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Humoristische Meister-Novellen
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Karl Ettlinger

Gastfreundschaft · Der Vergnügungsreisende

Gastfreundschaft

»Können Sie mir ein anständiges Hotel in Leipzig empfehlen?«

»Sie wollen nach Leipzig?« fragte ich. »Wohnen Sie doch dort bei meinem Onkel! Der alte Herr wird sich riesig freuen, solch einen berühmten Künstler bewirten zu können! Ein fideles Haus, der alte Herr! Wird Ihnen gefallen!«

Entsetzt streckte mir Albert die Hände entgegen. »Gott schütze mich vor allen Onkels und Tanten der Welt! Lieber lasse ich mich von dem geriebensten Oberkellner begaunern, ehe ich mich noch einmal in meinem Leben dem Attentat einer Gastfreundschaft aussetze!«

»Sie scheinen ja schöne Erfahrungen gemacht zu haben?«

»Nur eine einzige! Aber die langt! – Ich hatte damals in Köln einen Vortrag zu halten. Irgendein literarisches Thema. Unvorsichtigerweise erzählte ich es vorher einem guten Freund. ›Du fährst nach Köln? Da wohnst du doch natürlich bei meiner Tante Edda? Dort wohnen alle Kunstheroen, die nach Köln kommen. Artur Schnitzler hat dort gewohnt und Hofmannsthal und Wedekind und Menzel.‹ ›Gut,‹ sagte ich, ›wohnen wir bei deiner Tante Edda!‹ – Daß seine Tante selbst schriftstellerte, hat mir die Canaille verschwiegen. Ich kam also in Köln an. Am Bahnhof stand eine alte Dame, Typus Blaustrumpf, stürzte auf mich zu, fing an zu reden und hörte nicht mehr auf. Daß sie mir nicht um den Hals fiel, wundert mich heute noch. Dann packte sie mich unterm Arm und schleppte mich nach ihrer Villa. Der Gedanke, daß ein Mensch, der zehn Stunden Eisenbahnfahrt hinter sich hat, lieber Droschke fährt als zu Fuß läuft, kam ihr nicht. Zuhause angekommen, führte sie mich in einen Salon und erkundigte sich, ob ich eine Kleinigkeit zu mir nehmen wollte? – Zehn Stunden Eisenbahnfahrt und eine ›Kleinigkeit‹!! Ein guter Witz, nicht wahr? Ich bejahte. Sie rief das Mädchen herein und befahl, auf dem Spirituskocher etwas für Herrn Krautdorn zurechtzumachen. In der Zwischenzeit zeigte sie mir die Wohnung. Auf dem Schreibtisch lag mein neuestes Werk. Sehr geschmackvoll! Sie bat mich, eine Widmung hineinzuschreiben. Ich tat's. Was sollte ich machen? Dann fragte sie mich, wie mir das Bild gefiele, das über dem Sofa hing? Es war scheußlich, aber ich sagte, wundervoll! Das freute sie sehr. Artur Schnitzler hatte es auch sehr gut gefunden. Bloß Wedekind hatte was dran auszusetzen, aber der verstand nichts von Bildern. Ist überhaupt ein Ekel! Endlich kam das Essen. Würstchen mit Kraut. Dazu als Tischwein eine Flasche Bier. So was freut einen, wenn man zehn Stunden Eisenbahnfahrt hinter sich hat. Als ich das zweite Würstchen zerschnitt, sprang ein Hündchen, das ich bisher noch gar nicht bemerkt hatte, auf das Tischtuch und fing an, mir die Hand zu lecken. Das war Ami. Seine Lebensgeschichte erfuhr ich noch selbigen Tages. Er ist etwas hartleibig, der arme Kerl. Aber sonst eine Perle von einem Hund. Jedenfalls ein tadelloses Tischgespräch.

Ob ich noch Hunger hätte? Aber nein, ich war vollkommen satt. ›Ich brauchte mich nicht zu genieren, es wären noch mehr Würstchen da!‹ Das waren ja recht nette Aussichten.

Um neun Uhr ging ich zu Bett. Ich weiß nicht, ob Hofmannsthal, Schnitzler und Wedekind in diesem Bett schlafen konnten, ich konnte es nicht. Vielleicht Menzel: der war ja klein. Wäre ich im Hotel gewesen, so hätte ich mir das Beschwerdebuch geben lassen und mit Riesenlettern hineingeschrieben: »Dieses Zimmer ist schweinemäßig geheizt!« Ich nahm das Manuskript meines Vortrags, um es noch einmal durchzugehen. Als ich auf Seite zwölf angelangt war, ging das Licht aus. Am nächsten Morgen erfuhr ich beim Kaffee, daß um halb zehn Uhr stets der Gashahn geschlossen werde. Zum Kaffee gab es Brötchen und Honig. Ein Stück pro Person. Ich wagte nicht, mehr zu verlangen, denn ich wußte, daß noch Würstchen draußen waren.

Frau Edda führte mich dann in der Stadt herum. Zu Fuß. Kölner Dom usw. usw. Um zehn Uhr Rückkehr in die Villa. Mit der Trambahn! Sie zahlte. Es ist kein Schwindel, keine dichterische Lizenz, sie zahlte. Zehn Pfennig. Es gibt noch Mäcene.

Zum Frühstück gab es Würstchen. Dabei erfuhr ich die Einzelheiten, die mir noch fehlten, um eine ausführliche Biographie Amis verfassen zu können. Von zehn bis eins hatte ich Urlaub. Ich stürmte in das nächste Hotel und aß dreimal hintereinander zu Mittag. Das tat mir wohl. Als ich zu Tante Edda zurückkehrte, fand ich daselbst eine kleine Volksversammlung vor. Etwa zwanzig Menschen, von denen neunzehn Autographen sammelten. Sie hatten die Freundlichkeit gehabt, ihre Bücher und Albümer mitzubringen. Für Tinte und Feder hatte Tante Edda in liebenswürdigster Weise Sorge getragen. Ich schrieb also: ›Leben ist die Kunst, zu sterben.‹ Einem andern schrieb ich: ›Sterben ist die Kunst, zu leben.‹ Ein dritter durfte sich des Eintrags erfreuen: ›Leben und Sterben ist eine Kunst.‹ Der vierte war entzückt von dem Aphorismus: ›Die Kunst ist das Leben des Sterbens.‹ Beim fünften war ›die Kunst das Sterben des Lebens‹. So lebte und sterbte ich mich durch neunzehn Albümer hindurch.

Während des Essens brachte jemand einen Toast auf mich aus. Leider hatte ich meinen Revolver im Koffer gelassen. Beim Dessert mußte ich auf allgemeinen Wunsch etwas aus meinen Werken zitieren. Eine Dame bombardierte mich derart mit seelenvollen Blicken, daß ich Leibschmerzen bekam. Diese steigerten sich noch beträchtlich, als nun Tante Edda ihrerseits aus ihren Werken vorlas. Elendester Dilettantismus, aber ich erklärte alles für sehr talentvoll. Zur Strafe hat sie mir ihren vorjährigen Roman gewidmet.

Nachmittags machte ich mich frei, abends hielt ich meinen Vortrag. Die Kritik behauptete, meine Stimme habe sehr rauh geklungen. Auch sei ich augenscheinlich stark erschöpft gewesen. Mir war's wurscht. Zwei Stunden später verließ ich Köln. Ich drückte dem Mädchen zwanzig Mark in die Hand: ›Zehn Mark sind für Sie, für den Rest zerbrechen Sie, bitte, Porzellan!‹ Dann stieg ich in mein Zimmer hinauf und drehte den Gashahn auf. Zuletzt verabschiedete ich mich von Frau Edda. Sie schenkte mir ihre sämtlichen Werke mit eigenhändigen Widmungen und steckte mir zwei Paar Würstchen in die Rocktasche. Sie sollen zwischen Koblenz und Mainz von einem Streckenwärter gefunden worden sein.

Aber das Beste kam noch: Acht Tage später wurde mir eine Zeitung zugesandt. Im Feuilleton blaugerahmt eine Plauderei: ›Ein Stündchen mit Albert Krautdorn.‹ Verfasserin Tante Edda. Da stand, ich hätte behauptet, Schwind erinnere mich an Michelangelo. Ich hielte Schiller für bedeutender als Johann Peter Uz. Nietzsche sei meiner Ansicht nach ein Schüler Platos des Älteren, Napoleon sei ein bedeutender Feldherr gewesen, aber als Mensch sei mir Bülow lieber.«

Albert schwieg. Ich drückte ihm teilnehmend die Hand. Wir verstanden uns.

*


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