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Humoristische Meister-Novellen
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Ernst v. Wolzogen

Der Blüthner-Flügel

Es ist eine seltsame Geschichte, die ich erzählen will, aber mein Gewährsmann, ein wohlhabender Gutsbesitzer in Ostpreußen, da herum angesessen, wo schon die richtige Polackei beginnt, versicherte mir hoch und teuer, daß er sie selbst erlebt habe. Und so mag er sie denn auch selbst erzählen:

Also denken Sie sich, was mir mit meinem Blüthner-Flügel passiert ist, – das heißt, eigentlich war's meiner Frau ihr Blüthner-Flügel. Mein Frauchen ist nämlich sehr musikalisch und spielt gar nicht übel Klavier, und da war's wohl weiter nicht merkwürdig, daß ihre Eltern ihr einen funkelnagelneuen Blüthner-Flügel als eines der Hauptstücke ihrer Ausstattung mit in die Ehe gaben. Das Ding stand in unserm Salon, der »kalten Pracht« – so geheißen, weil er im Winter nur bei festlichen Gelegenheiten geheizt wurde –, und die Dienstmädchen hatten einen Heidenrespekt davor, weil es mit seiner glänzenden Politur wahrhaft magnetisch den Staub anzog und mein Olgachen sehr unangenehm werden konnte, wenn sie auch nur das kleinste Kratzerchen darauf bemerkte. Im ersten halben Jahre unserer Ehe spielte sie ja noch ziemlich häufig darauf, und dann konnte ich stundenlang in der Ecke auf unserm feinsten Fauteuil sitzen und ganz artig zuhören, obwohl ich unmusikalisch wie ein Kettenhund bin. Aber wie das so geht im heiligen Ehestand, die sanften Tugenden des Mannes und die feineren Talente der Damen verlieren sich mehr oder minder peu à peu. Im ersten Winter fing schon das Sparen mit der Heizung an, und wie denn nun das Frühjahr wieder herankam, da behauptete mein Frauchen, die Finger wären ihr steif geworden, und sie wäre zu sehr aus der Übung gekommen. So war denn das schöne Instrument bereits darauf beschränkt, uns mehr durch seine Politur als durch den Glanz seiner Töne zu imponieren. Trotzdem ließen wir es gewissenhaft alle halbe Jahr einmal stimmen, denn wir hatten ja auch musikalischen Verkehr; und meine Frau meinte, wenn der Kleine erst da wäre, würde sie schon wieder zu spielen anfangen.

Es war in einer Nacht Anfang Mai. Wir hatten den Abend ein bißchen was Guts gegessen, und ich mochte ja wohl nicht eben bescheiden gewesen sein – mein Gott, im eigenen Hause und wenn's einem doch mal schmeckt, nicht wahr? Also infolgedessen habe ich eine unruhige Nacht und träume schwer. So 'ne ganz wüste Verfolgungsgeschichte, wissen Sie; sie waren hinter mir her wie zehntausend Teufel, und ich in meiner Angst renne und renne immerzu, und ich kann schon gar nicht mehr japsen. Da komme ich an einen Abgrund, und unten ist ein See mit tintenschwarzem Wasser. Also, ich ohne Besinnen hineingesprungen, denn auf der andern Seite war das Ufer flach, und es war immerhin eine Möglichkeit, sich durch Schwimmen zu retten. Aber wie ich mitten im See bin, geht mir doch, weiß Gott, die Puste aus, und außerdem kriege ich einen Wadenkrampf. Na, nu war's aus mit mir. Ich schlucke Wasser und tauche unter, und kann nicht mehr in die Höhe und strample aus Leibeskräften, und es hilft doch alles nicht. Bei dieser Gelegenheit könnt' ich es nun erproben, daß es wirklich der schönste Tod sein muß, zu ertrinken. Diese Melodien, wunderbar! Halleluja mit Harfenschlag – so was können Sie sich gar nicht vorstellen!

Ich horche gespannt und andächtig zu, wie in der Kirche. Es wird mir ganz fromm und gerührt zumute. Da höre ich mit einmal eine bekannte Stimme: »Kasimirchen, bist du wach? Hörst du's auch?« Und nun dauert's nicht lange, da bin ich ganz munter und merke, daß ich in meinem Bett aufrecht sitze, und meine Frau ist ganz nahe zu mir herangekrochen und umklammert meinen linken Arm mit ihren beiden Patschen.

»Jawohl,« sage ich, »Olga, mein Mauschen, ich hör's auch. Was kann das man bloß sein? Ich dachte schon, ich wäre im Ersaufen. Ich habe so 'en bösen Traum gehabt.«

»Sei doch still und horch doch bloß,« flüstert mein Olgachen, ganz aufgeregt an meiner Seite: »Da spielt wer auf unserm Flügel,« sagt sie.

»Nee,« sage ich, »Olgachen, mein Mauschen, das ist ja Unsinn; wer soll denn mitten in der Nacht auf unserm Flügel spielen? Es kann's ja doch kein Mensch im Hause – nicht mal Mikulski, obschon er Graf ist.« »Mikulski« war nämlich unser Kutscher und von Hause aus wirklich Graf, was aber in der Polackei nicht viel bedeuten will. Auf Pferde verstand er sich, alles, was recht ist, aber für Klavierspielen war er nicht engagiert, und ich hätte schwören mögen, daß er davon keinen blassen Dunst hatte.

»Weißt du, Olgachen, mein Mauschen,« sage ich zu meiner Frau, »du wirst dir auch was Schönes geträumt haben. Wir werden uns alle beide noch was Schönes träumen – leg dich nur wieder aufs Ohr und schlafe.«

»Ach Gott, ach Gott, wo kann ich denn!« seufzt mein Frauchen. »Ich hab' ja solche Angst! Ich hör' doch bestimmt, daß das mein Flügel ist, und es spielt einer darauf.«

»I wo,« sagte ich wieder, obwohl ich selber wahrhaftig auch nicht wußte, wie ich daran war mit der Geschichte. »Olgachen, mein Mauschen, das klingt so schön – das klingt noch viel schöner, als wenn du darauf spielst –, es kann nicht dein Flügel sein; wir werden Ohrensausen haben alle zwei beide. Es wird von dem Punsch kommen.«

»Aber das ist doch das Nokturno von Chopin, und vorhin war's etwas von Liszt, ich hab' es ganz genau erkannt,« sagt mein Frauchen wieder. »Kennst du denn das Nokturno von Chopin nicht?«

»Nee,« sage ich, »Olga, mein Mauschen, ich kenne es nicht, aber ich will mal eben Licht machen und nachsehen.«

Nu wird meine Frau ganz nervös und zapplig und klammert sich an mich. »Tu's nicht, Kasimirchen,« sagt sie ganz heiser und mit zittriger Stimme, »es hat so was Übernatürliches. Glaubst du an Geister?«

»Nee,« sage ich, »aber ich werd' mal, wie gesagt, eben nachsehen,« und dabei fahre ich ganz resolut mit beiden Füßen zugleich aus dem Bette, und ritsch! mache ich Licht an. Ich schlüpfe in meinen Schlafrock und nehme den Revolver zur Hand, der schon auf dem Nachttischchen parat lag, denn es war neuerdings wiederholt in der Umgegend eingebrochen worden. Aber wie ich nun mit dem Schlafrock und dem Licht und dem Revolver aus der Stube hinaus will, da quietscht und jammert mit einmal meine Frau, mein Olgachen, wie so 'ne ganz kleine Marjell: Ich soll sie nicht allein lassen, sie müßte sich ja im Finstern zu Tode graulen. Und dabei war sie auch schon heraus aus dem Bett und steht in ihrem langen weißen Nachthemd vor mir mit gefalteten Patschen, ganz jämmerlich.

»Nu,« sage ich, »denn komm schon mit und sag' dem Gespenst guten Abend. Aber zieh dir was Warmes dazu an!« Da kriecht sie denn auch ganz gehorsam in ihren warmen wollenen Morgenrock und in die Pantoffeln, die mit weißem Schwan gefüttert waren, und kriegte mich an der Kordel von meinem Schlafrock zu packen, und so zogen wir denn nu los. Erst ganz sachtchen die Treppe hinunter, daß man es ja nicht tapsen hörte, und dann ganz vorsichtig auf den Zehen durch den langen Korridor, bis vor die Türe der »kalten Pracht«. Ja, ich muß Ihnen sagen: sehr gemütlich war mir die Geschichte gerade nicht. Wenn man sich einen Schlafrock anzieht und mit Licht und Revolver bewaffnet die Treppe hinuntersteigt, dann schläft man doch ohne Zweifel nicht mehr; an Mondsucht habe ich nie gelitten, und mein Olgachen, mein Mauschen, auch nicht. Außerdem schien gar kein Mond. Je näher wir der »kalten Pracht« kamen, desto deutlicher hörten wir das Klavierspiel. Nu, aber sein bißchen Courage hat man doch, und ich gehe also Schritt vor Schritt auf das Geheimnis los, obwohl mein Frauchen zittert wie Espenlaub und sich so fest an der Kordel meines Schlafrockes hält, daß ich wirklich Mühe habe, sie von der Stelle zu bringen. Ich tue, als ob ich wer weiß wie vergnügt wäre, und flüstere noch so ganz leise: »Nu, beruhige dich doch, Olgachen, mein Mauschen, laß es man dreist ein Geist sein: böse Geister haben keine Lieder.«

Und dann mache ich ganz leise die Tür auf und halte die Hand vors Licht und gucke ganz vorsichtig um die Ecke. Na, ob Sie mir's nun glauben oder nicht, ich sage Ihnen, da saß, wahrhaftigen Gott, vor unserm Blüthner-Flügel ein Mannsbild, ein Kerl, schwarz wie der Teufel mit einem struppigen schwarzen Bart und langen schwarzen Künstlerlocken. Ein Geist war's jedenfalls nicht, und der Graf Mikulski auch nicht – soviel war mal sicher. Der Kerl hatte ein Blendlaternchen vor sich auf dem Flügel stehen, und der Schein davon fiel ihm gerade ins Gesicht. Von seiner Gestalt konnte ich sonst nichts weiter sehen. Er beugte sich über die Tasten und spielte immer weiter. Großartig, sag' ich Ihnen! In jedem Konzert hätte ich gut und gerne drei Mark dafür gegeben – aber in meinem Salon auf Groß-Zabrce, des Nachts um halber zweie und ohne mir im geringsten vorgestellt zu sein . . . na, wissen Sie, die Sache fühlte sich doch ein bißchen eklig an! Er merkte ja von gar nichts, so weg war er in sein eigenes Spiel. Ich muß gestehen, ich hatte keine Ahnung, welche Art von Benehmigung diesem Herrn gegenüber angebracht sein mochte, denn wenn einer so schön Klavier spielt, so pflegt es doch im allgemeinen ein Mensch zu sein, zu dem man mit gutem Gewissen Sie sagen kann.

Mein Mauschen hatte sich inzwischen neben mich auf die Schwelle gedrängt und guckte, weiß wie ein Laken, mit so großen Augen um die Ecke und bibberte dabei wie Weingelee. Und weil wir doch das Kleinchen demnächst erwarteten, so hatte ich Angst, die Aufregung könnte ihr schaden, und dachte: du wirst's mit einem Witz versuchen. Es dauerte auch nicht lange, da fiel mir etwas ganz Nettes ein, und ich flüsterte ihr zu: »Du, Mauschen, es wird der Rubinstein auf der Durchreise sein, der uns die Ehre gibt.«

Da wird sie ganz böse und gibt mir einen Schubs, daß ich gegen die Tür stoße – und die fliegt auf, und ich stehe auf einmal mitten im Zimmer, ich weiß nicht wie, mit meinem Licht und meinem Schlafrock und meinem Revolver, und mein Mauschen hält mich noch von weitem an der Kordel fest.

Na, nu merkte der Mensch ja endlich, daß er nicht mehr allein war, und springt auf und klappt den Deckel seiner Laterne zu. Kein Wort sagt er und rührt sich nicht von der Stelle – und wir uns auch nicht. Ich fasse mich zuerst wieder und sage zu meinem Mauschen: »Duchen, laß mich los und setz dich da in die Sofaecke, ich werde mal mit dem Herrn reden.«

Und wie ich mein Olgachen glücklich in die Sofaecke gekriegt habe, da gehe ich denn nu energisch auf meinen Künstler zu. Den Leuchter hielt ich weit vorgestreckt, so daß ich ganz gut sehen konnte, was er tat. Wie ich also bloß noch ein paar Schritte von ihm entfernt bin, kriegt er mit einmal den Klaviersessel zu packen, hebt ihn hoch und schnauzt mich an: »Rühren Sie mich nicht an, Herr, oder – –«

Da zeige ich ihm ganz ruhig meinen Revolver und sage: »Bitte sehr, ich bin selbst versehen. Man keine Bange – möchten Sie nicht so freundlich sein und mir sagen, wie Sie zu dieser Stunde hier hereinkommen, mein werter Herr?«

»Serr einfach, durch dem Fenster,« erwiderte er mir, und zwar in einem unzweifelhaft polnischen Akzent. Ich werfe einen raschen Blick hinter mich nach dem Fenster und sehe, daß eine Scheibe eingedrückt ist mit Hilfe eines Pechpflasters. Da hatte er also durchgelangt und von innen aufgeriegelt.

Na, nu wußte ich ja eigentlich genug; aber merkwürdig war die Geschichte darum doch. Ich trete also noch einen Schritt näher und halte ihm den Revolver nicht gerade ins Gesicht, aber doch in einer Entfernung, wie sie mir zu meiner Sicherheit und zur Erzeugung des nötigen Respektes seinerseits notwendig schien. Meine Courage und meinen Humor hatte ich ja nun, Gott sei Dank, wieder beisammen. Dann sagte ich: »Sie sind Künstler, mein Herr, wie ich gehört habe, darf ich um Ihren Namen bitten?«

Da stellt er den Klaviersessel wieder an seinen Platz, läßt sich schwer darauf plumpsen und sagt: »Wie ich heiße, ist einerlei – ich bin ein Lump,« – und dann legt er die Stirn auf den schönen blanken Deckel von unserm Blüthner-Flügel und fängt, bei Gott, zu flennen an.

Nun war ich doch, das können Sie mir glauben, so erstaunt, daß ich nichts zu sagen wußte. Ich setze mich also zu meinem Mauschen in die Sofaecke und fasse sie um und sage gar nichts. Ich denke mir: mal muß er doch zu flennen aufhören, und denn werden wir ja weiter sehen. Und mein Mauschen weiß auch nichts zu sagen und drückt mir nur immer die Hand, starrt auf den merkwürdigen Menschen mit den schwarzen Künstlerlocken und guckt sich rein die Augen aus dem Kopfe.

Mit einmal habe ich eine gute Idee: »Mauschen,« flüstere ich ihr ganz leise ins Ohr, »geh', hole ihm einen Schnaps.« Na, das tut nun mein Mauschen auch, und wie sie wiederkommt und das Schnapsglas vor ihn auf den Klavierdeckel stellt, da hebt der Mensch den Kopf auf und guckt mein Olgachen an, mit Augen, sag' ich Ihnen, mit Augen – ich weiß nicht, wie ich mich ausdrücken soll –, ich möchte sagen, mit polnischen, katholischen und musikalischen Augen. Und dann nimmt er das Schnapsgläschen zwischen zwei Finger und sagt: »Merci, Panna, prosit!« und kippt den Kümmel, haste nicht gesehen, runter. Und dann legt er los mit seiner Geschichte. »Oh, ich verdiene nicht,« sagt er, »ich bin ein Lump, bitte, lassen mich gefälligst einsperren, gnädige Herrschaften. Ich werde nicht davonlaufen, ich werde in Gefängnis gehen. Ich bin ein Lump. Es ist nicht möglich, mich zu verbessern. Ich war ein Kinstler – ich kann wohl sagen, ein bedeitender Kinstler. Ich habe alles durchgebracht mit Champagner und Frauenzimmer und was dazu gehört – nobbel, hab' ich gesagt, muß die Welt zugrunde gehen. In Warschau und Petterburg und Berlin und iberall bin ich gewesen, und hab' gespielt in Konzert, nobbel, immer nobbel, bis ich hab' alles durchgebracht. Dann hab' ich nicht mehr können auftreten in nobbler Gesellschaft, hab' ich gespielt in Tingeltangel und Schnaps getrunken, weil zum Champagner kein Geld mehr gehabt habe. Hab' ich gehabt geheiratet Sängerin aus Tingeltangel; haben wir uns geprigelt alle Tage, weil ich nicht verdient habe und sie hat mir nicht Geld gegeben zu versaufen. Hab' ich Unterschrift gefälscht unter Wechsel. Bin ich in Gefängnis gekommen – und dann war ganz aus. Hab' ich angefangen lange Finger zu machen – bin ich ganz gemeiner Lump geworden. Hab' ich gebettelt, gestohlen, daß ich wieder kann in mein Heimat kommen, nach Pollen zu mein Mutterchen. Bin ich eingebrochen, sehr geehrte Herrschaften, bei Ihnen, hab' ich wollen stehlen. Aber, wie ich hab' gesehen wunderschöne Blüthner-Flügel, hat mich gepackt die musikallische Leidenschaft. Bin ich geworden wie ein Narr, ganz verrickte. Hab' ich viele Jahre nicht unter die Finger gehabt so schöne, feine, liebe Instrument.«

Und nu hätten Sie ihn mal sehen sollen, wie er den wüsten schwarzen Lockenkopf auf die linke Hand stützte und mit der Rechten über die Tasten fingerte, als ob er das Elfenbein zärtlich streicheln wollte. Mein Mauschen und ich, wir saßen noch immer umgefaßt in der Sofaecke und sagten gar keinen Ton. Und wie der Mann merkte, daß er nicht gestört wurde, nahm er die linke Hand auch dazu und spielte so schön, daß mir ordentlich angst und bange dabei wurde, obschon ich, wie gesagt, so unmusikalisch wie ein Kettenhund bin. Und mein Mauschen hatte gar die Guckelchen voll Wasser. Wenn ich nicht dabeigewesen wäre, ich glaub' wahrhaftigen Gott, sie wäre dem schwarzen Muschkilapki um den Hals gefallen – aber das konnte ich ja natürlich nicht dulden –, besonders, weil wir das Kleinchen erwarteten, und man weiß doch nie, was solche Sachen für einen Einfluß haben. Also, mitten in der schönsten Musik führe ich mein Mauschen ganz sachte aus der »kalten Pracht« hinaus und bringe sie mit sanfter Gewalt wieder ins Bett. Und dann warte ich noch so ein halbes Stündchen, bis sie richtig eingeschlafen ist, ehe ich wieder zu meinem Künstler hinuntergehe. Ich dachte mir doch, er wird die Zeit benutzen und wieder durchs Fenster verduften, wie er gekommen war. Aber nein, was glauben Sie? Ist ihm gar nicht eingefallen! Wie ich hinunterkomme in die »kalte Pracht«, ist's ganz stille da; aber vor dem Flügel sitzt immer noch mein Künstler und hat die Arme weit über den Deckel ausgebreitet, als ob er den Blüthner umarmen und an sein biederes Lumpenherz drücken wollte, und die Stirn liegt wieder auf dem Deckel – und so schläft er ganz fest – ich hätte bald gesagt: den Schlaf des Gerechten. Und aussehen tat der Kerl – ich sage Ihnen, nicht mit der Feuerzange anzufassen! So habe ich ihn also auch nicht angefaßt und habe ihn ruhig schlafen lassen. Und dann bin ich hinausgegangen und habe mir den Nachtwächter gekauft, den Duselkopp, der nichts gehört und nichts gesehen hatte, und dann bin ich in den Pferdestall und habe mich mit meinem Grafen Mikulski besprochen.

Nu, und am andern Morgen, ganz in der Frühe, sind wir drei hinein in die »kalte Pracht«, und da hat mein polnischer Künstler noch fest geschlafen und unsern Blüthner-Flügel umarmt gehalten. Der Mensch tat mir so leid, ich kann's gar nicht sagen. Ich bin sonst im allgemeinen ziemlich höflich gegen Künstler und solche Leute; aber wenn sie sich nebenbei vom Einbrechen ernähren, so muß ich doch sagen, da hört sich die Gemütlichkeit schließlich auf. Na, und er hat sich ja auch weiter gar nicht geziert, sondern sich ruhig festnehmen lassen. Und dann hab' ich ihm meine Equipage zur Verfügung gestellt, um nach der Kreisstadt zu fahren. Ich habe nie wieder was von dem merkwürdigen Lumpen gehört.

Mein Mauschen mußte nachher die Tasten mit Spiritus reinigen, denn der große Künstler hatte sich offenbar lange nicht mehr die Pfoten gewaschen. Und die Stelle, wo seine Stirne geruht hatte, war auch so leicht nicht wieder blank zu kriegen, aber mein Mauschen behauptete trotz alledem, daß unser Blüthner sich nur geehrt fühlen könnte durch die nähere Berührung mit so einem echten Künstler. Sie meinte, man sähe es ihm ordentlich an, wie er sich stolz gehoben fühlte, der Flügel, – das heißt – nach der Reinigung!

Ja, sehen Sie, das ist die Geschichte, die ich Ihnen erzählen wollte. Sie mögen mir's nun glauben oder nicht, sie ist buchstäblich wahr, und ich spreche jetzt noch manchmal zu meinem Mauschen, wenn ich's mal ein bißchen ärgern will, weil sie so selten den schönen Flügel benutzt . . . »Nu, Mauschen,« sag' ich, »willst du nicht mal die Diebsfalle aufklappen?«

 


 


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