister in das Feuer werfen, wenn Du ihm so den Willen läßt,« sagte die Frau verweisend zu ihrem Manne; doch dieser nahm seinen Liebling mit den Worten bei der Hand:

»Komm, Ben, laß die Weiber in Ruhe; morgen, ehe ich fortfahre, sollst Du Lipp, den großen schwarzen Stier reiten,« und zog ihn mit sich fort nach der Veranda, während sich der erzürnte Junge noch einige Male mit gehobener Faust nach seiner Mutter umwandte.

Die kurze Abenddämmerung hatte der Nacht Platz gemacht, die beiden Familien zogen sich in ihre Häuser zurück, die Kaminfeuer wurden mit Asche bedeckt, und bald hatten die Eltern ihre Betten bestiegen, unterdessen die Kinder sich auf wollenen Decken und Bärenhäuten in den verschiedenen Ecken der Zimmer auf den Fußboden hingeworfen hatten, um in gewohnter Weise dort die Nacht zuzubringen.

Kaum graute der Tag des folgenden Morgens, als Ben Johnson über den sechs kolossalen Ochsen, die vor einen schweren Kastenwagen gespannt waren, seine ungeheuere Peitsche schwang und sie auf der Straße nach Indian Point hintrieb, indem er selbst neben dem langsamen Fuhrwerk ging und von Zeit zu Zeit den einen oder den andern Stier beim Namen rief, welcher Anrede dann häufig ein fürchterlicher Peitschenschlag folgte, der die Haare von der Haut des angesprochenen Thieres fliegen ließ und den Fleck, wo er getroffen hatte, mit Blut bezeichnete.

Am fünften Tag nach seiner Abreise erreichte er gegen Abend den Ort seiner Bestimmung und zog an Werner's Zelt vorüber den hölzernen Gebäuden von Indian Point zu.

»Dort ist wieder ein großer Wagen angekommen, Mutter,« sagte Werner zu seiner Frau, neben welcher er vor dem Zelte saß; »ich will gleich zu dem Agenten gehen, damit er mit dem Fuhrmann spricht, ehe uns Andere zuvorkommen. Wir müssen den Wagen haben, mag es kosten was es will, denn bleiben wir länger an diesem schrecklichen Orte, so werden wir Alle hier begraben.«

»Ach, Werner, und wenn unsere ganze Baarschaft darauf ginge, miethe den Wagen, damit wir von dieser Küste fortkommen. Siehe, wir haben noch drei Kinder bei uns, so gut und so brav, wie Marthchen war, ach bedenke, wie schnell sie uns entrissen wurde. Nur um der Kinder willen sind wir ausgewandert, ihnen zu Liebe war uns ja nie ein Opfer zu groß. Laß uns sie retten aus diesem Kirchhof, rette Dich selbst, mein guter Werner, erhalte den Kindern den Vater und mir den geliebten Gatten. Bitte eile, scheue kein Geld, es gilt Euer Leben!«

Mit diesen Worten legte die redliche Frau ihren Arm um ihres Gatten Nacken und drückte ihre Lippen auf seine Stirn.

Mathilde hatte ihrem Vater den Strohhut aus dem Zelt gereicht, und dieser eilte mit möglichst raschen Schritten dem Ochsenwagen nach, den er auch einholte, ehe derselbe die Häuser erreichte.

Als er bei Ben Johnson vorüberging, sah dieser ihn prüfend an, und Werner erwiederte den Blick mit einem freundlichen Lächeln und einem höflichen Gruße.

»Fahren Sie von hier nach Neu-Braunfels?« fragte er Johnson dann und deutete mit seiner Hand nach Norden.

Der Fuhrmann verstand sehr wohl, was Werner von ihm wollte, obgleich er kein Wort Deutsch sprach, nickte mit dem Kopfe und sagte, gleichfalls nach Norden winkend: »Neu-Braunfels.« Darauf klopfte ihm Werner mit überströmender Freude auf die Schulter, schüttelte ihm dann die Hand, machte ihm Zeichen, daß er ihn für die Fahrt gut bezahlen wollte, und wußte nicht, was er Alles thun sollte, um sich dem Mann angenehm zu machen.

Dieser aber sah, neben ihm herschreitend, mit gesenktem Kopf und mit forschendem gierigem Blick seitwärts nach ihm auf und deutete ihm an, daß er bei dem Amerikanischen Kaufmann Thornton zu finden sei. Werner winkte ihm noch sein Einverständniß zu, daß er ihn dort aufsuchen würde, und eilte vor ihm hin zu dem Agenten Rößler, den er noch in seinem Comptoir beschäftigt fand.

Mit größter Bereitwilligkeit begleitete dieser ihn zu dem Kaufmann, vor dessen Laden der Wagen hielt, und vor welchem sich die Ochsen bereits ermüdet in den Staub niedergelegt hatten.

Johnson saß, als Werner und Rößler eintraten, auf dem Ladentisch, hielt seine lange Peitsche zwischen den Knieen und trommelte mit den Absätzen an der vordern Seite des Tisches einen Marsch.

»Wollen Sie eine Ladung Gepäck und Passagiere nach Neu-Braunfels annehmen?« fragte ihn Rößler in englischer Sprache.

»Warum nicht? wenn ich gut dafür bezahlt werde,« war Johnson's gleichgültige Antwort.

»Was wollen Sie für die Fuhre haben?«

»Ich denke, fünfhundert Dollars wird nicht zu viel sein,« sagte Johnson.

Wie von einem Schuß getroffen fuhr Werner zurück, als er den geforderten Preis nennen hörte, und blickte bald den Fuhrmann, bald den Agenten mit großer Verwirrung an.

»Das ist ja eine unerhörte Forderung,« sagte Rößler zu Johnson, »das kann wohl Ihr Ernst nicht sein?«

»Mein ganz verdammter Ernst, es geht auch nicht ein Cent davon ab,« antwortete der Fuhrmann; »wenn der Mann einen solchen Preis nicht bezahlen kann, so mag er hier bleiben und sich zu Tode schwitzen, es wird sich schon ein Anderer finden, der ihn gern bezahlt.«

»Aber bedenken Sie doch, es ist ja wirklich unchristlich, von der Noth dieser Leute hier Gebrauch zu machen, um ihnen in solcher Weise das Geld abzunehmen,« sagte der Agent mit einem ermahnenden Blick.

»Ach Narrheiten, Geld zu verdienen ist nichts Unchristliches, ich bin nicht umsonst nach diesem Pestort gefahren. Wenn der Mann den Preis geben will, so mag er es sagen, sonst sehe ich mich nach andern Passagieren um.«

Der Agent gebrauchte alle seine Beredsamkeit, um Johnson's Forderung herunterzustimmen, doch ohne Erfolg, und Werner, der gern sein ganzes Hab und Gut hingegeben haben würde, hätte er damit sein liebes Kind wieder in's Leben zurückrufen können, entschloß sich zuletzt, den geforderten Preis zu zahlen, mit der Bedingung, daß Johnson schon am folgenden Morgen seine Effekten aufladen und dann alsbald die Reise antreten müsse.

Madame Werner erschrak heftig, als ihr Mann die Summe nannte, für die er den Wagen gedungen habe, doch was war zu theuer, wenn sie daran dachte, daß ihr Mann, ihre Kinder dadurch der großen Gefahr entzogen würden, die sie hier umgab?

Der Rest des Abends wurde von Werner's noch benutzt, um Vorrichtungen zur Abreise zu machen, und als der Wagen am folgenden Morgen vor das Zelt fuhr, waren alle Kisten und Koffer gepackt und geschlossen.

Ein Blick aber auf den Wagen überzeugte Werner's, daß sie nicht die Hälfte ihres Gepäcks darauf laden könnten, wenn sie auch sämmtlich zu Fuß gingen. Der Agent wurde wieder herbeigeholt; er erbot sich Alles, was sie nicht mitnehmen könnten, in seinem Lagerhaus gut zu verwahren, und rieth ihnen, nur das Allernothwendigste aufzuladen, damit sie auf dem Wagen selbst Alle Raum zum Sitzen behielten.

Die Wahl von dem, was mitgenommen werden und was zurückbleiben sollte, war schwer, denn ein Jedes von der Familie hatte Lieblingssachen, von denen es sich nicht gern trennen wollte. Immer wurde noch ein Stück mehr hinaufgehoben, der Raum für die Passagiere wurde so beschränkt, daß zuletzt nur noch zwischen den obern Kisten ein Platz übrig blieb, auf welchem eine Person sitzen konnte.

Doch die Freude, das Glück, von hier fort zu kommen, ließ Werner's nicht daran denken, daß sie einem Marsch zu Fuß durch den heißen Sand und in brennenden Sonnenstrahlen nicht gewachsen sein würden, im Gegentheil, sie fühlten sich ungewöhnlich kräftig, als der Wagen sich in Bewegung setzte, und der Cassirer beschwerte sich sogar noch mit einer Doppelflinte.

Ein herzlicher inniger Abschied war von dem freundlichen Agenten des Vereins genommen, wobei dieser versprach, für die zurückbleibenden Effekten beste Sorge tragen zu wollen.

Madame Werner hatte den Sitz auf dem Wagen eingenommen, sie hielt Johanna mit einem Arm umschlungen auf ihrem Schooß vor sich, während sie mit der andern Hand den großen ausgespannten Regenschirm über sich und das Kind erhob.

Werner, Mathilde und Julius, gleichfalls mit Schirmen versehen, folgten dem Wagen in geringer Entfernung, bald an der einen, bald an der anderen Seite der Straße, immer nach den Stellen suchend, wo der Sand durch die hin- und hergezogenen Fuhrwerke nicht zu hoch aufgewühlt war.

So waren sie wohl eine Stunde lang dahingewandert, als die Hitze sie zu ersticken drohte, die Sonnenstrahlen unbarmherzig auf sie niederbrannten und deren Widerschein von dem gelben Sande sie blitzend von unten und von allen Seiten angriff. Ihre Füße brannten, und der feine Staub, der sie fortwährend in einer leichten Wolke umgab, machte ihnen bei dem gänzlichen Mangel an Bewegung der Luft das Athmen schwer. Dazu kam der unsichere, im Sand versinkende Tritt und das Hin- und Hersuchen nach festem Grund, so daß die Fußgänger bald fühlten, wie sie unmöglich die Reise in dieser Weise auf die Dauer fortsetzen könnten.

Doch auf der Höhe der Ladung zu sitzen war ebenso unmöglich, und es war nun zu spät, dieselbe zu verkleinern. Herr Werner konnte bald nicht mehr vom Fleck; er rief dem Fuhrmann zu, still zu halten, doch dieser bedeutete ihn, daß er sich nicht aufhalten könne, und trieb seine Ochsen vorwärts.

Der Cassirer ergriff in seiner Ermattung den Kasten des Wagens und hob sich auf den nach hinten unter demselben hervorstehenden Baum, doch er wurde von dessen schaukelnder Bewegung so sehr herüber und hinüber geschwungen, daß er sich nur kurze Zeit darauf erhalten konnte und plötzlich hintenüber in den Sand fiel. Das laute Schreien der Frauenzimmer bewog Johnson jetzt anzuhalten, Mathilde zog ihn bei der Hand nach dem hintern Theil des Wagens und vermochte ihn endlich, einen Raum auf demselben durch Versetzen der Kisten zu erzeugen, auf welchem Herr Werner, wenn auch nur stehend und sich anlehnend, einen Platz fand.

Wieder setzte sich der Wagen in seine langsame Bewegung, die in dem tiefen Sande wühlenden Räder hüllten sich abermals in eine Staubwolke, und während der Fuhrmann sich hinter die Ochsen auf die Wagendeichsel gesetzt hatte und von Zeit zu Zeit dem Einen oder Andern derselben zurief, folgten Mathilde und Julius mit wankendem Schritt hinterher.

Den durch die sengende Hitze und den wirbelnden Staub erzeugten Durst konnten die Reisenden kaum durch das lauwarme Wasser, welches sie in Blechkannen mit sich führten, löschen, die Lippen brannten ihnen, und die Zunge schien ihnen an dem Gaumen zu kleben. Doch der Gedanke, sich von der schrecklichen Küste zu entfernen, dem gepriesenen schönen Lande entgegenzugehen, ließ sie alle Beschwerden, alle Leiden in stummer Ergebung ertragen, und der Jammer ihrer bekümmerten Herzen machte sich nur durch einen unterdrückten Seufzer, durch eine verstohlene Thräne Luft.

Endlich sank die Sonne, der Wagen lenkte von der Straße ab einer mit schmutzigem Wasser angefüllten Vertiefung zu, wo Johnson die Ochsen anhielt und ausspannte. Er band denselben mit Streifen von roher Rindshaut die Vorderfüße zusammen und ließ sie dann, je zwei und zwei mit den Hälsen durch Stricke aneinander befestigt, laufen, damit sie sich zwischen dem kümmerlichen Gras, welches hier die Ebene bedeckte, während der Nacht ihr Futter suchen möchten.

In geistiger Abspannung und körperlich erschöpft sanken Werner's bei dem kleinen Feuer nieder, welches Johnson angezündet hatte und durch zusammengetragenes Reisholz unterhielt, dessen Kohlen er unter einen Blechtopf mit Kaffee schob, und über dessen Gluth er ein Stück Speck an einem Stock zum Braten hielt. Werner's begnügten sich mit dem kalten Fleisch und dem Brod, welches sie mit von Indian Point gebracht hatten; sie waren zu sehr ermattet, um noch an die Zubereitung eines Abendessens zu denken, zogen einiges Bettzeug vom Wagen herab auf den durchhitzten sandigen Boden und sanken bald, von Entkräftung und Müdigkeit überwältigt, in fieberhaften unruhigen Schlaf darauf hin. Dennoch war dieser Schlaf für sie eine Wohlthat, denn sie vergaßen ihre Leiden, es schwand die Erinnerung an die alte Heimath, es verblich vor ihrer Seele der Vorwurf, daß sie dieselbe aus Uebermuth verlassen, und daß sie ihre gegenwärtige schreckliche Lage allein sich selbst zuzuschreiben hatten.


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