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Humoristische Meister-Novellen
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Der Vergnügungsreisende

Von Darmstadt bis Heidelberg saß ich mutterseelenallein im Eisenbahnabteil. Ich las eine Zeitschrift nach der andern, sah zwischendurch zum Fenster hinaus, versuchte zu schlafen und kam zu dem Ergebnis, daß es höchste Zeit war, das lenkbare Luftschiff zu erfinden. Denn Langeweile ist aller Laster Anfang. In Heidelberg endlich stieg ein Herr ein. Mittelgröße, Zwicker, blonder Schnurrbart, Alter etwa vierzig Jahre. Er hatte nur einen Handkoffer bei sich, auf den ein eleganter Spazierstock und ein Regenschirm geschnallt waren. Also ein Vergnügungsreisender.

Wir rauchten beide, und Rauchen macht bekanntlich gesprächig. Wir plauderten von den Verkehrsverhältnissen, schimpften über die Fahrkartensteuer und kritisierten den neuesten Moderoman.

»Wohin fahren Sie eigentlich?« fragte er mich schließlich.

»Nach Italien. Zum ersten Male in meinem Leben. Italien muß wundervoll sein! Ich freue mich wie ein Kind darauf.«

Mein Gegenüber lächelte. »O ja, Italien ist ein Paradies!«

»Sie waren schon dort? Ich beneide Sie darum!«

»Ich beneide Sie um die Illusionen, mit denen Sie hinfahren! Fahren Sie nach Mailand?«

»Natürlich. Der Dom soll überwältigend sein.«

»Möglich. Ich habe ihn nicht gesehen. Jedenfalls wird er besser sein als die Betten. Ich sage Ihnen, ich hatte in Mailand ein Bett – unter aller Kritik! Hart wie Zement. Und ein Oberbett, das mir kaum bis über die Knie reichte. Einfach skandalös.«

Verdutzt schaute ich ihn an. Machte er einen Scherz? Aber nein, er war vollständig ernsthaft.

»Ich fahre natürlich auch nach Verona. Die Denkmäler der Skaliger, die Loggia, das antike Amphitheater, welche Fülle von Sehenswürdigkeiten!«

»Ich bin gleichfalls in Verona gewesen. Habe auch die von Ihnen aufgezählten Sehenswürdigkeiten gesehen. Freilich nur auf Ansichtspostkarten. Wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf: nehmen Sie sich ein Bett nach Verona mit! Die dazugehörigen Wanzen kriegen Sie dort unentgeltlich geliefert. Ich hatte in Verona ein Bett, das jeder Beschreibung spottet! Lieber schliefe ich auf einem Sack Kieselsteine! Das Kopfkissen war entschieden ein Familienerbstück! Und die Bettstelle war so kurz, daß ich bedauerte, daß meine Beine nicht zum Umklappen eingerichtet sind!«

»Sie machen mir ordentlich Angst! Glücklicherweise werde ich mich in Verona nicht lange aufhalten und nach Venedig weiterdampfen. Ich kann es kaum erwarten, bis ich auf den Lagunen herumgondele. Na, und die Rialtobrücke, die mich als Shakespeare-Enthusiasten doppelt interessiert! Und der Markusplatz! Der Dogenpalast! Die Bleikammern!«

»Sie haben Ihren Baedeker fleißig studiert. Ich habe alle diese Kunstwerke verschlafen! Das heißt: verschlafen ist eigentlich ein Euphemismus. Denn diese Betten! Stellen Sie sich den Deckel einer alten Kiste vor, aus dem alle paar Zentimeter ein rostiger Nagel hervorlugt. Dieser Deckel steht auf vier wackligen Beinen; sobald Sie eine Bewegung machen, fangen die Beine an zu knacksen und zu ächzen. Auf dem Deckel liegt eine ausrangierte Pferdedecke, auf dieser ein mit Sägespänen oder Erbsen gefüllter Sack. Das Ganze ist etwa das Bett, das ich in Venedig hatte.«

Ich mußte lachen. Mein Reisekamerad schien sich das Bett zum Spezialstudium gewählt zu haben.

»Bange machen gilt nicht!« sagte ich. »Und meine Begeisterung lasse ich mir nicht dämpfen. Von Venedig geht's schnurstracks nach Bologna. Man hat mir viel von der Piazza del Nettune erzählt. Und das Grabmal des Königs Enzio muß herrlich sein!« –

»Beinahe hätte man auch mir dort ein Grabmal errichten können. Denn ganz ohne Schlaf kann der Mensch nicht sein. Es ist unglaublich, was alles auf der Welt sich für ein Bett ausgibt! Ich habe einmal einen Schlangenmenschen gesehen, der konnte sich vollständig zusammenrollen – aber in dem Bett hätte er doch keinen Platz gehabt! Eine Hundehütte wäre mir sympathischer gewesen! Womit ich aber nicht sagen will, daß das sogenannte Bett nicht vielleicht ehemals tatsächlich eine Hundehütte war. Es gibt ja fabelhaft kleine Zwergpinscher!«

Ich war baff. Die Verfluchung von Betten war anscheinend eine fixe Idee des guten Mannes. Eine nette Sorte von Vergnügungsreisenden: sieht sich nichts an, interessiert sich für nichts, aber schimpft, wenn er nachts nicht schnarchen kann! Ich war neugierig, was er von den florentinischen Betten hielt?

»Sie waren gewiß auch in Florenz? Haben den Ponte Vecchio bewundert, sich an dem Reiterstandbild Cosimos I. erbaut, sind in der Santa Croce andächtig umhergewandelt, haben das Grabmal Lorenzo de Medicis gesehen, den Perseus Cellinis, die Mediceische Venus angestaunt?«

»Das weniger! – Um Kunst genießen zu können, muß man vor allen Dingen ausgeschlafen haben! Ich hatte das leider nicht! In einem solch niedrigen Bett zu schlafen, kann man einem auch nicht gut zumuten! Legen Sie Wert darauf, ruhig zu schlafen? Dann steigen Sie in Florenz nicht ins Bett, sondern stellen Sie sich auf den Fußboden, mit dem Kopf nach unten, die Beine nach oben, oder – wenn Sie absolut liegen müssen – mieten Sie sich eine Badewanne! Ich spreche als Freund zu Ihnen!«

»Und Rom?« platzte ich heraus. »In Rom werden Sie doch wenigstens mit den Betten zufrieden gewesen sein?«

Ein Lächeln verklärte sein Antlitz. Er schnalzte mit der Zunge. »In Rom hatte ich ein köstliches Bett. Ich war acht Tage in Rom und bin überhaupt nicht aus dem Bett herausgekommen!«

»Und die Sixtinische Kapelle? Das Museum im Vati –«

»Mein Bett war mir lieber!«

Ich schwieg. Das Gespräch stockte. Aber ich konnte es nicht aushalten: ich mußte dem Herrn schonend beibringen, daß er in meinen Augen ein Kretin, ein Idiot, ein Böotier war.

»Sie haben also von Italien eigentlich überhaupt nichts gesehen?«

»Sie sagen es! – Nichts!«

»Sie haben sich nur für die Betten interessiert? Sonst war Ihnen alles gleichgültig?«

»Sie haben recht! Nur die Betten haben mich interessiert!«

Es entstand abermals eine kleine Pause. Ich überlegte, welchen Titel ich wählen sollte? Rhinozeros schien mir ein bißchen zu heftig; Esel war zu mild; aber Kamel, das dürfte so etwa das Richtige sein.

Da ergriff der Herr gutmütig schmunzelnd meine Hand. »Damit Sie sich nicht unnütz aufregen, will ich Ihnen des Rätsels Lösung verraten. Die Sache ist sehr einfach: ich war nur einmal in Italien, und das war – auf meiner Hochzeitsreise!«

»Ach so!« stotterte ich.


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