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Sechstes Kapitel. Das Unglück von Jena und die Flucht.

siehe Bildunterschrift

Prinz Louis Ferdinand.
Stich von F. W. Meyer

Luises geheimer Anteil in Pyrmont an den diplomatischen Angelegenheiten – Die Denkschrift Steins – Des Königs Optimismus über den Rheinbund – Napoleons Treubruch – Luises unerschütterliches Vertrauen in den Zaren – Preußen mobilisiert – Der Krieg wird beschlossen – Die Falschheit Alexanders – Ein Brief Gneisenaus über das Verhalten des Zaren – Luise bei der Armee – Man kritisiert ihre Anwesenheit im Hauptquartier – Die Meinung Friedrichs von Gentz – Der Tod Louis Ferdinands – Die Königin ist in Gefahr, gefangen zu werden – Die Schlacht beginnt – Die Königin flieht nach Berlin – Die Unglücksbotschaft – Die Flucht nach Küstrin – Schreckensnachrichten – Napoleon schmäht die Königin in seinen Bulletins – Die Flucht geht weiter – Ankunft der schwerkranken Königin in Königsberg – In Todesgefahr – Flucht nach Memel – Die List Rüchels in Königsberg.

Als Luise aus Pyrmont heimkehrte, war der Rheinbund geschlossen worden. Es ist falsch, zu behaupten, sie habe in Pyrmont keine Ahnung von den politischen Ereignissen gehabt, die sich inzwischen abspielten. Im Gegenteil. Ganz im geheimen beschäftigte sie sich mit allem, was vorging. Sie wechselte Briefe mit ihrem Mann, mit ihrem Vater, mit dem Fürsten Wittgenstein, preußischem Gesandten in Kastel, mit Hardenberg, Stein, dem Kaiser Alexander von Rußland und mit ihrem Bruder Georg. Ihr Anteil an der damaligen Politik, oder wenigstens ihr Interesse daran, geht daraus deutlich hervor. Vor ihrer Abreise ins Bad hatte ihr der Freiherr vom Stein im Mai ohne Wissen des Königs seine »Darstellung der fehlerhaften Organisation des Kabinetts und der Notwendigkeit der Bildung einer Ministerialkonferenz« unterbreitet. Luise hatte sie im Prinzip gebilligt. Nur fand sie manches zu scharf im Ausdruck. Stein hat dann diese erste Fassung gemildert, aber weder er noch die Königin und Hardenberg haben damals dem König etwas darüber gesagt. In Pyrmont korrespondierte sie über diese Denkschrift mit Hardenberg und Wittgenstein. Sie bat besonders Hardenberg, daß er alle Briefe verbrenne, in denen von ihr die Rede sei. Es sollte alles im tiefsten Geheimnis geschehen, besonders die Verhandlungen mit Rußland. Sie hat gewiß auch Kenntnis von der Schließung des Rheinbundes gehabt. Ferner bemühte sie sich, den König zu einem Bündnis mit Sachsen zu bewegen und Kurhessen mit 25 000 Mann auf preußische Seite hinüberzuziehen. Darüber schrieb sie an Friedrich Wilhelm am Schluß ihres Briefes aus Pyrmont: »Ich schmeichle mir, daß seine Truppen vereint mit den unseren Wunder tun werden, um die infamen Franzosen, die nur Unglück über die Erde verbreiten, zu Boden zu schlagen ...« Sie wußte genau über alle Angelegenheiten Bescheid, wußte, daß der Oberstleutnant Krusemarck nach Petersburg gesandt worden war, um den Kaiser Alexander zu bewegen, auf den König von Schweden vermittelnd zu wirken, daß er Preußen freundlicher gesinnt werde, und freute sich über die Wahl. In höchstes Entzücken gerät sie, als Krusemarck aus Petersburg zurückkehrte. Nun konnte sie sich mit ihm vom Zaren unterhalten. »Wie ich ihn jetzt liebe, diesen Krusemarck,« schreibt sie dankerfüllt an den russischen Kaiser; »wie ich mit ihm schwätze, ihn über alles ausfrage, was mir am Herzen liegt und was mich am meisten interessiert. Sie erraten schon, was es ist. Er betet Sie an. Er schätzt Sie so sehr, und wir sind so ganz einer Meinung.

Und dann bricht ihre unverhohlene Zuneigung und Bewunderung von neuem für den Mann durch, den sie trotz allem seit dem Jahre 1802 nicht mehr vergessen kann. Sie sehnt ihn herbei. Kaum ist er fort, so möchte sie ihn wieder in ihrer Nähe haben. Sogar die Vorbereitungen zum Kriege sind ihr eine willkommene Gelegenheit, den »einzigen« Mann wiederzusehen. In demselben oben erwähnten Brief beneidet sie die Herzogin von Kurland, weil sie das Glück hatte, Alexander eines Tages bei sich zu sehen. »Wenn Sie mir doch auch einmal einen (Besuch) machen könnten«, schreibt sie dem Zaren. »Soll ich Ihnen meine Schwäche gestehen? Denken Sie, alle Vorbereitungen zum Krieg haben mir – nein, ich wage den Satz nicht zu vollenden –. Aber ich habe mir gedacht, daß das mir vielleicht das Glück verschaffen könnte, Sie wiederzusehen. Ein Glück, an das ich schon nicht mehr geglaubt habe. Ich bin jetzt, seitdem ich dreißig Jahre alt geworden bin, so vernünftig – eine vollkommen vernünftige Frau, ich versichere es Ihnen. Sie würden sehr zufrieden mit mir sein. Und damit Sie es glauben, kommen Sie und überzeugen Sie sich selbst davon.« Sie setzte ihre Hoffnung so ganz auf den Zaren und sein Heer, daß sie in ihm die stärkste Stütze sah und vollkommen von dem Siege der preußischen Truppen überzeugt war, wenn es zum Treffen kommen sollte.

Jedenfalls war sie über alle politischen und militärischen Dinge auf dem laufenden. Und der französische Gesandte schrieb damals nach Paris, er sei weit entfernt zu glauben, daß sie von Pyrmont bekehrt zurückgekommen wäre. Sie schiene zwar également reservée, entfalte jedoch eine lebhafte Tätigkeit.

Was die Gründung des Rheinbundes für Preußen zu bedeuten hatte, kam Luise schneller und deutlicher zum Bewußtsein als dem König. Diesem Bündnis zufolge sagten sich sechzehn deutsche Fürsten vom Reiche los und erwählten den Kaiser der Franzosen zu ihrem Schirmherrn. Luise war weit davon entfernt, über dieses Ereignis so optimistisch zu denken wie die Partei Friedrich Wilhelms III. Lange sah der König und seine Vertrauten darin durchaus keine Feindseligkeiten, sondern nur die Bestätigung längst vollzogener Tatsachen, zumal Napoleon wiederholt versichert hatte, daß er seine Truppen in Deutschland nur gegen Österreich gehalten hätte und nicht im geringsten daran dächte – wie das Gerücht verlautete –, Hannover England zurückzugeben.

Napoleon aber vergaß es weder dem preußischen Kabinett noch dem König, daß sie seinem ersten Allianzvertrag so großes Mißtrauen entgegengebracht hatten. Überall hatte er Truppen stehen und rief dadurch die größte Besorgnis in Berlin hervor. Plötzlich traf die Nachricht ein, daß er nun doch wirklich England Hannover angeboten hatte. Seine Heere standen längst kampfbereit an den Grenzen und warteten nur auf den Befehl zum Vormarsch. Preußen hatte zu lange gezögert. Jetzt war es zu spät, einen Krieg mit Frankreich zu eröffnen. Die Zeiten hatten sich wesentlich geändert. Was zehn Jahre früher angebracht gewesen wäre, war jetzt ein Wagnis und ein Verhängnis ohnegleichen. Dennoch wurde es vollbracht, und zwar hauptsächlich auf Anraten der Königin und ihrer Partei.

Jetzt stand ihr sogar Haugwitz zur Seite, dem sie, und der ihr bisher absolut abgeneigt gewesen war. Persönliche Interessen spielten in diesem Falle auch bei ihm eine Rolle, wie bei Lucchesini. Haugwitz war von Napoleon in Paris wenig schmeichelhaft behandelt worden. Nun rächte er sich, leider zum Schaden seines Landes und seines Gebieters. Er war es auch, der dem König riet, die Königin an den Ministerräten teilnehmen zu lassen, denn er hielt ihre Entscheidungen für äußerst wichtig. Von diesem Augenblick an änderte sich Luises Meinung über Haugwitz. Wiederholt spricht sie sich günstig in ihren Briefen über ihn aus, wenn sie auch nicht wünschte, daß er zu den Verhandlungen mit dem Kaiser Alexander verwendet werde. Dazu schien ihr nur Hardenberg der geeignete Mann, denn sie traute Haugwitz doch nicht ganz. Ihm zur Seite stand als politische Ratgeberin besonders die Vertraute der Königin, Frau von Berg. Sie war die erste gewesen, die Luise in die Angelegenheiten des Staates eingeweiht hatte.

Friedrich Wilhelm mußte endlich dem Ansturm der Kriegspartei nachgeben. Die Rückgabe Hannovers erbitterte auch ihn, so daß ihm jetzt der Entschluß zum Kriege weniger schwerfiel als ein paar Jahre früher. Er folgte dem Rate seines Ministers Haugwitz, und am 9. August wurde der Mobilmachungsbefehl erlassen. Der Krieg hing nur noch von der offiziellen Erklärung ab. Noch immer hoffte aber Friedrich Wilhelm, daß Napoleon seine Truppen freiwillig aus Deutschland zurückziehen werde. Vielleicht hätte er es auch getan, wenn der russische Kaiser den Frieden mit Frankreich am 3. September ratifiziert hätte. Aber Alexander, der nur sein und nicht Preußens Interesse im Auge hatte, weigerte sich, den Frieden zu unterzeichnen. Deshalb kam der General Knobelsdorff, der zu Napoleon gesandt worden war, unverrichteter Dinge aus Paris zurück. Napoleon hatte am 7. September erklärt, nur wenn Alexander Frieden schlösse, würde er seine Truppen aus Deutschland zurückziehen und nur, wenn Preußen die Kriegsvorbereitungen einstelle, Knobelsdorff traf mit diesen Nachrichten am 16. September in Berlin ein. Am 17. September 1806 wurde der Krieg definitiv beschlossen. Hardenberg, die Königin und der König hatten darüber eine Zusammenkunft in Charlottenburg. Bei dieser Gelegenheit sprach Hardenberg offen sein Bedenken gegen ein derartiges Unternehmen mit einem solchen Gegner aus. Aber Luise war Feuer und Flamme für die Sache und von den schönsten Hoffnungen beseelt. Noch am selben Tag wurde Krusemarck wieder zu Alexander gesandt, damit er dem Zaren den Entschluß des Königs von Preußen mitteilte. Luise schrieb ebenfalls am gleichen Tag dem russischen Kaiser: »Krusemarck hat ein unerhörtes Glück, Sie dreimal in einem Jahr zu sehen ... Er wird Ihnen sehr ernste Dinge zu sagen haben, da es für unsere künftige Existenz davon abhängt, auf welche Weise sich das Glück entscheiden wird. Ich habe gar keine Angst, das gestehe ich Ihnen offen. Denn unmöglich kann ein Heer von größerem Eifer beseelt sein als das unsere. Das ist höchst wichtig. Das Nächstwichtigste ist Ihre beständige Freundschaft, mein geliebter Vetter, die sich bei dieser Angelegenheit wieder in ihrer ganzen Selbstlosigkeit zeigt. Könnte ich Ihnen doch mündlich alles sagen, was ich fühle ...«

Die Arme, sie sah nicht, welches Spiel der Falsche mit ihr und dem König trieb. Sie war so von des Zaren aufrichtiger Freundschaft überzeugt, weil sie selbst in ihrem gerechten Sinn niemals etwas Falsches getan hätte. Sie wäre unfähig gewesen, sich zu verstellen. Deshalb sah sie auch nicht, wie verderblich die Freundschaft Alexanders für Preußen war. Aber auch ihre nähere Umgebung merkte es nicht. Erst viele Jahre später, als man durch Schaden klug geworden war, kam man zur Überzeugung, wie untreu der russische Kaiser gegen Friedrich Wilhelm III. gehandelt hatte. Im Jahre 1809 kam Gneisenau in einem Brief an den Freiherrn vom Stein auf das schändliche Verhalten des Zaren zurück und sagte: »Im Jahre 1805 läutet er die Sturmglocke, bevor alles zum Kriege vorbereitet ist. Mit Übermut wird der Krieg angekündigt, mit Übermut geht er, nach Österreichs Unfällen, in Mähren vor – mit Übermut zurück, nachdem er sich seine Lektion geholt hatte ... Seine Hilfe ist späterhin dem Lande, das er schützen will, ebenso verderblich als des Feindes Angriff. Und er endigt damit, daß er einen Bundesgenossen plündern hilft. Ich frage, ob dieser Alexander, wenn er Preußens bitterster Feind gewesen wäre, sich sinnreicher hätte benehmen können, um unseren Untergang zu befördern? ...«

Diese Einsichten kamen entweder zu spät oder wurden nicht gehört. Am 21. September 1806 begab sich Friedrich Wilhelm mit dem General Köckritz ins Feld. Luise begleitete ihn mit der Gräfin Voß und einigen ihrer Damen. Des Königs traurige Miene erregte bei allen Anwesenden Mitleid. Er war sehr blaß und aufgeregt, Luise zuversichtlich und fest. Der Abschied von ihren Kindern fiel ihr zwar schwer, aber er mußte sein, denn dem schwachen Friedrich Wilhelm war ihre Gegenwart nötiger als den Kindern. Zehn kostbare Tage verloren sie noch in Naumburg mit Nichtigkeiten. Friedrich Wilhelm hatte Napoleon nochmals aufgefordert, seine Truppen bis zum 3. Oktober aus Preußen zu ziehen, obwohl kein Mensch dran glaubte, daß Napoleon diesen Wunsch erfüllen werde. Der Kurfürst von Hessen empfing das Königspaar im Schlosse. Das ganze Hauptquartier war in Naumburg versammelt. Es waren eine Menge Fürstlichkeiten und hohe Militärs, Prinzessinnen und Hofdamen anwesend, die unterhalten sein wollten. Es gab Abendgesellschaften, Ausflüge, Paraden. Im Vorgefühl eines baldigen Sieges gab man sich noch einmal sorglos dem Vergnügen hin. Besonders die jungen Offiziere waren kampflustig und siegesfroh gestimmt.

Anfangs war die Rede davon, daß Luise den König nur so lange ins Feld begleiten sollte, bis die Armee den Vormarsch begonnen hätte. Aber die Königin folgte dem König auch von Naumburg aus nach Erfurt, das man zum Hauptquartier erwählt hatte. Dort war sie der Ansicht, so lange zu bleiben, als Friedrich Wilhelm es wünschte. Denn so sehr sie die Belebende in der ganzen Angelegenheit war, so großen Einfluß sie auch auf ihren Mann besaß, und er im Grunde stets das tat, was sie ihm inspirierte, so war sie doch Frau genug, um sich immer seinem persönlichen Willen in Dingen unterzuordnen, die von seinen speziellen Wünschen abhingen. »Der König hat mir zum Glück erlaubt, ihn zu begleiten,« sagte sie zu Herrn von Goetzen vor ihrer Abreise nach Erfurt, »und ich werde ihn nicht eher verlassen, als er es wünscht ... Wie wäre es auch möglich, daß man mich nach Berlin verbannt? Ist es denn so wünschenswert, daß ich von den Kriegsvorgängen durch Herrn von Bray (den Bayerischen Gesandten) erfahre?« Sie war immer an der Seite des Königs. In einem geschlossenen Wagen, dem noch zwanzig andere folgten, in denen die Herren und Damen der Begleitung saßen, fuhr sie mit ihm inmitten des marschierenden Heeres zwischen Geschütz- und Gepäckwagen.

Ihre Anwesenheit im Lager der preußischen Armee wurde jedoch schon damals von den verschiedenen Parteien stark kritisiert. Auch unter den Freunden und Ratgebern Friedrich Wilhelms waren die Meinungen darüber geteilt. Die einen sahen in der Gegenwart der Königin, als der Stärkeren, alles Heil, die anderen nur Anstoßendes und Unschickliches. Gentz hingegen stellt Luise – allerdings ohne ihre Handlungsweise voll und ganz zu billigen – das Zeugnis aus, daß ihr Verhalten während ihrer Anwesenheit »über den leisesten Tadel erhaben gewesen sei.« Ehe er ins Hauptquartier kam, war er gar nicht von der Nachricht erbaut gewesen, daß auch die Königin sich dort befände. Aber schließlich kommt auch er zu dem Schluß und meint: »Und wenn ich alles in Betracht ziehe (vor allem Friedrich Wilhelms Unentschlossenheit und Wankelmut), so würde ich gleichfalls für ihr Bleiben bei der Armee gestimmt haben.«

In Erfurt wurde wieder viel kostbare Zeit verloren. Sie ging mit militärischen Beratungen und Unterhandlungen hin. Man kam zu keinem Entschluß. Luise versammelte die anwesenden Damen und Herren um sich. Es waren eine Menge Fürstlichkeiten da, so der Erbprinz von Weimar mit seiner Frau, die Prinzen und Prinzessinnen von Hessen-Kassel und von Oranien. Luises Schwester Therese von Hildburghausen war anwesend. Mit ihrem fröhlichen Charakter trug sie viel zur Unterhaltung bei. Besonders aber war Lucchesini der Löwe des Tages. Er besaß Geist und Witz. Und er konnte so herrliche Gespenstergeschichten erzählen! Die Königin und ihre Gäste waren begeistert davon. Luise wurde gefeiert. Sie selbst war entzückt von der Kampfeslust der Soldaten. Wo sie sich sehen ließ, umringte man ihren Wagen und jubelte ihr zu. Sie besaß ja die Gabe, alle Menschen zu beglücken. Sie verstand so glänzend zu repräsentieren. Es war dem König besonders jetzt angenehm, daß er wenigstens dieser gesellschaftlichen Sorgen enthoben war. Luises Ungezwungenheit, ihre angeborene Herzlichkeit und Güte kamen auch in Jena zur vollen Geltung. Die Bevölkerung war begeistert von ihrer Königin. In Luises Blicken, in ihrem Lächeln lag keine Herablassung, keine Gnade von oben herab, nichts Angelerntes. Es war ihr innerstes Wesen. Auch den Ärmsten und Bescheidensten beachtete sie. Mit den Soldaten sprach sie mit wahrhafter Menschenfreundlichkeit. Um sie anzufeuern, zeigte sie sich zu Fuß auf der Landstraße den vorbeimarschierenden Regimentern und »begeisterte durch ihren Mut und durch ihre Gegenwart, was zu begeistern war«. Es war kein Wunder, daß sie sie alle verehrten, daß sie Napoleon verfluchten, der sie schmähte. Aus dem Munde der Bevölkerung hörte sie Drohungen und Verwünschungen gegen ihn. Kurz, alles deutete für sie darauf hin, daß der Krieg sehr populär zu sein schien. An die Opfer, die er fordern würde, dachte man wohl, aber man hielt sie für notwendig.

Als erstes Opfer mußte Prinz Louis Ferdinand sein Leben lassen. Er und Luise hatten die größten Hoffnungen auf das Gelingen des Feldzugs gesetzt, und der Prinz war mit Begeisterung ins Feld gezogen. Am 10. Oktober wurde er mit seinen 6000 Mann von den französischen Marschällen Lannes und Augereau bei Saalfeld umzingelt. Er war ein äußerst tapferer Soldat und verteidigte sich glänzend. Fünf Stunden lang hielt er mit den viel stärkeren Franzosen den Kampf aus. Aber er mußte der Übermacht weichen. In wilder Flucht wurde der Rückzug vollzogen und Louis Ferdinand von den fliehenden Truppen und nachdrängenden Franzosen mit fortgerissen. Sein wundervolles englisches Pferd, mit dem er über einen Graben setzen wollte, wird ihm unter dem Leibe erschossen. Louis Ferdinand springt ab und sieht sich einem französischen Wachtmeister und einem Husaren gegenüber. Es entspinnt sich zwischen den dreien ein erbitterter Kampf. Sie fordern den Prinzen auf, sich zu ergeben. Er aber antwortet mit kräftigen Säbelhieben. Plötzlich schwankt er und sinkt um. Der Husar hat ihm den Säbel durch die Brust gebohrt. Als man später seinen vollkommen nackten Leichnam fand, entdeckte man dreizehn Hieb- und Stichwunden an ihm.

Die Franzosen wußten anfangs nicht einmal, wer der hohe Offizier war, den sie getötet hatten. Wohl war ihnen seine äußerst prächtige Uniform mit den Orden und dem federgeschmückten Hut aufgefallen, aber sie hielten ihn für einen General. Damals schrieb Gentz an Adam Müller über den Tod des Prinzen: »Der Graf Mensdorff-Pouilly, ein französischer Emigrant ... war mit dem Coburgschen Hofe in Saalfeld, als der Krieg anfing und die unglückliche Affaire vom 10. Oktober vorfiel. Er hatte den Prinzen noch am Tage der Schlacht gesprochen und begleitete ihn ..., um den Franzosen entgegenzureiten. Wie der fatale Ausgang immer entscheidender wurde, ritt er zurück, um der Coburgschen Familie beizustehen ... Da kommt der General Lannes ins Schloß und zeigt ihm den Ordensstern und das Kreuz des Prinzen und fragt ihn, wem das gehört haben könne. Mensdorff sagt ihm, welchen Feind er besiegt hat. Lannes ruft erstaunt: » Diable! Voilà qui est bon; cela fera une grande sensation à l'armée!«

Als Luise von dem Tode Louis Ferdinands hörte, war sie furchtbar traurig. Zum erstenmal kam ihr all das Entsetzliche zum Bewußtsein, das ein Krieg mit sich bringt. Besonders bedauerte sie, daß sie den letzten Brief des Prinzen, in dem er von ihr Abschied nahm, nicht beantwortet hatte. Der König war damals so sehr erbittert gegen ihn gewesen. Da hatte sie es nicht gewagt. Des Prinzen Tod erweckte überall die größte Teilnahme. Man weinte und klagte aufrichtig über seinen Verlust. Aber die Ereignisse waren nicht mehr aufzuhalten. Es gab kein Zurück mehr.

Auch der Königin wäre der Aufenthalt mitten im Schlachtenlärm und Kriegsgetümmel beinahe teuer zu stehen gekommen. Drei Tage vor der Schlacht bei Jena hatte sie sich mit dem König nach Weimar zurückgezogen. Hier wurde sie plötzlich von dem Anrücken der französischen Truppen überrascht, als sie eben im Begriff war, mit ihrer Hofdame, der Gräfin Tauentzien, ins Lager nach Auerstädt zu fahren, um mit Friedrich Wilhelm zusammenzutreffen. Luise mußte nach Weimar zurück. Aber auch dort konnte sie nicht bleiben. Sie selbst schrieb über ihre Flucht aus der Stadt Goethes: »Als ich Auerstädt schon beinahe erreicht hatte und vor mir Schloß Eckartsberga sah, kam der Herzog von Braunschweig, der den Kolonnen mit dem König folgte, an meinen Wagen mit ernster Miene – der König ging mit sorgenvollem, traurigem und ängstlichem Gesicht vorbei –, und (der Herzog) sagte sehr bestimmt ...: »Was tun Sie hier, Madame? Um Gottes willen, was tun Sie hier?« Darauf sagte ich ihm: »Der König glaubt, daß ich nirgends sicherer bin als hinter dem Heere, da der Weg, den ich nach Berlin einschlagen müßte, auch nicht mehr sicher ist, weil die Franzosen in Ahrenstadt berittene Jäger haben.« – »Mein Gott«, erwiderte der Herzog, »sehen Eure Majestät das Schloß Eckartsberga vor sich? Nun wohl, dort sind die Franzosen. Sie befinden sich vor uns auf dem Wege nach Naumburg, und morgen wird es hier eine blutige Entscheidungsschlacht geben. Hier können Eure Majestät unmöglich bleiben.« – »Ich werde es dem König sagen. Er soll entscheiden,« sagte ich ihm, »aber welchen Weg soll ich einschlagen?« – Durch den Harz, über Blankenburg, Braunschweig und Magdeburg nach Berlin. Übrigens ist General Rüchel in Weimar. Der wird Ihnen den weiteren Weg vorschlagen.« – Darauf ließ ich den König bitten, an meinen Wagen zu kommen. Ich teilte ihm mit, was der Herzog zu mir gesagt hatte, und daß er mich in größter Gefahr glaube. Der König erwiderte: »Wenn es so ist, reise ab.« – Er gab mir die Hand, drückte sie mir zweimal, ohne ein Wort hervorbringen zu können. Und so stieg ich aus seinem Wagen auf die Chaussee und hinein in meinen Wagen, von Infanterie, Kanonen, Bagage und anderen kritischen Dingen umgeben. Von einem Offizier und acht Kürassieren begleitet, machte ich mich traurig wieder auf den Weg nach Weimar, das ich wenige Stunden vorher, ohne zu ahnen, daß mir die Trennung bevorstand, verlassen hatte.« – In Weimar riet ihr Rüchel, schleunigst nach Berlin zu reisen. Aber es waren keine Pferde zur Hand. Schließlich stellte der General ihr seine eigenen zur Verfügung und außerdem fünfzig Mann Bedeckung.

Es war am Morgen des denkwürdigen 14. Oktober! Der Kanonendonner der Schlacht von Jena schlug an Luises Ohr, als sie in ihrem Reisewagen bangen Herzens und doch voller Hoffnung auf den Sieg über Mühlhausen, Göttingen, Braunschweig, Tangermünde nach Berlin fuhr. Unterwegs brach der Wagen der Königin. Sie mußte in den Wagen ihres Kammerherrn steigen, und Buch nahm auf dem Bocke Platz. So ging die Reise höchst unbequem weiter. Ab und zu erfuhr sie von den Vorgängen auf dem Schlachtfeld. Einmal waren es gute, ein andermal schlechte Nachrichten, die sie von vorüberreitenden Soldaten, von Kurieren oder von der Bevölkerung in den Dörfern erhielt. Alles lag im ungewissen. Vier Tage lang war sie unterwegs, ohne bestimmte Nachrichten weder über das Geschick ihres Mannes, noch über den Ausgang der Schlacht von Jena erfahren zu können. Da endlich, kurz vor Brandenburg erreicht sie ein Kurier. Er kam vom Oberst von Kleist aus Buttelstedt. Als sie seinen Brief gelesen hatte, brachen alle ihre Hoffnungen zusammen. Es war alles vernichtet: das Heer, der Staat, ihr Glück! Ihr größter Feind Napoleon war von nun an Diktator über Preußens Geschick.

Furchtbar war die Enttäuschung der Königin, unermeßlich der Schmerz über das Unglück. Ehe sie von Weimar geflüchtet war, hatte sie ihrem Mann noch einmal ans Herz gelegt, er möchte doch die Führung des Heeres selbst übernehmen. Aber Friedrich Wilhelm traute sich das nicht zu. Nun gab Luise alle Schuld an der Niederlage dem unfähigen Herzog von Braunschweig. »Nur einen anderen Heerführer«, das war ihr einziger Gedanke. Der Fürst Hohenlohe schien ihr am geeignetsten, und der König befolgte ihren Rat. Aber sie litt Qualen der Angst und der Sorge. Was sollte werden? Nun galt es mit ihren Kindern fliehen, fliehen! Immer weiter nach Norden ging die Flucht vor dem sie verfolgenden Feind. Die Kinder waren bereits, als sie in Berlin ankam, auf die Nachricht der Niederlage hin, nach Schwedt auf das ehemalige Schloß Friederikes gebracht worden, denn schon standen die Franzosen vor den Toren Berlins. Der König selbst war auf der Flucht und hatte ihr nach dem schrecklichen Gemetzel bei Jena geschrieben, daß sich fast seine ganze Armee in dieser furchtbaren Schlacht verblutet habe. »Ich weiß nicht, was aus ihnen geworden ist. Alles, was noch lebt, läuft einzeln herum.«

Am nächsten Tag nach ihrer Ankunft in Berlin mußte auch Luise ihre Flucht fortsetzen. Ihr nächstes Ziel war Küstrin. In atemloser Hast reiste sie über Stettin dorthin. In Stettin spielte sich noch ein kleines Intermezzo ab. Einige Damen des Hofes, besonders die Erbprinzessin von Weimar und die Schwägerin der Königin, Prinzessin Wilhelm von Oranien, veranlaßten sie, den Kabinettsrat Lombard verhaften zu lassen. Er war des Hochverrats und der Übereinstimmung mit dem Feinde verdächtigt worden und hatte sich zu seiner Sicherheit nach Stettin geflüchtet. Nun glaubten die Anhängerinnen der Königin nichts besseres tun zu können, als ihn mit ihrer Hilfe zu verhaften. Luise sträubte sich anfangs gegen ein solches Vorgehen, ließ sich jedoch bereden und gab nach. Mit der Begründung, Lombard werde sich nach ihrer Abreise von Stettin nicht mehr vor der Wut des Publikums schützen können, erteilte sie ihm den Rat, er solle sich unter militärischer Bedeckung zur Wache begeben. Dort wurde Lombard aufs ärgste behandelt. Man visitierte ihn bis aufs Hemd, konfiszierte alle seine Papiere, verhaftete alle Personen seiner Begleitung. Als man schließlich doch nichts Beweisführendes fand, ließ man ihn zwar in Ruhe, behielt ihn aber in Haft. Erst ein Befehl des Königs aus Küstrin befreite ihn aus seiner üblen Lage.

Unterdessen befand sich die Königin bereits wieder unterwegs. In Küstrin wimmelte es bereits von Flüchtlingen aller Art. Mit ihrer ganzen Habe, mit Betten, Möbeln und Haustieren suchten sie in der Festung Schutz.

Das Menschengewühl und die Angst der Flüchtenden waren unbeschreiblich. Friedrich Wilhelm III. erwartete Luise bereits dort. Es war ein trauriges Wiedersehen. Die Königin traf mit ihrer Hofdame, der Gräfin Truchseß, und mit dem Kammerherrn von Buch in einem leichten offenen Wagen ein. Die alte Gräfin Voß war bereits nach Danzig unterwegs. Luise fand Friedrich Wilhelm in Küstrin viel weniger erschüttert, als sie vermutete und sie es selbst war. Er hatte gleich nach der Schlacht von Jena Napoleon Friedensangebote gemacht, denn er war des Kriegs satt und hoffte weder etwas von seinen Untertanen noch von seiner Armee. Der Mißerfolg hatte ihn in seiner Abneigung gegen allen Krieg nur noch bestärkt. Nun wollte er so schnell wie möglich Frieden schließen. Aber Napoleon ging nicht darauf ein. Er wollte erst in Berlin eingezogen sein und dann seine Forderungen stellen. Friedrich Wilhelm betrachtete alle diese Ereignisse mit Kälte, während Luise tiefgebeugt einherging. Sie war mit seiner Friedenspolitik jetzt erst recht nicht einverstanden. Ein »schändlicher« Frieden wäre für sie das Schrecklichste gewesen, was es geben konnte. Aber nach den traurigen Erfahrungen, die sie bisher gemacht hatte, wagte sie vorläufig nicht, den König in dieser Hinsicht zu beeinflussen. Und die Unterhandlungen gingen weiter.

In Küstrin traf Schreckensnachricht über Schreckensnachricht ein. Bei Jena war der Herzog von Braunschweig verwundet worden. Der Prinz von Oranien war gefangen. Erfurt hatte am 16. Oktober kapituliert. Die Franzosen waren am 24. in Berlin eingerückt, und Spandau hatte dem Feinde die Tore geöffnet. Am 26. Oktober mußten der König und die Königin Küstrin verlassen. Acht Tage später hatte sich auch diese Festung den Franzosen ergeben. Luise und Friedrich Wilhelm erfuhren es in Graudenz, ebenso die einige Tage vorher erfolgte Übergabe von Prenzlau. Es folgten auch Stettin und Magdeburg. Friedrich Wilhelm III. blieb nichts anderes übrig, als nun die Friedenspräliminarien Napoleons anzunehmen.

Tieferschüttert von diesen Ereignissen, setzte die Königin ihre Flucht fort nach Königsberg. Luise sah bleich und verhärmt aus. Sie magerte zusehends ab. Die Tränen, die Angst und Sorge, die Unruhe und der Kummer zehrten an ihrer Gesundheit. In den Blicken ihrer Umgebung bemerkte sie den stummen Vorwurf, daß sie nicht schuldlos war an all dem Unglück. Später schrieb sie auch an Georg darüber und gestand ihm, daß sie die Folgen bitter bereue.

Zu all dem Traurigen, das sie in jenen Tagen erleben mußte, kamen noch die Schmähungen, die Napoleon seit der Schlacht von Jena in seinen Bulletins gegen sie losließ. »Bonaparte speit Beleidigungen und Schmähungen gegen mich aus«, schreibt sie am 13. November an ihre Oberhofmeisterin, die sich bereits in Königsberg befand, während Luise noch in Graudenz weilte. »Seine Flügeladjutanten haben sich mit ihren Stiefeln auf meinen Sofas in meinen Gobelinzimmern in Charlottenburg breitgemacht. Das Palais in Berlin ist noch respektiert worden. Er wohnt im Schloß. Es gefällt ihm in der Stadt Berlin. Aber er hat gesagt, er wolle keinen Sand, er werde die Sandgruben dem König lassen. Und man lebt und kann die Schmach nicht rächen!«

Ein solcher Entrüstungsschrei aus ihrem Munde war begreiflich. Napoleon hatte sie in allem, in ihrer Frauenehre, ihrer Ehre als Landesfürstin und Patriotin angegriffen! Er hatte nicht allein geduldet, daß der »Moniteur«, das offizielle Pariser Blatt, und der »Telegraph« Schmähungen über Schmähungen gegen sie losließen, sondern er selbst verschonte sie in seinen Kriegsbulletins, in seinen Briefen und Unterhaltungen mit Ministern und Marschällen nicht mit Beleidigungen. Der beißendste Spott, die höchste Ironie sprachen aus den Worten, die das 1. Bulletin der Großen Armee vom 8. Oktober 1806 über die Königin enthielt. »Marschall,« sagte darin der Kaiser zum Marschall Berthier, »man gibt uns für den 8. ein Ehrenrendezvous; niemals hat ein Franzose ein solches verfehlt. Und da, wie man sagt, eine schöne Königin Zeuge des Kampfes sein will, so seien wir höflich und marschieren wir, ohne uns Ruhe zu gönnen, nach Sachsen ...« Und weiter höhnt dasselbe Bulletin: »Die Königin ist bei der Armee als Amazone gekleidet, in der Uniform ihres Dragoner-Regiments. Sie schreibt täglich zwanzig Briefe, um von allen Seiten den Brand zu schüren. Man meint Armida zu sehen, die in ihrer Verblendung den eigenen Palast anzündet ... Nach dem Beispiel dieser beiden großen Persönlichkeiten (Luises und des Prinzen Louis Ferdinand) schreit der ganze Hof nach Krieg.«

Ein andermal, im 9. Bulletin vom 17. Oktober, erstreckten sich Napoleons beleidigende Äußerungen wiederum einzig und allein auf die Königin, während er Friedrich Wilhelm III. als vollkommen schuldlos an allem hinstellte. »Wie es scheint, ist alles, was man von ihr gesagt hat, wahr. Sie war hier (in Weimar), um das Feuer des Kriegs anzufachen. Sie ist eine Frau mit einem hübschen Gesicht, aber mit wenig Geist, unfähig, die Folgen ihrer Handlungen vorauszusehen. Anstatt sie zu beschuldigen, kann man sie heute nur bedauern, denn sie muß schrecklich von Gewissensbissen gepeinigt werden wegen der Leiden, die sie über ihr Land bringt, und wegen des Einflusses, den sie auf ihren Gemahl ausübt. Er, darüber ist sich jedermann einig, ist ein vollkommener Ehrenmann und hat nur den Frieden und das Wohl seines Volkes im Auge.«

Allen aber setzt das berühmte 19. Bulletin aus Charlottenburg vom 27. Oktober die Krone auf. Darin spielte Napoleon auf das Verhältnis der Königin Luise zum Kaiser Alexander von Rußland an.

»Die Empörung gegen die Urheber dieses Krieges«, schrieb Napoleon, »hat den höchsten Grad erreicht ... Jedermann ist überzeugt, daß die Königin an allen Leiden, die das preußische Volk zu erdulden hat, schuld ist. Überall hört man sagen: ›Sie war so gut, so sanft vor einem Jahr. Aber wie hat sie sich seit der verhängnisvollen Zusammenkunft mit dem Kaiser Alexander verändert!‹ ... In den Gemächern, die die Königin in Potsdam innehatte, hat man das Bild des Kaisers von Rußland gefunden, das er ihr geschenkt hatte. In Charlottenburg fand man auch ihren Briefwechsel mit dem König während der letzten drei Jahre sowie von Engländern verfaßte Schreiben, die erklärten, daß man den mit dem Kaiser Napoleon geschlossenen Verträgen keinerlei Rechnung tragen dürfe, sondern sich ganz an Rußland halten müsse. Diese Stücke besonders sind historische Dokumente. Sie beweisen – wenn es überhaupt in diesem Falle eines Beweises bedürfte wie unglücklich die Fürsten sind, die Frauen Einfluß auf die politischen Angelegenheiten gestatten. Die Noten, die Berichte und die Staatspapiere rochen nach Moschus und fanden sich unter Bändern und Spitzen und anderen Toilettengegenständen der Königin. Sie hat allen Berliner Frauen die Köpfe verdreht; heute aber sind sie anderer Meinung.«

Der Kaiser der Franzosen ersparte der Königin von Preußen nichts. Er verglich sie mit Tassos Armida und mit der schönen Helena, die Trojas Unglück heraufbeschworen hatte. Er vergaß alle Ritterlichkeit gegen sie, eine Frau und dazu eine feinfühlende, leichtempfindliche Frau mit einem edlen Gemüt. In seinem Haß gegen Preußen und die schwachen Männer, die zu jener Zeit die Politik des unglücklichen Staates in Händen hatten, richtete sich seine ganze Wut gegen die Königin Luise, die es im Glauben an eine gute Tat unternommen hatte, Schwachköpfen Entschlossenheit und tatkräftiges Handeln beizubringen. Napoleon hätte in seinen Äußerungen über sie mehr Mäßigung zeigen sollen, wenn er ihr auch mit Recht vorwerfen konnte, was auf Tatsachen beruhte.

Da er aber jedes Einmischen von Frauen in die Politik haßte, da er jedes Weiberregiment verabscheute und die Fürsten verachtete, die unter dem Einfluß von Frauen standen, war von vornherein seine Sympathie für Preußens Königin, von deren Anmut und Schönheit die ganze Welt des Lobes voll war, stark beeinflußt. Er hielt sie für eine jener Frauen, die ihre weibliche Würde vergessen und sich mit männlichem Mute, mit männlicher Energie und mit männlichem Ehrgeiz auf die Politik stürzen, ohne jedoch die Erfahrung des erprobten Staatsmannes zu haben, und die infolgedessen alles verderben. Er hielt sie für einen jener »Blaustrümpfe«, gegen die er die größte Antipathie hegte. Das ist die einzige Erklärung für seine haßerfüllten Wutausbrüche gegen eine Frau, seine Feindin. Für ihn war die Frau eben nur Schmuck, eine andere Bestimmung durfte sie nicht haben. Er machte zwischen ihr und einem schönen Gemälde oder einer kunstvollen Vase keinen Unterschied. An seinem Hofe waren die Frauen nur Dekoration, und Josephine hatte nicht unrecht, wenn sie sagte, daß die Frauen an des Kaisers Hofe vielleicht fünf oder sechs Tage im Jahre Einfluß über ihn gewännen, aber die ganze übrige Zeit nichts oder beinahe nichts für ihn wären. Niemals aber werden selbst die Bewunderer des ungeheuren Genies und der Größe Napoleons ihm den Vorwurf ersparen können, daß er in der Art seiner Anklagen Luise gegenüber alle Großmut, allen Takt, alles Feingefühl und alle Ritterlichkeit vergessen hatte. Niemals werden sie ihm verzeihen, daß er diese Frauengestalt, an der kein Makel haftete, die nur einen unbedachten Fehler begangen hatte, so tief in den Schmutz zog. Sogar seine nächste Umgebung war mit seinem Beleidigungen gegen die Königin von Preußen nicht einverstanden. Auch französische Historiker haben sein Verhalten getadelt. Aber die Männer, die Luise in ihren Kriegsbestrebungen unterstützten, hätten sie vor solchen Demütigungen bewahren sollen. Sie wußten ja, wie Napoleon über Frauenpolitik urteilte. Sie hätten daher eher die Königin von aller öffentlichen politischen Beteiligung entfernen sollen, anstatt, wie sie es taten, sie immer mehr hineinzuziehen.

Inzwischen hatte Luise ihre Reise fortgesetzt und war mit ihrem Mann in Osterode zusammengetroffen. Es waren Unterhandlungen zu einem Waffenstillstand im Gange, dem indes Luise den größten Widerstand entgegensetzte. Napoleon hatte nämlich den in Graudenz vom König angenommenen Friedenspräliminarien nicht zugestimmt, hingegen neue Forderungen zu einem Waffenstillstand gestellt. Und nun weigerte sich Friedrich Wilhelm, ihn anzunehmen. Sicher in Übereinstimmung mit Luise. Der König war schwankender denn je. Er wußte nicht, was er tun sollte, einerseits einem Gegner gegenüber, der so hohe Forderungen stellte, andererseits aber hätte er doch so gern den Krieg aus der Welt geschafft. In Osterode schien es, als gingen ihn die Ereignisse gar nichts an. Er war mit nichtigen Dingen beschäftigt und von einer Gleichgültigkeit, die auf alle höchst befremdend wirkte. In seinen Entschlüssen war er noch zögernder als sonst. Die meisten seiner Generale und Minister waren für den Abschluß des Waffenstillstands. Und aus diesem Grunde fürchtete man sogar die Anwesenheit der Königin in Osterode, denn man glaubte nicht mit Unrecht, daß sie den König beeinflussen könne. Viele stimmten daher damals für ihre Entfernung. Aber sie blieb. Und am 22. November teilte Friedrich Wilhelm III. dem General Duroc seinen Entschluß mit, daß er den Waffenstillstand ablehne. Er ahnte nicht, welche Folgen diese Entscheidung nach sich ziehen sollte. Aber lieber hätte er auf seine Krone verzichtet, als daß er gegen Rußland wortbrüchig geworden wäre.

Von neuem zwangen die Ereignisse das Königspaar zur Flucht. Ihr Weg führte sie zunächst nach Ortelsburg. In der Stadt herrschten Seuchen und Not. Es waren überaus traurige Tage, die Luise dort verlebte. Sie war unendlich niedergeschlagen, verlor aber den Mut nicht. Mit dem König war kaum etwas anzufangen. Er war übelgelaunt und unzugänglich. Sein Minister Haugwitz, der ihm jahrelang ein Berater gewesen, war, wie wir wissen, gegangen. An seine Stelle trat der Freiherr vom Stein, dessen Starrsinn ihm nicht behagte. Aber Luise mußte erst vermittelnd eintreten, ehe sich Stein bewegen ließ, zu kommen. So kämpfte sie beständig zwischen zwei Parteien und wurde ihres Lebens nicht froh. Und dazu die beständige Angst vor dem herannahenden Feind. In Ortelsburg konnte sie nicht lange verweilen. Am 5. Dezember brach sie zur Weiterreise auf.

Um das Unglück vollzumachen, wurden Luise und ihre Kinder von Krankheiten heimgesucht. Die Sorge verließ die Königin nicht einen Augenblick. Die Prinzessin Alexandrine und der jüngste Prinz Karl, später auch Wilhelm, erkrankten auf der Flucht an der Ruhr und am Nervenfieber. Luise selbst traf in Königsberg am 9. Dezember mit hohem Fieber ein, das sich ebenfalls in ein schweres Nervenfieber verwandelte. Dennoch hatte sie am 10. noch eine Unterredung mit Hardenberg. Er war von Memel gekommen, um mit der Königin die Bildung eines Ministeriums Stein-Rüchel-Hardenberg zu besprechen. Es ist dann nichts daraus geworden. Luises Krankheit verhinderte sie vorläufig an allen politischen Geschäften. Einige Tage darauf wurde Hufeland, ihr Leibarzt, von Danzig herbeigerufen. Er fand sie sehr schwach und in höchster Gefahr. »Sie lag sehr gefährlich danieder,« schreibt er in sein Tagebuch, »und nie werde ich die Nacht des 22. Dezember vergessen, wo sie in Todesgefahr lag, ich bei ihr wachte und zugleich ein so fürchterlicher Sturm wütete, daß er einen Giebel des alten Schlosses, in dem sie lag, herabriß.« Drei volle Wochen dauerte die schreckliche Krankheit.

Die Nachrichten vom Heranrücken der Franzosen wurden immer bedrohlicher. Luise war in Königsberg nicht mehr sicher. Sie mußte fort. Sie selbst wünschte es und sagte: »Ich will lieber in die Hand Gottes als dieser Menschen fallen.« – In einem offenen Wagen – einen anderen konnte man nicht auftreiben – mitten im Winter in Sturm und Schnee reiste die Schwerkranke am 5. Januar über die Kurische Nehrung nach Memel. Ihre Kinder waren bereits vorausgeschickt worden. Die Nächte verbrachten die Königin und ihre Begleiter in den elendesten Bauernhäusern oder Gasthöfen. Es war bitter kalt. Der Sturm und das Unwetter waren so schrecklich, daß die Pferde kaum weiter konnten. In Luises Begleitung befanden sich ihre Kammerfrau Schadow, die Hofdame Bertha von Truchseß und der Arzt Hufeland. Die Gräfin Voß war einige Stunden zuvor mit dem General Köckritz vorausgereist, um für ihre Herrin ein einigermaßen annehmbares Quartier in Memel zu suchen. Aber sie kamen des entsetzlichen Wetters wegen nicht weiter. In einem der nächsten Dörfer blieben ihre Wagen stecken. Der kleinmütige Köckritz verzweifelte fast. Er jammerte und hatte Angst, die Franzosen könnten ihnen nacheilen, ihn mitsamt der Oberhofmeisterin gefangennehmen oder gar »massakrieren«. »Nun,« sagte die Voß ruhig aber bissig zu ihm, »dann haben sie eben zwei alte Weiber gefangen«. Sie konnte den alten Hasenfuß nicht ausstehen und verwünschte seinen Einfluß auf den König. In Königsberg waren vom Hofe der Königin nur Friederike und ihr Gefolge und die Fürstin Luise Radziwill zurückgeblieben, deren älterer Sohn schwer erkrankt und nicht transportfähig war. Sie erwarteten täglich die Schreckensnachricht, daß Napoleon in Königsberg einziehen werde. Aber er kam vorläufig nicht, sondern verlegte sein Hauptquartier nach Osterode. Luise Radziwill erzählt, welche Todesangst sie in jenen Tagen ausstanden, und nur einer List Rüchels, den die Franzosen den Don Quichotte des preußischen Heeres nannten, war es zu danken, daß sie sich noch einige Tage halten konnten. »Die Stadttore waren verrammelt. Jede Nacht näherten sich die französischen Vorposten und schlugen Alarm. Aber der etwas wunderliche Rüchel, der sehr eitel und von lächerlichen Prätentionen erfüllt war, ohne daß er große Kenntnisse besaß, denn er war nur oberflächlich gebildet, imponierte den Feinden durch seine Prahlereien. Jeden Tag ließ er die Tore der Stadt durch die wenigen Soldaten besetzen, die uns noch geblieben waren. Sie mußten immer in ganz verschiedenen Uniformen auftreten, so daß man glauben konnte, Königsberg habe eine ziemlich starke Garnison behalten, um einem Handstreich des Feindes Widerstand entgegensetzen zu können.«

Inzwischen fuhr die kranke Königin auf schlechten Wegen und in der bittersten Winterkälte weiter nach Memel. In der ersten Nacht auf ihrer Reise lag sie in einer Stube, wo die Fenster zerbrochen waren. Der Schnee wehte auf ihr Bett. Es war eisig kalt, und man hatte weder Feuer noch etwas Warmes zu essen für die Kranke. »So hat noch keine Königin die Not empfunden«, schreibt Hufeland in sein Tagebuch. Er hatte die größte Befürchtung, daß Luise einem Schlaganfall erliegen könne. Aber die fürchterliche Reise bekam ihr merkwürdig gut. Wenigstens verschlimmerte sich ihr Fieber nicht.

Erst in Memel konnte sie sich indes ein wenig Ruhe gönnen. Aber welcher Unterschied mit ihrem Aufenthalt in dieser Stadt vom Jahre 1802 und jetzt! Wohin waren die heiteren Tage des Glücks? Wohin die Hoffnungen? Es waren wieder dieselben Zimmer, die sie ehemals bewohnte, in denen sie den jungen Zaren zum Tee empfangen hatte. Sie lag auf demselben Sofa, aber diesmal seelisch und körperlich krank und gebrochen. Wehmütig gedachte sie an das Vergangene. Ihre Kinder waren um sie. Delbrück hatte die beiden ältesten Prinzen sicher nach Memel gebracht. Glücklicherweise verstanden sie noch nicht die Tragweite des Mißgeschicks, das ihre Eltern betroffen hatte. Sie spielten, tobten und waren trotz aller Entbehrung, trotz allen Leids um sie her, glücklich, so daß der Erzieher dem König melden konnte, die Prinzen seien »gesund und wohlbehalten und ohne die mindesten Nachwehen des erlittenen Ungemachs in Memel angekommen«.


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