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Kleine Leiden auf einer Landpartie

Nein, meine Herren! pflegte der Doktor Sauerwein auszurufen, wenn die Rede auf Landpartien kam – nein! über diese Vergnügungen bin ich hinaus für immer. Ich weiß ja nicht, meine Herren, was Sie unter Landpartien verstehen, meinen Sie aber einen Ausflug in Begleitung von Damen zu Wagen oder auf der Eisenbahn, an den sich ein Spaziergang in einen Forst oder in eine Heide, meinetwegen mit Feueranmachen und Kaffeekochen, anschließt, dann muß ich gestehen, daß derartige Vergnügungen sich für Leute von meinem Naturell durchaus nicht eignen.

Es liegt an mir, ich weiß es. Mir fehlt vor allem die notwendige Geistesgegenwart, Besonnenheit und Erfindungsgabe.

Was soll zum Beispiel geschehen, wenn der rechte Schuh einer jungen Dame an einer morastigen Stelle des Weges steckengeblieben und versunken ist? Die junge Dame steht nun auf dem linken Fuße. Lange kann sie so nicht stehen, also sagen Sie mir schnell: was soll nun geschehen? Sie wissen es nicht? Natürlich! Ich habe diese Frage Leuten vorgelegt, die durchaus nicht auf den Kopf gefallen waren, und habe doch keine einzige befriedigende Antwort darauf erhalten. Der eine wollte einen Notschuh aus Baumrinde zimmern, ein zweiter schlug eine Tragbahre von jungen Baumstämmen vor, ein dritter meinte, man müsse für solche Fälle auf jeder Landpartie einen eleganten zweirädrigen Karren mit sich führen. Ein grausamer Barbar endlich – ich verschweige seinen Namen, obgleich er es verdient, daß ich ihn an den Pranger stelle – gab den Rat, man solle die junge Dame stehenlassen und ruhig weitergehen, sie werde schon von selbst nachgehüpft kommen!

Ist Ihnen das noch nicht genug? Gut! so will ich Ihnen die Geschichte meiner letzten Landpartie erzählen.

Ich machte diese Landpartie mit der liebenswürdigen Familie Krusius. Da war also Steuerrat Krusius, seine Frau, die beiden Töchter, Minna und Elvira, und die Tante Sophie. Dazu kam Herr Knoppermann vom Gericht, ein alter Hausfreund, und der junge Nathanael Semmlein, ein Studiosus der Theologie und an die Familie empfohlen. Der achte war ich und der neunte – doch halt! Der fand sich erst unterwegs ein. Es war beschlossen, mit der Bahn bis zur Station Dingelfeld zu fahren, hinter welcher sich eine sehr romantische Wald-, Sand- und Moorgegend ausbreiten sollte.

Wir nahmen im »Blauen Löwen« ein ländliches Mahl ein, und als dann auch der Kaffee vorüber war und der Steuerrat sein Mittagsschläfchen absolviert hatte, wurde der übliche Spaziergang »in die Fichten« angetreten.

In den Fichten war es, wie es dort häufig zu sein pflegt, sehr romantisch, sehr heiß und sehr belebt von ausgezeichnet großen Ameisen. Als wir nun ein Stück gegangen waren und um eine Waldecke bogen, bot sich uns ein eigentümliches Schauspiel dar. Am Waldessaume stand eine große Kiefer, und unter der Kiefer stand ein Invalide, augenscheinlich seines Zeichens ein Feldhüter, während ein großer Hund mit wütendem Gebell um den Baum herumsprang. Oben aber, auf einem Aste des Baumes, saß ein junger Mann, der eine grüne Pflanzenkapsel an einem Riemen über der Schulter trug, und zwischen dem jungen Manne oben und dem Alten unten fand folgendes Wechselgespräch statt.

»Den Augenblick kommen Sie herunter!« rief der Alte.

»Ich bin noch immer nicht von der Notwendigkeit überzeugt!« schallte es von oben.

»Meinetwegen bleiben Sie oben!« hob der Feldhüter wieder an. »Werfen Sie gefälligst die fünfzehn Groschen herunter, dann will ich gehen.«

»Was für ein närrischer Kauz sind Sie doch!« rief der Botaniker herunter. »Denken Sie, das Geld wächst hier oben auf dem Baume? Oder meinen Sie, daß jemand so einfältig sein wird, auf eine wissenschaftliche Landpartie sein Vermögen mitzunehmen? Ich kann es mir gar nicht vorstellen, wie man dazu kommen kann, im Walde Geld auszugeben. Ist es etwa gebräuchlich, daß die Vögel, wenn sie ein Stück gesungen haben, mit dem Teller umhergehen? Oder ist es erhört, daß man für das Hundert Brombeeren oder Haselnüsse, die man frischweg vom Busche verzehrt, auch nur einen Pfennig bezahlt?«

Unterdessen waren wir nähergetreten und erkundigten uns bei dem Alten, um was es sich handle. Er erzählte uns, daß er den Botaniker auf der an das Gehölz stoßenden Wiese, die zu betreten streng verboten sei, betroffen habe. Als der junge Mann seiner ansichtig wurde, sei er ausgerissen und habe sich auf diese Kiefer geflüchtet. Jetzt solle er entweder festgenommen werden oder fünfzehn Groschen Strafgeld erlegen.

Wer weiß, wie lange der Botaniker noch oben hätte sitzen müssen, wenn nicht der Steuerrat und der alte Knoppermann den Invaliden vorgenommen und ein vernünftiges Wort mit ihm gesprochen hätten. Einem vernünftigen Worte, wenn es durch Geld und Zigarren unterstützt wird, kann auch der zornigste Feldhüter auf die Dauer nicht widerstehen, und so kam es denn, daß der Alte, nachdem er noch dem Botaniker mit dem Wiedertreffen »draußen im Freien« gedroht hatte, mit seinem Hunde den Rückzug antrat. Als die beiden alten Herren diesen Akt der Menschlichkeit vollzogen hatten, ersuchten sie den Naturforscher, herunterzusteigen und sich der Gesellschaft anzuschließen.

Den jungen Damen schien der Zuwachs zu unserer Gesellschaft nicht unlieb zu sein. Im Umsehen waren sie schon mit dem Botaniker in einem eifrigen Gespräch über die einheimische Flora begriffen, wobei ich den Verdacht nicht unterdrücken konnte, daß ein großer Teil der lateinischen Pflanzennamen, die er den jungen Damen auftischte, vollständig ausgedacht und erlogen war.

Ich ging an der Seite der Tante Sophie, die mir erzählte, daß sie einmal in einer ähnlichen Gegend und an einem ähnlichen Tage Gott weiß was erlebt habe. Ich war viel zu ärgerlich, um ordentlich hinzuhören. Zu großer Freude gereichte es mir, als der Steuerrat den Vorschlag machte, sich an einem hübschen Punkte niederzulassen und einen Imbiß zu nehmen. »Unser neuer Freund,« sagte er, »wird sicherlich in der Nähe einen dazu passenden Ort wissen.« Da hätten Sie sehen sollen, wie die Augen des jungen Mannes aufleuchteten, und mit welcher Eilfertigkeit er uns nach einem geeigneten Plätzchen hinführte.

Nachdem auf Wunsch der Damen eine genaue Inspektion des Terrains vorgenommen war und dasselbe sich als ziemlich ameisenfrei und spinnensicher erwiesen hatte, lagerten wir uns ins Grüne und begannen die mitgenommenen Vorräte auszupacken. Das Plätzchen war allerdings recht artig auf einem Hügel am Rande des Waldes gelegen. Vor uns öffnete sich ein kleines Tal, in dem mehrere Bürgerfamilien, die gleich uns mit der Bahn gekommen waren, sich am Ringelspiel, Tanz und anderen ländlichen Vergnügungen erfreuten. Der Anblick war allerliebst. Munteres Gelächter und Geschrei schallte zu uns herauf. Wir unsererseits waren auch in der besten Stimmung. Die Flasche ging von Hand zu Hand, und der Botaniker sprach unserem kalten Braten und unserem Weine mit einem Appetit zu, der bei seinen Grundsätzen in bezug auf das Mitnehmen von Geld und in Anbetracht, daß die Jahreszeit reife Brombeeren und Haselnüsse noch nicht darbot, nichts Erstaunliches hatte. Der Jubel erreichte den höchsten Grad, als der Steuerrat mit dem alten Knoppermann und dem Botaniker ein Lied anstimmte, in dem zum großen Verdruß des Theologen das Räuberleben als die einzig passende Beschäftigung für lebenslustige und poetisch gesinnte Leute nach allen Richtungen hin gepriesen wurde.

Ein Stündchen mochten wir so in der besten Laune zugebracht haben, als der Steuerrat bemerkte, daß es nun wohl an der Zeit sei, nach Dingelfeld zurückzukehren, wenn wir nicht den Abendzug versäumen wollten. »Ich möchte Ihnen,« sagte der Botaniker, »einen anderen Vorschlag machen. Es führt von hier aus ein sehr romantischer Weg über Kuckucksweiler und Amselhagen nach der Bahnstation . . .«

»Ich fürchte nur,« fiel ihm der Steuerrat ins Wort, »es wird zu weit sein.«

»Durchaus nicht,« entgegnete unser Gast. »Warten Sie – bis Kuckucksweiler haben wir zwanzig Minuten, von da bis Amselhagen höchstens fünfzehn und von Amselhagen nach Dingelfeld wieder zwanzig. Das macht zusammen noch keine Stunde.«

»Wissen Sie aber auch den Weg genau?« fragte der Steuerrat.

»Ich?« entgegnete der Botaniker. »Ich? Auf fünf Meilen im Umkreise will ich hier jedem Vogel, der sich etwa verflogen hat, sagen, wo sein Nest ist. Wenn Sie es verlangen, will ich Ihnen einen Adreßkalender der in hiesiger Gegend seßhaften Eichhörnchen schreiben.«

Die Damen stimmten sämtlich für den »romantischen« Weg, und so brachen wir denn auf, voran ging der Botaniker mit den jungen Mädchen.

Es scheint mir nun, daß über dasjenige, was romantisch zu nennen ist, sehr verschiedene Ansichten unter den Leuten existieren müssen. Wenn es zum Romantischen gehört, öde, unbequem und gefährlich zu sein, so war der Weg, den wir nunmehr machten, in der Tat sehr romantisch. Ich erwähne nur, daß wir nacheinander ein Waldgatter, zwei Schluchten, einen steglosen Bach – den die Damen auf hineingelegten Steinen überschreiten mußten – und einen Bruchacker zu passieren hatten. Eine gute Stunde waren wir so fortgegangen, ohne einem menschlichen Wesen zu begegnen, und es fing bereits an dunkel zu werden. Da sah der Steuerrat nach der Uhr und, sich zu unserem Führer wendend, bemerkte er: »Es scheint mir, mein Freund, als müßten wir doch schon lange über Kuckucksweiler wenigstens hinaus sein.«

»Es ist mir auch unbegreiflich,« entgegnete der Angeredete, »daß wir noch nicht am Ziele sind; indessen bin ich überzeugt davon, daß wir an der nächsten Ecke den Kirchturm von Kuckucksweiler erblicken werden.«

Wir waren über die nächste Ecke hinaus, aber nichts, was einer menschlichen Behausung ähnlich sah, ließ sich entdecken. Das Terrain fing an unheimlich zu werden. Die Bäume wurden seltener und kleiner, und endlich breitete sich vor uns eine mit spärlichem Gestrüpp bedeckte Ebene aus, über der ein höchst verdächtiger Nebel lag.

Da bemerkte ich plötzlich, daß der Boden unter meinen Füßen zitterte und schwanke. Ich hatte das Gefühl, als ob ich auf Gummi oder Guttapercha träte. In demselben Augenblick mochten die anderen dieselbe Wahrnehmung machen. Wir blieben sämtlich stehen und sahen den Botaniker fragend an.

»Ich fürchte,« begann dieser ziemlich kleinlaut, »daß wir uns etwas mehr rechts hätten halten sollen. Wir sind hier in ein kleines Luch oder Torfmoor geraten. Der nächste Weg würde nun allerdings quer durch das Luch führen, und solange wir uns nur in der Nähe der kleinen Gebüsche halten, ist meiner Ansicht nach die Gefahr des Versinkens eine sehr geringe. Besonders finster wird es nicht werden, da wir einerseits Mondschein haben, anderseits auch bald die Irrlichter aufgehen müssen.«

Das war uns zu stark. Den Damen kam das Weinen nahe, und wir allgesamt erklärten, daß wir lieber die Nacht unter freiem Himmel zubringen als noch einen Schritt weiter in den abscheulichen Sumpf wagen wollten.

»Gut,« sagte der Botaniker, »dann ist es das beste, daß wir rechts abbiegen.«

Was war zu tun? Nach kurzer Beratung bogen wir rechts ab, obgleich dort ein eigentlicher Weg nicht vorhanden war. Nachdem wir uns eine tüchtige Strecke durch Dickicht und Dornen durchgeschlagen hatten, bemerkten wir in unserer Nähe Gebäude. Es wurde ausgemacht, daß die Gesellschaft, wo sie eben stand, warten sollte; ich aber und der Botaniker, wir sollten versuchen, eines Menschen habhaft zu werden, der uns zurechtwiese. Gesagt, getan! Wir näherten uns den Häusern und gelangten an einen kleinen Gartenzaun, den wir überstiegen. Wir riefen zu wiederholten Malen, ohne Antwort zu erhalten. Wir marschierten weiter. Ich ging voran, dem Hause zu, während mein Begleiter um ein weniges zurückblieb. Plötzlich hörte ich, wie er einen Freudenruf ausstieß.

»Was haben Sie?« fragte ich. »Ach, Stachelbeeren!« antwortete er. »Kommen Sie! Hier sind genug für uns beide.«

»Ei, zum –« wollte ich ausrufen, in demselben Augenblicke aber fühlte ich, daß über meinem rechten Fuße etwas zusammenschnappte, und daß er auf höchst schmerzhafte Weise eingeklemmt war. Auf mein Geschrei sprang der Botaniker hinter dem Busch hervor. »Kommen Sie! helfen Sie mir!« rief ich. »Ich bin im Fuchseisen gefangen!«

Auf mein Geschrei erschien an den Fenstern des Hauses Licht; wir hörten Stimmen, Hundegebell, und alsbald näherte sich mir vom Hause her ein Trupp Menschen. Voran schritt ein grimmig aussehender Mann, der in der einen Hand eine Laterne und in der anderen eine Flinte trug. Ihm folgte eine Anzahl von Knechten, welche mit Heugabeln, Ästen, Zaunlatten und anderen lebensgefährlichen Werkzeugen bewaffnet waren. »Hurra!« rief der Grimmige, indem er mir seine Laterne vors Gesicht hielt, »da haben wir endlich den Spitzbuben gefangen!«

»Hurra!« riefen die anderen und schwangen ihre Waffen.

Ich hatte nun bald heraus, daß man auf einen Obst- oder Blumendieb gefahndet hatte und daß für diesen das Fuchseisen, in welchem ich festsaß, bestimmt gewesen war. Natürlich hielt man mich für den Schuldigen, und augenscheinlich sollte an mir Lynchjustiz geübt werden. Ich wäre verloren gewesen, wenn nicht im rechten Augenblicke die Gesellschaft erschienen wäre und sich ins Mittel gelegt hätte. Es war aber schwer, dem Grimmigen begreiflich zu machen, daß ich nicht der Spitzbube sei und daß ich seinen Garten nur betreten habe, um mich nach der Lage von Kuckucksweiler zu erkundigen. Er behauptete, das sei eine leere Ausrede, und es gäbe überhaupt keinen Ort namens Kuckucksweiler. Nur auf flehentliches Bitten der Damen entschloß er sich dazu, meinen Fuß aus dem Eisen zu lösen. Als er zu diesem Behuf den Boden beleuchtete, fielen seine Blicke auf ein in der Nähe befindliches Nelkenbeet, das arg zertreten und verwüstet war. Ohne Zweifel rührte diese Verwüstung von dem Botaniker her, welcher inzwischen die Flucht ergriffen haben mußte, denn wir sahen uns vergeblich nach ihm um. Meine Vermutung, daß er während der ganzen Dauer der Verhandlungen hinter den Stachelbeeren steckte, hat sich nachher bestätigt.

Was half's, daß ich meine Unschuld beteuerte! Der Grimmige erlöste mich nicht eher aus dem Eisen, als bis ich den ganzen Schaden, den er in der Geschwindigkeit auf sieben Mark und fünfundzwanzig Pfennig abschätzte, bezahlt hatte. Unter Schimpfreden und Hohngelächter wurden wir dann aus dem Garten hinausgeleitet. Kaum erreichten wir es, daß uns der Weg nach dem nächsten Wirtshause gezeigt wurde.

Eben hatten wir den ungastlichen Ort verlassen, als der Mond sich mit Wolken bezog und es anfing zu regnen! Das fehlte noch zu unserem Unglück! Schrecklich tönte durch die Stille der Nacht das Jammern und Klagen der Damen. Der Regen wurde stärker, und schon ganz durchnäßt waren wir, als wir in dem bezeichneten Wirtshause, einer elenden Fuhrmannsschenke, anlangten.

Da saßen wir nun, eine verunglückte Landpartie, in der niedrigen, dumpfigen Gaststube. »Herr Gott! wo ist Knoppermann?« rief plötzlich der Steuerrat. Es wurde im Hause nach ihm gesucht, er war nicht zu finden. Nun fiel es uns allen ein, daß wir ihn schon seit längerer Zeit nicht mehr unter uns bemerkt hatten. »Wo kann er nur geblieben sein?« sagte der Steuerrat.

»Das will ich euch sagen,« erklang aus dem Hintergrunde die harte Stimme der Tante, »er wird mit dem Kopfe nach unten im Sumpfe stecken.«

»Ich wollte es nicht zuerst aussprechen,« nahm die Steuerrätin das Wort, »aber ich fürchte sehr, daß er in der Tat versunken ist.«

Kaum hatte sie das gesagt, als die Tante, welche vermutlich noch Absichten auf Knoppermann hatte, in lautes Weinen ausbrach.

»Oh, es ist entsetzlich,« jammerten die jungen Damen.

»Oh, Sie Unglücksvogel!« rief der Steuerrat, indem er auf den Botaniker zutrat und ihn an den Schultern faßte, »was haben Sie angerichtet! Schaffen Sie uns Knoppermann wieder! Sagen Sie uns, was wir tun sollen!«

Es wurde beschlossen, das Moor mit Laternen zu durchsuchen, und die Expedition sollte eben ins Werk gesetzt werden, als die Tür sich öffnete und der Vermißte eintrat, oder vielmehr von einem alten Reisigweiblein, welches hinter ihm kam, in die Stube geschoben wurde. Er war das Bild des Jammers, ohne Hut, ohne Stock, vom Regen durchnäßt, von Dornen zerzaust, über und über mit Fichtennadeln garniert.

»Gott sei Dank, daß Sie da sind!« riefen wir wie aus einem Munde.

»Also das Herrlein gehört zu Ihnen?« schmunzelte die Alte.

Anfangs war der arme Knoppermann unfähig zu sprechen. Nachdem er sich durch ein Glas heißen Getränkes gestärkt hatte, erzählte er uns, daß er, vor Ermüdung zurückgeblieben, die Gesellschaft verloren hätte. Dann hätte er gerufen, aber niemand hätte geantwortet. Dann wäre er Hals über Kopf einen Abhang hinabgerollt, von einem Baum zum andern geschleudert worden und unten bewußtlos liegengeblieben. Dort hätte das Waldweiblein ihn gefunden, durch anhaltendes Schütteln ins Leben zurückgerufen und glücklich hierhergeleitet. »Meinen Hut und Stock,« schloß er, »scheine ich verloren zu haben. Auch ist es mir so, als hätte ich vorher einen Paletot über dem Arm getragen. Ich weiß nicht, ob es der rechte oder der linke Arm gewesen; jetzt aber bemerke ich ihn auf keinem meiner beiden Arme.«

»Lassen Sie uns froh sein,« sagte der Steuerrat, »daß Sie selbst sich wiedergefunden haben. Was Ihre Sachen betrifft,« fügte er mit einem strengen Blick auf den Botaniker hinzu, »so werden sie sich möglicherweise in Kuckucksweiler oder in Amselhagen wiederfinden.«

Das war am Ende auch der beste Trost. Unterdessen hatte der Regen ein wenig nachgelassen, und nachdem wir die Alte belohnt und vom Wirt eine Mütze und einen Schal für Knoppermann geborgt hatten, machten wir uns auf den Weg nach der Bahnstation.

Wir waren sämtlich in der schlechtesten Stimmung, und keiner von uns hatte Lust, ein Wort zu sprechen. Der Botaniker ging neben mir. Er hatte die ganze Botanisiertrommel voll gestohlener Stachelbeeren, und aß nun eine nach der anderen. Da sie sämtlich noch unreif warm, so gab es, sooft er ein Beerchen zerbiß, einen kleinen Krach, wie beim Nüsseknacken.

Wir trafen noch gerade zur rechten Zeit in Dingelfeld ein, um einen Nachtzug zur Heimfahrt benutzen zu können. Todmüde, verstört, mit ruinierten Kleidern und in der elendesten Gemütsverfassung langten wir zu Hause an.

Vier Wochen lang lag ich zu Bett, acht Wochen ging ich am Stock, ein ganzes Jahr lang blieb ich ein Hinkefuß.

Dies, meine Herren, war meine letzte Landpartie. Lassen Sie sich diese Geschichte zur Warnung dienen. Ich weiß, Sie tun es doch nicht, Sie werden sich wieder verleiten lassen. Dann bitte ich Sie nur um eines. Sollten Sie irgendwo auf einer Landpartie unseren jungen Freund, den Botaniker, treffen, und er sitzt wieder in einer Kiefer – lassen Sie ihn doch ja in der Kiefer sitzen!

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