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Elftes Kapitel. Heimkehr und Tod.

siehe Bildunterschrift

Königin Luise von Preußen.
Ölgemälde von Josef Maria Grassi aus dem Jahr 1802
Quelle: de.wikipedia.org

In Erwartung der Rückkehr – Napoleon fordert die Anwesenheit des Königs in Berlin – Bange Ahnungen Luises – Einzug in Berlin – Freudige Stimmung – Neues Hofleben – Luises Ballgespräch mit Wittenstein – Harte Forderungen Napoleons – Die Frage der Abtretung Schlesiens – Luise und Wittgenstein verwerfen diesen Plan des Ministeriums – Hardenbergs Zurückberufung – Eine neue preußische Politik – Die Keime der Erhebung zur Befreiung von der Fremdherrschaft – Die Denkschrift Luises – Reise der Königin nach Hohenzieritz – Freudiges Wiedersehen mit ihrem Vater und der betagten Großmutter – Besuch des Königs – Der Beginn der Krankheit Luises – Es geht zu Ende – Am Sterbebett der Königin.

Im November endlich scheint Friedrich Wilhelm den Plan, nach Berlin zurückzukehren, ernstlich ins Auge gefaßt zu haben. Wenigstens schrieb die Königin ihrem Bruder, daß sie wahrscheinlich am 14. oder 15. Dezember aus Königsberg abzureisen gedächten, damit sie am 23. ungefähr in der Hauptstadt sein könnten. Am politischen Horizont sah es nicht mehr ganz so trübe aus. Napoleon schien Preußen gegenüber friedlicher gesinnt zu sein, ohne freilich von seinen Kriegsentschädigungen etwas abzulassen.

Der Frieden zwischen Frankreich und Österreich war geschlossen. Napoleon hatte einen neuen Triumph zu verzeichnen. Jetzt war auch der König von Preußen bereit, einen Annäherungsversuch zu machen, in der Hoffnung, sein Los zu verbessern. Er sandte daher Krusemarck im November nach Paris mit Glückwünschen und gleichzeitig mit der Bitte um Erleichterung der Kontributionszahlungen. Napoleon empfing den preußischen Gesandten zwar nicht unfreundlich, forderte aber fast drohend die Rückkehr des Königs nach Berlin. Bei dieser Gelegenheit sprach er auch von Luise in Ausdrücken großer Bewunderung. Immerhin, meinte er, hätte es ihn erstaunt, daß die Königin mit ihrem Geist und ihrer Klugheit den Dingen keine bessere Wendung zu geben vermochte. Fast mit denselben Worten, die er später auf Helena gebrauchte, sagte er zu Krusemarck: »Wenn sie früher nach Tilsit gekommen wäre, das heißt, ehe alles schon beschlossen war, hätte ich mich vielleicht mit ihr verständigt.« Freilich ein geringer Trost für Luise. Es wäre unklug gewesen, hätte man Napoleons Zorn noch mehr herausgefordert, und so schickte man sich nun wirklich an, Königsberg zu verlassen. Luise wurde bei dem Gedanken, daß sie nun bald, nach einer Abwesenheit von vier Jahren, ihr altes liebes Berlin, ihr Charlottenburg, Potsdam, Paretz und alle Stätten wiedersehen sollte, an denen sie einst so überaus glücklich gewesen war, »ganz elend vor Seligkeit«. Sie stellte sich den Augenblick vor, wenn sie zum erstenmal die Türme von Berlin erblicken, wenn ihr Wagen von der Brücke nach links biegen und die Rampe des Schlosses hinauffahren würde. Ihr Herz krampfte sich vor Glück, aber auch vor Bangigkeit zusammen, denn trotz aller Freude befürchtete sie nach der Rückkehr neue Unglücksschläge. Die Lage Preußens zu Frankreich war im Grunde genommen unverändert die gleiche. Napoleon war von seinen Forderungen nicht abgegangen. Er hatte zwar zu Krusemarck gesagt, er wolle Preußen wegen »dem Briganden und Dieb Schill« nicht den Krieg erklären, auch keine Gebietsabtretung fordern. Aber die ungeheure Kriegsschuld mußte bezahlt werden. Schwarze Ahnungen ängstigten Luise. Was würde er noch alles verlangen!

Solche Gedanken mögen sie auf der langen, unbequemen Reise von Königsberg nach Berlin bewegt haben. Es konnte daher nicht die ganze große Freude zum Ausdruck kommen, die sie in ihrem Innern wirklich über die endliche Heimkehr empfand. Als sie aber dann die vielen glücklichen, frohen Gesichter der Berliner sah, verwehten auch in Luises Herzen die trüben Gedanken, und sie gab sich ganz der Wiedersehensfreude hin. Schon in Freienwalde empfing sie ein heiterer Fackelzug der Knappen des dortigen Bergwerks und geleitete sie zum Schlosse der verstorbenen Königin-Mutter, wo sie die Nacht vom 22. zum 23. Dezember verbrachten. Und am nächsten Tag waren sie wieder in Berlin.

Wie bei ihrem ersten Einzug als Braut des Kronprinzen kam ihr auch jetzt die Bevölkerung mit unbeschreiblichem Jubel entgegen. Die Berliner Bürgerschaft hatte ihr einen prächtigen Wagen geschenkt. Er war mit lilafarbenem Samt ausgeschlagen und reich mit Silber verziert. Auch die acht Pferde hatten silberne Geschirre. Luise trug ein herrliches hermelinbesetztes Samtkleid von der gleichen Farbe der Innenpolsterung des Wagens. Mit ihr fuhren zwei ihrer Kinder, die Prinzessin Charlotte und der Prinz Karl, außerdem ihre Nichte, die Prinzessin Friederike und die alte Voß. Friedrich Wilhelm III. zog zu Pferd in seine Hauptstadt ein, und seine beiden ältesten Söhne marschierten als Offiziere an der Spitze ihrer Regimenter.

Unter dem Jubel der Menge gelangte der Zug bis zum Palais Unter den Linden, wo Luises ganze Familie, alle Prinzen und Prinzessinnen des Hofes zu ihrem Empfang versammelt waren. Die freudigste Überraschung für Luise aber war, daß ihr Vater sie als erste empfing. Auf dem ganzen Wege hatte sie ihre Tränen kaum zurückhalten können. Nun stürzte sie ihrem alten Vater schluchzend in die Arme und weinte sich aus.

Sie war wieder da! Überall um sie her waren strahlende Gesichter. Ein jeder wollte ihr beweisen, wie sehr man sie liebte. Aber auch ein Gefühl unendlichen Mitleids mischte sich in diese Wiedersehensfreude. Man sah es der Königin an, daß sie viel gelitten, daß sie in der Verbannung harte Zeiten hatte durchmachen müssen. Und man suchte sie ihr auf alle mögliche Weise vergessen zu machen. »Wie süß ist es, so geliebt zu werden«, schrieb Luise einige Tage später an Frau von Berg.

Sie war namenlos glücklich, wieder daheim zu sein. »Es erträgt sich alles besser hier«, meinte sie. Mit unaussprechlicher Freude durchschritt sie die Räume des Schlosses und feierte manch glückliches Wiedersehen mit diesem oder jenem ihr lieben Gegenstand. Alles war unverändert und »doch so anders«. Noch am selben Abend war sie mit dem König in der reizend illuminierten Stadt herumgefahren und hatte sich an dem Jubel und der Begeisterung der Bevölkerung erfreut. Am nächsten Tag wohnte sie mit dem ganzen Hof dem Dankgottesdienst im Dom bei und am ersten Weihnachtsfeiertag einer Festvorstellung von Glucks »Iphigenie in Aulis« in der Oper. Als Luise in der Loge erschien, ging ein Brausen durch das ganze Haus. Damen und Herren standen von ihren Sitzen auf, schwenkten ihre Taschentücher und begrüßten die Königin mit lauten Hochrufen.

Im Schloß gab es wieder Feste. Das Hofleben begann von neuem. Fremde Fürstlichkeiten und Gesandte kamen, um dem zurückgekehrten Königspaar ihre Glückwünsche zu überbringen. Der Neujahrstag 1810 wurde mit einer großen, prachtvollen Hofcour gefeiert. Aber es war ein schwerer Tag. Schmerzlich deshalb, weil die Königin und der König nun Leute wiedersahen, die in den Zeiten des Unglücks ein zweideutiges Verhalten an den Tag gelegt hatten. Nun aber kamen sie und umschmeichelten von neuem den Monarchen. Luise überwand schnell ihre Aufregung darüber. Als sie den Rittersaal betrat, waren aller Augen auf sie gerichtet. Sie war sehr einfach gekleidet. Ein violettes Samtkleid – ihre Lieblingsfarbe – umschloß ihre schöne Gestalt. Weder Diamanten noch kostbare Stickereien schmückten ihren Anzug. Einige Perlen im Haar und um den Hals waren der ganze Schmuck, den sie trug. Und darum gerade sah sie so schön aus.

Der ganze Januar fast verging mit Diners, Empfängen, Bällen, Theatervorstellungen, Gesandten- und Ministeraudienzen, Paraden, Besuchen und sonstigen Verpflichtungen. Am 13. Januar, dem Jahrestag der Krönung Friedrichs I., beging man zum erstenmal das Fest der Verteilung des Roten Adlerordens. Aber diese neue Einrichtung, die man für eine Nachahmung ähnlicher Veranstaltungen in Petersburg hielt, mißfiel den Berlinern. Es hatte sich der Bevölkerung überhaupt seit dem Krieg ein kritischer Geist bemächtigt, der früher niemals so stark hervorgetreten war. Steins Worte aus dem Jahre 1808, »es müsse in der Nation ein Gefühl des Unwillens gegen alles Fremde« erhalten werden, schien auch in bezug auf Rußland Wurzel geschlagen zu haben. Der preußische Volksgeist schlief nicht mehr wie einst. Er war erwacht. Das merkte man sogar an ganz unbedeutenden Dingen.

Mitten in diesem Leben befiel Luise oft die größte Sorge um die Existenz des Königs. Immer wieder dachte sie daran, daß er doch noch seinen Thron verlieren, seinem Volke entrissen werden könne. Als sie ihren Geburtstag zum erstenmal wieder in Berlin feierte, hatte der König ohne ihr Wissen große Cour im Weißen Saale des Berliner Schlosses befohlen. Es wurde ihr so bang ums Herz, als Friedrich Wilhelm sie glückstrahlend in den großen wundervoll geschmückten Festsaal führte, dessen Türen sich nur zu Hochzeiten der königlichen Familie öffneten. »Ach,« rief sie schmerzlich bewegt, »das ist das Ende meiner irdischen Größe!« In ihrem Innern aber dachte sie, ob sie wohl noch oft so prunkvoll ihren Geburtstag feiern würde. Rings in Europa schwankten die Throne bedenklich. Den Spaniern hatte ihre Erhebung gegen die Herrschaft des fremden Diktators nicht im geringsten genützt. Ja, seine Siege erstreckten sich nicht nur auf Eroberungen von Ländern, sondern auch auf Dynastien. Das Gerücht seiner Vermählung mit einer österreichischen Erzherzogin wurde bald durch die Vorbereitungen zu dieser Hochzeit bestätigt. Die Tochter des österreichischen Kaisers, eines Habsburgers, wurde seine Frau! In Rußland hatte er auch angefragt, aber dort war er auf den heftigen Widerstand der Kaiserin-Mutter gestoßen. Luise schauderte bei dem Gedanken, daß er möglichenfalls ihre erste Tochter zur Frau hätte begehren können, und pries sich glücklich, daß sie tot zur Welt kam. Denn nun wäre sie sechzehn Jahre alt gewesen. Und wie hätte der König in seiner abhängigen Lage dem Gewaltigen eine abschlägige Antwort geben können? Wie hätte er ihm ein Ja verweigern können, von dem das Glück ihrer Untertanen, alle Befreiung aus Not und Elend abhing? »Denken Sie es sich nur recht lebhaft, lieber Vater, und danken Sie Gott mit mir, daß er diesen Kelch vor dem guten König und mir hat vorübergehen lassen.« – Daß aber Österreich sogar selbst Schritte getan hatte, um diese Heirat zustande zu bringen, das ging Luise gar nicht in den Kopf. »Im Grunde genommen ist es, um blutige Tränen zu weinen, daß es soweit gekommen ist mit den Menschen, mit dem Jammer auf Erden.«

Und neben den politischen Sorgen erfüllte sie aufs neue die Sorge um ihre Kinder. Der Kronprinz besonders war ihr Sorgenkind. Sein heftiger, ungestümer, wilder Charakter gab Luise Veranlassung, eine unglückliche Zukunft für ihn vorauszusehen. Delbrück war nicht der geeignete Erzieher für ihn. Er mußte verabschiedet werden, und die Königin bestimmte Ancillon zu seinem Nachfolger. Alexander hatte ihr schon früher dazu geraten. Beständig war sie damit beschäftigt, die geistige Entwicklung ihrer Kinder zu fördern. Pestalozzi, den sie schon in Königsberg eifrig studiert hatte, war ihr Führer. Sie begeisterte sich an seinem Erziehungsroman »Lienhard und Gertrud«, und seine Erziehungsmethode erschien ihr wert, auch in Preußen verbreitet zu werden. In Rußland hatte sie die bedeutenden Erziehungsanstalten der Kaiserin-Mutter bewundert. Sie hoffte, auch ein gleiches für ihr Land ins Leben rufen zu können. Leider überraschte sie der Tod, ehe sie diese Pläne zur Ausführung bringen konnte.

Im Frühjahr zog es den König wieder nach Potsdam, das er so sehr liebte. Die Königin begleitete ihn, obwohl die kleine Luise in Berlin schwer an Brustfellentzündung erkrankt war. Aber Luise wollte ihren Mann gerade jetzt nicht gern allein nach Potsdam gehen lassen. So teilte sie sich in die Sorge um ihn und um ihr krankes Kind. Täglich fuhr sie nach Berlin und wieder zurück zu Friedrich Wilhelm. Die Fahrten waren anstrengend und bei kaltem Wetter unangenehm. Bald wurde auch die Königin krank. Sie bekam Husten, fieberte und mußte mehrere Tage im Bett liegen. Die Brustkrämpfe, an denen sie seit einigen Jahren zeitweise litt, wurden immer häufiger. Der König dachte schon daran, mit seiner kranken Gattin wieder nach Berlin überzusiedeln. Da wurde Luise wieder gesund. Sie erholte sich schnell, und man blieb in Potsdam.

Die Zukunft erschien ihr nicht rosiger. Napoleon drang immer energischer auf Zahlung der Kriegsschulden. Aber es war ganz unmöglich, so große Summen aufzubringen. Die Anleihen, die der König und seine Minister versuchten, mißlangen. Und noch einmal glaubte man, Napoleon milder stimmen zu können. Im Januar suchte Krusemarck um eine neue Audienz beim französischen Kaiser nach. Sie wurde gewährt. Napoleon empfing ihn diesmal mürrisch und ging nicht im geringsten auf seine Vorstellungen ein. »Wenn der König von Preußen nicht zahlen kann,« sagte er, »so soll er eine Provinz abtreten. Paßt ihm das nicht, so soll er mir seine Domänen überlassen.« Er hatte es besonders auf Schlesien abgesehen.

Von neuem war guter Rat teuer. Niemand wußte sich zu helfen. Altenstein besaß die Schwäche, zur Abtretung von Schlesien zu raten, denn er wußte keinen andern Ausweg, um Napoleon zu beruhigen. Die Königin war empört. Wieder war sie bereit, sich ins Mittel zu legen. Sie war sogar einer Reise zu Napoleon nach Paris nicht abgeneigt, zumal auch der französische Gesandte Saint-Marsan in Berlin der Meinung war, daß sie viel Einfluß auf den Kaiser haben könne. Sicher aber hielt er viel von einem Brief Luises an Napoleon. Sie schrieb ihm und sandte den Brief durch die Vermittlung ihrer Schwester Therese, die in Paris lebte. Natürlich hatte ihr Schreiben keinen Erfolg. Napoleon bestand nach wie vor auf sofortiger Zahlung der Kontributionen oder Gebietsabtretung. Er betrachtete Preußen und den König, nach allem, was er ihnen zugefügt hatte, als seine persönlichen Feinde und ließ ihnen das auch durch Krusemarck sagen.

In diesen Tagen regte sich in der Königin wieder der alte Kampfesmut. Sie empfand jetzt die Notwendigkeit, die äußersten Mittel anzuwenden. Eine Erhebung Preußens, die besonders Stein befürwortete, schien auch ihr vonnöten zu sein als einziges Mittel, loszukommen von dem Bedrücker. Und von neuem wurde der Kriegsgedanke in Luise wach. Jetzt aber war sie vorsichtiger in ihren Ratschlägen. Sie ging nicht mehr direkt aufs Ziel los. Das Einmischen in die Ereignisse von 1805 und 1806 hatte ihr zu großes Leid und zu viele Tränen gekostet. Die Verantwortung war zu groß gewesen. Es ist indes nicht von der Hand zu weisen, daß sie auch jetzt ihren Mann bereits für eine Erhebung günstig zu stimmen suchte. Das wurde ihr dadurch erleichtert, daß der König selbst über die Schwäche seiner Minister empört war. Als die Nachrichten aus Paris eintrafen, äußerte er sich: »Ich habe es ja immer gesagt, daß sie nur Dummheiten machen, daß sie zu nichts taugen und weder bei mir noch dem Publikum Vertrauen besitzen.« Ein andermal wieder meinte er, keine besseren Minister finden zu können. Immer wieder war es ein Hin- und Herschwanken seiner Meinung, ohne daß er einen festen Entschluß fassen konnte.

Und von neuem ist es Luise, welche die Initiative ergreift und den Wendepunkt in der preußischen Politik herbeiführt. Zur Feier ihres Geburtstages war auch ihr früherer Berater in mancher politischen Not, der Fürst Wittgenstein, anwesend. Er sollte ihr auch jetzt helfen. Als sie mit ihm tanzte, sprach sie mit ihm über die ungeheuren Forderungen Napoleons, besonders aber über die unglaubliche Schwäche des Ministeriums Altenstein, das die Abtretung Schlesiens befürwortete. Gleichzeitig bat sie Wittgenstein, er möchte sein ganzes Finanzgenie aufbieten und einen Ausweg finden, wie man die Kontributionen aufbringen könne, ohne Schlesien opfern zu müssen. Der Fürst, als gewandter Geldmann – er war selbst an einer Bank in Kassel beteiligt gewesen – fand einen Ausweg. Er arbeitete gleich am nächsten Tag nach dem Ball eine Denkschrift aus, in der er darlegte, daß fünfundzwanzigtausend preußische Bürger durchschnittlich jeder 4000 Taler, zum Teil in barem Gelde, zum Teil in Staatspapieren, aufbringen sollten. Dieses Geld würde als Nationalschuld erklärt werden und sollte der Grundstein zu einer Nationalbank sein. Auf diese Weise, meinte er, würde die Kontribution an Napoleon zu zahlen sein.

Er besprach mit der Königin diesen Plan. Sie billigte ihn. Ehe man indes ihn ausführte, sollte Hardenberg seine Zustimmung dazu geben. Er befand sich zu jener Zeit in Hannover. Damit war der Königin gleichzeitig ein Fingerzeig gegeben, wie gut es wäre, wenn Hardenberg die Geschäfte wieder übernähme. Luise sah nichts lieber als das und hat dann auch alles getan, um den König zu bewegen, daß er Hardenberg wieder an die Spitze der Angelegenheiten berief. Nur war das nicht so einfach, denn Napoleon mußte zu dieser Ernennung seine Zustimmung geben. Und da er Hardenberg haßte, war wenig Hoffnung vorhanden, daß er es tun werde. Hardenberg selbst gestand der Königin und auch dem König, die ihn zu einer heimlichen Zusammenkunft veranlassen wollten, wie gefährlich es wäre, wenn Napoleon davon erführe. »Ich muß es vermeiden, den Vorwand zu neuem Unglück zu geben«, meinte er. Schließlich fand diese geheime Zusammenkunft aber doch am 14. April – zwar ohne die Königin – in Beeskow statt, wo der König vorgab, russische Matrosen zu besichtigen, die aus Frankreich in ihre Heimat zurückkehrten. Dann kamen alle drei noch einmal Anfang Mai auf der Pfaueninsel zusammen.

Immer energischer arbeitete Luise auf ein Ministerium Hardenberg hin. Sie verehrte Hardenberg wie einen Vater. Er war der humanste unter allen Ministern, ein selten kluger Mann mit klarem Verstand. »Vor seinem geistigen Blick« standen enthüllt alle Hindernisse, die sich seinen Zwecken entgegenstellten. Er fühlte es von vornherein, ob er sie besiegen könne oder nicht. Er war ruhig und konnte warten. Sah er, daß er nicht durchkommen konnte, so umging er mit gewandter Klugheit alle feindseligen Kräfte, ließ sie aus dem Spiele und erreichte seine Absicht auf einem andern Wege. Durch seine vielen Reisen und sein beobachtendes Leben bei Höfen kannte er genau die regierenden Herren, ihren verborgenen Willen, ihre versteckten Triebfedern, ihre Einfluß habenden Umgebungen, auch die weiblichen. Unbefangen und heiter ging er durch alle Intrigen, als wenn sie nicht da wären. Er tat, als sähe er sie nicht – und doch sah und wußte er alles. Er war ein durchaus kluger Mann, konnte sich verstellen und verstand das Simulieren. Er war ein geborener Diplomat, schlau, glatt und gewandt und geschickt in der Manipulation der obwaltenden Verhältnisse. Er verließ die befahrenen Wege des herkömmlichen Schlendrians und war ein Feind des toten Buchstabens und Kontrollierens!« Diese glänzende Charakteristik aus der Feder eines Zeitgenossen stimmt ganz mit der Persönlichkeit Hardenbergs überein. Er war der Mann, den Preußen neben einem Stein und Scharnhorst brauchte. Das hatte Luise schon früher erkannt, als Hardenberg wie ein Meteor am politischen Himmel Preußens aufging.

Er wollte indes nicht ohne Napoleons Zustimmung in die preußischen Angelegenheiten eingreifen. Durch Saint-Marsan ließ er daher Napoleon eine Erklärung zukommen, daß er gewillt sei, sich dem französischen System anzuschließen und dafür sorgen würde, daß alle Verpflichtungen Preußens Frankreich gegenüber erfüllt würden.

Ehe Hardenberg von neuem das Ministerium übernahm, arbeitete Luise selbst eine Denkschrift aus, die beweist, wie gesund und vernünftig sie in vielen Dingen zu urteilen verstand. Aber es war ihre letzte größere politische Handlung. Die Erfüllung der Wünsche, die sie darin ausdrückte, sollte sie nicht mehr erleben. Erst einer späteren Zeit war es vorbehalten, ihre Ideen, die von einem neuen Geist umweht sind, zu verwerten.

»Ich gehe von dem Grundsatz aus,« schreibt sie, »daß der Mensch, der sich dem Gedanken überläßt: Preußen ist doch verloren, ein Mensch ist, der zu gar keinen größeren Vorkehrungen taugt, und es der unrichtigste Gesichtspunkt ist, den man nur haben kann, und der mit Recht ein kleinlicher Gesichtspunkt genannt werden kann ... Es ist leider so weit in unsern Tagen gekommen, daß man sich auf alles gefaßt machen muß; wer sich aber das Traurigste denkt und zum Leitfaden seiner Handlungen macht, der verfehlet – besonders stehen solche Menschen an der Spitze der Geschäfte – ganz den hohen Beruf, zu welchem er eigentlich da ist, nämlich statt zu helfen, hilft er am Untergehen arbeiten.«

»Ein wahrer Staatsdiener muß von dem Geist beseelt sein, alle Mittel erstlich aufzufinden und zweitens im Gange zu bringen, um den Forderungen, die dem Staate gemacht werden und obliegen, Genüge zu leisten, damit aller Vorwand schwinde, der nur einigermaßen einen gewaltsamen Schritt des Feindes gegen denselben rechtfertigen könnte. Er muß von dem großen und einzig wahren Gesichtspunkt ausgehen, daß vor allen Dingen die Nationalität gerettet werden muß, daß der Nation alles daran liege, unter dem Szepter eines tugendhaften Königs vereinigt zu bleiben; daß, um diesen Vorzug und dieses Glück zu genießen, sie gewiß bereit sei, große Opfer zu bringen ...«

Das schlechte Ministerium Altenstein nahm sich die Worte Luises aber durchaus nicht zu Herzen. Der alte Schlendrian ging weiter. Erst nach vielen weiteren Bemühungen der Königin und Wittgensteins gelang der Sturz Altensteins. Napoleon hatte durch den französischen Gesandten in Berlin sagen lassen, er habe nichts gegen die Ernennung Hardenbergs, und so ergriff dieser zum zweitenmal die Staatszügel, allerdings nach heftigem Widerstand des Königs, der wohl Hardenberg wollte, aber gleichzeitig auch Altenstein, Beyme und Nagler zu behalten gedachte.

Luise war selig über das Gelingen dieses Unternehmens, unbeschreiblich ihre Freude, dem König und dem Lande einen »klugen und vortrefflichen Mann« wiedergegeben zu haben. Es war nicht mehr zu befürchten, daß Schlesien abgetreten werden müsse. Dankbar schrieb die Königin an den neuen Staatsminister: »Ich bin weit ruhiger, seit ich Sie an der Spitze von allem weiß.« Auch diesmal war Frau von Berg nicht unbeteiligt an der Politik gewesen. Hardenberg war neben Stein ihr Ideal, und wie Luise in dieser Beziehung auf ihren Mann, so wirkte Frau von Berg auf die Königin. Unablässig war sie bemüht, »einen Augenblick zu erhaschen«, da Luises Nerven nicht zu angegriffen waren, um sie für die herrschende politische Lage zu interessieren. Wo sie nur konnte, suchte sie mit der Königin über die schwebenden Angelegenheiten zu reden. In den Hofkreisen betrachtete man Frau von Berg bereits als Intrigantin. Aber sie ließ sich durch nichts abschrecken. Höchstens Luises schwache Gesundheit entmutigte sie bisweilen in ihrer politischen Propaganda. »Da fehlt mir die Kraft, und das Herz blutet mir, sie immer mit traurigen Gedanken belasten zu müssen, wenn ich sie schon so niedergedrückt sehe«, schrieb sie.

Die Königin selbst jedoch überwand immer wieder jede physische Schwäche. Von neuem spannte sie ihre schwachen Kräfte an, um nicht halben Weges stehen bleiben zu müssen. Aber eine »Ägide« ihrer Völker zu sein, wie ihr Bruder Georg hoffte, dazu reichten ihre Kräfte nicht mehr aus.

Luises Gesundheit war erschüttert. Sie brauchte Erholung. Wie gern wäre sie wieder nach Pyrmont gegangen, das ihr schon einmal Gesundung gebracht hatte. Dazu fehlte es jedoch am nötigsten, am Geld. Sie dachte daher daran, wenigstens den längst geplanten Besuch bei ihrem Vater in Strelitz zu machen. Nun, da sie die Staatsgeschäfte in so guten Händen wußte, fiel es ihr nicht mehr schwer, den König für kurze Zeit zu verlassen. Er brauchte sie ja fürs nächste nicht mehr so nötig. Er erteilte ihr daher gern die Erlaubnis zur Reise. Luise jubelte, als sie dem Vater ihre baldige Ankunft melden konnte. »Ich komme – den Montag komme ich, bleibe den Dienstag und Mittwoch allein, dann kommt der König, bleibt den Donnerstag und Freitag, und wünscht den Sonnabend nach Rheinsberg zu gehen, bleibt noch den Sonntag bei Ihnen und geht Montag wieder mit mir weg! Halleluja!« Und wie freudig teilte sie diese frohe Botschaft auch den beim Vater weilenden drei Geschwistern mit! Es ist, als wäre sie von einem schweren Bann befreit, seitdem sie wußte, daß Preußen nun doch nicht ganz verloren war. Von neuem sprudelt der alte Frohsinn von früher in dem Briefe an Friederike und Georg auf. Es bedurfte ja so wenig, um Luises guten Humor, ihre herzbezwingende Heiterkeit wieder aufleben zu lassen. Im Taumel, wie ein übermütiges Kind, dem man eine unerhörte, nie erlebte Freude bereitet, schreibt Luise:

»Ich bin so glücklich, wenn ich daran denke, daß ich Euch beinahe acht Tage in Strelitz sehen werde und die gute Großmama, daß ich ordentliche Crampolini kriegen könnte. Ich verkneip' mir aber wahrhaft die Freude, weil so oft, wenn ich mich gar zu ausgelassen gefreut habe, ein Querstrich gekommen ist, und solche Kreuz- und Querstriche wären vraiment affreux jetzt. Der Martin (Kastellan im Schlosse ihres Vaters) geht gewiß jetzt mit Schurzfell und Maßstab im ganzen Schloß umher, reitet atemlos nach Hohenzieritz und kommt zurück und sagt: »Ich habe sie alle untergebracht.« Du und Friederike und Du, George, ihr tut brill' »aber George,« »hör doch Friederike«, gehts den ganzen Tag. Halleluja! ... Hussasa tralala, bald bin ich bei Euch ... Dicke Milch und etwas Erdbeeren schafft dem König zum Tee, wenn das letztere in Deinen Frimaten noch nicht so rötet; so sagts Papa nicht, sonst ängstigt es ihn ... Da der Rex kömmt, so kostet es mir nichts als Stubenaufwartung, was nicht zu verwerfen ist, da ich nun einmal sehr schenerös bin. Mon dieu, je suis toll. Ich habe Euch so viel zu verzählen tun. Die gute Alte (die Großmama). Hätte ich nur Geld für sie und Friederike nach Karlsbad, mais je suis une pauvresse. Wenn ich nur die halbe Million hätte, die das Schlafzimmer in Compiègne gekostet hat von Marie Louise ... Ich bin noch nicht avanciert als im Glück, welches mich bald mit Euch vereinigt ... Heute ist es warm und windig, und in meinem Kopf sieht es aus wie in einem illuminierten Guckkasten. Alle Fenster mit gelben, roten und blauen Vorhängen sind hell erleuchtet. Hussa! Teufelchen. – Adieu! Nun will ich der Großmama vernünftig schreiben.

Eure Luise.«

Lange Zeit hat man die Königin nicht so vergnügt und lustig gesehen. Sie war überglücklich. Am Tage vor ihrer Abreise machte sie noch unter Lachen und Scherzen einem jeden ihrer Gesellschaft kleine Geschenke. Meist waren es Dinge, die sie selbst einmal im Gebrauch gehabt hatte, denn sie hatte kein Geld, um etwas Neues zu kaufen. Nachmittags waren Gäste bei ihr zum Tee. Dann ging sie mit ihrer ganzen Gesellschaft auf der Terrasse des Charlottenburger Schlosses spazieren, zur großen Freude der Zuschauer, die sich vor dem Schloß angesammelt hatten. Sie ahnten nicht, daß sie ihre Königin zum letztenmal sahen. Und gerade an diesem Tage sah Luise besonders reizend aus. Sie trug einen neuen großen Strohhut, der ihr sehr gut stand, und ein blaues Seidenkleid. Als die Gäste sich verabschiedet hatten, soupierten Luise und Friedrich Wilhelm allein im Garten. Es war ein kühler Abend, Luise fröstelte etwas, maß diesem Umstand jedoch weiter keine Bedeutung bei. Erst später meinte sie, daß sie sich an diesem letzten Abend in Charlottenburg erkältet habe.

Am 25. Juni war der Tag ihrer Abreise. Morgens um 6 Uhr nahm sie noch am Bett des Königs recht vergnüglich Abschied von ihm, und dann bestieg sie ihren Reisewagen und fuhr fröhlich davon.

Dennoch überkam sie, als sie die Grenze von Strelitz erreichten, plötzlich eine unerklärliche Bangigkeit und Traurigkeit. Sie war ganz davon übermannt. Aber es ging bald vorüber, als sie in Fürstenberg die ganze herzogliche Familie zur Begrüßung vorfand. Nur die Großmama war nicht mitgekommen, weil sie sich nicht wohl fühlte. Es war ein überaus herzliches Wiedersehen. Mit dem Ausruf »Ach, da ist ja mein lieber Vater!« flog Luise dem Herzog in die Arme. Abends kamen sie dann in Strelitz an. Unten am Schloßportal begrüßte sie bereits die alte Großmutter. Sie hatten sich seit 1806 nicht mehr gesehen. Zitternd umfing die alte Frau ihre einstige Pflegetochter, die so großes Leid hinter sich hatte.

Am 28. traf dann auch der König in Strelitz ein. Nun erst war Luise ganz glücklich. Sie freute sich, ihren Mann zum erstenmal als Tochter im Hause ihres Vaters empfangen zu können, und in spontaner Freude darüber schrieb sie an des Herzogs Schreibtisch auf einen Zettel: Lieber Vater, ich bin heute sehr glücklich als Ihre Tochter und als die Frau des besten Mannes.« Es waren ihre letzten geschriebenen Worte!

Über diese Reise zu seiner Frau notierte der König: »Etwa um 5 Uhr nachmittags kam ich in Strelitz an. Die ganze Familie und der Hof empfingen mich beim Aussteigen aus dem Wagen. Meine Frau, die mit dabei war und recht vergnügt aussah, freute sich herzlich über den Gedanken, mich zum erstenmal als Tochter des Hauses zu empfangen. Sie führte mich bald nach den ersten Bewillkommnungen in ihre Zimmer und sorgte für alles, damit ich mich vom Staube reinigen und wegen der großen Hitze etwas erholen konnte, und versicherte mir dabei, sie hätte ihrem Vater gesagt, sie brauche keine Zimmer für mich, es würde mir am angenehmsten sein, bei ihr einzukehren ... Meine Frau, obgleich sie klagte, war sehr » en beau« in Haaren frisiert und in einem dunkelblau seidenen Kleide. Ich fuhr in Gesellschaft des Herzogs, meine Frau aber mit ihrer Großmutter usw. im offenen Wagen (mein russischer Reisewagen) nach der sogenannten Schloßkoppel ..., wo auf einem geräumigen Rasenplatze unter einer Eiche Tee und Milch serviert wurden. Auch hier tat meine Frau alles, um es meiner Gewohnheit gemäß einzurichten ... Hierauf wurde ein Spaziergang nach dem See ... gemacht ... Die Wagen erwarteten uns auf der Straße von Myrow, wo wir einstiegen, zurück wieder durch die Stadt fuhren, die festlich mit Girlanden und Kränzen verziert ... und nach Hohenzieritz, das gleichfalls mit Ehrenpforten und anderen Verzierungen geschmückt war. Welcher Eintritt – und welches Ende!«

Luise fühlte sich, als sie in Hohenzieritz ankam, matt und hatte Kopfschmerzen. Aber sie wollte ihrem Mann und ihren Verwandten die Freude nicht verderben und blieb doch zum Souper. Sie verbrachte zwar eine sehr schlechte Nacht, stand aber am nächsten Tag auf, um zur Mittagstafel zu erscheinen. Sie hoffte auch am 20. noch mit dem König nach Rheinsberg fahren zu können und schonte sich daher sehr. Ihr Befinden wurde indes nicht besser. Den Tag verbrachte sie abwechselnd im Bett und auf dem Sofa. Aber sie war noch heiter und guter Dinge. Der Doktor Hieronymi, des Herzogs Leibarzt, erklärte die Krankheit für ein hitziges Fieber, das bald vorübergehen werde. Immerhin schien keine Besserung einzutreten. Luise mußte sich entschließen, noch einige Zeit in Hohenzieritz zu bleiben. Den König riefen dringende Geschäfte nach Berlin. Er reiste am 3. Juli ziemlich beruhigt ab, da ihm der Arzt gesagt hatte, es läge keinerlei Grund zu Besorgnis vor. Von Gefahr wäre keine Rede. In einigen Tagen würde die Königin wiederhergestellt sein und ihm folgen können. Friedrich Wilhelm selbst hatte Fieber und mußte sich gleich bei seiner Ankunft ins Bett legen. Die Bulletins Hieronymis aus Hohenzieritz waren durchaus nicht beunruhigend. Da der König selbst krank war und den Leibarzt Wiebel benötigte, unterblieb dessen Sendung nach Strelitz. Auch Hufeland konnte nicht zu Luise kommen, da er sich beim König von Holland befand.

Erst auf einen Wink des Prinzen Solms-Lych, der dem König mitteilte, es scheine ihm, daß es der Königin schlechter ginge, als man annähme, sandte er den Geheimrat Heim zu seiner kranken Frau. Auch dieser fand jedoch den Zustand Luises zwar ernst, aber nicht bedenklich. Sie hätte eine heftige Lungenentzündung, indes es seien keinerlei Komplikationen zu befürchten. In einigen Wochen hoffte man, daß die Königin wieder vollkommen hergestellt sei. Heim reiste deshalb nach Berlin zurück. Der König war noch immer krank und konnte nicht, wie er gern gewünscht hätte, seine kranke Frau besuchen. Luise selbst wollte auch nicht, daß er jetzt käme, sondern erst, wenn sie wieder ganz genesen sei. Friedrich Wilhelm meinte, wahrscheinlich habe sie ihm den traurigen Anblick ihrer furchtbaren Leiden ersparen wollen. Denn sie litt wirklich unsagbar. Die fürchterlichen Brustschmerzen und der schreckliche Husten quälten sie Tag und Nacht. Das Fieber verließ sie keinen Augenblick. Friederike war Tag und Nacht bei ihr und pflegte die geliebte Schwester mit rührendster Aufopferung. Später kam dann auch Frau von Berg und teilte sich mit Friederike in die Pflege der Königin. Beide wachten ständig bei ihr.

Von Tag zu Tag verschlechterte sich der Zustand Luises. Der Atem wurde ganz kurz und der Husten andauernder. Dazu kamen schreckliche Herzbeklemmungen, die ihr die furchtbarsten Schmerzen bereiteten. Am 16. und 17. waren die Brustkrämpfe so heftig, daß die Kranke fast zu ersticken drohte. Heim wurde mit den Chirurgen Gehrke und Schmidt eiligst wieder aus Berlin herbeigerufen. Sie trafen am 17. ein. Die Ärzte fanden, daß die Lungen angegriffen seien und eine Rettung kaum mehr möglich war.

Erst am 19. konnte auch der König, dem man einen Kurier gesandt hatte, endlich kommen. Aber auf Luises bleichem Antlitz stand bereits der Tod geschrieben. Friedrich Wilhelm hatte am 18. die Schreckensnachricht erhalten, daß seine Frau in Gefahr sei. »Ich verlor darüber dermaßen die Fassung,« schreibt er, »daß ich gar keinen vernünftigen Entschluß fassen konnte ... Den Zustand, in dem ich mich befand, zu beschreiben, ist unmöglich; ich war wie wahnsinnig und wollte mir doch äußerlich nichts merken lassen ... Sobald ich mit Hardenberg fertig war, reiste ich ab und nahm meine beiden ältesten Söhne mit ... Alles zerfloß in Tränen, schrecklich war die Abreise, aber um wieviel schrecklicher die Zurückkunft.« Er nannte diesen 19. Juni den unglücklichsten Tag seines Lebens und schrieb unter diesem Titel noch am gleichen Tag alles nieder, was er durchgemacht hatte.

Als er mit seinen beiden ältesten Söhnen morgens ¾5 Uhr in Hohenzieritz ankam, war ihm bereits Heim entgegengeeilt, um ihn darauf aufmerksam zu machen, daß es der Königin sehr schlecht gehe und sie ihn sogleich zu sprechen wünsche. Aber wie erschrak Friedrich Wilhelm, als er zu Luise ins Zimmer trat und sie so verändert fand. Die furchtbaren Schmerzen und der quälende Husten hatten ihre Züge entstellt. Und doch, mit welcher Freude empfing sie den König. Sie umarmte ihn immer wieder und drückte ihn an ihr Herz. Sie küßte ihn zärtlich, und er weinte bitterlich. Immer wieder versuchte sie mit ihm zu sprechen. Er mußte ihre Hand halten, die sie öfter mit der zärtlichsten Innigkeit an ihre Lippen drückte. Sie, die Todkranke, erkundigte sich nach seiner Krankheit und war entsetzt, daß er im offenen Wagen gefahren war: »In der Nacht, nach Deinem Fieber?« fragte sie ihn ängstlich und besorgt. Aber die Stimme gehorchte ihr kaum noch. Der heftige Brustkrampf dauerte fort, das Atemholen war kurz, stöhnend, bisweilen konvulsivisch, und manchmal entfuhren ihr ganz helllaute Töne, so daß sie dann öfter: Luft! Luft! rief.

Der König saß am Rand ihres Bettes, die alte Voß kniete davor, und beide rieben abwechselnd die kalten Hände der Sterbenden. Dann ließ man die beiden Prinzen Fritz und Wilhelm zu ihr herein, und sie freute sich unendlich, sie wiederzusehen. Darauf blieb der König allein mit ihr. überwältigt vom Schmerz sank Friedrich Wilhelm an ihrem Bett nieder, küßte ihre Hände und schluchzte: »Es ist nicht möglich, daß es Gottes Wille sein kann, uns zu trennen. Ich bin ja nur durch Dich glücklich, und nur durch Dich hat das Leben allein noch Reiz für mich. Du bist ja mein einziger Freund, zu dem ich Zutrauen habe. Sollte Gott aber anders gebieten, so nimm mich mit.« Er war vollkommen verzweifelt. Luise griff diese Szene furchtbar an. Dennoch lächelte sie ihm schmerzlich zu und sagte leise: »Bedaure mich nicht, sonst sterbe ich.« Dabei küßte sie ihn zum letztenmal auf den Mund und drückte ihm zärtlich die Hand, als er sie fragte, ob sie ihm noch gut wäre.

Die Krämpfe hatten nur wenig nachgelassen, auch die Herzbeklemmung blieb. Luise hatte aber doch noch Hoffnung, daß sie wieder gesund würde. Oder wollte sie nur den armen, verzweifelten Mann an ihrer Seite trösten, als sie einige Minuten vor ihrem Tode sagte: »Fürchte Dich nicht, lieber Freund, ich sterbe nicht.« Aber schon stand der Angstschweiß auf ihrer Stirn, und die Totenblässe machte sich bemerkbar. Es war neun Uhr. Ihr Kopf neigte sich ein wenig zur Seite. Zuletzt, als die Krämpfe ihr beinahe den Atem benahmen, öffnete sie weit ihre großen blauen Augen und rief: »Ich sterbe, o Jesu, mach es kurz.« Wenige Augenblicke darauf verschied sie.

Der König hatte alles mit ihr verloren. Sein Schmerz über ihren Verlust grenzte an Verzweiflung. Immer wieder kehrte er in das Zimmer zurück, wo Luise kalt und leblos dalag. Er konnte sich nicht von ihr trennen.

Ganz im stillen ging er mit seinen vier Kindern – Karl und Charlotte waren leider erst eingetroffen, als die Mutter schon tot war, und die jüngsten waren in Berlin geblieben – in das Sterbezimmer und legte mit ihnen weiße Rosen aus dem Garten von Hohenzieritz auf die Brust Luises, in die Nähe des Herzens. Vor der Abreise gingen sie alle noch einmal zu der toten Mutter. Schluchzend küßten sie und der König die eiskalte Stirn und die Hände und nahmen für immer Abschied von ihr. Dann reisten sie heim.

Auch Luise wurde einige Tage später nach Berlin überführt. Wie anders war die Heimkehr! In einem schönen Reisewagen, mit den größten Hoffnungen für eine bessere Zukunft war sie fröhlich nach Strelitz gefahren, nun brachte sie ein Sarkophag zurück. Leid und Kummer hatten ihre an sich schwache Gesundheit aufgerieben, und noch jung mußte sie aus dem Leben scheiden, das sie so sehr geliebt hatte im Glück ihrer Familie. Im Charlottenburger Park fand sie im Schatten der hohen Fichten ihre letzte Ruhestätte.

siehe Bildunterschrift

Unterschrift der Königin


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