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Drittes Kapitel

Glück der Familie Kunze, Magdalene Kunze, die bethörte Mutter, Abreise von Galveston, Indian Point, das Lager, der Sänger, der Freiheitsheld, der Agent, unangenehme Nachricht, Einrichtung im Zelt, Werner's Hoffnungen und Pläne.

 

Zeitig am folgenden Morgen wurde das Gebäude von Kisten, Fässern und Koffern wieder aufgerichtet, und zwar kunstgerechter, damit dem darauf ruhenden Bett nicht abermals ein Unfall begegnen könne; das Frühstück genoß man unter Scherzen über die Störung in vergangener Nacht, und dann wurde Albert nach den Baracken gesandt, um sich nach Stadtschreibers zu erkundigen. Groß war aber das Erstaunen der Werner's, als derselbe die Nachricht brachte, daß Kunze's gestern mit Sack und Pack und in der fröhlichsten Laune jenes Obdach verlassen hätten, ohne zu sagen, wohin sie ziehen wollten.

Trotz vielseitiger Erkundigung von Seiten Werner's, um deren Aufenthalt zu ermitteln, und trotz gleichen Bemühens des Herrn Stein verstrichen doch einige Wochen, ohne daß ihre gegenwärtige Wohnung hätte ausfindig gemacht werden können.

Stein war während dieser Zeit thätig gewesen, um eine Privat-Schiffsgelegenheit zu ermitteln, mit welcher er seine neuen Freunde von hier fort nach Indian Point, einem weiter westlich an der Küste des Golfs gelegenen Landungsplatze, befördern könne, von wo aus die Emigranten mit Wagen nach Neu-Braunfels, der von dem Prinzen S. gegründeten ersten Niederlassung des Vereins, hinausgeschafft wurden, so daß Werner's vor allen hier harrenden Auswanderern ihrem Ziel näher gebracht werden möchten; denn hier war bis dahin Seitens der Vereins-Agenten für die Weiterreise derselben noch keinerlei Anstalt gemacht.

Eines Nachmittags gleich nach Tisch brachte Stein seinen Freunden denn auch wirklich die frohe Botschaft, daß ein kleines Küstenfahrzeug in wenigen Tagen mit Provisionen nach Indian Point absegeln würde, auf welchem er die Passage für sie bereits bedungen habe, und daß er am folgenden Tage ihre Effecten an dessen Bord schaffen lassen werde.

Die Nachricht wurde von Werner's mit großer Freude empfangen, da sie recht gut einsahen, wie ein jeder hier in Unthätigkeit verbrachter Tag gänzlich für sie verloren sei, und ihnen die Zeit ihres hiesigen Aufenthalts doch auch, trotz der von dem Verein gelieferten Nahrungsmittel, schon manchen Gulden ihrer Baarschaft gekostet hatte.

Mathilde hatte den Kaffee bereitet, den Kasten, der als Tisch diente, nahe an die offene Thür geschoben, so daß die um denselben Platz Nehmenden, unter denen auch Herr Stein sich befand, die frische Luft genießen konnten, denn es war beklemmend schwül in dem Hause, und sie hatte sich mit ihrer Näharbeit in deren Reihe gesetzt, um mit ihnen die Vorübergehenden zu betrachten, von denen eine große Zahl Emigranten waren. Es wurde über dieselben gesprochen, es wurde gerathen, was sie wohl in Deutschland gewesen sein mochten, über sie gescherzt, gelacht und deren Schicksal bemitleidet, da Mancher von ihnen, wie es schien, mit schwerem Herzen vorüberschritt.

»Dort kommt Stockton in seinem Cabriolet, der reiche Amerikaner, der das große Haus vor der Stadt besitzt,« bemerkte Stein, indem er in der Straße hinunter zeigte, von wo man ein elegantes, offenes, zweirädriges Fuhrwerk, von einem stolzen Braunen gezogen, rasch heranrollen sah.

»Wer mag die junge reich geputzte Dame sein, die er bei sich sitzen hat? seine alte schlechte Person, die bei ihm lebt, ist es nicht,« fuhr er fort, als der Wagen beinahe das Haus erreicht hatte.

»Mein Gott, ist es möglich? Magdalene Kunze!« sagte Mathilde im höchsten Erstaunen, wobei sich Werner's sämmtlich zur, Thür drängten, um ihre überraschten neugierigen Blicke auf das junge Mädchen zu richten, das sich mit gesenktem Haupt nach ihrem Gefährten wendete, um den forschenden Augen ihrer Landsleute zu entgehen.

»Schrecklich!« rief Stein in höchster Entrüstung aus, »ist es wirklich die Tochter der Familie Kunze? dann ist mir deren Verschwinden sehr erklärlich. Dieser Stockton ist einer der verworfensten Menschen, ein früherer Sklavenhändler, der wegen seiner Unthaten aus den Vereinigten Staaten hat fliehen müssen. Es lebt eine Person bei ihm, über welche die allerschauderhaftesten Gerüchte gehen, und die ihm bei seiner Flucht von New-York hierher gefolgt ist. Das Mädchen ist verloren!«

»Sie müssen ermitteln, Herr Stein, wo die alten Kunze's sind, damit ich sie aufsuchen und ihnen sagen kann, in welcher Gefahr ihre Tochter schwebt. Die arme Magdalene!« sagte Madame Werner, noch immer dem fliegenden reichen Schleier nachsehend, der von Magdalenen's Federhut wehte.

»O gehen Sie, Herr Stein, ich beschwöre Sie, vielleicht ist noch Rettung möglich!« setzte Madame Werner noch hinzu, und dieser eilte mit den Worten fort:

»Aus diesen Klauen schwerlich! doch ihren Aufenthalt kann ich jetzt leicht herausfinden.«

Madame Werner befand sich in der größten Aufregung, Mathilde mußte ihr behilflich sein, sich zum Ausgehen anzukleiden, und mit bebenden Händen trat sie vor den Spiegel, um ihren Hut aufzusetzen.

»Arme Magdalene!« sagte sie wiederholt leise vor sich hin, als sie an der Thür Platz genommen hatte und verlangend in die Straße hinunter blickte, ob sie Herrn Stein noch nicht zurückkehren sähe. Endlich kam der Ersehnte mit eiligen Schritten auf das Haus zu; Madame Werner rief ihm schon von Weitem entgegen:

»Haben Sie es ermittelt?« und als Stein die Frage mit »Ja« beantwortete, wendete sie sich zu Albert und bat ihn, sie zu begleiten.

Stein selbst erbot sich, sie zu dem Hause, worin Kunze's wohnten, zu führen. Madame Werner nahm es dankbar an und eilte mit ihm und ihrem Sohne der unglücklichen Familie zu, von der sie noch hoffte, ein schreckliches Verhängniß, das über derselben schwebte, abzuwenden.

Nach einem langen Weg durch die staubigen Straßen und erschöpft von der drückenden Sonnenhitze kamen sie an dem entfernten Ende der Stadt in die Nähe eines einzeln stehenden, ganz hübschen hölzernen Gebäudes, welches Herr Stein als den Aufenthalt der Kunze'schen Familie bezeichnete, und bezüglich dessen er bemerkte, daß es Eigenthum des Amerikaners Stockton sei.

Das Gebäude stand an der Straße, war vorn, wie die meisten Häuser der Stadt, mit einer auf Säulen ruhenden Veranda versehen, an denen blühende Schlingpflanzen in die Höhe gewuchert waren und dieselbe gegen die Strahlen der sengenden Sonne schützten, während sich zu beiden Seiten eine dichte hohe Hecke von Granatbüschen ausdehnte, die den Garten, in dem das Haus stand, rundum umgab.

Schon in einiger Entfernung bemerkte Madame Werner, daß ein Frauenzimmer hinter den Schlingpflanzen unter der Veranda saß, in welchem sie Madame Kunze erkannte. Mit Dank verabschiedete sie hier Herrn Stein und bat Albert, sie allein zu Stadtschreiber's gehen zu lassen, sich aber in der Nähe aufzuhalten, um sie auf ihrem Heimwege wieder zu begleiten, Hierauf schritt sie nach dem Hause hin, trat über die Treppe unter die Veranda und begegnete, Angst und Besorgniß im Herzen, dem triumphirenden Blick der Madame Kunze, die sich, in ihrem Schaukelstuhl sitzend, in die Brust warf und zu der Herantretenden sagte:

»Nun, Frau Cassirer, wie kommen wir zu der Ehre?«

»Beste Madame Kunze, die Besorgniß um ihr Wohl führt mich zu Ihnen; ich komme, um wo möglich ein großes Unheil, das Sie bedroht, von Ihnen abzuwehren,« erwiederte Madame Werner mit bebender Stimme, indem sie sich bemühte, in dem lächelnden Blick der Stadtschreiberin zu lesen, ob dieselbe wohl eine Ahnung davon habe, was sie ihr sagen wollte. Doch diese behielt ganz und gar ihre Ruhe bei und sagte:

»Sehr verbunden, Madame Werner, wirklich sehr gütig von Ihnen; bedauere nur, daß ich von Ihrer Güte keinen Gebrauch machen kann, indem uns weder ein Unglück bedroht, noch viel weniger aber betroffen hat; im Gegentheil, wir haben alle Ursache, von Glück zu sprechen. Aber wollen Sie nicht Platz nehmen, oder ziehen Sie es vor, in unser Gesellschaftszimmer zu treten?«

»Ich danke, liebe Kunze; aber um Gottes Willen, hören Sie mich, es hängt das ganze Glück Ihrer Familie davon ab. Wo ist Magdalene?«

»Da, wo Ihre Mathilde nicht ist, und wo Sie dieselbe wohl gern sehen möchten.«

»Davor bewahre mich Gott in Gnaden!« rief Madame Werner, entsetzt zurückfahrend und mit den Händen abwehrend, als ob ein gräßliches Ungeheuer sich ihr nahe. »Lieber würde ich sie im Leichentuch mit dem Kranz im Haar sehen!«

»Ei, ei, Frau Cassirer, ich sollte denken, es müsse jeder Mutter wohlthun, ihr Kind von einem reichen Manne adoptirt zu sehen; sollten Sie anderer Meinung sein? Ich glaube kaum. Es thut mir wirklich leid um Sie, daß Sie nicht dasselbe von Ihrer Mathilde sagen können.«

»Adoptirt von einem rechtlichen Manne, ja, aber nicht von einem ruchlosen Verführer, wie der, dem Sie Ihr Kind geopfert haben, um sich selbst Widerwärtigkeiten zu entziehen, die Sie durch Ihrer Hände Arbeit hätten überwinden können. Die Ehre, die Unschuld, das Lebensglück Ihres Kindes können Sie ihm nicht wiedergeben.«

»Ereifern Sie sich nicht, Frau Cassirer, ich kenne den Grund Ihrer Aufregung sehr wohl und habe Ihnen schon gesagt, wie sehr leid es mir thut, daß nicht Ihren Kindern gleiches Glück widerfahren ist. Sie haben ja aber auch so einen Freund, wie ich höre, einen Deutschen, sollte der sich nicht vielleicht entschließen?«

»Frau Kunze, ich bin aus Besorgniß für Ihr Wohl und aus Mitleid für das arme unglückliche Mädchen hierher gekommen, nicht aber, um die Meinigen von Ihnen schmähen zu lassen. Bedenken Sie, daß Sie dereinst darüber vor Gott als Mutter zur Rechenschaft gezogen werden, wie Sie über das Seelenheil Ihrer Kinder gewacht haben. Ich wiederhole es Ihnen, Sie haben Magdalene an einen herzlosen verruchten Verführer verkauft, und die Verantwortung, die Sie Ihrem Gewissen auflegen, wird furchtbar sein!«

»Frau Werner, ich danke Ihnen für Ihren Rath, weiß aber selbst, was ich zu thun habe. Sollten Sie jedoch gelegentlich meines Rathes bedürfen, so bitte ich, es mich wissen zu lassen. Bedaure, daß Sie sich den weiten Weg gemacht haben, er hat sie augenscheinlich angegriffen. Helene, bring doch der Frau Werner einen Stuhl aus dem Zimmer!« rief jetzt Madame Kunze in das Haus hinein zu ihrer ältesten Tochter, »sie hat sich sehr echauffirt.«

Bei diesen Worten stand Madame Werner sprachlos der verblendeten Mutter in die herzlosen Augen blickend, sie dachte nur an die liebliche unschuldige Magdalene und beachtete nicht weiter die Schmähungen, womit jene Frau sie überhäufte.

»Madame Kunze, ich beschwöre Sie bei Ihrer Pflicht als Mutter, erbarmen Sie sich Ihres Kindes. Sie haben es, ohne es zu ahnen, einem grenzenlosen Elend, einem sichern bodenlosen Untergang Preis gegeben. Nehmen Sie Magdalene zurück, jede Minute ist kostbar, ich beschwöre Sie bei dem allmächtigen Gott, retten Sie sie vom Verderben, noch ist es vielleicht Zeit!«

»Frau Cassirer, Ihre mißgünstigen, neidischen Bemerkungen verwunden mich nicht, doch sind sie mir langweilig. Wenn Sie das Wohl Ihrer eigenen Töchter überwachen wollen, so haben Sie, glaube ich, vollauf Beschäftigung; deshalb verschwenden Sie Ihre Aufmerksamkeit nicht an anderer Leute Kinder, die Sie gar Nichts angehen.«

Mit diesen Worten warf sich die Stadtschreiberin in ihren Schaukelstuhl zurück, schwang sich vorwärts und rückwärts und setzte einen großen Fächer in fliegende Bewegung, einen Gegenstand, der sie, als etwas ihr früher Unbekanntes, sehr zu interessiren schien.

Madame Werner blickte mit Schaudern noch einen Augenblick auf die herzlose Frau, dann wendete sie sich schweigend von ihr ab und verließ mit feuchten Augen das Haus, indem sie sich nach ihrem Sohne umsah, an dessen Arm sie dann zu den Ihrigen zurückkehrte.

Der folgende Tag brachte für Werner's wieder viel Arbeit und Unruhe, denn ihre Sachen wurden früh Morgens nach dem Schiff gefahren, welches sie nach Indian Point bringen sollte. Bei jedem Transport mußte eins der Kinder mitgehen, Herr Werner blieb am Bord des Kutters, um jedes einzelne ankommende Stuck des Gepäcks niederzuschreiben, während seine Gattin ein Gleiches mit den aus dem Hause fortgesandten that. Als der Abend kam, war das Haus bis auf das Bettzeug und das nothwendigste Kochgeschirr ausgeräumt; es wurden beim Abendessen, bei welchem sich der hilfreiche Herr Stein nochmals beteiligte, nach türkischem Gebrauch Kissen und Decken zu Sitzen verwandt, welche kleine Unbequemlichkeit der heitern Laune keinen Abbruch that, sondern im Gegentheil manche Veranlassung zum Lachen und Scherzen herbeiführte. So konnte zum Beispiel Herr Werner für seine langen unteren Gliedmaßen und seine lange Pfeife nie die richtige Lage finden. Mit dem tröstlichen Gedanken, am folgenden Morgen dem Ziel ihrer Wünsche entgegenzueilen, begaben sich Werner's zur Ruhe, nachdem der Freund ihnen beim Abschied die Versicherung gegeben hatte, sie abholen und zu dem Schiffe geleiten zu wollen.

Noch rollte sich am frühen Morgen der Nebel in leichten kleinen Wölkchen auf dem spiegelglatten grünen Gewässer des Golfs, die schneeweißen Möven wiegten sich in der Luft und schossen spielend und schreiend auf ihren langen sichelförmigen Schwingen durch das Nebelgewölk in die klare Fluth und wieder empor zu dem durchsichtig blauen Himmel, als Werner's auf dem beschränkten Verdeck des Kutters vertheilt saßen und ihrem treuen Freunde Stein mit Tüchern Lebewohl nach dem Strande hinwinkten, während der leichte Morgenwind die großen Segel des Schiffes füllte und es hinaus in die See trieb. Es war Februar, die Gluth der Sonne hatte sich seit Werner's Ankunft in Galveston bedeutend gesteigert, so daß sie ihnen jetzt auf dem offenen Verdeck fast unerträglich wurde, denn die ausgespannten Regenschirme, unter denen sie saßen, waren nicht hinreichend dicht, um die brennenden Strahlen ganz von ihnen abzuhalten. Doch der Wind wurde kräftiger, als sie mehr die hohe See erreichten, und die Hoffnung, nun ihrem Ziele zuzueilen, ließ sie gern alle Beschwerden, alles Ungemach ertragen.

Am Abend des zweiten Tages wandte sich das Schiff der flachen Küste wieder zu, es erschienen vor den sehnsüchtigen Blicken der Reisenden hölzerne Gebäude und eine große Anzahl Zelte auf dem Strande; bald ließ der Schiffer den kleinen Anker über Bord fallen, um den Lauf seines Fahrzeugs zu hemmen und um alsdann seine Passagiere in einem kleinen Boot an das Land zu setzen. Auch von ihren Effecten wurde das Nothwendigste sogleich nach der Küste geschafft, Albert holte von dem sogenannten Städtchen einige Männer herbei, um jene weiter auf das Land in die Nähe der dort aufgestellten Hunderte von Zelten zu befördern, und ehe eine Stunde verging, war auch das Leinenzelt der Familie Werner zum ersten Male aufgeschlagen, über dem der bunte Wimpel, der noch von den Freundinnen Mathildens in der Vaterstadt angefertigt war, wehte.

Die Sonne tauchte jetzt in die dunkle Fluth des ruhigen Golfs, der Himmel über ihr glühte im tiefen Purpur, und der kühle Abendwind zog wohlthuend und erfrischend über die öde sandige Küste, auf der Werner's jetzt ihre Wohnung aufgeschlagen hatten, und auf der weit und breit kein Baum, kein Strauch zu sehen war.

»Dem Himmel sei Dank, daß wir hier sind,« sagte Herr Werner, sich die Stirn wischend und, dem Seewind zugewandt, tief Athem holend, »das war ein heißer Tag; doch hier ist es herrlich, was für eine angenehme milde Luft hier weht! Albert, laß uns vor Allem die Betten herrichten, ehe es dunkel wird, und dann müssen wir versuchen, in den Häusern Holz zum Feuer und Milch zum Kaffee zu bekommen. Namentlich aber Wasser müssen wir anschaffen; Du kannst Dich einmal dort in dem Zelte erkundigen, wo der nächste Brunnen ist.«

Albert legte tüchtig Hand an die Arbeit, wobei er von seinem jüngeren Bruder und von Mathilde unterstützt wurde; die häuslichen Einrichtungen waren bald beendet, und dann eilte er mit einem Eimer nach einem nicht weit entfernt stehenden Zelt, um Wasser anzuschaffen. Von dort wies man ihn zu einem nur wenige Fuß tief in den Sand gegrabenen Loch, aus dem er mittelst eines an eine Stange gebundenen Schöpfers seinen Eimer mit Wasser füllte.

Werner's, die alle sehr durstig waren, bewillkommneten Albert mit dem Trunk freudig, füllten ihre Gläser und Becher und wollten sich recht daran laben, doch zu ihrem Leidwesen schmeckte das Wasser salzig und war außerordentlich warm. Holz war ihnen durch einen der Arbeiter, die ihre Effecten hierhergeschafft, herbeigetragen worden; es wurde daher bald ein Feuer angezündet und der Kaffee bereitet, zu dem als Abendessen noch das Brod, die Butter und der Käse verwandt wurden, welche Victualien sie von Galveston mitgebracht hatten.

»Albert, wir wollen jetzt zu dem Agenten des Vereins gehen, dessen Herr Stein erwähnte, und ihm unsere Aufwartung machen,« sagte Werner zu seinem Sohn, indem er an der im Zelte aufgehangenen Laterne einen Fidibus anzündete und damit seine Pfeife ansteckte.

»Wir kommen bald zurück, Julius muß Euch während unserer Abwesenheit vertheidigen, im Fall Ihr von Indianern angegriffen werden solltet,« bemerkte er noch scherzend zu den Frauenzimmern gekehrt und ging dann, von Albert begleitet, den hölzernen Gebäuden zu, von denen her viele Lichter durch die Dunkelheit blickten und lustige Musik erschallte.

Das große hölzerne Lagerhaus, welches dem Verein gehörte und in welchem dessen Agent sein Comptoir hatte, wurde ihnen unter der nicht großen Zahl zerstreut liegender Gebäude bezeichnet, in Folge dessen sie sich dorthin begeben und mehrere vor demselben sitzende Deutsche nach dem Agenten fragten.

»Der Herr Rößler ist nicht mehr hier, und sein Comptoir ist geschlossen; doch treffen Sie ihn morgen früh nach neun Uhr,« sagte einer der Angeredeten.

»Ich hätte ihn sehr gern noch heute Abend gesprochen,« bemerkte Herr Werner.

»Sie können es ja versuchen, ob Sie ihn aufzufinden im Stande sind; er wohnt dort unten in dem boardinghouse, von wo jenes Licht herscheint, doch das supper ist vorüber, und da wird er wohl oben in dem Wirthshause sein, von wo die Musik herkommt,« erwiederte ein Anderer; »dort werden Sie ihn sicher treffen, denn er ist gern da, wo es lustig hergeht.«

»So wollen wir es versuchen,« sagte Werner, indem er seinen Hut vor den Leuten höflich abnahm und mit seinem Sohne dem Ton der Musik entgegen ging.

»Der ist auch noch nicht lange hier, sonst schonte er seinen Hut mehr,« bemerkte einer der Deutschen; »was mag der Kerl wohl in Deutschland gewesen sein? Wahrscheinlich so ein Federfuchser; er wird sich umsehen, wenn er die Axt in die Hand nehmen soll.«

»Dazu wird er es wohl nicht bringen, denn hier giebt es keine Bäume zum Fällen, und ehe er in das Land hinauf kommt, hat ihn der Teufel mit seinen letzten Groschen geholt. Ich glaube, es sind zwei von den Passagieren, die heute Abend mit dem Kutter dort unten landeten,« bemerkte ein Anderer.

»Eine Schande ist es aber denn doch, daß gar keine Anstalten gemacht werden, die Emigranten nach Braunfels zu schaffen, es kommen deren täglich mehr an, und Alle verzehren hier ihre letzten Paar Heller. Wie viel mögen jetzt hier liegen?«

»Nun sicher über drei tausend Köpfe. Es ist freilich hart für die Leute, doch müßt Ihr bedenken, daß eine sehr große Zahl von Fuhrwerken durch die Regierung in Beschlag genommen ist, um dem alten General Taylor, der bei Point Isabel den Mexicanern schlagfertig gegenübersteht, Provisionen zuzuführen, und daß eine Menge Eigenthümer von Ochsenwagen auf Speculation dorthin fahren, um Geld zu verdienen. Das Gouvernement soll gut bezahlen.«

»Das ist allerdings so, doch wie lange liegen die Meisten der Emigranten schon hier; wären damals gleich bei deren Ankunft richtige Anstalten von Seiten der Direktion in Braunfels gemacht, so hätte sie jetzt Wagen, so viel sie brauchte, Geld hat der Verein wahrlich genug herübergesandt, wenn es nur richtig angewandt worden wäre. So ist es auch mit den Nahrungsmitteln. Der Mais, der lose in Schiffsräumen von New-Orleans für die Emigranten hier angekommen, ist moderig und ausgewachsen, auch sogar das gesalzene Fleisch verdorben, doch bin ich überzeugt, daß der Verein Alles für gut bezahlen muß.«

»Die Schuld fällt immer wieder auf den Verein zurück, warum schickt er so schlechte Beamten herüber?«

»Du sprichst gerade, wie Du es verstehst. In Deutschland mag Einer ganz gut sein, um für einen lebenslänglichen Gehalt täglich ein Paar Stunden am Schreibtisch zu sitzen; wie weiß der aber Etwas davon, was einem Emigranten hier nöthig und dienlich ist! Es soll eine tolle Wirthschaft auf der Sophienburg da oben in Braunfels sein, da geht es hoch her; an Champagner soll es nie fehlen!«

Während diese Leute sich hier in der Abendluft von ihrer Arbeit erholten und zusammen schwatzten, so gut und so schlecht, wie ihnen der Schnabel gewachsen war, hatte Herr Werner mit seinem Sohne die offene Wirthshausthür erreicht, in die er nicht sogleich eintreten konnte, da eine Menge Personen deren Raum ausfüllte und zwar nicht im Hineingehen oder Herauskommen begriffen, sondern fest dastehend, in die Hände klatschend und Bravo rufend, welche Beifallsbezeugungen stürmisch und tobend auch aus dem Innern des Zimmers herschallten.

Ein junger Emigrant, seines Zeichens ein Sänger, der in Deutschland nach einer verunglückten akademischen Laufbahn auf Messen und Märkten bei herumziehenden Musikantenbanden mitgewirkt hatte, beendete gerade in diesem Augenblicke ein niedrig komisches Lied, welches die Gemüther der sehr zahlreichen Gäste zu solch' ausgelassenem Applaus hingerissen hatte, daß das Lachen, Trommeln mit den Füßen und Lebehochrufen für den Künstler noch mehrere Minuten lang anhielt.

Der junge Musensohn saß in der Mitte vor dem Schenktisch, der die Wand des Zimmers gegenüber der Thür einnahm, auf einem leeren Mehlfaß, entlockte seiner Guitarre durch wildes Hin- und Herschlagen auf deren Saiten laut brausende Accorde und pfiff ein Finale aus dem Stegreif dazu, wobei er seine selbstgefälligen Blicke mit jenem seligen Leichtsinn nach allen Richtungen umherirren ließ, der in Deutschland so oft in Liederlichkeit untergegangene Künstlergenies charakterisirt. Sein Anzug stand in vollem Einklang mit dem Geist, der ihn beseelte; er trug eine graue leinene, über seinen Hüften festgeschnallte Hose, die mit dem losen weiten Baumwollenhemd seine ganze Kleidung ausmachte; eine Masaniello-Mütze saß verwegen auf dem blonden wild umlockten Kopf des Sängers, und hirschlederne Schuhe bedeckten seine Füße. Der rothe wüste Bart nebst einem langen Messer in dem Gürtel vollendeten den Italienischen Revolutionair, der jedoch nicht unter Palmen- und Olivenhainen zuerst das Licht der Welt geschaut und mit Datteln und Feigen großgezogen war, sondern seine ersten Blicke auf Eichen- und Buchenwälder im Norden von Deutschland gerichtet, und dessen Nahrung zumeist in Kartoffeln bestanden haben mochte.

»Noch Eins, Pape!« rief ein wüst aussehender Mann von breitem hohem Knochenbau, doch hagerem abgelebtem Aussehen, mit rothem struppigem Haupthaar und langem Kinn- und Schnurrbart dem Sänger zu, indem er seinen hellblauen baumwollenen Frack mit den Händen von der Brust zurückschob, um dieselben in seine Hosentaschen zu versenken, wodurch zwei Pistolen in seinem Gürtel sichtbar wurden.

»Erst muß die Kehle naß gemacht werden, Kreuzer,« erwiederte Pape; »gebt Ihr Einen zum Besten?«

»Soll mir nicht drauf ankommen,« sagte Ersterer, der in Deutschland Advokat gewesen war, seinem undankbaren Vaterland aber, das er von dem Druck der Regierungen und des Adels hatte befreien wollen, um selbst auf dessen Kosten ein müheloses Leben führen zu können, und das ihn für seine edeln Absichten und Freiheitsreden mit langjähriger Strafarbeit zu belohnen im Begriff gewesen war, Valet gesagt hatte.

»Was trinkt Ihr?«

»The real stuff, brandy for ever!« (Den ächten Stoff, Branntwein für immer!) antwortete der Sänger, sich auf dem Mehlfaß umkehrend, während der Advokat gleichfalls zu dem Schenktisch getreten war und sich wie Jener zu einem Bierglas voll halb Cognac halb Wasser verhalf.

»Auf den Tod der Fürsten und des Adels!« sagte Kreuzer, indem er sein Glas erhob; doch noch hatte es seine Lippen nicht erreicht, als ihn eine wohlgeführte, sehr kräftige Ohrfeige in seiner Rede unterbrach, und er im nächsten Augenblick von einem anständig gekleideten jungen Mann erfaßt und mit solcher Gewalt zur Thür hinausgeschleudert wurde, daß er den auf der Schwelle stehenden Herrn Werner in seinem Sturz mit sich fortriß, und Beide sich in der staubigen Straße überschlugen.

Der junge Herkules, der den Freiheitshelden so plötzlich in die Dunkelheit vor das Haus versetzt hatte, war ein Oekonom, ein Herr Fahrshasser, der, gleichfalls Emigrant, auch hier auf Weiterbeförderung durch den Verein harrte, und der sich durch sein anständiges Benehmen, so wie durch seine ungewöhnlichen körperlichen Kräfte allgemeine Achtung und großen Respekt unter der Bevölkerung von Indian Point erworben hatte. In dem Gastzimmer wurde sein Verfahren sehr gebilligt, der Advokat als ein Mensch genannt, der nur Zwist und Streit unter den Leuten hervorbrächte, und bald war die Störung vergessen, indem Pape, durch seinen Trunk erfrischt, wieder in die Saiten griff und, indem er ein lustiges Lied anstimmte, seine Umgebung abermals in lautes schallendes Lachen versetzte.

Herr Werner hatte sich inzwischen von seinem Schreck erholt, den Staub abgeschüttelt und trat, seine Pfeife wieder zusammensteckend, in das Gastzimmer, in welchem er seine Blicke prüfend eine Weile von Einem zum Andern durch die anwesende Menge wandern ließ, in der Hoffnung, zu erforschen, welches denn eigentlich der Agent des Vereins sein möchte.

Zuerst blieben sie auf einem blonden beschnurrbarteten Manne haften, dessen Haupthaar schon sehr durchsichtig war, obgleich er wohl kaum die Dreißig passirt hatte, der aber etwas Elegantes und Unternehmendes in seinem Wesen zeigte, welches durch den schwarzsammetnen Ueberwurf, aus dessen aufgeschlitzten Aermeln das schneeweiße Hemd hervorsah, und durch die feuerrothen, mit kolossalen Sporen bewaffneten hohen Reiterstiefeln, so wie durch lange, an den Beschlägen vergoldete Pistolen, die aus seinem Gürtel hervorsahen, noch erhöht wurde. Der aufgekrämpte, breitrandige graue Filz, von dessen Seite eine rothe Feder winkte, machte es Herrn Werner zur Gewißheit, dies müsse der Agent sein. Er schritt mit dem Hut in der Hand und mit einer höflichen Verbeugung auf ihn zu und fragte ihn, ob er die Ehre habe, den Agenten des Vereins, Herrn Rößler, vor sich zu sehen?

»Der bin ich nicht, mein Herr,« erwiederte der Angeredete, ein früherer Spanischer Officier, indem er die Cigarre aus dem Munde nahm, seinen blonden Schnurrbart strich und sich von der Ecke des Tisches, auf der er saß, auf den Fußboden hinabließ; »doch war er vor Kurzem hier. Habt Ihr Rößler nicht gesehen?« rief er dann nach einer Gruppe von einem Dutzend junger Männer hin, die nahe bei auf Bänken und Stühlen um einen Tisch saßen, auf dem eine ohngefähr gleiche Zahl leerer Bouteillen stand, während einige volle Flaschen von Hand zu Hand gingen, um mit dem deutschen Wein, den sie enthielten, die Gläser, gefüllt zu erhalten.

»Er war noch so eben hier,« sagte ein vom Wein erhitzter breitschultriger, wohlgenährter früherer Kürassier-Officier, Graf S…., seinen blau und weiß gestreiften Drillichrock von der offenen Brust zurückschlagend und aus dessen Tasche ein rothseidnes Tuch hervorziehend, womit er sich über die Stirn fuhr.

»Rößler ist in das hintere Zimmer gegangen,« bemerkte der Metzger Ofahrt, der neben dem Grafen saß, mit freundlichem Blick zu dem Fragenden aufsehend, wobei er mit der Hand nach der Thür wies, die neben dem Schenktisch offen stand.

Werner schritt darauf mit seinem Sohne nach jenem Zimmer hin, während die neugierigen Blicke der vielen anwesenden Personen ihnen folgten.

»Wieder neues Futter für den Hunger hier,« sagte Herr von Stiewitz, ein Assessor aus Norddeutschland, der Nachbar des Metzgers, indem er Werner's nachblickte; »dem wird der verdorbene Mais und das schimmelige Salzfleisch auch schlecht munden.«

»Er giebt einmal eine gute Stange, um die Wetterfahne daran zu befestigen, wenn in Braunfels ein Kirchthurm gebaut werden sollte,« scherzte ein Dachdecker, der gleichfalls an dem Tische saß.

Werner's aber hatten in dieser Zeit den freundlichen Agenten, Herrn Rößler, im hintern Zimmer aufgefunden, der sie herzlich willkommen hieß und, sich mit ihnen an einen Tisch niederlassend, sie bat, ein Glas Wein mit ihm zu trinken.

»Ich bin der Cassirer Werner, Herr Rößler,« redete derselbe den Agenten an. »So eben mit meiner Familie hier gelandet, komme ich, mich bei Ihnen zu erkundigen, wie lange ich wohl hier warten muß, bis ich auf meine Besitzung befördert werde. Ich habe hier meine Einrichtung darnach zu machen, namentlich in Bezug auf das Auspacken meiner Effekten, doch bitte ich recht sehr, zu entschuldigen, daß ich Sie außer Ihrer gewöhnlichen Geschäftszeit belästige.«

Rößler zuckte mit den Achseln und erwiederte alsdann: »Leider muß ich Ihnen sagen, daß dies sehr ungewiß ist, und daß bis jetzt auch gar keine Aussichten zu Ihrer Weiterbeförderung vorhanden sind. Sie finden hier über dreitausend Leidensgefährten, von denen die meisten schon seit verflossenem Jahre hier liegen; es sind aber im Augenblick bei dem besten Willen keine Fuhrwerke zu deren Uebersiedelung in das Land anzuschaffen, da der Krieg mit Mexiko sie alle nach dem Rio Grande lockt. Außerdem würden Sie nur bis Neu-Braunfels gehen können, wo Sie abwarten müßten, bis Niederlassungen in dem Vereinsland gemacht würden, welches noch mehrere hundert Meilen nördlich liegt, und wohin der Indianer wegen einzelne Familien noch nicht ziehen können. Neu-Braunfels aber steht auf Land, welches der Verein besonders gekauft hat, und auf welches die Emigranten keinen Anspruch haben. Freilich würden Sie es dort ruhiger abwarten können, als hier, wo sich mit der zunehmenden Hitze Krankheiten einstellen werden, da das Wasser sehr schlecht ist und die leichten Zelte der Emigranten nur wenig Schutz gegen die Sonne gewähren. Doch, wie gesagt, der Verein besitzt keine Wagen und kann auch im Augenblick keine anschaffen.«

Werner saß wie versteinert da und hörte mit Entsetzen der Rede des Agenten zu, wobei ihm bald heiß, bald kalt wurde. Ein Gefühl der Angst, der Unruhe hatte sich seiner bemächtigt, welches ihm jedes Wort im Munde erstickte, und bald wandten sich seine Gedanken nach dem Zelte auf dem Strande zu seinen Lieben hin, bald dachte er an das nette bequeme Haus, welches er in seiner Heimath verlassen hatte.

Der Agent bemerkte das Beben von Werner's Händen und die Blässe seiner Wangen, welche sich durch die herabgesunkenen Unterkiefern geglättet hatten; er fühlte Mitleid für den Mann und, auf den kräftigen gesunden Jüngling blickend, in welchem er dessen Sohn vermuthete, sagte er ermuthigend zu ihm:

»Lassen Sie sich darum nicht bange sein, Herr Werner; hier im Lande stirbt Niemand Hungers, der einen so kräftigen Sohn, wie Sie, hat. Im Nothfall nehmen Sie sich auf eigne Rechnung ein Stück Land und fangen an zu wirthschaften, das haben schon Viele vor Ihnen gethan, und es geht ihnen Allen gut.«

Werner holte tief Athem und schien sich der Schwäche zu schämen, die ihn übermannt hatte, auch fiel ihm zugleich das Gold ein, welches seine Frau in einem Mahagonyholz-Kästchen verwahrte.

»Ei ja, wenn es nicht anders ist, und der Verein so mit uns verfährt, dann mag er auch nicht klagen, daß sich seine wohlhabenden und besten Emigranten von ihm abwenden. Ich bin nicht mit leeren Händen herübergekommen, wie viele Andere, und würde dem Verein weniger, als diese, auf der Tasche gelegen haben.«

»Wie ich heute erfuhr, soll die Direction in Braunfels Versuche im Osten von Texas gemacht haben, um von da her Wagen zu bekommen, weil dort der Krieg noch nicht so viele weggezogen hat. Jedenfalls warten Sie es, einmal einige Zeit hier ruhig ab, man hört wohl bald deshalb etwas Bestimmteres,« bemerkte Rößler.

»Es bleibt mir ja wohl nichts Anderes übrig,« erwiederte Werner mit einem Seufzer; »wo erhalte ich denn meine Lebensmittel, Herr Rößler?«

»In dem Vereinslagerhaus. Sie bekommen Mais, den Sie auf den in dem Lager angebrachten stählernen Handmühlen zu Mehl umwandeln müssen, bekommen eingesalzenes Schweinefleisch und, wenn wir es gerade vorräthig haben, etwas Reis, Gerste oder getrocknetes Obst; doch dies sind eigentlich nur für Kranke bestimmte Artikel.«

»Das Wasser, welches wir heute Abend holten, war salzig und warm; wir konnten es kaum trinken,« bemerkte Werner.

»Das ist freilich ein großer Uebelstand, doch läßt er sich nicht ändern; es ist hier nicht besser zu haben.«

»Giebt es denn kein frisches Fleisch, keine Milch?«

»O ja, Sie können Beides hier kaufen, doch sind die Preise dafür hoch. Der Verein liefert weder das Eine, noch das Andere.«

Lange noch suchte sich Herr Werner durch Fragen Trost zu verschaffen, doch keinen andern nahm er mit sich aus dem Wirthshause fort, als den, welchen ihm der Gedanke an seinen Sohn Albert und an das Kästchen mit Gold gewährte.

Um seine Frauenzimmer nicht zu ängstigen, sagte er ihnen bei seiner Rückkehr in das Zelt nur, daß im Augenblick keine Fuhrgelegenheit da sei, weshalb sie wohl einige Wochen hier zubringen würden, und in dieser Verzögerung glaubte Madame Werner die Ursache der Niedergeschlagenheit ihres Gatten zu finden, mit der er sich heute zur Ruhe begab.

Am folgenden Morgen wurden nun sämmtliche Habseligkeiten der Familie aus dem Schiffe gelandet und nach ihrem Zelte gebracht; da dieselben indessen darin unmöglich Raum finden konnten, so thürmte man sie zu beiden Seiten desselben auf, so daß sie, von Weitem gesehen, sich wie Verschanzungen erhoben, aus denen hier und dort ein schwarzer Koffer wie ein schweres Festungsgeschütz drohend hervorblickte. Einige Kisten wurden geöffnet, um die häuslichen Einrichtungen zu vervollkommnen; man nahm alles Bettzeug, so wie verschiedenes Kochgeschirr und Handwerkszeug hervor, und Albert packte seine Buchse aus, um gelegentlich sein Glück auf der Jagd zu versuchen. Die Nachbarn aus den zunächst stehenden Zelten, Erdhütten und Bretterverschlägen kamen herbei, um zu hören, aus welcher Gegend Deutschlands Werner's gekommen wären, Alle in der Hoffnung, über ihre specielle Heimath etwas Neues zu vernehmen, und ehe der Morgen verging, verbreitete sich das Gerücht von der Ankunft kürzlich von Deutschland herübergekommener Emigranten durch das Lager, worauf eine große Menge von Leuten aus den nahen und fernen Aufenthaltsstellen zu Werner's Zelt eilten.

Doch unter den vielen Besuchern war kein früherer Bekannter dieser Familie, selbst nur Wenige, die ein und denselben Staat ihre Heimath nannten; dem ohnerachtet wurden bald Bekanntschaften angeknüpft, wie es Landsleute in einem fremden Lande leicht thun, und wie es gemeinschaftliche Widerwärtigkeiten, namentlich wenn man nach ein und demselben Ziele strebt, schnell herbeiführen. Werner's machten Besuche, und noch viel mehr wurden sie besucht, da es sich verbreitet hatte, sie seien reiche Leute, auf welchen Grund hin ihnen auch vielseitige Vorschläge zu gemeinschaftlichen Unternehmungen gemacht wurden. Der Cassirer ließ sich jedoch von seinem einmal gefaßten Lebensplan nicht abbringen, wenn er ihn auch in gar mancherlei Beziehung jetzt schon ändern mußte. Er hatte zum Beispiel bereits ausgefunden, daß, wenn er auch von dem Verein ein Stück Land erhielt, er doch eine Plantage darauf erst selbst anlegen müßte, daß hierzu aber viele Arbeitskräfte nöthig wären, und daß Neger, die sich hierzu am meisten eignen, erst um einen sehr hohen Preis gekauft werden müßten. Ebenso hatte er sich überzeugt, daß, um eine große Heerde Vieh zu besitzen, man dieselbe für ein bedeutendes Kapital erwerben müsse, oder viele Jahre abzuwarten habe, bis eine solche aus wenigen Stücken herangezogen sei.

Bei allen diesen Betrachtungen concentrirten sich Werner's Hoffnungen immer in Albert, dessen Tätigkeit er dann zu ein und derselben Zeit in sehr vielseitiger Weise in Anschlag brachte. Wenn auch die Plantage jetzt in seiner Phantasie nicht so schnell entstand, als bei seinen ersten Calculationen in Deutschland, so beruhigte er sich doch nach und nach durch den Gedanken, daß er mit Albert's Hilfe bald eine bequeme und einträgliche Farm erschaffen könne und täglich erweiterte er das Gebiet der Möglichkeit seiner Berechnungen noch um Etwas, bis wie weit er es würde bringen können. Dabei hieß es denn: »Wir bauen uns einige Blockhäuser von rohen Baumstämmen, decken sie mit Schindeln, beschlagen sie inwendig mit Brettern aus gespaltenem Holze, und darin werden wir ebenso glücklich leben, als in unserem alten Hause in Deutschland,« oder: »Wir brechen im ersten Jahre nur zehn Acker Grasland um, damit wir keine Zeit verschwenden, den Wald zu roden; fünf Acker werden uns hinreichend mit Mais versehen, die andern fünf Acker bepflanzen wir mit Baumwolle, die uns wenigstens dreitausend Pfund derselben liefern, welche zu zehn Cent gerechnet uns dreihundert Dollars baares Geld einbringen. Ausgaben haben wir keine, da wir für mehrere Jahre mit Allem versehen sind, weshalb wir wenigstens zweihundert Dollars am Ende des ersten Jahres verwenden können, um Vieh zu kaufen.«

Niemals fragte sich aber Werner bei diesen Berechnungen, wer die Bäume zu den Blockhäusern fällen, wer sie heranfahren und zurichten und wer jene aufbauen solle; wer die Schindeln verfertigen, das Holz zu Brettern spalten werde; wer die zehn Acker steinhartes Land pflügen, bepflanzen und bearbeiten könne, und ob auch das Grasland gleich eine volle Ernte geben würde, was dies erst im dritten Jahre zu thun pflegt.

Doch einmal den Pfad der Hoffnung wieder betreten, schritt Werner muthig auf ihm fort und vergrößerte und verschönerte täglich seine Luftschlösser, wobei die Frauenzimmer nicht unthätig blieben, denn Madame Werner ließ in Gedanken eine Heerde schöner Kühe aufmarschiren, um sie selbst zu melken und die Milch in Butter und Käse umzuwandeln, und verfehlte nicht, diese Artikel auch sogleich für Hunderte von Dollars verkauft zu haben, während die Mädchen sich eine große Anzahl von Schafen herbeidachten, die sie unter ihre Obhut nahmen, und aus deren Wolle sie Kapitalien sammelten. Albert allein wollte in diese Berechnungen nicht einstimmen, sondern wies bei jeder Gelegenheit auf die großen Schwierigkeiten hin, die der Erreichung dieser herrlichen Wünsche entgegenständen, weshalb die Familie in seiner Gegenwart bald vermied, dies Lieblingsthema zu behandeln, sich aber desto mehr an demselben erfreute, wenn er auf die Jagd oder zum Fischen gegangen war.


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