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Humoristische Meister-Novellen
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Heinrich Bredow

Der Weg zur Ehe · Sein Freund Reimers

Der Weg zur Ehe

Bastian Sörgel war ein Junggeselle in den besten Jahren. Er hatte eine geregelte Tätigkeit, ein gutes Auskommen, viele Freunde und – wie die Junggesellen meistens – keine Frau. Hätte man nicht glauben sollen, er sei der glücklichste Mensch unter der Sonne? Und dennoch war auch sein Glück nicht ungetrübt.

Wie alle Junggesellen hatte auch er beständig mit Freunden – und vollends mit Freundinnen – zu kämpfen, die ihn verheiraten wollten. Auch heute hatte er wieder mit seinem Freunde Walter eine lange Auseinandersetzung über dies Thema gehabt, die er mit folgender Erklärung beschloß: »Laß mich! Ich habe genug in Ehen hineingeblickt. Im Anfang ist alles wunderschön. Man scherzt und lacht, man küßt und herzt, und die Liebe läßt alles so strahlend und überirdisch schön erscheinen. Aber nach und nach fangen die zarten Schmeichelkätzchen an, ihre Krallen zu zeigen. Sie reden bald hier hinein, bald da hinein und wollen alles besser wissen; sie kritisieren die liebsten Gewohnheiten des eingefangenen Opfers abfällig; Zänkereien folgen und Reibereien; Entfremdung folgt auf Zorn und Bitterkeit, und das Ende von dem seligen Traum ist: Wie kommt man am schnellsten wieder auseinander?«

Walter ging, aber noch in der Tür drehte er sich ärgerlich um und rief: »Aber das sehe ich nicht ein, warum du es besser haben sollst als ich!«

Bastian sah ihm in tiefen Gedanken nach. Er hatte selbst Walter, seinem besten Freunde, nie zu gestehen gewagt, daß auch in seinem Junggesellenleben es so manchen Schatten gab. Sein knurrender Magen – denn es war schon eine volle Viertelstunde über die festgesetzte Zeit zum Mittagessen hinaus – erinnerte ihn wieder einmal daran, daß nicht alles Gold ist, was glänzt.

Ja, wenn er die Emilie noch hätte! Da ging alles am Schnürchen, jahrelang. Daß diese Perle sich auch verheiraten mußte! Trotz seiner Warnungen! – Aber sie würde schon wiederkommen, damit tröstete er sich oft.

Was hatte er seit ihrem Weggange alles durchgemacht! War dies nur sein persönliches Pech oder – –?

Eine Haushälterin war schlimmer als die andere. Er lernte der Reihe nach die verschiedensten weiblichen Untugenden kennen. Nur in einem einzigen Punkte glichen sich die Frauenzimmer alle – sie wollten in kürzester Frist geheiratet werden – und zwar von ihm.

Gottlob! Wenigstens diesen Fehler besaß Fräulein Amalie nicht. Das war das Beste an ihr. Wie konnte sie auch, da sie schon in den Vierzigern und obendrein auffallend häßlich und hager war. Ihre große Häßlichkeit hatte Bastian, der sonst nur Schönheit suchte, bewogen, sie als Haushälterin anzustellen. Ihr nachteiliges Äußere erwies sich aber leider als ihr einziger Vorzug.

Was sollte Bastian dabei tun? Sie entlassen? Wieder neue Experimente machen? Nein, das führte doch zu nichts. »Also aushalten,« sagte er sich. »Mit der Zeit gewöhnt man sich an alles. Man muß die Leute nehmen, wie sie sind.« Aber diese Gemeinplätze machten ihn nicht glücklich.

Endlich kam das Mittagessen; es war vorzüglich, wie immer. Bastian blickte heitrer in die Zukunft, bis die nächste Wolke am Horizont seines häuslichen Lebens aufzog.

So verstrichen Wochen und Monate, als eines Tages Bastian schwer erkrankte. In eine Klinik mochte er nicht ziehen, da er seine Häuslichkeit liebte, und in seinen vier Wänden fühlte er sich in dieser trüben Zeit unsäglich einsam und verlassen.

Sei es nun, daß sein Geist durch die drei Monate lange Krankheit etwas geschwächt wurde, sei es, daß ihm das Eheglück seiner früheren Haushälterin Emilie, die es noch immer darin aushielt, zu denken gab – sei es dies – sei es das –, wie es in den Gedanken eines Junggesellen aussieht, kann doch niemand ergründen, nicht einmal er selber – kurzum, Bastian änderte seine Ansichten. Seinem Grundsatze getreu, daß von zwei Übeln das kleinere zu wählen sei, beschloß er, sich zu verheiraten. Schon um das niederträchtige Fräulein Amalie zu ärgern!

Dieser liebenswürdige Gedanke versetzte ihn in die rosigste Stimmung. Amalie schikanierte ihn täglich, stündlich, mit hundert Kleinigkeiten. Sie kehrte immer mehr ihre Unentbehrlichkeit heraus, denn sie war sich ihrer Kochkunst wohlbewußt.

Aber wo und wie nun die richtige Frau finden? Seinen Freunden mochte Bastian sich nicht anvertrauen. Unter den ihm bekannten Damen war keine, die ihm zusagte. Außerdem wollte er sehr vorsichtig zu Werke gehen, um keinen Fehlgriff zu tun.

Drei Tage und Nächte fand er keine Ruhe. Dann hatte er sich durchgerungen. Er tat den Schritt, zu dem er sich entschlossen, zwar ungern, aber es war wirklich so am besten, am sichersten in jeder Hinsicht.

Am Abend des denkwürdigen Tages brachte die Tageszeitung folgende Annonce:

»Gutsituierter Junggeselle, 43 Jahre alt, gesund, stattliche Erscheinung, wünscht sich mit Dame, die Kochkünstlerin ist und einen Mann glücklich machen kann, zu verheiraten. Mitgift nicht erforderlich.«

Es liefen eine Menge Antworten ein. Die eine Bewerberin konnte immer besser kochen als die andere.

Als gewissenhafter Mann beschloß er, sämtliche Damen kennenzulernen, nach dem Bibelwort: Prüfet alles, und das Beste behaltet!

Der Reihe nach lüfteten die Damen ihr Inkognito, und der Reihe nach nahm Bastian die leckersten Diners ein. Da er aber außer der Kochkunst auch noch andere Vorzüge erwartete und verlangte, so wurde der Kreis der in engere Wahl kommenden Ehekandidatinnen immer kleiner, und schließlich blieb ihm nur noch die Korrespondenz mit einer Dame übrig, die sich bis jetzt hartnäckig weigerte, mit ihm zusammenzutreffen und bei dieser Gelegenheit ein kleines Kochexamen abzulegen. Dafür bot allerdings die Korrespondenz mit ihr an und für sich sehr viel Anregendes. Es entspann sich zwischen Bastian und der »Lilie« – so nannte sich die Unbekannte – ein immer wärmerer Gedankenaustausch.

Die Briefanreden hatten sich von

    Sehr geehrter Herr!
und
    Sehr geehrtes gnädiges Fräulein!
in
    Wertes Fräulein!
    Mein verehrtes Fräulein!
    Mein liebes Fräulein!
    Meine Lilie!

umgewandelt und waren dann in

Meine einzige Freundin! und Mein einziger Freund!

übergegangen, um endlich bei

Geliebte! und Geliebter!

stehenzubleiben.

Es schien Bastian beinahe unglaublich, wie sich zwei postlagernde Menschen so ineinander verlieben konnten. Es war ein ganz einzigartiges, ideales, sentimentales, romanhaftes Verhältnis.

Nichts hatte er aus der »Lilie« herausgebracht, als daß sie sich in das Herz eines Mannes, wie er zu sein schiene, hineinkochen wolle und könne, und daß sie ihm die höchste Glückseligkeit bereiten würde.

Bastian Sörgel, der »Kavalier« – wie er alle Briefe an die »Lilie« unterzeichnete, ehe er »Dein Geliebter« schrieb –, hatte sich selbstverständlich ebenfalls in bestes Licht gestellt.

Aber diese Anonymität konnte doch nicht ewig so fortgehen. Bastian konnte schon keine Nacht mehr schlafen, und die »Lilie«, wie sie schüchtern zugab, auch nicht. Dennoch zögerte sie, dem Drängen des Geliebten, der ihr wiederholt ein Zusammentreffen auf neutralem Boden vorschlug, nachzugeben, und vertröstete den Ungeduldigen von einem Tage zum andern.

Bastian wurde immer nervöser, und seine Haushälterin schikanierte ihn immer ärger. Kurzum, es war nicht mehr zum Aushalten, und es mußte zum »Krach« auf der einen und »Ach« auf der andern Seite kommen.

Am Mittag desselben Tages, an dem Bastian die Zusage seiner »Lilie« in Händen trug, ihn am Abend auf der letzten Bank der »Seufzer-Allee« zu treffen, kam es zum Bruch zwischen ihm und Fräulein Amalie, die sich täglich mehr zur Megäre herausbildete. Sie mußte schließlich durch den Arm der hohen Obrigkeit an die Luft befördert werden.

Und dann atmete Bastian erleichtert auf. Seine Gedanken kehrten, von der Unholdin erlöst, zu der geliebten »Lilie« zurück. Wie sinnig hatte sie den Ort des ersten Stelldicheins gewählt! Jede Faser seines Wesens zitterte der Seelenbraut entgegen. In seiner verliebten Unruhe rannte Sörgel auf das Telegraphenamt und depeschierte seiner »Lilie«, daß er sich soeben glücklich seines Hausdrachens entledigt habe. Erst auf dem Rückwege fiel ihm die Zwecklosigkeit seines überflüssigen Tuns ein. Schwerlich würde die Dame heute noch zur Post gehen – wenn ihr so ähnlich zumute war wie ihm. Nur noch wenige Stunden Geduld – und er hielt seine angebetete »Lilie« in den Armen, er geleitete sie im Triumph in sein Heim, er – – – Halt! Blumen mußte er haben, viele Blumen, weiße Lilien. Er lief von einem Gärtner zum andern, kaufte alle weißen Lilien auf, die in der Stadt zu haben waren, und schmückte seine Wohnung damit. Er bestieg sogar den Pegasus und verfertigte als Willkommgruß folgende wunderbare Verse:

»O holde Lilie, zart und fein,
Auf ewig sollst du die Meine sein!«

Diesen Erguß wollte er anfangs an der Tür seines – Schlafzimmers befestigen, hielt es aber dann doch für sinniger, das Kindlein seiner Muse mit Reißzwecken an den Küchenschrank zu heften.

Noch einmal prüfte er seine sämtlichen Festveranstaltungen, parfümierte die Luft, die ein wenig nach Tabak roch, mit Veilchendüften, und dann eilte er beflügelten Fußes dem Ziele seiner Sehnsucht entgegen. Das verabredete Erkennungszeichen, eine leuchtend weiße Lilie, trug er vorsichtig in der Rechten. – Er traf natürlich viel zu früh ein. Die letzte Bank war von knospendem Buschwerk im Halbkreis umgeben. Die Kastanien breiteten ihr Laubdach darüber hin, es war ganz dunkel darunter. Bastian konnte die Umgebung kaum noch unterscheiden. Er stellte fest, daß die Bank frei war, und setzte sich in eine Ecke. Seine Lilie leuchtete gespenstisch aus dem Dunkel.

Es waren aufregende Minuten. Ein Gefühl verzehrender Leidenschaft durchrann mit leisem Beben seine Glieder. Nun mußte sich ja seines Lebens schönster Traum gleich – gleich erfüllen. Greifbar stand das Bild seiner Geliebten vor seinem inneren Auge, schlank und zart, wie eine Lilie, und er spähte in die zunehmende Finsternis hinaus und horchte aufmerksam. – Träumend schloß er die Augen und fühlte schon die glühenden Küsse – – da – er fuhr zusammen – es war kein Traum – er wurde tatsächlich umhalst und geküßt, heiß, wild und leidenschaftlich –. Er blickte auf und sah in der Dunkelheit eine zweite Lilie aufleuchten. Also sie war's wirklich, leibhaftig! Arm in Arm, Mund auf Mund genossen sie selige Minuten. – –

»Geliebter!« hauchten ihre Rosenlippen.

»Geliebte!« flüsterte sein bebender Mund.

»Laß uns gehen!« flüsterte die »Lilie«. Ihm war's recht, und sie gingen durch die dunkle Allee und sprachen kein Wort. Sie waren noch so im Banne des Unirdischen, daß keins das andre nach dem Namen fragte. Es war ihnen gleich, wer sie waren – es genügte ihnen, daß sie sich liebten –

Das Tadelnswerteste, was jemand tun kann, ist, Verliebte in ihrer Andacht zu stören. Es gibt aber Unholde, die dies Handwerk zu ihrem Ergötzen betreiben. Auch Bastian und seine »Lilie« fielen solch einem Scheusal zum Opfer.

Sie hatten ihn nicht kommen gehört, den nichtswürdigen Vertreiber, der plötzlich vor ihnen stand und eine elektrische Handlaterne hell aufleuchten ließ. Ein Schrei des Entsetzens entfloh den Liebenden – – –

Dieser Lichtblick zerschmetterte in einem Augenblick ihr ganzes, seliges Liebesglück – für immer.

Der Unheilstifter rannte davon, und Bastian lief ihm mit jugendlicher Behendigkeit nach, obwohl er am ganzen Körper zitterte. Er hatte den Menschen bald eingeholt. Auf einer Verkehrsinsel, dicht unter dem mächtigen, hellstrahlenden Kandelaber, gelang es ihm, den Fliehenden zu stellen. Der leichtfertige Jüngling glaubte, sein letztes Stündlein sei gekommen – – Statt dessen streckte ihm Bastian seine Hand entgegen, schüttelte sie kräftig und sagte: »Ich danke Ihnen, mein Herr!« Und ehe der Verblüffte sich von seiner Überraschung erholen konnte, war Bastian verschwunden. Der junge Spaßvogel ging kopfschüttelnd weiter, fest überzeugt, daß er es mit einem Verrückten zu tun gehabt.

Bastian rannte nach Hause, zerrte die unschuldigen Lilien aus ihren Gläsern und warf sie auf die Straße, zerriß den Willkommgruß, trampelte wütend auf seinen Versen herum und steckte die Fetzen in den kalten Herd. Dann zündete er eine seiner schwersten Zigarren an und qualmte energisch, um die Veilchendüfte auszuräuchern. Schweigend starrte er dabei ins Leere. Finsternis ringsum – Finsternis in ihm. Es war nicht zu fassen: die »Lilie« war – seine am Mittag hinausgeworfene Haushälterin.

Sörgel saß lange in trübe Gedanken versunken. Es ging ihm vielerlei durch den Kopf: Ehe und Wehe – Treue und Reue – Frauen und Grauen – er war auf dem besten Wege, den Aufruhr seines Innern abermals auf Versfüße zu stellen.

Da fuhr er auf – es klingelte.

Nur jetzt keinen Menschen sehen!

Bastian rührte sich nicht.

Es klingelte abermals, wenn auch sehr schwach.

Zögernd erhob er sich, um nachzusehen.

»Wer ist da?« rief er vorsichtig durch einen winzigen Spalt.

»Die – – – lie,« lispelte es draußen ganz verschämt.

Krachend flog die Tür wieder ins Schloß.

»Sie unverschämte, aufdringliche Person,« schrie Sörgel empört, »was fällt Ihnen ein, mich hier in meiner Wohnung zu belästigen?«

Knurrend zog er sich zurück. Er war rasend und wurde es noch mehr, als nach kurzer Pause wieder geläutet wurde.

»Der werde ich's heimzahlen,« murmelte er und stürmte hinaus. Er riß die Tür auf und prallte zurück. Da stand sie weinend vor ihm, die – Emilie!

In seiner Erregung hatte er statt Emilie »Die Lilie« verstanden.

Das Mißverständnis war bald aufgeklärt. Emilie berichtete, daß sie ihrem Manne, der sie sehr schlecht behandelt habe, davongelaufen sei und auf baldige Scheidung hoffe. – Sie bat bescheiden, sich wieder bei ihrem guten Herrn in ihrer Kochkunst betätigen zu dürfen, was ihr gern zugesichert wurde.

»Den Weg zur Ehe betrete ich ganz gewiß nie wieder,« versicherte sie feierlich. Und Bastian ergänzte seufzend: »Ich auch nicht!«

*


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