Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Kapitel

Galveston, Emigranten in Galveston, Ankunft der Familie Werner in Galveston, ein Freund in der Noth, die Familie Kunze, Werner's häusliche Einrichtung, die Baracken, ein falscher Freund, der Abend in der neuen Wohnung, die Mosquito's, der Traum, unangenehme Lage des Werner'schen Ehepaars.

 

Die Sonne schien in den ersten Tagen des folgenden Januars heiß auf die Inselstadt Galveston in Texas, der Himmel so fern, so blau und durchsichtig, zeigte nirgends ein Wölkchen, und der frische kühlende Seewind zog wohlthuend über die klaren grünen Wogen des Golfs hin durch die sandig staubigen Straßen, welche durch einzeln stehende hölzerne Häuser und hier und dort auch schon durch ein von Backsteinen aufgeführtes Gebäude begrenzt wurden. Ein reges geschäftiges Treiben war allenthalben zu sehen, die bei weitem größere Zahl der Gebäude enthielt Geschäftslokale, in welche auffallend viele Menschen sich ein- und ausdrängten, und es schien die Größe der Bevölkerung der Stadt zu den wenigen Häusern außer allem Verhältniß zu stehen. Leicht konnte man aber erkennen, daß viele dieser Personen hier Fremde waren, die, ihrer Tracht, ihrem Benehmen und namentlich ihrer Sprache nach, noch nicht lange hier gewohnt haben konnten; denn sie trugen noch Kleider von schwerem Tuch und anderem Wollenzeug, das man in diesem sehr warmen Klima bald mit leichteren Stoffen vertauscht.

Diese Leute waren deutsche Einwanderer, die, unter dem Schutze des Adels-Vereins nach und nach hier angekommen, jetzt in einer Zahl von etwa achthundert auf ihre Beförderung in das Innere des Staates warteten, wo sie das ihnen verheißene Land nebst Haus, Vieh und Geräthschaften bekommen sollten. Sie stellten eine wahre Musterkarte aus allen möglichen Ständen und Klassen der menschlichen Gesellschaft dar. Hier sah man den unbehilflichen, ungelenken, langhaarigen Bauer nebst Familie mit offenem Maul vor den Schaufenstern der Läden stehen; da den jungen Stutzer mit dem Kneifer vor dem Auge, mit Glacehandschuhen und hohen bespornten Absätzen nach dem Trinkhause wandern; dort den zwischen den Akten grau gewordenen Staatsdiener mit der langen Pfeife sinnend vorüberschreiten. Den Krämer, den Soldaten, den Handwerker, den Schauspieler, den Pächter, den Bürger, den Edelmann, den Grafen: Alle konnte man hier wandeln sehen und leicht aus ihrer Erscheinung den Stand errathen, dem sie in ihrer deutschen Heimath angehört hatten.

Mitunter jedoch war der Anzug, namentlich junger Männer, in dieser Beziehung trügerisch, indem dieselben bei der Wahl ihrer Tracht entweder ihrem eigenen, bei ihrer Abreise von Europa an Nichts mehr gebundenen Geschmack gefolgt waren, oder irgend ein Ideal, welches ihre Phantasie begeisterte, zum Muster gewählt und sich darnach kostümirt hatten. Man erblickte purpurfarbene und rothe, mit Schnuren reich besetzte, sammetne Paletot's, spanische Ueberwürfe mit aufgeschlitzten weiten Aermeln, italienische Anzüge nach Rinaldo Rinaldini und Masaniello, Lederanzüge nach Natti aus Cooper's Letztem der Mohikaner, Strumpfmützen, mittelalterliche Reiterhüte mit aufgekrämpten breiten Rändern und mit Federn, spitze graue Filzkappen, wie sie die Narren auf deutschen Maskeraden zu tragen pflegen, und Stiefel-Facons aus allen Jahrhunderten, in denen solche getragen wurden. In einer Hinsicht aber stimmten diese Leute sämmtlich überein: sie waren Alle bis an die Zähne bewaffnet und trugen Pistolen, Jagdmesser, so wie Dolche im Gürtel, was ihnen, im Verein mit ihren abnormen Bärten, ein desperates, martialisches Ansehen gab.

Auch unter den Repräsentantinnen der deutschen Damenwelt machte sich vielseitig die Unabhängigkeit des Geschmacks in Bezug auf ihre Kleidung geltend; manche hatten die unzweckmäßigen langen, schleppenden Kleider bis an die Kniee verkürzt und nach orientalischer Sitte ihre untern Gliedmaßen in weiße Beinkleider von leichtem Stoff gesteckt, während die zierlichsten Schnürstiefelchen von rothem, grünem und gelbem Saffian ihre Füße umschlossen; andere, die Leidenschaft für Clauren's Schriften gehabt hatten, erschienen als Mimili, deren Nationaltracht, dem Schweizerkostüm, sich eine große Zahl zugewandt hatte, indem dasselbe der individuellen Phantasie und Liebhaberei am meisten Freiheit gestattet und durch die Kürze der Röcke, das weitausgeschnittene Mieder und die Nichtbekleidung der Arme einem heißen Klima am Besten entspricht. Spencer, Schürzen, Röcke und Bänder prangten in den allerverschiedensten grellsten Farben, besonders waren die feurigrothen sammetnen Mieder, schwarzen Röcke und weißen Schürzen sehr stark vertreten, die Strohhüte wetteiferten an Größe und schienen in der heißen Sonne die vorübereilenden, unbeschirmten und phantastisch gekleideten Jünglinge einzuladen, unter diesen Sonnendächern Schutz zu suchen.

Wie aber diese Damen in Bezug auf ihre Tracht unabhängig geworden waren, so hatten sie auch andere Vorurtheile ihres Vaterlandes beseitigt; sie sprachen und handelten mehr selbstständig und ungenirt, als sie dort wohl gethan hatten, sie rauchten Cigarren, gossen unverzagt einigen Cognac in ihr Trinkwasser, und einzelne bewaffneten sich auch wohl mit einem glänzenden Dolch.

Der Centralpunkt dieser vornehmen Zugvögel war in dem Washington- oder Beißner's-Hotel, wie dasselbe auch nach seinem Eigenthümer, einem als Schuhmacher hier eingewanderten Deutschen, genannt wurde, der aber, ein verständiger und unternehmender Mann, den Leisten und Knieriemen bald bei Seite gelegt und dieses Gasthaus eröffnet hatte, um von seinen Landsleuten den Rest des deutschen Goldes in Empfang zu nehmen, den diese so wie so nicht anstanden durchzubringen.

Wer unbekannt mit den Verhältnissen an die mit Hunderten von Gästen besetzte Wirthstafel getreten wäre, hätte sicherlich geglaubt, seine Person in eine deutsche Maskerade versetzt zu sehen, wo reiche unabhängige Leute einmal Etwas draufgehen lassen wollten, um sich einen lustigen Tag zu machen, nicht aber, daß er in eine Gesellschaft von Ausgewanderten getreten sei, die in das Land gekommen waren, um sich mit den Trümmern ihres Vermögens, oft mit wenigen Zehrpfennigen eine neue Heimath zu suchen und zu gründen.

Es wurden die feinsten französischen und Rheinweine, die theuersten Madeiras und der kostbarste Champagner hier in Massen vertilgt, der ausgelassenste Jubel und Frohsinn tönte Tag und Nacht durch das große hölzerne Gebäude.

Ganz anders sah es draußen vor der Stadt aus, wo kolossale Schuppen von Brettern errichtet und eine große Anzahl von Zelten aufgeschlagen waren, in denen sich die niedrigere Klasse der Emigranten aufhielt. Im Allgemeinen schienen diese Leute den Werth des Geldes mehr zu kennen und fester das Ziel ihres Unternehmens im Auge zu halten, als die vornehmere Welt bei Beißner. Sie hielten die Gulden und Thaler, die sie aus dem Erlös ihres in Deutschland verkauften Eigenthums mitgebracht hatten, zurück und beschränkten sich möglichst auf die Kost, die ihnen durch die Agenten des Vereins hier geliefert wurde, da derselbe noch nicht, wie er versprochen hatte, im Stande war, die Leute auf ihr Land zu befördern.

Des Morgens sah man sie zu den Magazinen der Kaufleute, welche mit diesen Lieferungen beauftragt waren, strömen, um, wie sie es nannten, zu »fassen.«

Da ging es denn mitunter bunt und ungestüm her; ein Jeder suchte das Beste und wo möglich das Meiste zu erwischen, es wurden den Lieferanten Vorwürfe und Grobheiten gemacht, auch geflucht und geschimpft, häufig sogar gab es deutsche Ohrfeigen und Hiebe dabei. Wer aber die Emigranten in den Bretterschuppen und in den Zelten familienweise auf und um ihre Kisten und Kasten zusammengedrängt sitzen sah, dem konnte es nicht entgehen, daß der Ausdruck von Bekümmerniß, von Zaghaftigkeit auf ihren Gesichtern ruhte, und daß sie bange einer ungewissen Zukunft entgegen sahen, an die stille Ruhe, die viele Bequemlichkeit und die gute, wenn auch einfache Kost in ihrer alten Heimath zurückdenkend, die sie zum großen Theil ohne Noth und, wie sie sich vorwarfen, aus Uebermuth verlassen hatten. Monate lang hatte die Mehrzahl von ihnen hier nun schon, dem Staub, Schmutz und dem Wetter Preis gegeben, auf Weiterbeförderung geharrt; sie waren ihrem Ziel noch um keinen Schritt näher gerückt. Es schienen noch gar keine Anstalten gemacht zu werden, um ihnen fortzuhelfen, und, so sehr sie es auch vermieden, so mußte doch mitunter ein Goldstück hervorgezogen werden, um das eine oder andere nothwenige Bedürfniß zu befriedigen.

Es war eben nachdem die Emigranten an einem heitern warmen Morgen »gefaßt« hatten und sich theils nach den Baracken und Zelten vor der Stadt zurückbegaben, theils sich durch die staubigen Straßen verteilten, um noch einige Bedürfnisse anzuschaffen, als es verlautete, daß auf der hohen See ein Segel in Angesicht sei, welches auf die Stadt zusteuere.

Die Kunde ging schnell unter den Emigranten von Mund zu Mund, ein Jeder hoffte, Bekannte und Freunde mit dem Schiff ankommen zu sehen, oder wenigstens durch dessen Passagiere oder durch Briefe von seiner Heimath zu hören. Alles strömte hinaus über die trockenen Sandhügel, welche die See in einiger Entfernung vom Ufer aufgeworfen hatte, und dann auf dem glatten, festen und feuchten Strande hin bis an die Linie, wo die heranschäumenden Wogen sich machtlos und erschöpft überschlugen, um wieder zurück in ihr großes Bett zu fließen und andern, lustig und hochaufbrausend über sie hinrollenden Platz zu machen, die dann in gleicher Weise auf dem Sande erstarben. Das Segel kam näher und näher, es stieg höher aus der grünen Fluth gegen den azurnen Himmel auf; man bemerkte, daß es ein großer Dreimaster sei, und erkannte in ihm bald die Burgundia, die von Hàvre mit einer Ladung Emigranten für den Verein erwartet wurde. Das Schiff hatte nun die Bar oder sandige Untiefe, die sich vor dem Hafen von Galveston in die See erstreckt, überfahren, beschrieb einen Bogen um die Insel und steuerte dann nach den Werften der Stadt, wo es von der dort harrenden Menschenmenge mit Jubel und freudigen Hurrahs bewillkommnet wurde. Kopf an Kopf drängten sich die Passagiere an die Brüstung des Schiffes, indem sie ihre Blicke durch die Versammlung auf dem Werfte sandten. Freudige Erkennungsscenen folgten, es wurde genickt, es wurden Grüße gewechselt, Arme ausgestreckt und mit den Hüten gewinkt; doch noch war die Treppe oder Bohle nicht hinuntergelassen, um eine Verbindung mit dem Strande herzustellen, wodurch es den sich erkennenden und nur noch durch so geringe Entfernung getrennten Freunden möglich geworden wäre, sich einander in die Arme zu werfen.

Mit aller Eile ließ der Capitain jedoch die Matrosen Hand anlegen, um dies zu bewerkstelligen, und jetzt wurde an dem Treppenplatz der Brüstung der schwere breite Steg herübergeschoben, um von da auf das Werft heruntergelassen zu werden.

»O – hiu! – O – hio!« sangen die Seeleute, und bei jedem diesem Ausrufe fuhr der Steg um einen Fuß weiter hervor, während die Einwanderer sich näher zu diesem Platze hindrängten, da ein Jeder unter den Ersten zu sein wünschte, die das Schiff verlassen würden.

Dicht neben den arbeitenden Matrosen und hart an der Brüstung stand eine vor den anderen Passagieren hervorragende hagere, gebietende Mannsgestalt in hellgrauem Rock, den Kopf mit einem grauen breitrandigen, mit Bändern geschmückten Filz bedeckt. Seinem langen schmalen Gesicht fehlte auch jede lebendige Farbe, und der seit Monaten nicht rasirte graue Bart, die wenigen unter dem Hut hervorhängenden grauen Haare gaben ihm das Ansehen einer aus Sandstein gehauenen Bildsäule, um so mehr, da seine nächste Umgebung die frischeste Jugend und die aufgeregteste Lebendigkeit darstellte.

Dieser Mann war unser Freund Werner, umgeben von seinen blühenden herrlichen Kindern, die jauchzend und mit überströmender Freude ihre neue Heimath begrüßten, während ihre Mutter im stillen Dankgebet zu Gott mit gefalteten Händen hinter ihnen stand und ihre Augen sich mit Thränen der Freude gefüllt hatten.

»Nun, Kinder, ist alles Schwierige überwunden, bald werden wir auf unserer Plantage sein,« sagte Herr Werner, als der Steg das Werft erreicht hatte und Alles darüber hinunter rannte. »Kommt mit mir und laßt uns die Amerikanische Erde betreten.«

Mit diesen Worten steckte er den Kopf durch den Riemen seiner Doppelflinte, auf die er sich bis jetzt gestützt hatte, so daß sie mit nach oben stehendem Kolben quer vor seine Brust zu hängen kam, schob dann die Spitze seiner langen Pfeife wieder in den Mund und schritt, von seiner Familie gefolgt, auf das Werft hinunter.

»So, da sind wir, Kinder, Gott sei Dank!« sagte Werner, indem er, die Hand auf seinen Rücken pressend, sich gerade reckte. »Nun müssen wir uns gleich erkundigen, wo die Wagen auf uns warten.«

»Lieber Vater, hier von der Insel werden wir sicher noch nicht mit Wagen befördert werden, die stehen wohl dort drüben an dem Ufer,« sagte Albert, indem er über das Wasser, welches die Insel vom Festlande trennt, hinüber nach der fernen blauen Küste von Texas hinzeigte.

»So müssen wir hören, wer uns dort hinüber fährt,« erwiederte Herr Werner, worauf er sich an einen nahe bei ihm stehenden Mann, dem Ansehen nach gleichfalls einen Deutschen, wandte und sagte: »Auch Emigrant, mein Freund?«

»Wüßte nicht, daß wir jemals Freunde gewesen wären,« antwortete dieser, indem er beide Hände in die Hosentaschen versenkte, der Cigarre, die er im Munde hielt, eine trotzige Richtung nach oben gab und, seinen Kopf zurückwerfend, Werner mit Impertinenz betrachtete; »was Sie unter »mein Freund« verstehen, das fällt hier weg, hier sind wir Alle gleich, Sie Nasenkönig!«

Werner, der in keiner Weise den Ausdruck »Freund« gebraucht hatte, um seine vornehme Stellung bei dem Manne geltend zu machen, fuhr überrascht zurück und sagte halb verlegen: »Nun, nun, lieber Freund, das ist ja nicht so gemeint.«

»Gehen Sie zum Teufel, Sie spinnenbeinige Vogelscheuche, ich bin Ihr Freund nicht!« antwortete der Angeredete, sich umwendend, und ging, ohne weiter auf die zornigen Worte, die ihm Albert jetzt zurief, zu achten, gemessenen Schrittes von dannen.

»Ruhig, Albert! man muß allen Zank vermeiden, laß den Mann gehen,« sagte Werner zu seinem aufgebrachten Sohn; »ich will dort den Herrn in dem Leinenrock fragen.« Er schritt hiermit zu einem in Gedanken auf die angekommenen Deutschen blickenden Amerikaner, der sich gegen einen der Pfähle gelehnt hatte, woran die Schiffe befestigt wurden, und redete ihn an, indem er seinen Hut höflich vom Kopfe zog:

»Können Sie mir vielleicht geneigtest Auskunft geben, von wo hier die Emigranten weiter befördert werden?«

Der Amerikaner sah ihn schweigend einen Augenblick an, entledigte dann seinen Mund einer starken Ladung Tabaksaftes und sagte, mit verächtlichem Ton sich von ihm abwendend:

»Damned dutch fool!« (Verdammter deutscher Narr!)

Weder Werner noch Albert verstand, was der Mann gesagt hatte, doch erkannten sie, daß er Nichts mit ihnen zu thun haben wollte, worauf sie zu einigen ihrer Reisegefährten zurückkehrten, um die sich eine Gruppe Deutscher gesammelt hatte.

»Wie lange Zeit werden wir denn wohl bekommen, um unsere Sachen in Ordnung zu bringen, ehe wir von hier fortgeschafft werden?«

»Mehr Zeit, als Ihnen lieb sein wird,« antwortete Einer der Leute; »wir liegen hier nun schon seit drei Monaten im Schmutz und hören und sehen noch Nichts von Beförderung; wenn die Hitze erst zunimmt, dann wird es bös hier werden.«

»O da muß man sich einmal an den Verein wenden, der ist verpflichtet, uns sofort auf unser Land zu schaffen; das hat Nichts zu sagen. Ich werde der Sache auf den Grund kommen, verlassen Sie sich auf mich.«

»Das wird Ihnen blitzwenig helfen, sparen Sie sich die Mühe, Herr. Wir haben schon gute und böse Worte angewendet, aber umsonst. Die Agenten hier sagen, daß sie Nichts damit zu thun hätten und keine Auskunft darüber geben könnten; man sollte sich nach Braunfels an die Direktion wenden. Auch das haben wir gethan; wir haben Abgeordnete dorthin gesendet, die, nachdem sie daselbst lange vergeblich auf eine Entscheidung gewartet hatten, endlich mit der Antwort zurückkamen, daß wir sobald als möglich von hier fortgeschafft werden sollten und die Zeit hier nur ruhig abzuwarten hätten. Damit sitzen wir aber immer noch hier, die Monate, in denen man noch auf seinem Lande Etwas hätte schaffen können, gehen vorüber, und der Sommer wird nun ohne eine Erndte für uns verstreichen.«

»Ei, ei, das ist ja unverantwortlich und gegen allen Vertrag,« bemerkte Herr Werner sehr aufgeregt; »wo bleibe ich denn nun mit meiner Familie?«

»Man wird wohl noch so einige Schuppen, wie schon draußen vor der Stadt stehen, aufschlagen, denn in den bereits aufgestellten ist kein Platz mehr. Auch würde es Ihnen dort wohl nicht behagen, da liegt Alles kreuz und quer durcheinander. Ich würde Ihnen rathen, in ein Gasthaus zu gehen. Bei Beißner ist zwar auch Alles besetzt, doch in dem amerikanischen Gasthause, im Tremonthouse, finden Sie Unterkommen, wenn es Ihnen nicht zu theuer ist. Man zahlt dort für die Person täglich zwei Dollars.«

»Zwei Dollars? um des Himmelswillen, das würde mir täglich vierzehn Dollars kosten!« rief Werner, sich erschrocken nach den Seinigen umsehend. »Das geht nicht; aber was sollen wir anfangen, wo sollen wir uns hinwenden? wir können doch unmöglich hier auf der Straße liegen bleiben!«

Angst und Schrecken hatten sich bei diesen Worten über sein Gesicht verbreitet; seine Hände fuhren mit bewegten Fingern aus einer Tasche in die andere, er nahm den Hut ab und setzte ihn, das Vorderste nach hinten gekehrt, wieder auf und drehte sich verlegen von Einem zum Andern, als warte er auf Rath, auf Rettung aus dieser Noth.

Ein freundlicher Mann, der schon seit einer Reihe von Jahren als Kaufmann hier gelebt hatte, gleichfalls ein Deutscher, trat, Werner's Verlegenheit bemerkend, auf ihn zu.

»Wenn ich mir einen Rath erlauben darf,« sagte er, sich gegen ihn und die herzugetretenen Damen verbeugend, »so würde ich an Ihrer Stelle irgend eine Privatwohnung miethen und mich dort selbst verköstigen; die Lebensmittel sind auf unserm Markt nicht sehr theuer.«

»Ich danke Ihnen von ganzer Seele, mein verehrter Freund,« antwortete Werner, des Fremden Hand erfassend; »aber wo finde ich eine solche Wohnung? ich bin ja ganz fremd hier und spreche noch fast gar nicht Englisch.«

»Ich will mich darnach umsehen, wenn Ihnen ein Gefallen damit geschieht. Die Damen können unmöglich in die Baracken vor der Stadt ziehen. Sobald ich ein passendes Lokal gefunden habe, werde ich Sie auf dieser Stelle davon in Kenntniß setzen.« Unter der Versicherung größter Dankbarkeit von Seiten der Familie Werner und nochmals nach Mathilden sich umblickend, eilte Herr Stein, so hieß der Kaufmann, um die nächste Straßenecke. Werner's, aber drängten sich, wie wenn Jedes bei den Anderen Trost suche, auf ein Häufchen zusammen, um ihren bangen Herzen Luft zu machen und ihre Lage zu besprechen.

»Nur den Kopf nicht verloren, Kinder! Ihr seht, wie ich es mache; man muß die Gelegenheit ergreifen,« sagte Werner mit etwas mehr Fassung. »Ich sah es dem Manne gleich an, daß er Rath wußte. Dort kommt Kunze mit seinen Frauenzimmern vom Schiffe; ich glaube, sie sind die Allerletzten, die es verlassen.«

Ein kleiner alter Mann in langem blauem Rock und mit einer Mütze auf dem Kopf, großer grüner Brille auf der Nase und einem Rohrstock in der Hand, schritt fünf elegant gekleideten Damen voran vom Schiffe herab nach dem Werfte, wo Werner's standen. Dies war der Herr Stadtschreiber Kunze nebst Gemahlin und seinen vier Töchtern, von welchen letztern die älteste einige zwanzig, die jüngste aber, welche Magdalene hieß, kaum sechszehn Jahr alt war.

»Haben Sie schon gehört, lieber Stadtschreiber, daß wir sobald nicht von hier fortkommen werden?« sagte Werner zu dem Herzugetretenen. »Es liegen hier über achthundert Emigranten des Vereins, die schon seit Monaten auf die Abfahrt warten, doch ist noch keinerlei Anstalt dazu gemacht. Ich werde mir sogleich eine Privatwohnung nehmen, doch dies wird Geld kosten, zumal, wenn man lange hier liegen muß. Was werden Sie thun?«

»Das wäre ja sehr mißlich; aber der Verein muß uns ja gleich auf unser Land schaffen, wir haben es ja schwarz auf weiß,« antwortete Kunze.

»Jawohl, muß! Wer will ihn denn zwingen? Hier ist ja kein Verein zu sehen, und seine Agenten sagen, das ginge sie Nichts an.«

»Da weiß ich wirklich nicht, was ich thun soll. Ich darf die paar hundert Gulden, die ich noch in der Hand habe, nicht angreifen, womit soll ich denn sonst die ersten Einrichtungen auf meiner Plantage machen?«

»Dann wird Ihnen Nichts übrig bleiben, als in die Baracken zu ziehen, die, wie ich höre, vor der Stadt aufgeschlagen sind. Dort liegen aber viele Hunderte in einem Holzschuppen zusammen und zwar Menschen aller Klassen durcheinander; das muß ein schrecklicher Aufenthalt sein.«

»Du wirst uns doch nicht zumuthen, daß wir uns zwischen solches Gesindel mischen sollen? das bitte ich mir aus!« nahm jetzt Madame Kunze, eine hagere, doch energische Frau, das Wort, indem sie sich mit einem drohenden Blick zu ihrem Gatten wendete. »Wir bestehen darauf, daß der Verein uns sogleich auf unser Gut schafft; das wäre schön, hier zwischen Gott weiß was für Pack sich niederzulassen!«

»Aber, liebe Frau, ich habe ja noch nicht gesagt« – erwiederte der Stadtschreiber schüchtern.

»Das ist schlimm genug, daß Du noch Nichts gesagt hast. Wozu habe ich denn einen Mann, als daß er für mich auftreten und mich schützen soll?« sagte seine Frau mit noch mehr Eifer. In diesem Augenblick kam Herr Stein wieder zurückgeeilt und brachte Werner's die frohe Kunde, daß er ein Häuschen für sie gemiethet habe, welches zwar nur ein einziges Zimmer enthalte, doch auch nur sechszehn Dollars für den Monat koste, wodurch sie wenigstens der unangenehmen Nothwendigkeit überhoben sein würden, sich in die Baracken einzuquartieren. »Sie müssen sich schon bequemen, hinter dem Hause im Freien zu kochen; dafür sind Sie aber ihre eigenen Herren, und wenn sie die Provisionen von dem Verein empfangen, sich mitunter auch wohl noch Etwas vom Markte dazu holen, so wird Ihnen Ihr Aufenthalt hier nicht so sehr hoch zu stehen kommen.«

Die Nacht brachten Werner's, so wie viele der Passagiere noch am Bord der Burgundia zu, doch früh am folgenden Morgen begann diese Familie mit ihrer Uebersiedelung nach der gemietheten Wohnung, wobei ihnen Herr Stein besonders hilfreich war, indem er für die Güterkarren sorgte, auf denen ihre vielen Kisten und Kasten von dem Schiffe nach dem von Holz gebauten Hause geschafft wurden.

Dasselbe enthielt, wie gesagt, nur ein Zimmer mit einer Thür nach der Straße, einer solchen nach dem kleinen Hof hinter dem Gebäude und einem Fenster. Dieser Raum war jedoch ziemlich groß, so daß es möglich wurde, alles Gepäck der Familie Werner darin zu bergen und noch hinreichend Platz zu einem Gang zu lassen, um durch denselben bequem von einer Thür zur andern zu gehen. Das Fenster allerdings war mit Kisten, die aufeinandergethürmt bis zur Decke reichten, zugestellt; dagegen hoben sich diese an den andern Wänden nur bis zur Hälfte derselben hinauf und boten dort oben herrlichen Raum, um die Betten darauf auszubreiten und der Familie bequeme Ruhestätten zu gewähren.

Um diese zu erreichen, wurden kleinere und größere Kisten in Form einer Treppe nebeneinandergestellt, und trotzdem, daß Herr Werner sich nie im Leben viel mit Gymnastik beschäftigt hatte, lieferten doch mehrere Versuche, die er nach beendigter Aufstellung machte, um hinauf zu klettern, die günstigsten Resultate, und zufrieden mit der wenn auch sehr beschränkten häuslichen Einrichtung, wurde dem Herrn Stein von der Familie Werner der innigste Dank für die Rettung aus dem Aufenthalte in den Baracken abgestattet.

Das Kochgeschirr wurde in den Hof getragen, es ward Holz angeschafft, ein Feuer angezündet und der neue Haushalt mit Kaffeekochen auf's Festlichste eröffnet, wobei Herr Stein zugegen war und Mathilde hilfreich zur Hand ging, die mit zurückgeschlagenen Aermeln, aufgestecktem sauberem Hauskleid und vorgebundener Küchenschürze bei diesem Geschäfte zeigte, daß es ihr nichts Fremdes sei, und daß die kleinen Unbequemlichkeiten sie nicht aus ihrer guten heitern Laune bringen konnten.

Der Kaffee war genossen und hatte vortrefflich geschmeckt, als Herr Stein sich erbot, die Werner's nach dem Markt zu führen, um ihnen zu zeigen, wo sie die nöthigen Bedürfnisse für den Haushalt bekommen könnten. Albert mit einem Korb am Arm, Mathilde mit einem Gefäß, um Milch hineinzuthun, und Herr Werner mit der langen Pfeife bewaffnet folgten diesem Freunde in der Noth, während Madame Werner deren Abwesenheit benutzte, um dem Putz-, Eß- und Schlafzimmer ein möglichst freundliches Aussehen zu geben. Die Betten wurden in der Höhe auf den Kisten zurecht gemacht und mit Paradedecken belegt, während andere Decken über die Seiten des Gepäcks gehangen wurden; dann wurde auf einem Kasten die Toilette hergerichtet und ein Spiegel mit goldenem Rahmen darauf gestellt; in den Ecken zwischen den aufgethürmten Koffern wurden Kleiderschränke etablirt: kurz, in weniger Zeit war diese Waarenniederlage in ein Türkisches Zelt umgewandelt, vor dessen Eingängen großgeblümte bunte Kattun-Vorhänge hingen. Madame Werner setzte sich neben einer Kiste, die statt eines Tisches mit einem Tischtuch überdeckt war, auf einem Koffer nieder, um sich über ihre Schöpfung zu freuen.

Herr Stein hatte indessen seine Freunde nach dem Markt und nach mehreren Kaufmannsläden geleitet, wo Gemüse, frisches Fleisch, Reis und andere Artikel eingekauft wurden, worauf, dem Wunsche des Herrn Werner entsprechend, der Weg nach den Baracken eingeschlagen wurde, da derselbe Auskunft über das Schicksal der Kunze's zu haben wünschte. In einer dieser großen, roh von Brettern aufgeführten Hallen fanden sie endlich nach vielen vergeblichen Erkundigungen diese Familie auf ihren Kisten sitzend, die Mutter mit ihren vier Töchtern in Thränen mit sehr verweinten Augen und noch in denselben Anzügen, mit denen sie sich Tags vorher geschmückt hatten, um in der Stadt mit Anstand zu erscheinen.

So hatten sie die Nacht zugebracht, während die Hunderte von Barackengefährten um sie her es sich ungenirt bequem gemacht und geschlafen hatten. Herr Kunze war hinter die Kisten gekrochen und blickte mit gesenktem Haupt in die Tabaksdose, die auf seinem Knie ruhte, als suche er in ihr Trost und Stärkung in dieser schweren Prüfung.

Mit lauten Klagen empfing Madame Kunze und ihre älteste Tochter die Werner's, und die Vorwürfe gegen den Verein, sowie auch gegen Herrn Kunze rollten von ihren Lippen, wie eine Metze Erbsen von einem Dache. Auch gegen Herrn Werner wurden einige scharfe Ausfälle von ihnen gemacht, die sich auf seine Treulosigkeit als ihr Verbündeter bezogen, und welche derselbe mit Hinweisung auf die Freundlichkeit und Hilfe des Herrn Stein zu pariren suchte. Doch Madame Kunze war nicht zu beschwichtigen, und mehr oder weniger wurde ihr von ihren drei ältesten Töchtern secundirt, während Magdalene, die jüngste, zur Seite auf einer Kiste stumm und in sich gekehrt saß und ihre großen blauen, mit Thränen gefüllten Augen durch eine Oeffnung in der Bretterwand nach dem Himmel gerichtet hielt. Das Licht fiel wie ein Heiligenschein auf ihren schönen, blondumlockten kleinen Madonnenkopf und auf die Alabasterhaut ihres entblößten weichen vollen Nackens, der durch die losen Falten eines hellblauen seidenen Shawls leicht begrenzt wurde. Ihre schlanke, doch volle Figur war wenig zu erkennen, da dies große Tuch sie beinahe bedeckte und sie in sich zusammengesunken dasaß.

Werner's suchten, da sie doch keine Milderung in dem Schicksal ihrer Freunde und Reisegefährten zu bewerkstelligen im Stande waren, sich so bald als möglich ihren feindseligen Angriffen zu entziehen, bedeuteten sie, daß sie zu Hause mit den Lebensmitteln erwartet würden, und verließen Kunze's mit den Versicherungen höchster Betrübniß über ihre traurige Lage.

Werner's hatten kaum die Baracke verlassen, als ein elegant gekleideter Mann von mittleren Jahren, hoher wohlbeleibter Gestalt und angenehmem Aeußerem hereintrat und, sich mit freundlichem theilnehmendem Blick umsehend, zwischen dem aufgethürmten Gepäck und den darauf ruhenden und umherstehenden Emigranten einherschritt.

Das Ungefähr führte ihn auch bei Kunze's vorüber, zu denen seine Blicke durch die noch fortgesetzten lauten Klagen derselben hingezogen wurden; doch schienen sie ihn weiter nicht in seinem Spaziergang aufzuhalten, als plötzlich seine Augen auf Magdalene fielen, er erstaunt zurücktrat und wie auf dem Platz angewurzelt stehen blieb. Nach einer Weile stummen verwunderungsvollen Hinschauens schien er seine Ueberraschung überwunden zu haben, trat zu Madame Kunze hin und sagte, sich höflich verbeugend, in sehr gebrochenem Deutsch:

»Haus,« wobei er eine mit seiner Hand zur Baracke hinausdeutende Bewegung machte, »Helfen,« indem er zugleich ein Zeichen machte, daß er erbötig sei, dies zu thun, »Geld,« wobei er andeutete, daß er solches zu geben bereit sei.

Madame Kunze hatte sich erhoben, das Scharfe und Erzürnte ihrer Gesichtszüge hatte einer lächelnden Milde Platz gemacht, und mit einer anständigen Verbeugung sagte sie zu dem Fremden:

»Mein Herr, wenn ich auch nicht deutlich verstehe, was Sie uns sagen wollen, so sehe ich doch, daß Sie Gefühl für unser Schicksal haben. Nehmen Sie sich unserer an, denn wir verkommen hier an dieser Stätte.«

Der Fremde, auf dessen Gesicht sich jetzt die höchste Freundlichkeit und Theilnahme spiegelte, machte mit den Händen mehrere beruhigende Bewegungen, warf noch einen glänzenden Blick auf Magdalene und eilte mit raschen Schritten aus den Baracken.

Kurze Zeit nachher erschien eine deutsche Frau bei Kunze's, die, ihrer Sprache und ihrem Benehmen nach, schon lange in diesem Lande gelebt haben mußte, nannte sich Madame Paul und verkündete Madame Kunze, daß ein Herr Stockton, ein reicher Amerikaner, sich für ihre Familie interessire und beabsichtige, ihnen aus der Noth zu helfen. Er sei derselbe, der soeben bei ihnen gewesen wäre, und sende die Paul, um ihnen zu sagen, daß er ihnen eine Wohnung verschaffen werde. Madame Kunze strahlte bei dieser Nachricht vor Wonne und Vergnügen, die Ueberbringerin derselben mußte auf einem der Koffer Platz nehmen, auf welchem niedrigen Sitze dieselbe sich dann in Lobeserhebungen über den wohlthätigen, menschenfreundlichen Herrn Stockton ausließ, das Glück der Familie Kunze, mit einem solchen Manne bekannt geworden zu sein, pries und zuletzt noch bemerkte, daß dieser reiche Herr in kinderloser Ehe lebte und oft den Wunsch geäußert habe, eine Adoptivtochter anzunehmen. Bei diesen Worten verklärten sich die Blicke der Madame Kunze, die sie fragend durch die Reihe ihrer Töchter sandte, als wollte sie ermessen, welche von ihnen sich wohl am Besten dazu eigne.

»Hört Ihr es, Ihr Mädchen? Nun ist unser Glück gemacht, das habt Ihr mir zu verdanken und nicht Eurem Vater, der sich gar Nichts um uns gekümmert hat. Ach, liebe Madame Paul, sagen Sie nur dem Herrn, wie unendlich dankbar wir ihm für seine Großmuth sein werden; sagen Sie ihm, daß meine Töchter sehr schön Klavier spielten, noch besser sängen, und daß sie fromme und fein erzogene Mädchen seien, die sich in jeder Gesellschaft sehen lassen könnten.«

Madame Paul empfahl sich der Familie Kunze mit der Versicherung, Alles auf's Beste ausrichten zu wollen, indem sie zugleich bat, Alles in Bereitschaft zu halten, um mit allem Gepäck den Einzug in die neue Wohnung halten zu können, denn sie zweifle nicht, daß Herr Stockton bald ein passendes Haus zu diesem Zweck ausfindig machen werde.

»Nun aber, Herr Cassirer Werner,« sagte Madame Kunze triumphirend, als die Paul die Baracke verlassen hatte, »nun ist das Großthun auf unsrer Seite. Wo bleiben Sie jetzt mit Ihrem lumpigen deutschen Beschützer? Wir haben einen reichen Amerikaner!«

Dann wandte sie sich an ihre Töchter:

»Kommt Ihr Mädchen, putzt Euch besser heraus, macht Eure Frisur in Ordnung und wascht Euere Augen aus, damit ich Ehre mit Euch einlege; Ihr habt doch gehört, daß der reiche Amerikaner eine von Euch als seine Tochter annehmen will? Nun, Herr Kunze,« rief sie dann ihrem Gatten zu, der noch immer hinter den Kisten in düstern Gedanken versunken saß, »ist es bald gefällig hervorzukommen, oder willst Du hier bleiben? Ich glaube, Du gefällst Dir hier, wir können auch ohne Dich ein Unterkommen finden.«

Bald war die Toilette der drei ältesten Töchter nach Möglichkeit bestens vervollständigt; auch Magdalene hatte sich die verweinten Augen gewaschen, ihr seidenweiches Lockenhaar geglättet und zurückgestrichen, so wie auch ihre kleinen Füße auf Anrathen der Mutter in ein Paar neue zierliche Schuhe gesteckt. Diese zog das Kleid der Tochter nochmals fester und glatter um die schlanke Taille und ordnete das schmale Spitzenstreifchen, welches über ihrem vollen Busen den blendend weißen Nacken umzog. »So, mein Mädchen, wem Du nicht gefällst, der hat keine Augen im Kopf,« sagte die Mutter, mit Wohlgefallen auf das schöne Kind schauend, auf welches jetzt, wie neidisch auf dessen Schönheit, die Blicke der Schwestern fielen.

»O, Ihr braucht nicht eifersüchtig zu sein,« sagte die Mutter, mit Selbstzufriedenheit sich an diese wendend, »Ihr seid Alle schön; es fragt sich noch sehr, welcher von Euch der Preis gebührt?«

Nun ging es an das Einpacken, Schließen der Koffer und Zubinden der Schachteln, während man sehnsüchtig die Rückkehr der Madame Paul erwartete.

Wirklich kehrte diese nach Verlauf von einer Stunde mit einigen Güterkarren und dem Auftrag zurück, sofort sämmtliche Effecten der Familie Kunze nach dem Hause zu befördern, welches Herr Stockton derselben zur Verfügung stellte. Der Einzug in das nette, wenn auch nicht große hölzerne Gebäude wurde gehalten, Madame Kunze, von ihren Töchtern gefolgt, voran, während der Herr Stadtschreiber langsam hinterher kam. Frau Paul war behilflich, in einem Zimmer das Gepäck unterzubringen, das zweite gleicher Erde zum parlour oder Gesellschaftssalon auszuschmücken und die Stube darüber unter dem Dache zum Schlafzimmer einzurichten. Wer von der Familie Kunze hätte es sich noch vor einigen Stunden träumen lassen, daß ihnen solches Glück widerfahren würde, daß sie ohne ihr Zuthun, durch bloße Menschenfreundlichkeit in ein so bequemes Quartier versetzt und aus allen Sorgen, aus aller Noth gerissen werden würden? Dennoch war es geschehen. Ihr Dank gegen ihren Wohlthäter konnte keine Grenzen finden, und sehnlichst wurde von ihnen der Augenblick erwartet, in welchem der Schöpfer dieses unverhofften Glücks bei ihnen erscheinen würde, damit sie ihren Dankgefühlen Worte geben könnten. Auch dieser Wunsch ging, als der Abend herannahte, in Erfüllung; denn Herr Stockton kam in Begleitung einer reich geputzten ältlichen Dame, die er Kunze's als seine Gattin vorstellte, um selbst zu sehen, ob es ihnen an irgend Etwas fehle und ihnen durch Madame Paul, die noch gegenwärtig war, mitzutheilen, daß er für alle ihre Bedürfnisse sorgen würde.

Madame Stockton war eine große elegante Figur und mußte in ihrer Jugend sehr schön gewesen sein; doch die glänzend schwarzen Locken, die zu beiden Seiten ihres scharf markirten Gesichts herabfielen, die Adlernase und der heftige, ja wilde Blick ihrer großen schwarzen Augen gab ihr bei ihrer bleichen Gesichtsfarbe etwas Unangenehmes, etwas Unheimliches, obgleich sie den fein geschnittenen Mund in ein Lächeln zog, wodurch ihre sehr weißen schönen Zähne sichtbar wurden.

Sie zeigte sich überaus theilnehmend gegen die Familie Kunze, ganz besonders aber schien sie sich für Magdalene zu interessiren, auf welcher von Anfang ihres Besuchs an ihre Blicke geruht hatten, und an die sie durch Madame Paul mancherlei Fragen richten ließ, indem sie das verlegene Mädchen auf's Freundlichste unter das weiche Kinn faßte und, ihren Kopf aufhebend, ihr mit Zutraulichkeit und sichtbarer Theilnahme in die blauen Augen sah. Auch mit den ältern Schwestern unterhielt sie sich durch die Hilfe der Paul, wie sie sich denn auch an deren Mutter und Vater wandte. Doch nachdem sie wohl eine Stunde lang mit Herrn Stockton bei ihnen zugebracht hatte, ließ sie durch die Dolmetscherin den beiden letztern mittheilen, daß sie sich besonders für Magdalene interessire und daß, wenn Herr Stockton Nichts dagegen habe, sie diese an Kindes Statt zu sich zu nehmen wünsche.

Die Freude der Eltern über dies Anerbieten war außerordentlich, namentlich bemühte sich Madame Kunze, ihre Dankbarkeit dafür an den Tag zu legen, indem sie sich in Lobeserhebungen über diese Großmuth erschöpfte und die Paul ersuchte, dieselben Wort für Wort in das Englische zu übertragen.

Mit der vollsten Einwilligung des Herrn und der Madame Kunze in den Vorschlag, Magdalene zu sich zu nehmen, schied das Amerikanische Ehepaar, indem es hoffte, schon am folgenden Morgen die häuslichen Einrichtungen zu beendigen, die für die Bequemlichkeit und Annehmlichkeit des Kindes erforderlich sein würden.

Während Kunze's nun in überschwänglichem Glück den Rest des Abends verbrachten, herrschte auch in dem viel beschränkteren Raume, in dem sich Werner's befanden, eine überaus frohe Stimmung. Der alte Herr hatte unweit des Kastens, der als Tisch benutzt wurde, Platz auf einer hohen Kiste genommen, so daß er die ganze Familie übersehen konnte, die sich, auf kleinerem Gepäck sitzend, um die Abendtafel gesammelt hatte. In ihrer Reihe, und zwar an Mathilden's Seite, saß der freundliche gemüthliche Herr Stein, mit wohlthuender Zufriedenheit auf den Kreis der glücklichen Familie schauend, die er mit so sehr wenig Mühe und so geringer Aufopferung aus einer verzweifelten Lage gerissen und in diese heitere Stimmung versetzt hatte.

»Herr Stein, wie sollen wir Ihnen jemals für die große Wohlthat danken, die Sie uns durch Ihren Rath, durch Ihre Hilfe zugewendet haben?« sagte Madame Werner mit einer Thräne im Auge zu diesem; »es wäre ja schrecklich gewesen, wenn wir, wie die armen Stadtschreibers, in den Baracken hätten ein Unterkommen suchen müssen.«

»Es ist an mir, Madame Werner, dankbar zu sein, denn die Mühe, der ich mich unterzog, war wahrlich zu gering, um das beglückende Gefühl, die wohlwollenden Gesinnungen einer solchen Familie, wie die Ihrige, dadurch erworben zu haben, wirklich zu verdienen. Es ist kaum werth, daß Sie es erwähnen; könnte ich nur mehr für Sie thun!« erwiederte der Kaufmann mit freudigem Blick, wobei man es ihm ansehen konnte, daß die Worte aus seinem Herzen kamen. Dann sprang er plötzlich auf und sagte:

»Wir müssen aber doch eigentlich Ihren Einzug in dies Haus feiern; gleich werde ich wieder zurückkehren,« und war schnell durch die Thür verschwunden.

»Ein herrlicher Mann,« bemerkte Herr Werner von seinem Throne herab, indem er nach dem Kopf seiner langen Pfeife hinunter sah und einen seiner hagern Finger in demselben vergrub, um die Tabaksasche niederzudrücken. »Ich sage Euch, Kinder, in den Baracken sieht es fürchterlich aus, und ein Spektakel ist darin, daß man sein eignes Wort nicht hört. Besonders das Gekreische der kleinen Kinder fiel mir auf; wie mag es in der Nacht dort zugehen? Die Stadtschreiber's thaten mir wirklich leid, doch was nöthigte die auch auszuwandern? Der alte Mann hat ja kaum Kraft genug, sich selbst auf den Beinen zu halten, und mit seinen Mädchen kann er doch auf einer Plantage Nichts anfangen.«

»Aber, lieber Werner, hätte uns Herr Stein nicht geholfen, so würde es uns jetzt nicht besser ergehen, als Kunze's. Könnten wir nur Etwas für die Leute thun! Albert muß Morgen früh einmal hingehen und sie fragen, ob wir ihnen mit Diesem oder Jenem helfen können. Was mag aber nur Herr Stein vorhaben, daß er so eilig fortlief?« sagte Madame Werner, indem sie nach der hintern Thür ging, um den Vorhang vor derselben zurückzuziehen; denn es war drückend heiß in dem so sehr angefüllten, verhältnißmäßig kleinen Raum.

»Zünde die Lampe an, Mathilde, es wird dunkel,« fuhr dann ihre Mutter fort; »ich weiß nicht, was das ist, es juckt mich so an den Händen.«

»Das sind Mosquito's; hier hat mich auch einer gestochen,« sagte Albert, sich auf die Hand schlagend; »das ist ja abscheuliches Volk!«

Während Mathilde noch beschäftigt war, die Lampe anzuzünden, öffnete sich der Vorhang an der Straßenthür, Herr Stein trat mit drei Bouteillen Wein in der Hand herein und stellte sie auf den Tisch.

»Aber, lieber Freund, das sollten Sie doch nicht thun, sich noch unsertwillen in Unkosten zu bringen,« sagte Herr Werner zu ihm, indem er wohlgefällig nach den Flaschen blickte, die ihrer Form und ihrer Etiquette nach Rheinwein enthalten mußten.

»Wir müssen doch auf Ihre glückliche Ankunft und auf Ihren Einzug in Ihr Haus ein Glas Wein trinken. Das ist ein alter Bekannter von Ihnen, ein Rüdesheimer; wer weiß, wann Sie einmal wieder Rheinwein zu trinken bekommen. Im Lande kennt man nur Madeira. Albert, holen Sie einmal Gläser herbei,« sagte der Freund, indem er den Korkzieher an seinem Taschenmesser öffnete, um die Flaschen zu entkorken. Traulich klangen die Gläser, es wurden Toaste ausgebracht, auf die glückliche Ankunft und einen guten Erfolg von Werner's Unternehmen getrunken, der alten Heimath und dortiger Freunde gedacht, und Herr Stein schlug zuletzt noch vor, auf die Gesundheit Mathilden's ein Glas zu leeren, die sich um das einfache, aber gute Abendbrot verdient gemacht hatte.

Es war zehn Uhr vorüber, als der Freund die Familie verließ, die nun allgemein Anstalt machte, sich schlafen zu legen. Die Paradedecken wurden von den Betten herabgezogen, die Kisten in Treppenform zurecht gestellt, um die verschiedenen Lager besteigen zu können und, nachdem die drei jüngsten Kinder von der Mutter zu Bette gebracht waren, wurde die Lampe ausgelöscht, damit die übrigen Familienmitglieder ihre Nachttoilette vornehmen und sich gleichfalls niederlegen könnten.

Albert und sein Vater machten, während Mathilde und ihre Mutter sich zur Ruhe begaben, noch einige Gänge vor dem Hause auf und ab, dann kehrten sie in das dunkle Zimmer zurück, wo Albert wenige Minuten später sein Lager gefunden hatte. Herrn Werner kostete es mehr Zeit, bis er zur Besteigung seines Ruhebettes gerüstet war, denn er war gewohnt seine Kleidungsstücke vor Schlafengehen sauber zusammenzulegen, damit er sie zu jeder Zeit im Dunkeln finden könne, seinen Stiefeln zu gleichem Zweck einen bestimmten Platz zu geben und dann seine Pfeife zu reinigen.

»Gieb mir Deine Hand, lieber Werner,« sagte seine Frau, sich in der Dunkelheit nach ihm niederbeugend, als sie bemerkte, daß er Anstalt machte, die Kistentreppe zu ersteigen; »nimm Dich in Acht, daß Du nicht fehltrittst. Ich meine, die Kisten ständen nicht gut; Ihr habt die Koffer und Fässer unten hingebracht und die großen Kasten obendrauf, das ganze Gebäude scheint mir zu wanken.«

»Ja, liebes Kind, die großen Kisten waren im untern Schiffsraume, also die letzten, die hierhergefahren wurden. Gieb mir einmal Deine Hand. So, nun soll es schon gehen,« erwiederte Werner, die Hand seiner Gattin ergreifend, indem er sich mit der andern an der Matratze festhielt und sich auf das Bett hinaufhob.

»Das ist doch das sonderbarste Lager, was ich in meinem ganzen Leben bestiegen habe,« sagte er, sich zurecht legend; »diese Musquetiere sind aber sehr unangenehm, jetzt kann man sie ordentlich singen hören; das ist ja infames Zeug!« fuhr er fort, indem er mit der Hand einen Schlag durch die Dunkelheit führte.

»Ja, mich stechen sie auch, ich kann mich ihrer kaum erwehren,« sagte Mathilde von der andern Seite des Zimmers herüber, wobei sie hörbar ihr Tuch durch die Luft schwang.

»Ich glaube, mein Kind, das Beste ist, man läßt sie ruhig stechen, denn durch das Schlagen und Fechten werden sie nur noch wüthender. Es ist um des Teufels zu werden; da hat mich einer gerade auf die Nase gestochen. Kinder, zieht die Decke über den Kopf, dann können sie Euch nicht finden,« rief Werner, entrüstet über die Zudringlichkeit der Schnaken, zog sich zusammen und steckte seinen Kopf unter die Bettdecke. Ob die Andern seinem Beispiel gefolgt waren, konnte man der Dunkelheit wegen nicht sehen, wohl aber verkündeten sie bald durch ihr regelmäßiges Athmen, daß der Schlaf sie alle in seine Arme geschlossen hatte, und nichts Anderes unterbrach die Stille, als das Ticken der Taschenuhren und das Singen der Herrn Mosquito's, die, als ob sie ihre Opfer witterten, in immer größeren Schaaren durch die offenstehende Hinterthür hereingesummt kamen.

Auch Herr Werner schlief bald fest und gab dies durch sein Schnarchen zu erkennen, das wie der Ton einer Schrotsäge aus seinem Versteck hervorschallte. Es wurde ihm unter der dichten Ueberdeckung sehr warm, der Schweiß brach in schweren Tropfen an seiner Stirn hervor, es wurde ihm beklommen und ängstlich, er fing an zu träumen, und immer drohender, immer schrecklicher stiegen die Bilder seiner Phantasie vor ihm auf. Bald saß er auf einem wilden Pferd der Wüste, sich mit seinen langen Gliedmaßen an dasselbe festklammernd, während es durch eine stürmische Gewitternacht mit ihm dahinsauste; dann war er von Bären und Jaguaren umgeben, die ihre offenen Rachen nach ihm mit sammt seiner langen Pfeife ausstreckten, mit der er sie abzuwehren suchte. Zuletzt glaubte er sich von Indianern überwältigt, deren Einer mit einem langen Messer auf ihn zukam; er sah, wie der gräßliche Wilde die Hand nach seinem kahlen Haupte ausstreckte, um sich seines Scalps zu bemächtigen, stieß einen furchtbaren Schrei aus, wollte ihm entfliehen, und warf sich mit solchem Ungestüm auf seinem Lager um, daß er über den Rand der Matratze fiel, an die er sich in seinem Sturze mit beiden Händen anklammerte. Doch die Bewegung war so heftig, daß die obere Kiste, auf welcher das Bett ruhte, auf dem darunter liegenden Faß das Uebergewicht bekam, und Herr und Madame Werner mit Bett, Kisten und Kasten unter dem heftigsten Zetergeschrei, wie in einen finstern Abgrund, in den engen Raum zwischen dem Gepäck auf den Fußboden rollten. Das Bettzeug hatte das Ehepaar gegen Schaden geschützt, doch hielt es die beiden Gatten so fest umschlungen, daß deren Angstrufe wie aus einem verschütteten Keller dumpf zu den Ohren der Kinder tönten, die in ihrem Todesschreck aufgesprungen waren und in der Stockdunkelheit in dem Chaos umhertappten und fühlten, um ihren Eltern zu Hilfe zu kommen. Herr Werner hatte endlich das Kopfkissen von seinem Munde geschoben und seiner Stimme eine Oeffnung in's Freie verschafft, als Albert an der andern Seite seine beiden Füße erwischte und ihn mit aller Anstrengung wieder in seine Vergrabung herunterzog, um ihn, wie er hoffte, unter den Trümmern hervorzureißen. Zu allem Glück hatte Mathilde jetzt ein Feuerzeug ergriffen und machte Licht, wodurch es Albert möglich wurde, die schwere Kiste, die seine Eltern unter sich in dem Bettzeug gefangen hielt, von ihnen abzuwälzen und ihnen ihre Freiheit wiederzugeben.

»Daran sind die verdammten Musquetiere Schuld!« schrie Herr Werner in höchster Aufregung, indem er eine wollene Decke um die untere Hälfte seiner hagern Gestalt schlug, »die Bestien, die infamen! ihretwegen hatte ich die Decke über den Kopf gezogen, und da träumte mir, daß ein Indianer mich meines Haupthaars berauben wollte.«

Bei diesen Worten griff er unwillkürlich nach seinem Scalp, als wolle er sich überzeugen, daß er ihn noch besitze und das Ganze wirklich nur ein Traum gewesen sei. Das Bett der beiden Eheleute wurde nun für den Rest der Nacht auf dem Fußboden hergerichtet, und noch ehe eine halbe Stunde vergangen war, erlosch das Licht abermals, und der Engel der Ruhe schwebte wieder durch das Gemach.


 << zurück weiter >>