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Fichte

Die Sprache überhaupt und besonders die Bezeichnung der Gegenstände in derselben durch das Lautwerden der Sprachwerkzeuge hängt keinesweges von willkürlichen Beschlüssen und Verabredungen ab, sondern es gibt zuvörderst ein Grundgesetz, nach welchem jedweder Begriff in den menschlichen Sprachwerkzeugen zu diesem und keinem andern Laute wird. So wie die Gegenstände sich in den Sinnenwerkzeugen des Einzelnen mit dieser bestimmten Figur, Farbe u. s. w. abbilden, so bilden sie sich im Werkzeuge des gesellschaftlichen Menschen, in der Sprache, mit diesem bestimmten Laute ab. Nicht eigentlich redet der Mensch, sondern in ihm redet die menschliche Natur und verkündiget sich andern seinesgleichen. Und so müßte man sagen: die Sprache ist eine einzige und durchaus notwendige.

Nun mag zwar, welches das zweite ist, die Sprache in dieser ihrer Einheit für den Menschen schlechtweg als solchen niemals und nirgend hervorgebrochen sein, sondern allenthalben weiter geändert und gebildet durch die Wirkungen, welche der Himmelsstrich und häufigerer oder seltnerer Gebrauch auf die Sprachwerkzeuge, und die Aufeinanderfolge der beobachteten und bezeichneten Gegenstände auf die Aufeinanderfolge der Bezeichnung hatten. Jedoch findet auch hierin nicht Willkür oder Ohngefähr, sondern strenges Gesetz statt; und es ist notwendig, daß in einem durch die erwähnten Bedingungen also bestimmten Sprachwerkzeuge nicht die eine und reine Menschensprache, sondern daß eine Abweichung davon, und zwar, daß gerade diese bestimmte Abweichung davon hervorbreche.

Nenne man die unter denselben äußern Einflüssen auf das Sprachwerkzeug stehenden, zusammenlebenden und in fortgesetzter Mitteilung ihre Sprache fortbildenden Menschen ein Volk, so muß man sagen: die Sprache dieses Volks ist notwendig so, wie sie ist, und nicht eigentlich dieses Volk spricht seine Erkenntnis aus, sondern seine Erkenntnis selbst spricht sich aus aus demselben.

Bei allen im Fortgange der Sprache durch dieselben oben erwähnten Umstände erfolgten Veränderungen bleibt ununterbrochen diese Gesetzmäßigkeit, und zwar für alle, die in ununterbrochner Mitteilung bleiben, und wo das von jedem Einzelnen ausgesprochene Neue an das Gehör aller gelangt, dieselbe Eine Gesetzmäßigkeit. Nach Jahrtausenden und nach allen den Veränderungen, welche in ihnen die äußere Erscheinung der Sprache dieses Volks erfahren hat, bleibt es immer dieselbe Eine, ursprünglich also ausbrechenmüssende lebendige Sprachkraft der Natur, die ununterbrochen durch alle Bedingungen herabgeflossen ist und in jeder so werden mußte, wie sie ward, am Ende derselben so sein mußte, wie sie jetzt ist, und in einiger Zeit also sein wird, wie sie sodann müssen wird. Die rein menschliche Sprache, zusammengenommen zuvörderst mit dem Organe des Volks, als sein erster Laut ertönte, was hieraus sich ergibt, ferner zusammengenommen mit allen Entwicklungen, die dieser erste Laut unter den gegebnen Umständen gewinnen mußte, gibt als letzte Folge die gegenwärtige Sprache des Volks. Darum bleibt auch die Sprache immer dieselbe Sprache. Lasset immer nach einigen Jahrhunderten die Nachkommen die damalige Sprache ihrer Vorfahren nicht verstehen, weil für sie die Übergänge verloren gegangen sind; dennoch gibt es vom Anbeginn an einen stetigen Übergang ohne Sprung, immer unmerklich in der Gegenwart und nur durch Hinzufügung neuer Übergänge bemerklich gemacht und als Sprung erscheinend. Niemals ist ein Zeitpunkt eingetreten, da die Zeitgenossen aufgehört hätten, sich zu verstehen, indem ihr ewiger Vermittler und Dolmetscher die aus ihnen allen sprechende gemeinsame Naturkraft immerfort war und blieb. So verhält es sich mit der Sprache als Bezeichnung der Gegenstände unmittelbar sinnlicher Wahrnehmung, und dieses ist alle menschliche Sprache anfangs. Erhebt von dieser das Volk sich zu Erfassung des Übersinnlichen, so vermag dieses Übersinnliche zur beliebigen Wiederholung und zur Vermeidung der Verwirrung mit dem Sinnlichen für den ersten Einzelnen und zur Mitteilung und zweckmäßigen Leitung für andere zuvörderst nicht anders festgehalten zu werden denn also, daß ein Selbst als Werkzeug einer übersinnlichen Welt bezeichnet und von demselben Selbst, als Werkzeug der sinnlichen Welt, genau unterschieden werde – eine Seele, Gemüt und dergleichen einem körperlichen Leibe entgegengesetzt werde. Ferner könnten die verschiedenen Gegenstände dieser übersinnlichen Welt, da sie insgesamt nur in jenem übersinnlichen Werkzeuge erscheinen und für dasselbe da sind, in der Sprache nur dadurch bezeichnet werden, daß gesagt werde, ihr besonderes Verhältnis zu ihrem Werkzeuge sei also wie das Verhältnis der und der bestimmten sinnlichen Gegenstände zum sinnlichen Werkzeuge, und daß in diesem Verhältnis ein besonderes Übersinnliches einem besondern Sinnlichen gleichgesetzt und durch diese Gleichsetzung sein Ort im übersinnlichen Werkzeuge durch die Sprache angedeutet werde. Weiter vermag in diesem Umkreise die Sprache nichts; sie gibt ein sinnliches Bild des Übersinnlichen, bloß mit der Bemerkung, daß es ein solches Bild sei; wer zur Sache selbst kommen will, muß nach der durch das Bild ihm angegebenen Regel sein eigenes geistiges Werkzeug in Bewegung setzen. Im allgemeinen erhellet, daß diese sinnbildliche Bezeichnung des Übersinnlichen jedesmal nach der Stufe der Entwicklung des sinnlichen Erkenntnisvermögens unter dem gegebenen Volke sich richten müsse, daß daher der Anfang und Fortgang dieser sinnbildlichen Bezeichnung in verschiedenen Sprachen sehr verschieden ausfallen werde, nach der Verschiedenheit des Verhältnisses, das zwischen der sinnlichen und geistigen Ausbildung des Volkes, das eine Sprache redet, stattgefunden und fortwährend stattfindet.

Wir beleben zuvörderst diese in sich klare Bemerkung durch ein Beispiel. Etwas, das nicht erst durch das dunkle Gefühl, sondern sogleich durch klare Erkenntnis entsteht, dergleichen jedesmal ein übersinnlicher Gegenstand ist, heißt mit einem griechischen, auch in der deutschen Sprache häufig gebrauchten Worte eine Idee, und dieses Wort gibt genau dasselbe Sinnbild, was in der deutschen das Wort Gesicht, wie dieses in folgenden Wendungen der Lutherischen Bibelübersetzung: ihr werdet Gesichte sehen, ihr werdet Träume haben, vorkommt. Idee oder Gesicht in sinnlicher Bedeutung wäre etwas, das nur durch das Auge des Leibes, keinesweges aber durch einen andern Sinn, etwa der Betastung, des Gehörs u. s. w., erfaßt werden könnte, so wie etwa ein Regenbogen oder die Gestalten, welche im Traume vor uns vorübergehen. Dasselbe in übersinnlicher Bedeutung hieße zuvörderst zufolge des Umkreises, in dem das Wort gelten soll, etwas, das gar nicht durch den Leib, sondern nur durch den Geist erfaßt wird, sodann, das auch nicht durch das dunkle Gefühl des Geistes, wie manches andere, sondern allein durch das Auge desselben, die klare Erkenntnis, erfaßt werden kann. Wollte man nun etwa ferner annehmen, daß den Griechen bei dieser sinnbildlichen Bezeichnung allerdings der Regenbogen und die Erscheinungen der Art zum Grunde gelegen, so müßte man gestehen, daß ihre sinnliche Erkenntnis schon vorher sich zur Bemerkung des Unterschiedes zwischen den Dingen, daß einige sich allen oder mehrern Sinnen, einige sich bloß dem Auge offenbaren, erhoben haben müsse, und daß außerdem sie den entwickelten Begriff, wenn er ihnen klar geworden wäre, nicht also, sondern anders hätten bezeichnen müssen. Es würde sodann auch ihr Vorzug in geistiger Klarheit erhellen etwa vor einem andern Volke, das den Unterschied zwischen Sinnlichem und Übersinnlichem nicht durch ein aus dem besonnenen Zustande des Wachens hergenommenes Sinnbild habe bezeichnen können, sondern zum Traume seine Zuflucht genommen, um ein Bild für eine andere Welt zu finden; zugleich würde einleuchten, daß dieser Unterschied nicht etwa durch die größere oder geringere Stärke des Sinns fürs Übersinnliche in den beiden Völkern, sondern daß er lediglich durch die Verschiedenheit ihrer sinnlichen Klarheit, damals, als sie Übersinnliches bezeichnen wollten, begründet sei.

So richtet alle Bezeichnung des Übersinnlichen sich nach dem Umfange und der Klarheit der sinnlichen Erkenntnis desjenigen, der da bezeichnet. Das Sinnbild ist ihm klar und drückt ihm das Verhältnis des Begriffenen zum geistigen Werkzeuge vollkommen verständlich aus; denn dieses Verhältnis wird ihm erklärt durch ein anderes unmittelbar lebendiges Verhältnis zu seinem sinnlichen Werkzeuge. Diese also entstandene neue Bezeichnung mit aller der neuen Klarheit, die durch diesen erweiterten Gebrauch des Zeichens die sinnliche Erkenntnis selber bekommt, wird nun niedergelegt in der Sprache; und die mögliche künftige übersinnliche Erkenntnis wird nun nach ihrem Verhältnisse zu der ganzen in der gesamten Sprache niedergelegten übersinnlichen und sinnlichen Erkenntnis bezeichnet; und so geht es ununterbrochen fort; und so wird denn die unmittelbare Klarheit und Verständlichkeit der Sinnbilder niemals abgebrochen, sondern sie bleibt ein stetiger Fluß. – Ferner, da die Sprache nicht durch Willkür vermittelt, sondern als unmittelbare Naturkraft aus dem verständigen Leben ausbricht, so hat eine ohne Abbruch nach diesem Gesetze fortentwickelte Sprache auch die Kraft, unmittelbar einzugreifen in das Leben und dasselbe anzuregen. Wie die unmittelbar gegenwärtigen Dinge den Menschen bewegen, so müssen auch die Worte einer solchen Sprache den bewegen, der sie versteht; denn auch sie sind Dinge, keineswegs willkürliches Machwerk. So zunächst im Sinnlichen. Nicht anders jedoch auch im Übersinnlichen. Denn obwohl in Beziehung auf das letztere der stetige Fortgang der Naturbeobachtung durch freie Besinnung und Nachdenken unterbrochen wird, und hier gleichsam der unbildliche Gott eintritt, so versetzt dennoch die Bezeichnung durch die Sprache das Unbildliche auf der Stelle in den stetigen Zusammenhang des Bildlichen zurück; und so bleibt auch in dieser Rücksicht der stetige Fortgang der zuerst als Naturkraft ausgebrochenen Sprache ununterbrochen, und es tritt in den Fluß der Bezeichnung keine Willkür ein. Es kann darum auch dem übersinnlichen Teile einer also stetig fortentwickelten Sprache seine Leben anregende Kraft auf den, der nur sein geistiges Werkzeug in Bewegung setzt, nicht entgehen. Die Worte einer solchen Sprache in allen ihren Teilen sind Leben und schaffen Leben. – Machen wir auch in Rücksicht der Entwicklung der Sprache für das Übersinnliche die Voraussetzung, daß das Volk dieser Sprache in ununterbrochener Mitteilung geblieben und daß, was Euer gedacht und ausgesprochen, bald an alle gekommen, so gilt, was bisher im allgemeinen gesagt worden, für alle, die diese Sprache reden. Allen, die nur denken wollen, ist das in der Sprache niedergelegte Sinnbild klar; allen, die da wirklich denken, ist es lebendig und anregend ihr Leben.

So verhält es sich, sage ich, mit einer Sprache, die von dem ersten Laute an, der in derselben Volke ausbrach, ununterbrochen aus dem wirklichen gemeinsamen Leben dieses Volks sich entwickelt hat, und in die niemals ein Bestandteil gekommen, der nicht eine wirklich erlebte Anschauung dieses Volks und eine mit allen übrigen Anschauungen desselben Volks im allseitig eingreifenden Zusammenhange stehende Anschauung ausdrückte. Lasset dem Stammvolke dieser Sprache noch so viel Einzelne andern Stammes und anderer Sprache einverleibt werden; wenn es diesen nur nicht verstattet wird, den Umkreis ihrer Anschauungen zu dem Standpunkte, von welchem von nun an die Sprache sich fortentwickle, zu erheben, so bleiben diese stumm in der Gemeine und ohne Einfluß auf die Sprache so lange, bis sie selbst in den Umkreis der Anschauungen des Stammvolkes hineingekommen sind, und so bilden nicht sie die Sprache, sondern die Sprache bildet sie.

Ganz das Gegenteil aber von allem bisher Gesagten erfolgt alsdann, wenn ein Volk mit Aufgebung seiner eignen Sprache eine fremde, für übersinnliche Bezeichnung schon sehr gebildete annimmt, und zwar nicht also, daß es sich der Einwirkung dieser fremden Sprache ganz frei hingebe und sich bescheide, sprachlos zu bleiben so lange, bis es in den Kreis der Anschauungen dieser fremden Sprache hineingekommen, sondern also, daß es seinen eignen Anschauungskreis der Sprache aufdringe und diese von dem Standpunkte aus, wo sie dieselbe fanden, von nun an in diesem Anschauungskreise sich fortbewegen müsse. In Absicht des sinnlichen Teils der Sprache zwar ist diese Begebenheit ohne Folgen. In jedem Volke müssen ja ohnedies die Kinder diesen Teil der Sprache, gleich als ob die Zeichen willkürlich wären, lernen und so die ganze frühere Sprachentwicklung der Nation hierin nachholen; jedes Zeichen aber in diesem sinnlichen Umkreise kann durch die unmittelbare Ansicht oder Berührung des Bezeichneten vollkommen klargemacht werden. Höchstens würde daraus folgen, daß das erste Geschlecht eines solchen seine Sprache ändernden Volks als Männer wieder in die Kinderjahre zurückzugehen genötigt gewesen; mit den Nachgebornen aber und an den künftigen Geschlechtern war alles wieder in der alten Ordnung. Dagegen ist diese Veränderung von den bedeutendsten Folgen in Rücksicht des übersinnlichen Teils der Sprache. Dieser hat zwar für die ersten Eigentümer der Sprache sich gemacht auf die bisher beschriebene Weise; für die spätern Eroberer derselben aber enthält das Sinnbild eine Vergleichung mit einer sinnlichen Anschauung, die sie entweder schon längst ohne die beiliegende geistige Ausbildung übersprungen haben, oder die sie dermalen noch nicht gehabt haben, auch wohl niemals haben können. Das Höchste, was sie hiebei tun können, ist, daß sie das Sinnbild und die geistige Bedeutung desselben sich erklären lassen, wodurch sie die flache und tote Geschichte einer fremden Bildung, keinesweges aber eigene Bildung erhalten und Bilder bekommen, die für sie weder unmittelbar klar noch auch lebenanregend sind, sondern völlig also willkürlich erscheinen müssen wie der sinnliche Teil der Sprache. Für sie ist nun durch diesen Eintritt der bloßen Geschichte als Erklärerin die Sprache in Absicht des ganzen Umkreises ihrer Sinnbildlichkeit tot, abgeschlossen und ihr stetiger Fortfluß abgebrochen; und obwohl über diesen Umkreis hinaus sie nach ihrer Weise und, inwiefern dies von einem solchen Ausgangspunkte aus möglich ist, diese Sprache wieder lebendig fortbilden mögen, so bleibt doch jener Bestandteil die Scheidewand, an welcher der ursprüngliche Ausgang der Sprache als eine Naturkraft aus dem Leben und die Rückkehr der wirklichen Sprache in das Leben ohne Ausnahme sich bricht. Obwohl eine solche Sprache auf der Oberfläche durch den Wind des Lebens bewegt werden und so den Schein eines Lebens von sich geben mag, so hat sie doch tiefer einen toten Bestandteil und ist durch den Eintritt des neuen Anschauungskreises und die Abbrechung des alten abgeschnitten von der lebendigen Wurzel.

Wir beleben das soeben Gesagte durch ein Beispiel, indem wir zum Behuf dieses Beispiels noch beiläufig die Bemerkung machen, daß eine solche im Grunde tote und unverständliche Sprache sich auch sehr leicht verdrehen und zu allen Beschönigungen des menschlichen Verderbens mißbrauchen läßt, was in einer niemals erstorbenen nicht also möglich ist. Ich bediene mich als solchen Beispiels der drei Worte Humanität, Popularität, Liberalität. Diese Worte, vor dem Deutschen, der keine andere Sprache gelernt hat, ausgesprochen, sind ihm ein völlig leerer Schall, der an nichts ihm schon Bekanntes durch Verwandtschaft des Lautes erinnert und so aus dem Kreise seiner Anschauung und aller möglichen Anschauung ihn vollkommen herausreißt. Reizt nun doch etwa das unbekannte Wort durch seinen fremden, vornehmen und wohltönenden Klang seine Aufmerksamkeit, und denkt er, was so hoch töne, müsse auch etwas Hohes bedeuten, so muß er sich diese Bedeutung ganz von vornherein und als etwas ihm ganz Neues erklären lassen und kann dieser Erklärung eben nur blind glauben und wird so stillschweigend gewöhnt, etwas für wirklich daseiend und würdig anzuerkennen, das er, sich selbst überlassen, vielleicht niemals des Erwähnens wert gefunden hätte. Man glaube nicht, daß es sich mit den neulateinischen Völkern, welche jene Worte vermeintlich als Worte ihrer Muttersprache aussprechen, viel anders verhalte. Ohne gelehrte Ergründung des Altertums und seiner wirklichen Sprache verstehen sie die Wurzeln dieser Wörter ebensowenig als der Deutsche. Hätte man nun etwa dem Deutschen statt des Worts Humanität das Wort Menschlichkeit, wie jenes wörtlich übersetzt werden muß, ausgesprochen, so hätte er uns ohne weitere historische Erklärung verstanden; aber er hätte gesagt: da ist man nicht eben viel, wenn man ein Mensch ist und kein wildes Tier. Also aber, wie wohl nie ein Römer gesagt hätte, würde der Deutsche sagen deswegen, weil die Menschheit überhaupt in seiner Sprache nur ein sinnlicher Begriff geblieben, niemals aber wie bei den Römern zum Sinnbilde eines übersinnlichen geworden, indem unsere Vorfahren vielleicht lange vorher die einzelnen menschlichen Tugenden bemerkt und sinnbildlich in der Sprache bezeichnet, ehe sie darauf gefallen, dieselben in einem Einheitsbegriffe, und zwar als Gegensatz mit der tierischen Natur, zusammenzufassen, welches denn auch unsern Vorfahren den Römern gegenüber zu gar keinem Tadel gereicht. Wer nun den Deutschen dennoch dieses fremde und römische Sinnbild künstlich in die Sprache spielen wollte, der würde ihre sittliche Denkart offenbar herunterstimmen, indem er ihnen als etwas Vorzügliches und Lobenswürdiges hingäbe, was in der fremden Sprache auch wohl ein solches sein mag, was er aber nach der unaustilgbaren Natur seiner National-Einbildungskraft nur faßt als das Bekannte, das gar nicht zu erlassen ist. Es ließe sich vielleicht durch eine nähere Untersuchung dartun, daß dergleichen Herabstimmungen der frühern sittlichen Denkart durch unpassende und fremde Sinnbilder den germanischen Stämmen, die die römische Sprache annahmen, schon zu Anfange begegnet: doch wird hier auf diesen Umstand nicht gerade das größte Gewicht gelegt.

Würde ich ferner dem Deutschen statt der Wörter Popularität und Liberalität die Ausdrücke Haschen nach Gunst beim großen Haufen und Entfernung von Sklavensinn, wie jene wörtlich übersetzt werden müssen, sagen, so bekäme derselbe zuvörderst nicht einmal ein klares und lebhaftes sinnliches Bild, dergleichen der frühere Römer allerdings bekam. Dieser sah alle Tage die schmiegsame Höflichkeit des ehrgeizigen Kandidaten gegen alle Welt sowie die Ausbrüche des Sklavensinns vor Augen, und jene Worte bildeten sie ihm wieder lebendig vor. Durch die Veränderung der Regierungsform und die Einführung des Christentums waren schon dem spätem Römer diese Schauspiele entrissen, wie denn überhaupt diesem, besonders durch das fremdartige Christentum, das er weder abzuwehren noch sich einzuverleiben vermochte, die eigne Sprache gutenteils abzusterben anfing im eignen Munde. Wie hätte diese schon in der eignen Heimat halbtote Sprache lebendig überliefert werden können an ein fremdes Volk? Wie sollte sie es jetzt können an uns Deutsche? Was ferner das in jenen beiden Ausdrücken liegende Sinnbild eines Geistigen betrifft, so liegt in der Popularität schon ursprünglich eine Schlechtigkeit, die durch das Verderben der Nation und ihrer Verfassung in ihrem Munde zur Tugend verdreht wurde. Der Deutsche geht in diese Verdrehung, sowie sie ihm nur in seiner eignen Sprache dargeboten wird, nimmer ein. Zur Übersetzung der Liberalität aber dadurch, daß ein Mensch keine Sklavenseele oder, wenn es in die neue Sitte eingeführt wird, keine Lakaien-Denkart habe, antwortet er abermals, daß auch dies sehr wenig gesagt heiße.

Das an diesem einzelnen Beispiele Dargelegte, was gar leicht durch den ganzen Umkreis der Sprache sich würde hindurchführen lassen und allenthalben also sich wiederfinden würde, soll das Gesagte so klarmachen, als es hier werden kann. Der übersinnliche Teil ist in einer immerfort lebendig gebliebenen Sprache sinnbildlich, zusammenfassend bei jedem Schritte das Ganze des sinnlichen und geistigen in der Sprache niedergelegten Lebens der Nation in vollendeter Einheit, um einen ebenfalls nicht willkürlichen, sondern aus dem ganzen bisherigen Leben der Nation notwendig hervorgehenden Begriff zu bezeichnen, aus welchem, und seiner Bezeichnung, ein scharfes Auge die ganze Bildungsgeschichte der Nation rückwärtsschreitend wieder müßte herstellen können. In einer toten Sprache aber, in der dieser Teil, als sie noch lebte, dasselbige war, wird er durch die Ertötung zu einer zerrissenen Sammlung willkürlicher und durchaus nicht weiter zu erklärender Zeichen ebenso willkürlicher Begriffe, wo mit beiden sich nichts weiter anfangen läßt, als daß man sie eben lerne.

Unermeßlichen Einfluß auf die ganze menschliche Entwicklung eines Volks hat die Beschaffenheit seiner Sprache, der Sprache, welche den Einzelnen bis in die geheimste Tiefe seines Gemüts bei Denken und Wollen begleitet und beschränkt oder beflügelt, welche die gesamte Menschenmenge, die dieselbe redet, auf ihrem Gebiete zu einem einzigen gemeinsamen Verstände verknüpft, welche der wahre gegenseitige Durchströmungspunkt der Sinnenwelt und der der Geister ist und die Enden dieser beiden also ineinander verschmilzt, daß gar nicht zu sagen ist, zu welcher von beiden sie selber gehöre.


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