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10

Nachdem Frau Ranten das Zimmer verlassen hatte, legte Williams den leeren Bogen in den Umschlag zurück, den er in die Tasche steckte. Er verschloß den Tresor und die Schreibtischkästen und ging an das Fenster, um die Aussicht zu bewundern.

Vor ihm dehnte sich die Valdemarsbucht aus. Nicht ein Windhauch bewegte die weite Wasserfläche. Die ausrangierten Fahrzeuge lagen in einer Reihe quer über der Bucht, zuerst eine Gruppe von sieben Stück – das waren anscheinend diejenigen, die Ranten ein Dorn im Auge gewesen waren – und dann, getrennt von einem Wasserstreifen, noch zwei Gruppen. Die Ungetüme sahen sehr mitgenommen aus, da und dort war die Farbe abgeblättert, große rote Mennigeflecke hoben sich grell von den grauen, schmutzigweißen Seitenteilen der Fahrzeuge ab. Die Masten ragten traurig ins Wolkenmeer, und die Schornsteine mit dem schwarzen T auf den weißen Ringen machten einen beklemmenden Eindruck. Williams zählte sie. Es waren achtundzwanzig Stück. Ebensoviele Fahrzeuge lagen also unbrauchbar da, ein nicht zu verachtender Teil der Handelsflotte.

»Schiffsfriedhof«, sagte Williams halblaut und zuckte mit den Achseln. »Aber was soll man bei diesen schlechten Zeiten machen? Nanu, was gibt's denn da?«

Er verstummte plötzlich und trat schnell hinter die Gardine. Vorsichtig schaute er durch einen Spalt hinaus und folgte mit den Blicken einem kleinen Boot, das gerade vom Ufer vor der Villa abstieß. Ein einzelner Mann saß darin. Er ruderte mit langsamen, vorsichtigen Schlägen und schien keine Eile zu haben, Williams erkannte den Chauffeur Smith.

Wahrscheinlich will er zur »Sea Song« hinaus, dachte Williams. Ein flotter Ruderer scheint er nicht zu sein, der gute Smith.

Das Ruderboot nahm indessen seinen Kurs nicht auf die Lustyacht, die einige Meter vom Strande ein Stück vor dem Schiffsfriedhof verankert lag. Smith fuhr weiter hinaus und näherte sich langsam dem nächstliegenden Schiffswrack. Jetzt war das kleine Boot fast am Heck des Fahrzeugs. Mit einem kräftigen Schlag schwenkte der Ruderer das Boot herum und verschwand hinter dem Schiff. Williams wartete, daß das Boot wieder zum Vorschein kommen sollte. Minute auf Minute verging, aber es blieb verschwunden. Wo war Smith geblieben? Vielleicht wollte er dort fischen, oder er war auf eines der beiden Schiffe gegangen. Williams konnte sehen, daß der nächstliegende Dampfer Gamba hieß. Den Namen des anderen Fahrzeuges konnte er dagegen von seinem Platz aus nicht erkennen.

Vielleicht sind die toten Schiffe doch nicht so tot, überlegte Williams. Zumindest auf einem befindet sich zurzeit Leben. Ich möchte nur wissen, was der Chauffeur Smith da an Bord zu tun hat. Nach seinem Rudern zu urteilen, ist er nicht Seemann gewesen, das ist sicher. Vielleicht will er sich nur ein wenig auf den neuen Domänen des seligen Herrn Ranten umsehen. Aber es könnte auch sein, daß er irgendeinen Streich vorhat.

Williams trat vom Fenster zurück und klingelte nach dem Diener. Nach einer Minute stand Gustafsson vor ihm.

»Ich bin für heute fertig, Gustafsson, und komme morgen früh wieder. Bestellen Sie das bitte Frau Ranten. Aber da fällt mir gerade ein: Pflegt das Personal zuweilen in der Bucht zu rudern? Ich glaubte, den Chauffeur draußen zu sehen.«

 

»Er ist eigentlich der einzige, der sich damit vergnügt«, sagte der Diener. »Wenigstens von uns Angestellten. Frau Ranten pflegt allerdings hie und da eine kleine Fahrt zu machen, aber sehr selten. Ich habe sie nur ganz wenige Male draußen gesehen. Aber Smith habe ich öfter gesehen, oben von meinem Fenster aus. Ich habe nämlich von meinem Zimmer aus eine sehr gute Aussicht auf die Bucht.«

»So, so, eine schöne Aussicht haben Sie«, sagte Williams ohne besonderes Interesse. »Sagen Sie mal, Gustafsson, wie finden Sie, daß Smith rudert?«

»Na, ein Wettruderer ist er gerade nicht. Ich glaube bestimmt, daß ich ihm über bin, so alt ich bin«, sagte Gustafsson. »Ich stamme aus Bohuslän, Herr Advokat, und in meinem Heimatort lernt man rudern, sobald man die Wiege verlassen hat.«

»Ich sah Smith nämlich gerade eben, und ich fand, er ruderte wie eine richtige Landkrabbe.«

»Ja, aber wissen Sie, Herr Advokat, einmal habe ich mich doch sehr gewundert.« Gustafsson sah Williams nachdenklich an. Dann fuhr er fort:

»Ich verstehe nicht, wie er es da so schnell geschafft hat. Ich stand an meinem Fenster und sah auf die Bucht hinaus. Es war Abend, beinahe elf Uhr, aber heller Mondschein, so daß die Bucht einen romantischen Eindruck machte. Plötzlich stieß Smith mit einem Ruderboot vom Strand ab. Ich folgte ihm eine Weile mit den Blicken. Er ruderte zu den alten, häßlichen Schiffen, und ich sah ihn noch, als er fast angelangt war. Ich trat vom Fenster zurück und beschäftigte mich im Zimmer. Es war Zeit zum Schlafengehen. Herr Ranten war an jenem Tage krank. Ich weiß nicht, wie lange ich so herumgekramt habe, aber lange ist es bestimmt nicht gewesen. Dann ging ich wieder ans Fenster, um die Gardinen zuzuziehen. Da sehe ich ein Boot, das gerade vom Lande abgestoßen hat. Und was meinen Sie, wer saß in dem Boot? Wieder der gute Smith. In den wenigen Augenblicken, die ich im Zimmer beschäftigt war, hat er es geschafft, an den Strand zurückzurudern und wieder ein Stück hinaus. Und das, finde ich, war großartig von einer solchen Landkrabbe wie Smith.«

»Aber sind Sie ganz sicher, Gustafsson, daß es wiederum Smith war, den Sie beim zweiten Male sahen?« fragte Williams.

»Da können Sie ganz ruhig sein, Herr Advokat, das weiß ich ganz sicher«, antwortete Gustafsson. »Am nächsten Tage sagte ich nämlich zu ihm: ›Du warst ja ein Tausendsassa im Rudern, gestern abend‹, und da lachte er und fragte: ›Wieso?‹ Da erzählte ich ihm, daß ich ihn im Boot schon fast an den alten Schiffen gesehen hätte und ein paar Minuten später wieder auf dem Wege dahin. ›Du mußt ja mächtig schnell gerudert sein‹, sagte ich, ›wenn du in dieser kurzen Zeit zurück- und wieder hinausrudern konntest‹.«

»Na, und was antwortete er da?« fragte Williams.

»Er antwortete eigentlich nichts, sondern murmelte nur so vor sich hin. Dann fing er an von anderen Sachen zu sprechen«, sagte Gustafsson. »Aber Frau Ranten rudert auf jeden Fall viel besser als Smith, auch wenn er sich an jenem Abend mächtig angestrengt hatte.«

Williams sah sehr ernst aus. »Gut. Aber sagen Sie mir ehrlich und aufrichtig eine andere Sache. Was halten Sie eigentlich von Smith? Sind Sie befreundet mit ihm?«

»Nicht besonders, muß ich sagen«, antwortete der Diener. »Smith glaubt nämlich, etwas Besseres zu sein als das übrige Personal und zeigt sich nicht gern in den Küchenregionen. Das Verhältnis zwischen ihm und uns anderen ist dementsprechend ein wenig kühl. Aber das ist einzig und allein seine Schuld.«

»Wann war das, Gustafsson, als Sie Smith seine Meisterprobe im Rudern ablegen sahen?« fragte Williams. »Ist es schon lange her?«

»Nein, kaum länger als vierzehn Tage«, sagte Gustafsson. »Es war eine Woche, nachdem Herr Ranten die alten Ungetüme da draußen gekauft hatte. Ich weiß das nämlich ganz genau, weil Herr Ranten bei Tisch erzählt hatte, daß er die Schiffe nun gekauft habe. An dem Tage hatten wir Erbsen mit Speck. Es war also ein Donnerstag. Und an dem Tage, als ich Smith so verteufelt rudern sah, hatten wir auch Erbsen und Speck. Das war Herrn Rantens Lieblingsgericht, und er tat mir so leid, als ich ihm Haferschleimsuppe auf seinem Zimmer servieren mußte. Er hatte eine Magenverstimmung und konnte mehrere Tage lang nichts Ordentliches essen.«

»Sie haben wirklich ein gutes Gedächtnis, Gustafsson, das muß ich sagen. Aber nun müssen Sie mir etwas versprechen, Gustafsson«, Williams senkte die Stimme. »Sagen Sie Smith nichts von unserer Unterhaltung. Ich will nicht, daß er erfährt, daß ich etwas von seiner Ruderei weiß.«

Der Bediente verbeugte sich zum Zeichen des Einverständnisses.

»Wieviel Boote haben Sie, ich meine natürlich Ruderboote?« fragte Williams weiter.

»Wir haben zwei«, antwortete der Diener.

»Wo sind sie festgemacht?«

»Unten an der Brücke.«

»Kann man sie von hier aus sehen?«

»Nein, die Brücke liegt ein wenig seitwärts, so daß man die Boote hier vom Fenster aus nicht gewahren kann.«

»Ja, das war alles, was ich wissen wollte, Gustafsson«, sagte Williams. »Aber denken Sie nun an unser Übereinkommen. Seien Sie verschwiegen wie ein Grab.«

»Ich kann meinen Mund halten, das dürfen Sie mir glauben, Herr Advokat«, beteuerte Gustafsson.

Williams nahm seinen Hut und verließ die Villa. Er ging zum Strand hinunter und fand gleich die Brücke, an der ein elegantes Motorboot und ein Ruderboot festgemacht waren. Er ging auf die Brücke und gab sich den Anschein, als ob er das Motorboot bewundere. In Wirklichkeit sah er sich genau das danebenliegende Ruderboot an.

Allem nach zu urteilen, war es ein ebensolches Boot wie das, in dem Smith fortgerudert war. Schwesterboote von einem Standardtyp, vermutlich von derselben Bootswerft, dachte Williams.

Er pfiff ein paar Töne, und ein zufriedenes Lächeln umspielte seine Mundwinkel.

»Da heißt es raten und zusammensetzen«, stellte er in Gedanken fest. »Die Meisterfahrt des Chauffeurs Smith. Ich danke.«

Er zündete sich eine Zigarette an und ging langsam zur Villa hinüber.


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