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Der Oberamtsrichter von Neckarsulm

(Der Mann, von dem dieses Gedicht handelt, ist der vor einigen Jahren verstorbene Oberamtsrichter Ganzhorn von Neckarsulm. Das Abenteuer bestand er, als er auf einer Wanderung nach Aßmannshausen kam.)

        Das war ein kernfest tüchtiger Mann,
Von dem man Bestes melden kann.
Von Gliedern stark, an Geist gesund,
Was Zier des Manns ist, war ihm kund.
In mancher Kunst war er geübt,
Und ob's noch solche Zecher gibt,
Wie er war – zweifelhaft ist das!
Er saß so fest beim Römerglas,
Er war von echter deutscher Art,
So mild und doch wie Stahl so hart.
Der Oberamtsrichter von Neckarsulm!

Einst kam er wandernd an den Rhein,
Der war beglänzt von hellem Schein,
Von untergehnder Sonne Glut.
»Fürwahr, ein Bad wär' gar zu gut!
Es kann ja gar so schlimm nicht sein,
Heut noch zu schwimmen durch den Rhein
Und wieder hier ans Land zurück –
Das nenn' ich noch kein Wagestück!«
Die Kleider wirft er ab sogleich,
Und birgt sie unter dem Gesträuch,
Drauf in den Strom wirft er sich kühn,
Der faßt mit starken Armen ihn.
Er regt die Glieder frisch und keck,
Kommt anfangs auch recht gut vom Fleck;
Doch mählich wächst des Stromes Kraft,
Gewaltig wird er, riesenhaft,
Kämpft mit dem Mann und reißt ihn mit,
Hinunter wohl manch hundert Schritt;
Der wehrt sich auch, so gut er kann:
So kämpfen beide, Strom und Mann,
Und miteinander ringen sie,
Bis daß zuletzt mit vieler Müh'
Das andre Ufer er erreicht,
Der Mann. »Das war, bei Gott, nicht leicht!
Ich traf den Rhein nicht häufig so.«
Er spricht es, seiner Landung froh,
Der Oberamtsrichter von Neckarsulm!

Da steht er nun am Uferrand,
Die Gegend ist ihm nicht bekannt.
Schon dunkel ist's, er nackt und bloß!
Traun, die Verlegenheit ist groß.
Zurückzuschwimmen durch den Rhein,
Darauf lass' sich ein andrer ein!
Er spürt, er weiß, das wär' nicht gut,
Ob's ihm auch sonst nicht fehlt an Mut.
Die Kleider drüben, und der Fluß
Dazwischen – o welch ein Verdruß!
Wohin jetzt lenkt er seinen Lauf?
Wer nimmt den neuen Adam auf?
Da sieht ein Licht er gar nicht weit.
Schleicht unterm Schirm der Dunkelheit
Hinan sich. »Ha, ein Wirtshaus! Dort
Helf ich mir jetzt schon weiter fort.«
Er lauscht. »Horch! Heller Gläserklang!
Jetzt unverzagt! Jetzt nur nicht bang!«
Ein wenig öffnet er die Tür
Und ruft: »Ein Mann in Not ist hier!
Reicht, Freunde, mir, ich bitt' euch sehr,
Ein Bettuch oder Tischtuch her!
Das reicht zu meiner Rettung hin.
Habt keine Furcht vor mir, ich bin
Der Oberamtsrichter von Neckarsulm!

Das Linnen wird ihm hingereicht.
Er hüllt sich ein darin – nun gleicht
Er einem alten Römer fast.
Ins Zimmer tritt der werte Gast:
»Ihr Herrn, die ihr da sitzt beim Wein,
Verzeiht, daß ich so spät erschein'
Und in so seltsamem Kostüm!
Das macht des Rheines Ungestüm,
Der her mich ließ, doch nicht zurück.
Ein Licht erblickt' ich hier zum Glück
Und lenkte zu ihm meinen Schritt.
Wenn ihr's erlaubt, zech' ich jetzt mit.
Mich hat das Schwimmen müd gemacht,
Mich überkam dabei die Nacht,
Nun schaudert mich bis tief ins Mark.
Wein her! Wein her! Mein Durst ist stark.«
Da stehn sie all ehrfürchtig auf,
Platz machend ihm. Der Wirt darauf
Bringt ihm den Wein und füllt sein Glas:
»Trinkt, lieber Herr! Wohl tu' Euch das!«
Er hebt das Glas und leert's und spricht:
»Der Rhein meint's doch so übel nicht.
Daß er mich warf an diesen Strand!
Hier fühl' ich mich in guter Hand;
Der Ort gefällt mir und der Wein.«
Er spricht's und schenkt sich fröhlich ein,
Der Oberamtsrichter von Neckarsulm!

Da fiel beim Trunk manches gute Wort,
Denn wackre Zecher saßen dort.
Der Wirt bedient mit allem Fleiß,
Daß von der Stirn ihm troff der Schweiß.
Sein Amt ihm harte Arbeit schuf.
Denn unaufhörlich scholl der Ruf
Von irgendeiner Seite her:
»Wein her! Wein her! Ich hab' nichts mehr.«
Als spät es ward, nach alter Sitt'
Man zu den bessern Sorten schritt,
Von Jahrgang sich zu Jahrgang schwang
Bis zu dem Wein von erstem Rang.
Da funkeln Augen, Wangen glühn,
Weinrosen purpurrot erblühn.
Nun sitzt erst da voll Herrlichkeit
Der Mann im weißen Römerkleid.
Vor sich die Flaschenburg erbaut,
Stolz er das Ganze überschaut
Und spricht mit Kraft und trinkt und trinkt.
Wie wohlgemut das Glas er schwingt,
Der Oberamtsrichter von Neckarsulm!

Und wie es spät und später wird,
Die Eule schon zu Neste schwirrt,
Da wird doch manch ein Zecher still;
Die Hand nicht mehr gehorchen will,
Und wie ein Mohnhaupt regenschwer
Zur Seite sinkt, so hält nicht mehr
Sich aufrecht, von der Last gebeugt,
Manch Haupt, vom Weine schwer; es neigt
Sich auf den Tisch und ruht da fest,
Und ungetrunken bleibt ein Rest.
Die Hähne krähn, der Morgen graut,
Der Tag fahl in die Fenster schaut.
Da sitzt noch einer ganz allein,
Der Weißumhüllte, wach beim Wein.
Er füllt sein Glas und trinkt es leer –
»Will denn kein andrer trinken mehr?
Hat alles schon so früh versagt,
Da es ja doch erst eben tagt,
Und noch des Weins da ist genug?«
Er sprach's und tat manch tiefen Zug,
Der Oberamtsrichter von Neckarsulm!

Hell in die Fenster scheint der Tag,
Sich schier darob verwundern mag,
Was in der Gaststub' er erblickt.
Da schlafen, übern Tisch gebückt,
Alle bis auf einen – dieser spricht:
»Jetzt duldet's mich hier länger nicht.
Kein Mensch ist da, der mit mir trinkt,
Das Schnarchen mir unlieblich klingt.
Des Weines find' ich auch nichts mehr;
Den Wirt zu wecken, scheint mir schwer,
Drum will ich gehn. Die hier ihr ruht,
Ihr Schläfer all, bekomm's euch gut!«
Er spricht's, von seinem Platze steht
Er auf und ohne Schwanken geht
Er hin zur Tür und tritt hinaus.
Wie sieht die Welt seltsamlich aus!
In Glut getaucht sind Wald und Bühl,
Und doch weht es ihn an so kühl –
Zum Ufer schreitet er sodann,
Da steht bei seinem Kahn ein Mann.
»Hier find' ich, was mir eben not,
Schau' einen Fährmann und ein Boot!
Freund, fahrt Ihr mich wohl übern Rhein?«
Der staunt, doch sagt er: »Steigt nur ein!«
Vollendet glücklich ist die Fahrt;
Die Kleider hat der Strauch bewahrt.
Sie anzulegen wird ihm leicht,
Das Leilach er dem Schiffer reicht.
»Bringt dies zurück dem Wirt im Stern,
Grüßt ihn und grüßt die guten Herrn,
Die ich dort antraf, jung und alt.
Dem Wirte sagt, ich käme bald,
Ihm zu bezahlen meine Schuld –
Ein wenig wohl hätt' er Geduld.
Und dies hier ist für dich, mein Sohn!«
Er gibt dem Mann gar guten Lohn
Und geht davon aufrecht und stolz
Durch Feld und Flur, durchs duft'ge Holz
Gradaus auf eine gute Stadt.
Welch einen tücht'gen Schritt er hat,
Der Oberamtsrichtet von Neckarsulm!

Er zecht nicht mehr vom vollen Faß,
Er schwingt nicht mehr das Römerglas,
Er atmet nicht mehr goldne Luft,
Längst ruht er schon in kühler Gruft.
Doch wo vereint beim goldnen Wein
Sitzt eine Zecherschar am Rhein,
Da wird um manche Mitternacht
In Ehren seiner noch gedacht.
Da heißt's: Klingt mit den Gläsern an!
Ihm gilt's! Das war ein wackrer Mann,
Der Oberamtsrichter von Neckarsulm!

*


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