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27

Schluß.

»Das ist die ganze Geschichte, mein lieber Ahlvar. Ich habe nichts mehr hinzuzufügen.«

Williams erhob sich und begann, auf und ab zu laufen.

Fast eine Stunde lang hatte er ununterbrochen geredet. Er war den Fall Ranten von Anfang bis zu Ende durchgegangen. Wie ein spannender Film rollten sich die Bilder vor den interessiert lauschenden Zuhörern ab. Williams Schilderung war so dramatisch, daß sie glaubten, die handelnden Personen vor sich zu sehen.

Der Chef der Kriminalpolizei hatte die ganze Zeit über unbeweglich dagesessen. Kommissar Eriksson hatte sich hie und da mit seinem Notizbuch beschäftigt, und Ringe und Annie Ranten waren stumme Zuhörer gewesen.

Durch das Bibliothekszimmerfenster der Villa Ranten strömte die Morgensonne herein. Die Gardinen bewegten sich leise im Maiwind. In einer der Eichen vor dem Fenster schlug ein Buchfink, und ein anderer antwortete. In der Ferne hörte man schwach den Klang von Kirchenglocken.

Williams sah auf seine Armbanduhr. Die Uhr des Kirchturms schlug sechs.

»Du hast den ganzen Fall in allen Einzelheiten so klargelegt, daß ich nichts mehr zu fragen habe«, sagte der Regierungsdirektor. »Im Falle Ranten scheint es in der Beweisführung keine Lücke mehr zu geben. Wäre Frau Ranten vor einen weltlichen Richter gestellt worden, hätte sie verurteilt werden müssen, wie sehr sie auch geleugnet hätte. Es geschieht nicht allzu oft, daß man so schwerwiegende Indizien und klare Beweise in einer Mordsache hat. Denke nur an den Fall am Torsplatz. Was hatten wir da als Grundlage? Nichts, gar nichts. Auch wenn wir den Richtigen gegriffen hätten, hätten wir niemals beweisen können, daß er der Mörder ist. Erst das Auffinden des Hammers gab uns die überhaupt einzige wertvolle Spur. Charlie Smith war also mit Gunhild Maria Save verheiratet und wollte sich von ihr befreien, um Frau Ranten heiraten zu können. Ein klares Motiv für einen Mord. Wir waren auf der falschen Spur, als wir einen Lustmörder suchten. Kein Wunder, daß wir den Mörder nicht fanden.«

»Nein, das ist verständlich«, sagte Williams. »So wie der Fall lag, fehlten noch einige der sieben goldenen W in der Kriminalistik. Wenn man sie nicht alle sieben hat, ist eine so komplizierte Mordgeschichte schwer lösbar.«

»Aber nimm an, daß Charlie Smith noch am Leben wäre«, sagte der Regierungsdirektor. »Wie könnten wir da beweisen, daß er der Mörder ist?«

»Hier habe ich den Beweis.«

Es war Ringe, der diese Frage beantwortete. Er zog sein Notizbuch aus der Tasche und blätterte eine Weile in ihm. Dann legte er es offen vor Ahlvar hin.

»Bitte, lesen Sie«, sagte er. »Das Bekenntnis des Verbrechers. Den Text habe ich allerdings geschrieben, aber er ist unterzeichnet von Charlie Smith und beglaubigt von den anwesenden Zeugen: Annie Ranten und Gustaf Ringe.«

»Lies vor, Ahlvar«, forderte ihn Williams auf.

Der Regierungsdirektor nahm das Buch und las:

 

»Hiermit bekenne ich, daß ich meine Frau, Gunhild Maria Save, wohnhaft Torsplatz vier, vorsätzlich getötet habe. Ich wollte mich von ihr befreien, um Frau Ranten heiraten zu können. Dieses Bekenntnis habe ich freiwillig und bei vollem Bewußtsein abgegeben.

Stockholm, den 23. Mai 193 … Charlie Smith.

Daß der Chauffeur Charlie Smith dieses Bekenntnis selbst unterzeichnet hat, beglaubigen die beiden anwesenden Zeugen:

Annie Ranten Gustaf Ringe.«

 

»Gut«, sagte Ahlvar. »Die Zeitungen werden sich freuen. Mindestens sieben Spalten werden sie über die Riesensensation schreiben.«

Williams wandte sich an Annie: »Sagen Sie, Fräulein Ranten, können wir nicht etwas darüber erfahren, wie eigentlich Ihr Abschiedsbrief zustandegekommen ist?«

»Ich weiß kaum, ob ich diese Frage jetzt beantworten kann, Herr Advokat. Mir ist, als ob ich eben aus einem entsetzlichen Traum erwacht wäre …«

»Beruhige dich, Annie«, sagte Ringe und streichelte zärtlich die Hand seiner Braut. »Erzähle nur und denke, es sei ein Traum gewesen.«

»Als wir vorgestern abend Tee getrunken und ein wenig über meine Reise nach Norrland geplaudert hatten, ging ich auf mein Zimmer«, begann Annie Ranten. »Nach einigen Minuten kam meine Stiefmutter nach und bat mich zu sich hinüber. Sie wollte mir etwas zeigen, sagte sie. Ich ging mit ihr. Sie führte mich an ihren Sekretär und bat mich, Platz zu nehmen.

›Schreibe das hier ab‹, sagte sie und deutete auf ein Blatt, das vor mir lag. Ich las: ›Lebe wohl, für immer. Ich weiß alles. Annie.‹ Ich starrte eine Weile auf das Papier, ohne zu wissen, um was es sich eigentlich handelte.

›Warum soll ich das schreiben?‹ fragte ich schließlich. ›Von wem soll ich denn überhaupt Abschied nehmen?‹

›Von dem Mann, mit dem du heute ausgefahren bist!‹ antwortete sie.

Dann erzählte sie eine lange Geschichte über Gustaf. Wie Smith ihm stets auf ihre Anordnung gefolgt sei, da sie mein Interesse für ihn bemerkt habe. Sie behauptete häßliche Sachen von Gustaf, Beziehungen zu verheirateten Frauen – und redete so eindringlich auf mich ein, daß ich, gequält und überreizt, den Füllfederhalter nahm, den sie mir gab, und die Zeilen schrieb. Sie nahm den Bogen und wedelte damit eine Weile in der Luft, um ihn trocknen zu lassen. Das ist das letzte, an was ich mich erinnere. Gleich darauf hörte ich ein scharfes Knacken, und dann muß ich das Bewußtsein verloren haben. Als ich allmählich wieder zur Besinnung kam, lag ich, an Händen und Füßen gefesselt und mit einem Knebel versehen, in einem dunklen Zimmer.«

»Viel ist nicht mehr hinzuzufügen«, fiel Ringe ein. »Nur eine Neuigkeit möchte ich noch mitteilen: Fräulein Ranten und ich haben uns auf der ›Gamba‹ draußen verlobt.«

»Ein famoses Endergebnis«, sagte Williams lachend. Auch Ahlvar stimmte in die Heiterkeit ein. Der ernste Kommissar Eriksson griff nach seinem Notizbuch und schrieb.

»Das brauchen Sie nicht zu notieren, Herr Kommissar«, sagte der Regierungsdirektor. »Das wird ohnehin noch schriftlich festgelegt.«

Er erhob sich und verbeugte sich vor Annie Ranten und Ringe.

»Meine herzlichsten Glückwünsche«, sagte er dann. »Wann soll denn die Hochzeit sein?«

»Wir lassen uns in aller Stille in einem Monat trauen«, antwortete Annie Ranten. »Ich weiß, daß es im Sinne meines Vaters ist.«

Ihre dunklen Augen füllten sich mit Tränen, als sie zu dem großen Mann an ihrer Seite aufsah. Sie schob ihren Arm unter den seinen und sagte leise:

»Gustaf hat mein Leben gerettet, darum gehört es ihm!«

 

Ende.

 


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